Marvel-Comic-Kritik zu X-Men Blue 1 und X-Men Gold 1

Von den Comic-Legenden Jack Kirby und Stan Lee erschaffen erfreut sich die Gruppe X, wie sie hierzulande ursprünglich hieß, seit ihrem ersten Auftritt 1963 – nicht nur in den USA - großer Beliebtheit. Wobei es durchaus dauerte, bis die X-Gen-Träger für Marvel auch aus finanzieller Hinsicht als Erfolg verbucht werden konnten. Dass sich dieser irgendwann einstellte, lässt sich auch daran ablesen, dass es nur wenige Titel gibt, die in so vielen unterschiedlichen Inkarnationen (zahlreiche Ableger inklusive) ihren Weg in die Händlerregale gefunden haben: All-New, All-Different X-Men, Uncanny X-Men, Astonishing X-Men, Young X-Men, X-Force, X-23, X-Treme X-Men und natürlich - vollkommen logisch - X-Men.

Außerdem gab es vor vielen Jahren bereits einen parallel erscheinenden Doppelpack, dem Marvel vor einiger Zeit wieder zu einem Comeback verholfen hat: X-Men Gold sowie X-Men Blue. Und damit trug man in gewisser Weise der Tatsache Rechnung, dass sich die Avengers-Kollegen, die sich auch schon einmal mit den in Deutschland einst als Rächer bekannten Helden duelliert haben, sehr häufig in ihrer langen Historie in unterschiedlichen Teams formiert haben. Angesichts der über die Jahrzehnte spürbar gestiegenen Zahl an Mutanten, die - in den allermeisten Fällen - Gutes tun und die Menschen vor mächtigen Bedrohungen schützen, ist dies auch nicht weiter verwunderlich.

Reise ins Blaue

Wenn man sich überlegt, wer im Marvel-Kosmos ein besonderes Verhältnis zu Zeitreisen hat, dann landet man sehr schnell bei den X-Men, und selbstredend dem legendären Comic, dessen filmische Adaption 2014 seine Premiere auf den Lichtspielhausleinwänden dieser Welt feiern durfte: X-Men: Days of Future Past beziehungsweise X-Men: Zukunft ist Vergangenheit. Aber auch in der jüngeren Vergangenheit spielte ebendiese eine bedeutende Rolle, denn im Fokus der X-Men-Blue-Reihe stehen die jüngeren Ichs einiger der berühmtesten Absolventen einer ganz bestimmten Schule: unter anderem Scott Summers alias Cyclops sowie Jean Grey alias Marvel Girl - nicht zu verwechseln mit Ms. Marvel oder Captain Marvel.

Dieser Umstand für sich genommen wäre schon ein Garant für zahlreiche interessante Geschichten. Weiß man allerdings darüber hinaus noch um die Begleitumstände, die überhaupt erst dazu geführt haben, dass diese “Jungspunde“ in der Gegenwart, also ihrer Zukunft, landen konnten, steigert es das Leseerlebnis nur umso mehr. Denn dass Eingriffe in den Verlauf der Zeit nie folgenlos bleiben, wissen längst nicht mehr nur Comic- oder Science-Fiction-Liebhaber, sondern ebenso Freunde des Mainstreamkinos. Enorm spannend ist in diesem Zusammenhang selbstverständlich die Personalie Cyclops. Doch diese wird in diesem Band lediglich kurz angerissen.

Primär geht es eindeutig darum, den Lesern die Gruppe von jungen Menschen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten näherzubringen, und zwar so, dass sie von der sympathischen Truppe noch sehr viel mehr erfahren wollen. Dass sie Thomas Samuel Eamon Cassidy aka Black Tom Cassidy oder Cain Marko alias Juggernaut bekämpfen, ist daher ziemlich nebensächlich. Wichtiger als ihre Gegner ist vielmehr das Zusammenspiel des bereits genannten Duos mit seinen Freunden Robert Louis “Bobby“ Drake/Iceman, Hank McCoy/Beast und Warren Worthington III/Angel, wenn es hart auf hart kommt. Und das ist – wie soll man es sagen? - durchaus ausbaufähig. Die Chemie zwischen den Fünfen stimmt jedoch definitiv - als Beleg dienen unter anderem diverse Frotzeleien, die überdies Ausdruck der positiven Grundstimmung sind, die innerhalb der Gruppe herrscht. 

Cullen Bunn wird es dabei aber sicher nicht bewenden lassen. Schließlich verraten diverse Panels schon, dass Erik Lehnsherr, also Magneto, diesmal durchaus gewillt ist, nicht wieder dem Bösen zu verfallen, aber möglicherweise nicht davor gefeit. Und wenn die Leserschaft zudem auf einer der letzten Seiten unter anderem an Emma Frost erinnert wird, ist das im Grunde ein Versprechen des Autors, dass er noch eine Menge in der Hinterhand hat.

Der Look von Reise ins Blaue erinnert sehr an Zeichentrickserien, was tatsächlich eher ungewöhnlich, allerdings keinesfalls schlecht ist. Im Gegenteil: Die Stile von in erster Linie Jorge Molina und Julian Lopez, die sich nebenbei bemerkt fantastisch ergänzen, passen nämlich gut zu dieser jugendlichen Dynamik, die die Reihe ganz offensichtlich bestimmt …

X-Men: Gold

Ein neuer Morgen

…, und bei Ein neuer Morgen waren zwar andere Zeichner am Werk, jedoch offenkundig welche, die einen ähnlichen Ansatz verfolgt haben dürften wie ihre Blue-Kollegen. Die Arbeiten von Ardian Syaf und R. B. Silva haben zweifellos ebenfalls etwas “Cartoonhaftes“, kommen insgesamt aber etwas erwachsener daher. Alles ist etwas kantiger und weniger verspielt, was wiederum gut zu diesem Titel passt. Immerhin ist Old Man Logan Teil des Gold-Teams und hebt dessen Altersschnitt enorm.

Zu ihm gesellen sich Kurt Wagner/Nightcrawler, Pjotr Rasputin/Colossus, Rachel Summers/Prestige, Ororo Munroe/Storm sowie Katherine Anne "Kitty“ Pride/Shadowcat, die die Anführerin dieses Sextetts ist - und (wie auch Jean Grey) eine äußerst mächtige Mutantin. Diese steht hingegen noch etwas mehr im Mittelpunkt des Geschehens als ihr Pendant im anderen Band. Es geht in diesem Paperback natürlich auch darum, diese X-Einheit etwas besser kennenzulernen, allerdings treibt Marc Guggenheim, der unter anderem der Arrow-TV-Serie seinen Stempel aufgedrückt hat, die Handlung wesentlich schneller voran, ohne dabei überhastet vorzugehen.

Von Beginn an wird deutlich, dass die X-Men nach ihrem Kampf mit den Inhumans erst wieder das Vertrauen der Menschheit zurückgewinnen müssen. Bedenkt man, dass sie eigentlich seit jeher von Vielen skeptisch beäugt worden sind und sich deshalb permanent mit Vorurteilen auseinandersetzen mussten und müssen, ist das doppelt bitter. Selbst wenn sie direkt vor den Augen einiger New Yorker anderen Stadtbewohnern das Leben retten, sorgt dies nicht für ungeteilten Jubel. Und exakt darin besteht eine der Stärken dieses Titels.

Diesmal geht es eben nicht nur um die fehlende Akzeptanz oder um die Vorbehalte den X-Gen-Trägern gegenüber, sondern vornehmlich darum, sich zunächst einmal wieder einigermaßen zu rehabilitieren - sofern das überhaupt möglich ist. Doch auch ihr Sieg über die neueste Version der Bruderschaft der bösen Mutanten kann ihr öffentliches Image nicht einfach so aufpolieren. Spätestens mit dem Auftauchen von Olivia Trask, ihres Zeichens Enkelin von Bolivar Trask, dürfte jedoch zumindest für die Treuesten der Treuen klar gewesen sein, dass die Sentinels in irgendeiner Form involviert sein würden - und wenn sie es sind, bedeutet das zumeist nichts Gutes.

Kitty ist außerdem Charles Xaviers Nachfolgerin als Schuloberhaupt und man sieht ihr förmlich an, wie sehr sie sich bemüht, und dass sie alles und noch mehr gibt, aber gleichzeitig auch schmerzhaft lernen muss, wie wenig planbar Erfolg auf dem Superhelden-Level ist. Sie und ihre Mitstreiter stürzen sich allerdings trotzdem wieder und wieder ins Getümmel, um zu helfen - in der Hoffnung auf Anerkennung.

Fazit

X-Men Blue 1 wie auch X-Men Gold 1 eignen sich wunderbar für Neueinsteiger, die mit Marvels personifizierten “X“ bisher kaum oder keinerlei Berührungspunkte hatten. Bunn und Guggenheim haben jedoch eindeutig darauf geachtet, dass man langjährigen Fans ebenso bedenkenlos zu diesen beiden Auftaktausgaben raten kann. Die Autoren halten nämlich zweifelsohne noch einige Asse zurück, bevor sie sie im richtigen Moment aus dem Ärmel schütteln werden.

zusätzlicher Bildnachweis: 
© Marvel Comics

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