Kritik zu Maquia - Eine unsterbliche Liebesgeschichte: Mama Mia lass mich ziehen

Maquia Header

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Erst Ende 2016 hat die wohl bekannteste Anime-Regisseurin Naoko Yamada mit dem Drama A Silent Voice einen weltweiten Hit gelandet und ihren Ruf in der Industrie zementiert. Doch Frauen an der Spitze von Anime-Produktionen haben es nicht leicht: Im gleichen Jahr sprach sich Studio-Ghibli-Produzent Yoshiaki Nishimura gegen eine Regisseurin für das Kultstudio aus. Das weibliche Geschlecht sei zu realistisch, für das Fantasy-Genre fehle ein idealistischer Ansatz, der sich eher bei Männern finde. Dieser gewagten These stellt sich nun Mari Okada mit ihrem ehrgeizigen Debüt: Maquia - Eine unsterbliche Liebesgeschichte entgegen. Für das bekannte Studio P.A.Works hat die Japanerin alle Fantasy-Register gezogen, die sie finden konnte und hakt Drachen, Elfen und martialische Armeen gekonnt ab. Eine tragische Liebesgeschichte bleibt der Film trotzdem, in dem Genre hat Okada schon als Drehbuchschreiberin vom modernen Klassiker AnoHana – Die Blume, die wir an jenem Tag sahen ihr Können bewiesen.

Wer sich jetzt fragt, ob die Werke der Regisseurin von heimtückischen Geistern deutscher Übersetzer heimgesucht werden: Maquia trägt im Original den ebenfalls komplizierten Namen Sayonara no Asa ni Yakusoku no Hana wo Kazarou. Alle Studenten können aber beruhigt aufatmen: Das ist nicht klausurrelevant. Etwas unkomplizierter kommt die Prämisse des Anime-Streifens daher: Wer schon einmal von Tolkien gehört hat, wird sich in den ersten Minuten bestens orientieren können. Maquia dreht sich um den Clan der Lorph: Blondhaarige, zarte Wesen, die viele hundert Jahre alt werden und dabei so langsam altern wie eine Pop-Diva. Ja, es handelt sich grundlegend um Elfen mit dem Aussehen einer gelungenen Mischung aus Legolas und der Kindlichen Kaiserin aus der Unendlichen Geschichte. Das Völkchen webt ohne Unterbrechung den sogenannten Hibiol, einen durchsichtigen, mystischen Stoff, der den Fluss der Zeit und des Schicksals symbolisiert. Doch die ewige Idylle im malerischen Lorph-Dörfchen hält natürlich nicht lange an.

Lieber Kinozuschauer: Wann haben sie zuletzt ihre Mutter angerufen?

Beim Angriff einer menschlichen Armee werden die Lorph beinahe vollkommen ausgelöscht, nur die namensgebende Maquia überlebt. Weit entfernt von dem einzigen Ort, den sie je Zuhause nennen konnte, findet die Protagonistin schließlich einen Säugling und rettet ihn aus den totenstarren Armen seiner Mutter. Obwohl Maquia körperlich und in ihrem Herzen kindlich ist, beschließt sie den Jungen großzuziehen und nennt ihn Erial. Damit enttarnt der Film die eigene Liebesgeschichte nicht etwa als Romanze, sondern als die Geschichte einer jungen Mutter. Jung ist in dem Fall für eine Lorph natürlich relativ: Schon die Dorfälteste hat Maquia prophezeit, dass die Liebe zu einem Außenseiter tragisch enden werde, da sie einen Menschen dank verlängerter Altersspanne überlebt. Dem Zuschauer wird von Anfang an klargemacht, dass Maquia ihr Kind großziehen kann, aber auch beerdigen muss. Auch der etwas naiven Lorph dämmert dieses Ende, als sie das Kleinkind erstmals in den Armen hält.

Maquia mit ihrem Kind

Diese Prämisse ist, auch über die erste Hälfte hinaus, der Kern des Films. Im Mittelpunkt stehen immer die Nöte, mit denen junge, alleinerziehende Mütter konfrontiert werden. Selbstaufopferung und die Sinnsuche in der Mutterschaft werden mit gekonntem Druck auf die Tränendrüsen transportiert. Abseits von der beinahe unsterblichen Maquia gibt es auch etwas nachvollziehbarere Figuren wie die junge Witwe Mido, die zwei Jungen heranzieht und der Hauptfigur lebenswichtige Erziehungstipps zukommen lässt. An der Stelle hat das Studio sehr sinnvoll auf seine weibliche Regisseurin gesetzt: Die familiären Beziehungen wirken organisch, auch weil Okada eigene Erfahrungen von sich und ihrer belasteten Mutter hat einfließen lassen. Selbst Szenen, in denen Erial als Teenager älter wirkt als Maquia und seine Adoptivmutter hinterfragt, wirken echt und nicht künstlich mit einer ungesunden Portion Schnulze nachgewürzt. Allein die Charakterentwicklung von Maquia selbst mag in diesem idyllischen Zusammenspiel so manchem Zuschauer merkwürdig vorkommen.

Handgemachte Animation in Perfektion

Jahrhundertealte Lorph scheinen nämlich emotional etwas anders zu reifen, als Menschen. Die kindliche Mutter ist über lange Strecken vielleicht ein wenig zu gefühlsduselig, verwirrt und ihrer Rolle einfach nicht gewachsen. Das passt natürlich zu einer Mutter, die nicht vorbereitet und plötzlich aus ihrem Umfeld gerissen wurde, kann aber so manchen Geduldsfaden sicherlich überspannen. Aber erstaunlicherweise bietet der Film noch ganz nebenbei unterhaltsame Handlungsstränge ohne Liebesgeschichte. Maquias Freundin Leila hat das Massaker am Anfang überlebt und soll in Gefangenschaft der angreifenden Armee den Anführer für langlebige Nachkommen heiraten. An der Stelle beleuchtet die Handlung auch das Königreich selbst, was für ausufernde Eroberung und Kolonialismus die letzten Drachen für die Armee versklavt hat. Ein Kommentar, der sicherlich etwas hastig geschrieben wirken kann, aber thematisch passt und gerade in einem Land voller Begeisterung für Militarismus besonders provoziert.

Während der Anime die Erzählung durch die Jahre peitscht, wird diese stets von einer ergreifenden Inszenierung begleitet. Wer einen Trailer gesehen hat, wird wenig überrascht sein, dennoch sei gesagt: Die Animation von P.A.Works ist in den zwei Stunden Laufzeit immer auf einem sehr hohen Niveau. Ob Felder voller mystisch leuchtender Blumen, ein Hund, der im verschlafenen Dorf im Schnee tobt oder eine hypnotische Nahaufnahme der blonden Maquia - jeder Ausschnitt ist thematisch passend gezeichnet. Das Ruder übernahmen dabei einige Veteranen der Industrie, die gleichzeitig viele Neulinge dirigieren. So hat der alteingesessene Toshiyuki Inoue (Ghost in the Shell, Paprika) beispielsweise an mehr als einem Drittel der Einstellungen von Maquia gearbeitet. Viele hundert Layouts davon hat der Animator nur vorgezeichnet, damit jüngere Kollegen davon lernen und diese vollenden konnten. Wichtige Arbeit in einer gefährdeten Industrie, die dringend eine neue Generation heranziehen muss.

Maquia genießt idyllisches Landleben

Fazit

Maquia ist weder eine reine Fantasy- noch eine banale Liebesgeschichte. Ohne zu viel künstlich auf die Tränendrüse zu drücken und tragische Momente zu konstruieren entsteht Drama in dem Anime-Film durch ernste, geerdete Themen. Die Hingabe, mit der sich Mari Okada der alleinerziehenden Mutterschaft widmet, ist an sich schon bemerkenswert, wenn auch nicht vollkommen einzigartig. Es mag von Anfang an sehr klar sein, wohin die Reise geht, doch es ist eine Reise, die es wert ist, angetreten zu werden. Und wer bei der Fahrt aus dem Fenster schaut erblickt Landschaften und Szenarien, die nicht enttäuschen.

Maquia - Eine unsterbliche Liebesgeschichte ist am Donnerstag, 16. Mai, und Sonntag, 19. Mai, deutschlandweit in Lichtspielhäusern zu sehen.

zusätzlicher Bildnachweis: 
© Universum Film

Maquia - Eine unsterbliche Liebesgeschichte - Trailer (deutsch/german; FSK 6)

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