Straße der Verdammnis

Straße der Verdammnis, Titelbild, Rezension
Roger Zelazny

Roger Zelaznys wahrscheinlich auf den ersten Blick bekanntester Roman "Damnastion Alley" aus dem Jahr 1969 ist vom Heyne Verlag als E Book neu aufgelegt worden.

 Das Buch könnte insbesondere Roger Cormans "Gas! or It Became Necessary to Destroy the World in Order to Save It" aus dem Jahre 1970 oder den Kult Klassiker "Fluchtpunkt San Francisco" aus dem folgenden Jahr inspiriert haben. Das Buch ist Ende der siebziger Jahre sehr stark verfremdet und seines zynischen Inhalts beraubt fürs Kino adaptiert worden. Viel interessanter ist, dass eine erneute Lektüre einige Ähnlichkeiten zum zweiten "Mad Max" Film aufweist. In beiden Filmen ist ein Einzelgänger für den Transport einer wertvollen Kraft verantwortlich. In beiden Arbeiten im Grunde gegen seinen Willen.

Literarisch hat sich anscheinend auch David Brins für seinen ebenfalls mit Kevin Costner verfilmten Roman "The Postman" inspirieren lassen. Auch wenn Roger Zelaznys Altrocker Hell Tanner keine Uniform benötigt, um mehr und mehr stoisch verzweifelt seine Mission zu erfüllen, ähnelt er dem gebrochenen Anithelden David Brins in einer postnuklearen Welt. Sie wachsen beide an ihrer Aufgabe, bis schließlich die Mission, das erfolgreiche Abschließen des Auftrags ihr Handeln ausschließlich dominiert und sie bis zur Selbstaufgabe fordert.

Während David Brin allerdings den Menschen als des Menschen schlimmster Feind darstellt, ist bei Roger Zelazny nach dem verheerenden Atomkrieg auch die Natur entartet und ins Gigantische gewachsen. Und im 21. Jahrhundert basierte eine Comicgeschichte in „Judge Dredd“ ebenfalls auf diesem Roman.

Interessant ist, dass Roger Zelazny sich selbst von einem historischen Ereignis hat inspirieren lassen.  Ein Mischlingshund hat Medizin zu einer Siedlung in der Arktis gebracht, die vom unwirtlichen Wetter eingeschlossen und isoliert worden ist. 

Hell Tanner erinnert aber auch an eine frühe Inkarnation von Snake Plissken. In einer postnuklearen Welt ist er ein Antiheld. Er ist Anführer einer Bande gewesen. Er hat mit Drogen handelt, geplündert und gegen fast alle Gesetz verstoßen. Bei seiner Verhaftung sind drei Polizisten ums Leben gekommen. Seinen Namen hat er sich nicht nur auf die Fingerknöchel tätowieren lassen, er erzählt auch gerne die Geschichte, dass sein Vater kurz vor seiner „Flucht“ ihm diesen Namen gegeben hat. Tanner ist ein klassischer Einzelgänger, dem alle Mitmenschen außerhalb seiner Familie vollkommen egal sind. So schlägt er einen Bruder aus seiner Gang zusammen, damit dieser nicht auf die Selbstmordmission gehen kann. Tanner ist aber auch ein ausgezeichneter Fahrer.

Die Selbstmordmission wird eindringlich und kurz gleich zu Beginn des Romans erläutert, ohne dass der Autor das Hintergrundszenario weiter erläutert. Das holt er erst während der langen Reise von Los Angeles nach Boston nach.   Die USA sind durch den Atomkrieg schwer getroffen worden. Nicht nur die Natur ist entartet, Flüge sind wegen der Turbulenzen in den höheren Schichten der Atmosphäre nicht mehr  möglich. Auch eine Kommunikation mittels Radio kann nicht mehr stattfinden. Es gibt noch einzelne Enklaven, in denen ein zivilisiertes Leben möglich ist. Los Angeles gehört wie Boston dazu. Im Gegensatz zu Boston hat Los Angeles nach dem Auftreten einer Seuche das Serum behalten. Boston hat sich nicht darum gekümmert. Jetzt ist dort die Seuche ausgebrochen. Ein Fahrer hat es von Boston nach Los Angeles geschafft.  Verstrahlt und schwer verletzt konnte er nur seine Botschaft überbringen. Boston braucht dringend das Serum. Die Stadt Los Angeles will drei Teams in drei gepanzerten, sehr schwer bewaffneten Fahrzeugen nach Boston mit dem Serum ausschicken. In der Hoffnung, dass eine Mannschaft es schafft. Tanner soll einen der drei Wagen fahren. Dafür wird ihm wie später Snake Plissken eine Generalamnestie ausgesprochen.  Die drei Fahrzeuge brechen allerdings nur mit fünf Fahrern auf. Nachdem er seinen Bruder ausgeschaltet hat, will Tanner einen Wagen alleine fahren.  Das Ziel ist klar definiert, der Weg dahin in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung.  Roger Zelazny hat fast ein sadistisches Vergnügen, realistische wie unrealistische Gefahren herauf zu beschwören. Die gigantischen Fledermäuse oder das einen Panzerwagen erdrückende Gila Monster wirken überzogen und scheinen eher in den Bereich der Fantasy zu gehören. Realistische Hinweise, warum die Natur wie bei Godzilla als enges Vorbild derartig in die Höhe geschossen ist, gibt es nicht.  Diese Gefahren erscheinen auch ein wenig zu bizarr. Sehr viel interessanter sind die Auseinandersetzungen mit den Höhenwinden in der scheinbar nicht mehr überall atembaren Atmosphäre, den immer noch verstopften Brücken oder den strahlenden Kratern. Am Ende führt Roger Zelazny noch ein anderes Element ein. Wie in „Mad Max“ die Rockerbanden, die Hell Tanner stoisch wie in einem Kriegsfilm drastisch dank seiner lange Zeit überlegenen Bordbewaffnung reduziert.

Aber Zelazny trifft nicht nur auf menschliche oder andere Monster. In der Mormonen Hauptstadt Salt Lake City hat sich wieder eine friedliche Zivilisation gebildet, die hilfsbereit und neugierig die verzweifelten Fahrer unterstützt. Kurz vor Boston helfen Farmer Hell Tanner, seinen Truck aus dem Schlamm zu ziehen. Auch sie scheinen wie die amerikanischen Siedler aus dem 19. Jahrhundert den Pioniergeist auszustrahlen, den die verzweifelt um eine Identität ringende USA auch in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts nötig gehabt hat. In diesen Passagen hat der Leser das unbestimmte Gefühl, als wenn der Krieg auch eine Art Reinigungsprozess gewesen ist. Am Ende sind zwar die korrupten und brutalen Politiker vor allem in Los Angeles nicht weggespült worden, aber mit den teilweise ein wenig theatralischen Zwischenschnitten auf das verzweifelt ums Überleben kämpfende Boston durchaus auch mit seinen Opportunisten zeigt der Amerikaner auf, dass die Hoffnung dieses Landes ausgerechnet in den Händen der Gesetzlosen ist, die sich wie eingangs erwähnt Heroismus ablehnend an ihren unmöglichen Aufgaben hochziehen. 

Alle Actionszenen sind sehr gut geschrieben. Kurz, brutal, ohne viel Vorbereitung, stimmungstechnisch überzeugend und den Roman fragmentarisch erscheinen lassend als es die grundlegend stringente und am Ende in sich geschlossene Handlung suggeriert.  Zelazny greift aber nicht nur auf Brutalität zurück. Mit zynischen Dialogen, einigen wenigen humorvollen Einlagen und schließlich auch ein wenig pathetischen Patriotismus wider Willen lockert er die Odyssee auf. 

Der Autor macht deutlich, dass es zwar die gängigen moralischen und ethischen Prinzipien nicht mehr geben sollte, dass sich Mensch beginnend mit Hell Tanner aber über seine eigenen Handlungen definiert. Auch wenn es klischeehaft erscheint, bestraft der lange Zeit nur halb gute Tanner auf seiner Mission alle Schurken und ist bereit, sich für ein Ziel zu opfern, das ihm zu Beginn seiner Fahrt im Grunde vollkommen egal gewesen ist. Diese charakterliche Wandlung verläuft dank der dreidimensionalen, aber niemals Kompromisse gegenüber dem Leser eingehenden Beschreibung seines Protagonisten überzeugend. 

Da der Fokus auf diesem Überhelden allerdings wider Willen liegt, kommen einige der anderen Figuren ein wenig zu kurz. Die Liebesgeschichte mit der Hippie Braut endet.  Nach wenigen Tagen muss Tanner aus einem der anderen Wagen einen Mitfahrer aufnehmen. Greg und er lernen sich ein wenig kennen. Greg dient im Grunde als Mittler zwischen Hell Tanner und dem Leser. Er stellt die Fragen, die dem Leser auf der Zunge brennen. Er erhält die weitergehenden Antworten. Über diese Zwiegespräche hinaus entwickelt Zelazny den Hintergrund seiner Geschichte vielleicht ein wenig ungewöhnlich aus der Mitte des Buches heraus. Wie bei einem guten Film will der Amerikaner einen dynamischen Auftakt präsentieren, bevor er seine Story in allerdings Frontier Manier breiter macht und damit den Plot endlich dreidimensionaler erscheinen lässt als es der Leser anfänglich vermutet.

Wer Zelaznys Gesamtwerk betrachtet, wird zum wiederholten Male vor allem in seinen frühen Arbeiten feststellen, dass Bewegung aus sich heraus, aber vor allem auch örtlich ein wichtiger Aspekt seiner Bücher ist. Wie der gute zehn Jahre später entstandene, humorvoll erscheinende „Straße nach überallhin“ müssen sich Zelaznys Figuren „bewegen“, um innerlich zu reifen oder sich emotional zu komplementieren.   Viele dieser Ideen, dieser bei anderen Autoren vielleicht mechanisch erscheinenden Vorgehensweise finden ihren Ursprung vor allem in diesem ungewöhnlichen, aber auch zugänglichsten Roman des Amerikaners.

Auch wenn inzwischen die Zeit einige Ideen überholt hat und die hier beschriebenen Auswirkungen des Atomkrieges eher dem Fantasy Bereich zugeschrieben werden sollten als das sie in einem SF Roman wichtig sind, ist „Straße der Verdammnis“ vor allem in einem direkten Vergleich zu vielen anderen New Wave Büchern der Roman, in dem die abseits von Hollywood propagierte Hymne an die Rockerfreiheit, an deren selbstzerstörerischen Drang gegenüber dem Establishment am Ende in erstaunlich heroische Bahnen gelenkt worden ist.  Hell Tanner versucht noch einmal kläglich aus seinem neuen goldenen Käfig auszubrechen, in dem er selbst seinen Mythos beschmutzt. Aber wie John Ford in „Der Mann, der Liberty Wallace erschoss“ es ausgedrückt hat, die Legenden sind wichtiger als die Wahrheit.

„Straße der Verdammnis“ ist ein Buch, das eine neue Verfilmung ohne Frage verdient hat. Vor allem eine Verfilmung in der Tradition von „The Road Warrior“ und „Fury Road“. Inhaltlich ist der stringent geschriebene Roman ein cineastisches Spektakel, das auch mehr als vierzig Jahre nach der Erstveröffentlichung immer noch sehr viel Spaß macht. 

       

  • Format: Kindle Edition
  • Dateigröße: 513 KB
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe: 151 Seiten
  • Übersetzung: Walter Brumm
  • Verlag: Heyne Verlag (25. August 2014)
  • Verkauf durch: Amazon Media EU S.à r.l.
  • Sprache: Deutsch
  • ASIN: B00MUPW75E