Clarkesworld 199

Neil Clarke (Hrsg.)

Auch wenn „Clarkesworld“ im Mai mit der 200. Ausgabe ein Jubiläum feiern kann, verschwinden die Sorgen nicht nur von Herausgeber Neil Clarke nicht unbedingt. Die Veränderungen der Amazonkindle Plattform werden sehr viele kleinere Herausgeber und damit die entsprechenden Magazin betreffen und für Einkommenseinbussen, wenn nicht sogar Einstellungen sorgen.

 Priya Sridhar setzt sich im einzigen Essay mit Videospielen auseinander. Dabei konzentriert sie sich auf einen sehr konzentrierten Science Fiction lastigen Überblick und spannt nur selten den Bogen zu den Filmen, die von den Spielen inspiriert worden sind.

 Arley Sorg führt zwei Interviews mit den Herausgebern Susan Forst, Julie Novakova und Lucas L. Law – eine Kontinente überspannende Zusammenarbeit – sowie Han Song und Michael Berry. Alle fünf haben sich an unterschiedlichen Themenanthologieprojekten versucht und beschreiben die Schwierigkeiten, nicht nur gemeinsam am besten aller möglichen Bücher zu arbeiten, sondern vor allem auch die verschiedenen Zeitzonen wie auch die unterschiedlichen Vorstellungen zu kanalisieren. Ausführliche Interview, weitergehende Fragen und vor allem sehr ehrliche Antworten machen die beiden Gespräche zu den Höhepunkten dieser storytechnisch deutlich mehr zufriedenstellenderen  April „Clarkesworld“ Ausgabe.

 Insgesamt acht Geschichten, keine in Novellenlänge, zeichnen die 199. Ausgabe aus. L. Chan eröffnet mit „Re/Union“ den Reigen von Geschichte. Die Geschichte spielt in einem futuristischen China, das sich sozial nicht von der Gegenwart unterscheidet. Sharon muss als ältestes Kind die Neujahrsfeier für ihre verstorbenen Vorfahren organisieren. Plastikfiguren symbolisieren ihre Vorfahren, ein Computeralgorythmus soll sie zum „Leben“ erwecken.

 Wie starr die Rituale eingehalten werden müssen und wie authentisch trotz der künstlichen Gestaltung der Treffen die „Gespräche“ mit den Vorfahren erscheinen, sind die Stärken dieser Geschichte. Ohne zu belehren bringt L. Chan die Komplexität chinesischer Familien dem Leser näher. Am Ende präsentiert die Autorin eine doppeldeutige, aber zufrieden stellende Pointe dieser sich erst langsam trotz ihrer Kürze entwickelnden Story, die aber vor allem von den sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten der einzelnen Familienmitglieder lebt.

 „Rick the Leaves“ aus der Feder von R.T. Ester ist dagegen eher eine Standardkonzeption mit einem Professor, der seinen Nachbarn in eine Verschwörung hineinzieht. Der Staat ist allgegenwärtig, wobei die Beschreibungen insgesamt relativ dürftig sind. Dabei ist die grundlegende Pointe nicht einmal schlecht. In Liedern versteckt versuchen Oppositionelle aus einem Paralleluniversum Botschaften durch die Wand zwischen den einzelnen Welt zu schicken. Natürlich muss man zwischen den Zeilen lesen, um diese Nachrichten verstehen zu können. Die Regierung liebt es, bei Oppositionellen das Gedächtnis zu löschen. Am Ende löst sich der Plot in einige Standardschemata auf, die Spannungskurve flacht deutlich ab.

 Octavia Cades „Happiness“ ist die dritte Geschichte dieser Ausgabe, die in einer eher dystopischen, aber niemals klar definierten Zukunft spielt. Menschen können auf unterschiedliche Art und Weise „glücklich“ sterben. Das Spektrum ist breit, aber die einzelnen Segmente wirken distanziert erzählt und der Sinne erschließt sich eher über kryptische Andeutungen als das der Plot aus der laufenden Handlung heraus entwickelt worden ist. Unabhängig vom stereotypen Hintergrund konzentriert sich die Autorin auf die einzelnen Schicksale und das glückliche Sterben ihrer jeweiligen Protagonisten, so dass die Story vor allem von diesen Szenarien und weniger eine fortlaufenden Handlung lebt. Die Zeichnung der Figuren ist überzeugend, ihre Schicksale weder kitschig noch emotionell überdreht. Es ist nur schade, dass die eigentliche Grundidee zu wenig extrapoliert wird, damit Protagonisten und Hintergrund besser harmonieren.

 Aus dem Chinesischen übersetzt ist „The Librarian and the Robot“ von Shi Heiyao die längste Geschichte dieser „Clarkesworld“ Ausgabe. Nach der Zerstörung ihrer Heimatwelt stiehlt ein Kurator ein Raumschiff und will zu der inzwischen von Menschen verlassenen Erde fliegen. Ihr Ziel ist es, die auf Daten basierende Bibliothek der Menschheit wieder in Gang zu setzen, nachdem die Heimat der Menschen durch eine gewaltige Eiszeit unbewohnbar geworden ist. Sie trifft auf einen beschädigten ehemaligen Kriegsroboter, der ihr nicht nur bei ihrer Aufgabe hilft, sondern später eine Entscheidung hinsichtlich ihres Schicksals treffen muss.

 Shi Heiyao erzählt eine geradlinige Abenteuer Science Fiction Geschichte mit solide entwickelten Figuren und vor allem einer in sich nicht unbedingt schlüssigen, aber mit einem atemberaubenden Tempo entwickelten Plot. Der Leser muss einige konstruiert erscheinende Elemente vor allem zu Beginn mit der Zerstörung durch die Star Confed und die Flucht quasi aus dem Nichts heraus akzeptieren. Auf der Erde selbst hat Shi Heiyao den atmosphärischen Hintergrund besser unter Kontrolle und vor allem die Gespräche zwischen der Bibliothekarin und dem Roboter sind pointiert, intelligent und ausgesprochen gut im Vergleich zu den letzten „Clarkesworld“ Übersetzungen in Englische übertragen worden. 

 Andrea Krizs „These Are the Art-Makers, Dreamers of Dreams and There Are Ais” verfügt über den längsten Titel dieser Ausgabe.  Im Grunde ist es eine Post AI Geschichte, denn die letzte Generation der Ais als Krönung der Schöpfung haben auch gleichzeitig ihren Verfall eingeläutet. Aus der Kunst wurden die künstlichen Intelligenzen mittels eines Gesetzes aus dem Jahr 2046 vertrieben. Nur gibt es zu wenige Künstler und einige hatten ihre Werk sublizensiert. Eine junge Künstlerin versucht sich zu etablieren und lehnt anfänglich die Hilfe ihrer Haus AI ab.

 Die Autorin versucht ein Szenario zu etablieren, das auf der einen Seite Erklärungen für die vergangenen Jahrzehnte bietet, auf der anderen Seite aber auch klar macht, dass der Künstler – menschlich – nicht mehr ohne den Türöffner – AI – auskommen kann. Auch wenn der Ausgangsplot interessant erscheint, ist die Umsetzung eher schwerfällig und der Umfang der Story ist zu kurz und knapp für die Intention der Autorin.

 „Keeper of the Code“ von Nick Thomas macht aus ihrer Kürze erstaunlich viel. Keeper als eine Art Wächter seiner Kolonie muss auf einen unkontrollierten Strom von Daten reagieren. Er lässt die „Sendung“ löschen und muss fortan mit seiner Entscheidung leben. Nick Thomas geht wie bei einem Krimi ohne Verbrechen vor. Der Keeper hat seinen Weisungen gemäß gehandelt und doch treibt ihn sein Gewissen an, aus den noch vorhandenen Fragmenten die gesamte Botschaft wieder zusammenzustellen, obwohl das logisch betrachtet unmöglich ist. Natürlich hat das Wiederherstellen der ganzen Botschaft auch eine beunruhigende Wirkung auf die erste, von Menschen auf einem anderen Planeten errichtete Kolonie. Ein stringenter, geheimnisvoller Plot gipfelt in einem aussichtslosen Szenario und vor allem keiner klassischen Pointe, sondern einer weiteren Herausforderung. Das macht den Reiz dieser atmosphärisch dunklen Geschichte aus.

 „Stranger Shores“ von Gregory Feeley zeigt die Evolution eines Menschen über seine bisherige Herkunft hinaus zu einer Art Entity. Unsterblichkeit, ein allgegenwärtiges Bewusstsein und aus seiner Perspektive der Aufstieg sowie der Untergang der Menschheit, die mit der Besiedelung der Neptun Monde ihre größte Expansion erreicht und wieder verlassen haben. Der Autor verzichtet auf einen klassischen Plot. Vieles erinnert an eine moderne, geraffte und vor allem atheistische Version von Olaf Stapledons berühmten Roman. Durch den kompakten Text bleibt vieles unausgesprochen und der Leser muss sich die einzelnen Puzzlestücke in Gedanken selbst zurechtlegen, was den Gehalt der Kurzgeschichte an mehr als einer Stelle unterminiert.

 Rajan Khanuas „Voices singing in the Void“ beschreibt ebenfalls die Besiedelung einer fernen Welt durch Menschen. Allerdings bereiten Dronen den Planeten für die Siedler vor, wobei sie nicht autark entscheiden können. Der Aufseher – wahrscheinlich ein Mensch – antwortet nicht, was die Dronen nicht nur vor technische, sondern auch existentielle Probleme stellt. So gut die Ausgangsidee der Geschichte ist, die knapp 4000 Worte reichen nicht aus, um den Plot zu entwickeln und vor allem auch den Hintergrund zu erläutern. Dadurch bleibt vieles unausgesprochen und die Leser müssen sich ihre eigene Gedanken machen, wo die Menschen geblieben sind und warum die Besiedelung auf eine derartig komplizierte Art und Weise erfolgt.

 Generell überzeugen die Ausgangsideen der hier gesammelten Geschichten deutlich mehr als die Ausführung. Neil Clarke ist in vielfacher Hinsicht ein positiver Träumer, der bei seinen Autoren auf einen in sich logischen technischen Hintergrund verzichtet. Aber die Geschichten des „Clarkesworld“ Ausgabe leiden teilweise auch unter den zu schematisch entwickelten Charakteren, aber vor allem auch den nicht überzeugenden Enden. Weniger wäre besser ausgeführt vor allem bei den sehr kurzen Texten deutlich mehr gewesen.