Der Zorn des roten Lords

Der Zorn des roten Lords, Titelbild, Rezension
Philip Jose Farmer

"Der Zorn des roten Lords" ist ein kurioses Buch, das keine zwei Jahre später teilweise von Philip Jose Farmer ad absurdum geführt worden ist.  Grundlage ist die "Welt der tausend Ebenen" Serie, die Farmer zwischen 1965 und 1977 geschrieben hat. Die fünf Romane sind auf deutsch erschienen und im gleichnamigen Sammelband auch noch einmal von Knaur publiziert worden. Der Heyne Verlag hat die bisher publizierten fünf Bücher als E- Books neu aufgelegt.  Wie nicht nur bei dieser Serie hat Farmer versäumt, den überfälligen Abschlussband zu verfassen, während die originären fünf Bände immer populärer geworden sind. Zeitgleich befasste sich der Amerikaner mehr und mehr mit seinen Arbeiten für ein "Shared Universe", in dem fast alle Pulphelden eine gemeinsame Abstammung haben. Vielleicht liegt hier der Grund begraben, dass Farmer mit "Der Zorn des roten Lords" nicht nur auf den Kult unter anderem auch um Heinleins "Ein Mann in einer fremden Welt" reagiert hat und bösartig seine Serie nicht in den Mittelpunkt des Interesses einer Hippie Sekte, sondern als Grundlage der Forschungen eines fiktiven wie "anerkannten" Psychiaters gestellt hat. Fantasy nicht als Fluchtlektüre, sondern Seelenmassage. Absurd wird die Sache in dem Moment, als Farmer sich quasi selbst in dem Roman auffordert, den abschließenden Band der Serie zu schreiben. Zwei Jahre später war es soweit: In "More than Fire" - der einzige Teil der "Welt der tausend Ebenen", der noch nicht auf deutsch erschienen ist - kam es zur finalen Konfrontation seiner Helden mit dem fürchterlichen roten Lord, der in "Der Zorn des roten Lords" quasi als Ventil des lebensuntüchtigen jugendlichen Helden Jim Grimson dient.  Auch wenn die Reklame es suggeriert, lehnt sich "Der Zorn des roten Lords" nur an die "Welt der tausend Ebenen" Serie an und ist kein originärer Bestandteil des Sechsteilers.

 Philip Jose Farmer weiß, wie er seine Leser schocken und gleichzeitig aufmerksam machen kann. Der Roman beginnt mit der Idee, das der Held die Hoden seines Vaters isst. Er endet auch mit dieser sich allerdings in der Phantasie der "Welt der tausend Ebenen" abspielenden Idee, die quasi eine Befreiung Jim Grimsons von seinem eher eingebildeten Über Ich Vater ist. Das der Vater zusammen mit seiner sehr an der Familie hängenden Frau wegzieht, während Jim Grimson noch in der geschlossenen Anstalt kuriert wird, ist eher eine Metapher für die anstehende, aber im Grunde nicht vollendete Befreiung des Protagonisten und die mögliche Macht der kommerziellen Science Fiction und Fantasy Literatur. Der Roman endet mit dem Nachwort des "verantwortlichen" Psychologen, der seine Theorie wie Farmer in seiner kurzen Einleitung erläutert und doch plötzlich auf Alice im Wunderland als Ablenkung zu sprechen kommt. Farmers "Welt der tausend Ebenen", die im Verlaufe der Handlung mehrfach ausführlich erläutert wird, dient als Einstieg in eine Autosuggestionstherapie. Die Kranken sollen sich anfänglich durch die Lektüre, später in ihrer Phantasie in diese Welt versetzen und dort Farmers fiktive Charaktere übernehmen und quasi anleiten. Obwohl Farmers Welt über die geheimnisvollen Lords verfügt, sollen die zu behandeln Menschen nicht angeleitet oder geführt werden. Der Psychologe hofft, über eine Art Selbstfindung die schwächeren Charaktere zu stärken und ihnen trotz oder vielleicht gerade wegen unterschiedlicher Psychosen von jugendlicher Aggression bis zum Überwinden des sexuellen Missbrauchstraumas einen Lebensweg zurück in die Realität und von dort voran aufzuzeigen. Farmer ist kein intellektueller Autor wie Daniel Keyes, der sich in verschiedenen Romanen unter anderem auch mit gespaltenen Persönlichkeiten auseinandergesetzt hat. Daher bewegt er sich auch im vorliegenden Text auf einem sehr schmalen Grad, der leider auch ein wenig mechanisch und angesichts der Gesamtlänge auch sehr abrupt abgeschlossen wird. Die Idee, die eigene fiktive Welt als heilende Komponente zu nutzen, ist ohne Frage interessant und wenn der Autor über eine dritte Person Selbstgespräche führt, dann wirkt das fast rührselig. Nur müssen diese Thesen und Ideen auch zu Ende geführt werden. Und hier liegt die größte Schwäche des Buches.  Vieles bleibt an der Oberfläche und wirkt bemüht. Die Heilung scheint weniger auf Thesen und Gedankenmodellen zu basieren, sondern auf Hoffnungsfakten, von denen die meisten nicht einmal begründet sind. Einzig die Beziehung zwischen dem in den siebziger Jahren noch fünfteiligen Zyklus und der Methode, vorsichtig die Psyche der Kranken aufzubrechen und jede Schicht freizulegen, zu analysieren und wenn möglich zu heilen, passt zusammen.

Für Leser der "Welt der tausend Ebenen" Serie sind die Szenen interessant, die in diesem komplexen Schalenmodell spielen. Dabei greift der Autor nur bedingt auf bekannte Nebenfiguren zurück. Die Beschreibungen sind plastisch, wirken aber wie auch im finalen sechsten Band der Serie bei weitem nicht mehr so dreidimensional, so farbenprächtig exotisch wie in den ersten Romanen der Serie. Es ist schade, dass Farmer diese idealisierte Welt nicht besser in seinen Roman eingebunden hat, zumal als überraschender Nebeneffekt der Therapie insbesondere der "rote Lord" schnell ein Eigenleben entwickelt und sich von Jim Grimson bis zum finalen "Höhepunkt" nicht mehr kontrollieren hat. Der Suchtfaktor wirkt aufgesetzt und hätte insbesondere von den betreuenden Psychologen genau wie der Kauf von verbotenen Tabletten schneller unterbunden werden müssen.  Der Autor arbeitet auch zu wenig nachvollziehbar heraus, ob Farmers fiktive Helden in seiner romantechnischen "Vision" auch wirklich lebendig werden oder ob es sich um Folgeerscheinungen des Entzugs handelt. Vieles bleibt offen. Natürlich will der Autor den zugrundeliegenden Fluss des Romans nicht stören, aber nur der Willkür Tür und Tor zu öffnen, erscheint ebenfalls vermessen. Auf der anderen Seite hat Farmer auch ein sichtliches Vergnügen, im Gegensatz zur eigentlichen Serie in dieser Abweichung seine Welt teilweise zu demontieren und zu einem klassischen Alptraum für den Jugendlichen zu machen, der in fast klischeehafter Jugendbuchmanier durch die Höhle gehen muss, um auf einen erwachsenen und weniger provozierenden Lebensweg zu finden.  

 Nur ist sein Protagonist Jim Grimson eher ein Unsympath, der immer die Schuld bei anderen sucht. Farmer geht sogar einen Schritt weiter und attestiert ihm ein schlechtes Elternhaus. Sein Vater ist ein arbeitsloser Alkoholiker, der erst am Ende ein wenig bemüht durch die Aussicht auf Arbeit in einer anderen Stadt ein wenig bekehrt erscheint. Er ist geizig und hält das Geld zusammen, damit er sich in der Kneipe seine Medizin kaufen noch leisten kann. Seine unterwürfige Frau arbeitet in zwei Jobs. Sie hält die Familie irgendwie zusammen, da sich Jim Grimsons Aggressionen und teilweise gefährlichen Aktionen wie das Sprengen eines Klohauses auch trotz aller Liebesschwüre auch gegen sie richten. Grimson selbst kommt mit seinen siebzehn Jahre mit niemandem zurecht. Ein klassisch klischeehafter  "Not Future" Punk, auch wenn Farmer seinen Antihelden in diese Richtung nicht verbiegt. Seine Aktionen sind fast übertrieben, wobei Farmer zwischen Zerstörungswut auch am eigenen Elternhaus und tragischer Komik mit dem Sprengen des Außenklos inklusiv Absturz in die Gruppe zu wenig unterscheidet. Am Ende nicht erziehbar wird Grimson von seinem rührigen Onkel und gleichzeitig Richter in die Irrenanstalt gesteckt. Wie gut, dass man ausreichend Verwandte an den richtigen Orten hat. Natürlich erfüllt Farmers Realität alle Wünsche an das Klischee eines typischen Teenagerabsturzes. Vielleicht muss das auch so sein, damit der Rest des Romans mit der Phantasiewelt als alternative Heilmethode auch funktionieren kann. Nur nehmen diese Abschnitte zu viel Raum im ansonsten kompakten, emotional ein wenig unterentwickelten und angesichts des Klappentextes irgendwie auch absichtlich auf Heinleins Alterwerk schielenden Roman ein. Etwas lustiger, aufgelockerter und vor allem mit effektiver gesetzten subversiven Spitzen auf die zu betriebsblinde Gesellschaft angereichert wäre "Der Zorn des roten Lords" eine interessante Variation der "Welt der tausend Ebenen" Romane und weniger ein teilweise doch belehrend bemühter Exkurs inklusiv verschiedener Abrechnungen unterschiedlicher wie absurder Heilsmethoden

 

 

 

  • Format: Kindle Edition
  • Dateigröße: 1134 KB
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe: 289 Seiten
  • Übersetzer: Ursulia Kiausch
  • Verlag: Heyne Verlag (19. Dezember 2016)
  • Verkauf durch: Amazon Media EU S.à r.l.
  • Sprache: Deutsch
  • ASIN: B01N74SANG