Im Original „Scorpion“ betitelt ist Christian Cantrells „Der Zeitidexc“ ein in der nahen, aber nicht näher bestimmten Zukunft spielender Thriller, der die Science Fiction Elemente eher als Versatzstücke in eine geradlinige, zum Teil zu stringent konzipierte Handlung einbaut. Auf seiner Homepage spricht der bei Adobe arbeitende Cantrell von seinem Ziel, Technologie und einen starken Spannungsbogen miteinander zu verbinden. Das Eine soll in seinen Arbeiten nicht ohne das Andere funktionieren, auch wenn viele der falschen Ansicht sind, sie stehen sich konträr gegenüber. Es gibt ausreichend Science Fiction Autoren , die sich diesen Anspruch nicht auf die Fahnen schreiben, sondern ihn seit Generation konsequent wie effektiv umsetzen. Nach „Kingmaker“, Containment“ und „Equinox“ ist „Scorpion“ sein vierter Roman. Vor sieben Jahren erschien ebenfalls dank der Übersetzung Norbert Stöbes „Der zweite Planet“ ( Containment) im Heyne Verlag.
Von Beginn an legt Christian Cantrell ein hohes Tempo vor und führt die Leser in eine Welt mit Vorgeschichte ein. Die Auswirkungen eines Atombombenangriffs auf Seoul haben noch Jahre später für den Erhalt einer speziellen Task Force in den USA gegen Atomterrorismus gesorgt. Allerdings konnten die damaligen Täter nicht festgenommen oder auch nur entdeckt werden. Inzwischen droht die Auflösung.
Gleichzeitig finden auf der Welt seltsame, im Grunde unmögliche Morde statt. Aus der Task Force wird die Profilerin Quinn Mitchell abgezogen, um diesen Elitekiller zu finden. Mitchell selbst ist von der emotionalen Seite nicht unbedingt auf die neue Aufgabe vorbereitet und es gibt natürlich Vorbehalte, dass sie diesen Job übernimmt.
Auf einer weiteren Handlungseben führt der Autor mit dem Iraner Ranveer einen zwielichtigen Charakter ein. Er scheint reicht zu sein. Er bereist die Welt, seine Mission bleibt lange Zeit absichtlich im Dunklen. Das soll zwar die Spannungskurve beleben, zieht aber insbesondere im ersten Drittel des Buches wichtige Facetten des Plots unnötig auseinander.
Henrietta Yi ist eine doppelt promovierte Physikerin. Sie stammt aus Korea und hat ihre Familie beim Bombenanschlag verloren. Sie arbeitet an einem streng geheimen CIA Projekt. Auch hier deutet Cantrell zu Beginn des Buches zu viel an, anstatt den Plot weiterzuentwickeln.
Die Jagd nach dem Killer, seinem Handlungsmuster inklusiv der seltsamen Ziffernfolge – der deutsche Titel „Der Zeitindex“ deutet schon fast zu viel an – und das Aufeinanderzubewegen der unterschiedlichen Protagonisten bestimmt den Rhythmus des Buches.
Cantrell versucht durch persönliche Verluste Emotionen zu erwecken. Aber diese waidwunden Spezialisten mit ihren Traumata sind inzwischen zu einem Klischee des Genres geworden. Die Profilerein hat ihre Tochter verloren, ihre Ehe ist kaputt gegangen. Das sind alles zutiefst tragische und die Persönlichkeit eines Menschen unterminierende Elemente, die bei der Charakterisierung einer Figur wichtig sein können. Wenn sie nicht wie hier zu mechanisch eingesetzt worden sind. Natürlich wird die Profilerin an der Aufgabe wachsen und Teile ihrer Lebenskrise überwinden. Ein Scheitern wie bei der Seoul Mission dürfte nicht in das Muster dieser Art von Romane passen. Daher ist Quinn Mitchell auf der einen Seite die Persönlichkeit mit dem meisten Potential, aus welcher der Autor viel zu wenig macht.
Auch wenn Yi nichts für den Tod ihrer Familie durch den Terroranschlag kann, fühlt sie sich ebenfalls schuldig. Zwei weibliche Figuren mit vergleichbaren Komplexen sind in einem stringenten Buch unglücklich.
Bei Ranveer belässt es der Autor bei Andeutungen. Die Figur ist ohne Frage ambitioniert entwickelt und der Leser wird in Richtung Auftragskiller mit einem Hang für expressiven Luxus geführt. Abschließend lässt Christian Cantrell allerdings diesen roten Faden hängen und entwickelt Ranveer nicht weiter. Stattdessen konzentriert er sich zu sehr auf die zu optimistisch positiven technologischen Aspekte seines Plots.
Auch wenn die nahe Zukunft politisch dunkel ist, propagiert Christian Cantrell Technik im Allgemeinen, aber auch Kunstwährungen wie den Bidcoin im Allgemeinen. Der Autor setzt die Aspekte nicht hintergrundtechnisch effektiv um, sondern er scheint bei Ihnen verliebt zu verharren. Grundsätzlich ist es nicht schlecht, auch strittige Technik zielführend einzusetzen, nur sollte man sie nicht um ihrer Selbst willen immer betonen.
Christian Cantrell ist ein Thriller, aber kein Science Fiction Autor. Das wirkt widersprüchlich, aber der Autor gehört leider zu der neuen Generation von Schriftstellern, denen das Gefühl für das Sf Genre fehlt. Michael Crichton hat in dieser Hinsicht Pionierarbeit geleistet. Auch wenn seine Bücher immer als Thriller konzipiert und geschrieben worden sind, nutzte er Science Fiction Ideen zielführend. Hinzu kommt Crichtons Fähigkeiten, komplexe wissenschaftliche Ideen manchmal mit einem etwas belehrenden Unterton sehr griffig und verständlich zu erläutern. Christian Cantrell nutzt einfach die bekannten Versatzstücke des Genres, um seinen Plot vielleicht für den Autoren, aber nicht den Leser zufriedenstellend abzuschließen.
Als klassische Reiselektüre fallen die Schwächen während des Showdowns den Nichtgenrelesern vielleicht nicht so sehr auf, aber wer sich mit Science Fiction schon länger beschäftigt, wird nicht nur die einzelnen Inspirationen erkennen, sondern wissen, das andere Autoren mit dem gleichen Sujet sehr viel respektvoller und vor allem – so weit es Zeitreisen per se betrifft – auch logischer umgegangen sind.
Auf der Science Fiction Ebene ist der Roman auch wegen einiger an den Haaren herbeigezogener Erläuterungen eher ernüchternd. Als Thriller überzeugt das Buch mehr. Durch die wechselnden Perspektiven und Charaktere, die gut voneinander getrennt sind, liest sich der Roman ohne viel Anstrengung zufriedenstellend. Am Ende fügt sich vieles aus den ersten Seiten auch zufriedenstellend ineinander, die weitere Exposition ist dann wie angesprochen vor allem als Science Fiction Roman schwach.
Der Stil ist auch in der Übersetzung spröde, die Dialoge wirken gestelzt und an einigen Stellen finden sich chauvinistische wie unnötige Bemerkungen. Trotzdem reihen sich insbesondere im mittleren Abschnitt gut geschriebene Actionszenen aneinander. Hinzu kommt die wie angesprochen optimistische, aber stellenweise auch sehr gute Nutzung moderner Technik, wobei die beschriebene Art der Zugriffe wie auf die Datenherzen diverser Geheimdienste dann wieder höflich gesprochen naiv sind. Der Weg ist bei „Der Zeitindex“ nicht immer das Ziel.
„Der Zeitindex“ ist ein Papierthriller, dessen Ausgangsidee sich in der Theorie gut anhört, dessen Umsetzung in der vorliegenden Form über das gängige Thrillerformat hinausgehend allerdings ambitionierter ist als es die bisherigen Fähigkeiten des Autoren zulassen.
- Herausgeber : Heyne Verlag; Deutsche Erstausgabe Edition (9. November 2021)
- Sprache : Deutsch
- Broschiert : 432 Seiten
- ISBN-10 : 3453320603
- ISBN-13 : 978-3453320604
- Originaltitel : Scorpion