Fast ein Jahr ist seit der letzten „Gegen Unendlich“ Anthologie vergangen. Seitdem hat sich, wie die Herausgeber in ihrem kurzen Vorwort zusammenfassen, das Gesicht der Welt verändert und ist näher an die Schreckensvisionen mancher dunklen Geschichte herangerückt. Insgesamt dreizehn Storys haben die beiden Herausgeber in dieser schon sechzehnten Ausgabe ihrer Reihe versammelt.
Nicht selten handelt es sich eher um Miniaturen, die wie zum Beispiel die Abschlussgeschichte „Aufwachen“ von Andreas Fieberg geradlinig auf ihre dunkle Pointe zusteuern. Das Telefon weckt einen Ehemann mehrmals mitten in einer Nacht. Der altertümliche Apparat verheißt nichts Gutes. Die Pointe ist zwar nicht erkennbar, aber auf eine logische Erklärung verzichtet Andreas Fieberg in dieser Weird Fiction Story.
„Momentum“ von Helga Anton- Beitz dagegen nimmt eine alte Idee auf und spinnt einen Science Fiction Rahmen rum. Eine neue Methode, Menschen ins und im All zu befördern, wird vorgestellt. Der Freiwillige ist bis zu einem kleinen Unglücksfall während der Vorpremiere willig. Das offene Ende gibt keine Antwort, aber fügt sich trotzdem in diesen exzentrisch wirkenden Versuch, die Sterne zu erobern.
Autoren spielen mit den Erwartungen nicht nur der Protagonisten, sondern auch der Leser. Lukas Verings „137“ berichtet von einer Siedlung, wo die Menschen extrem beengt leben. Im Laufe der Handlung und parallel mit der Nutzung eines Fahrstuhls eben in die 137. Tage löst der Autor das Geheimnis auf. Auch bei „Silver“ von Marjan Asgari geht es um die Welt hinter der Welt. Die Protagonistin lebt bei einem Sprayer. Auf einem nächtlichen Streifzug entdeckt sie in den U- Bahnschächten eine größere Ansammlung von abgeschlossenen Räumen, die ein Geheimnis beherbergen. Während der jugendliche Protagonist in „137“ den Lesern aber Informationen verheimlicht und erst im Laufe der Story den Hintergrund nicht nur dieser Siedlung offenbart, während andere Details eher vage erzählt werden, wird Silver wie der Leser nicht nur von dieser unterirdischen zweiten „Welt“ überrascht, sondern das offene Ende impliziert, dass Mitglieder der Sprayerbande mehr gewusst haben. Beide Texte sind effektiv geschrieben, aber wirken auch durch die extreme Handlungskomprimierung einmal unfertig („Silver“) und einmal versuchen sie eine eher altbekannte Idee in ein neues Kleid zu packen („137“).
Joachim A. Hagen „Das Ebenbild“ nimmt den Titel vorweg und der aufmerksame Leser ahnt die Pointe. Die Idee der gejagten und ausgegrenzten Klone ist per se nicht neu, aber mit mehr Hintergrundinformationen und vor allem einer komplexer ausgestalteten Welt hätte die Miniatur noch funktionieren können.
Ellen Nortons „Der Clown“ ist dagegen perfekt ausbalanciert. Die Reporterin möchte einen Roboterclown interviewen. Sie ist fest davon überzeugt, dass sich hinter der Clownmaske noch eine zweite Maske verbürgt. In der Mitte der emotional überzeugenden Miniatur dreht die Autorin den Fokus noch einmal um die eigene Achse und überrascht die Leser. Auf wenigen Seiten gelingt es Ellen Norten, die Protagonisten dreidimensional zum Leben zu erwecken.
In dieser Hinsicht kann auch Luisa Henkes gut geschriebene „Frostfreden“ überzeugen. In der Zukunft leben einige Menschen in den Eiswüsten, andere in isolierten Dörfern unter der Erde. Vorurteile haben beide Seiten gegeneinander. Bis es zu einer unfreiwilligen Begegnung kommt. Der Plot ordnet sich in dieser atmosphärisch sehr stimmigen Geschichte den sympathischen, nicht einmal außergewöhnlich gezeichneten Hauptfiguren unter.
Auch Helmuth W. Mommers kann mit seinem modernen Märchen „Loris Wunderland“ überzeugen. Ein Vater kehrt nach Hause zurück, das Viertel ist von der Polizei umstellt. Anscheinend hat eine Katastrophe stattgefunden. In Rückblenden führt der Österreicher die Leser zu diesem Augenblick. Lori ist die Tochter mit einer besonders lebendigen Phantasie. Die Hintergründe spielen keine Rolle, auf weitergehende Erklärungen verzichtet Helmuth W. Mommers, aber das Entsetzen des Vaters wird überzeugend beschrieben.
Zu den besten Beträgen gehört „Die Passage“ von Michael J. Awe. Eine ältere Raumkapitänen findet auf ihrer letzten Reise einen blinden Passagier an Bord ihres Raumschiffs. Sie macht Zwischenstation auf einer kleinen Welt mit einem mystischen Buch, das jedem Leser etwas Anderes zeigt. Stimmungsvoll, melancholisch mit interessant gezeichneten Protagonisten und einem nicht unbedingt nihilistischen, aber zumindest träumerischen Ende hebt sich die Kurzgeschichte auch durch ihre passende Länge positiv aus den zahlreichen Miniaturen dieser „Anthologie“ Ausgabe heraus.
Kurt Tichys „Die Brille“ basiert auf einer typischen Science Fiction Idee. Ein Rechtsanwalt erhält von seinem Freund das perfekte Geschenk: eine Brille mit Aufzeichnungsfunktion. So kann der Anwalt abends die wichtigen Ereignisse/ Gespräche aufzeichnen, das Unwichtige ausfiltern. Nur scheint die Brille nicht die objektiven Eindrücke des Trägers wiederzugeben. Die Grundidee ist interessant, die anfängliche Ausführung überzeugend, nur fehlt am Ende eine Erklärung für den abschließenden Bogenschlag möglicherweise ins Subjektive.
Nihilistisch, aber auch irgendwie poetisch ist Nicole Groms „Dann reißen wir aus“. Es beginnt mit dem medizinischen Todesurteil. Der Protagonist leidet an der Pest und wird daran sterben. Die Autorin verbindet in Rückblicken diese Diagnose mit dem Kinderspiel „Wer hat Angst vor dem schwarzen Mann?“. Die Geschichte der Pest fließt nebenbei in die laufende Handlung ein. Abschließend bleibt die Erkenntnis, dass man seinem Schicksal nicht entrinnen kann, wobei es in dieser ganzen Geschichte keine im Grunde Unschuldigen gibt. Dunkel, historische Fakten integrierend und schließlich konsequent gehört „Dann reißen wir aus“ zu den besseren längeren Geschichten dieser Anthologie.
Uwe Dursts „Der Schneider“ ist eine Reise in den Wahnsinn. Ein Schneider wird von seiner hübschen Frau tyrannisiert und betrogen. Er sammelt heimlich ihre Haare, um daraus eine Puppe zu machen. Irgendwann werden die Gängeleien zu viel und die Gewalt bahnt sich den Weg an die Oberfläche. Das Ende ist konsequent, aber frühzeitig erkennbar. Die Protagonisten sind immer bis an den Rand der aus Märchen bekannten Klischees gezeichnet worden. Uwe Durst konzentriert sich vor allem auf die dunkle Atmosphäre, anstatt dem Plot vielleicht noch eine oder andere überraschende Wendung zu geben.
Jana Grügers „Der Gaukler und die Hexe“ ist eine dieser vielschichtigen, subtilen und auch brutalen Geschichten. Eingebettet in einen Rahmen, der zumindest einen Teil der Pointe erahnen lässt, ist es die Geschichte eines Konflikts zwischen einem Gaukler und einer Heilerin. Der Titel macht aber deutlich, dass sie auch über dunkle Kräfte verfügt. Ihre Rache ist brutal und geht unter die Haut. Aber auch der Gaukler hat noch ein allerdings falsches Ass im Ärmel. Solide erzählt mit pointierten Dialogen und wie erwähnt einem sehr konsequenten, in sich schlüssigen, aber auch an Edgar Allan Poes Exkurse in die Paranoia erinnernden Ende gehört „Der Gaukler und die Hexe“ ebenfalls zu den besseren längeren Geschichten dieser Anthologie.
„Gegen Unendlich“ 16 bietet thematisch eine breite Unterhaltung. Das Spektrum reicht von Horror Fantasy über Sozialsatire bis zur klassischen Science Fiction mit religiösen Untertönen. Auch die Länge der Texte variiert. Die Miniaturen steuern eher direkt auf ihre Pointen zu, während die lesenswerten längeren Storys sich Mühe geben, intensiv und auf wenigen Seiten durchaus komplexe, manchmal ein wenig zu oberflächlich entwickelte Hintergründe darzustellen, vor denen sich dann die menschlichen Dramen oder auch impliert Liebesgeschichten abspielen.
Die Geschichten sind alle stilistisch ansprechend erzählt und versuchen Lösungen für ihre Plots zu finden anstatt alles offen und der Interpretation der Leser ausgeliefert zu lassen. Nicht alle Ideen sind grundsätzlich neu oder originell, aber auch dank ihrer Kürze unterhalten sie trotzdem mindestens solide bis gut.
- Herausgeber : p.machinery; 1. Edition (1. März 2021)
- Sprache : Deutsch
- Taschenbuch : 152 Seiten
- ISBN-10 : 3957652340
- ISBN-13 : 978-3957652348
- Abmessungen : 12.7 x 0.91 x 20.29 cm