Friedhelm Schneidewind hat zusammen mit einem ehe überflüssigen, aber wahrscheinlich den Verkauf ankurbelnden Epilogs Bernd Hennens das achte im magaischen Orient spielende Abenteuer verfasst. Der Autor hat sich vorher sowohl an der Anthologie "Auf magischen Pfaden" beteiligt, als auch einen Teilabschnitt des Fugenromans "Sklavin und Königin" geschrieben.
Im Grunde führt der Autor fast unabsichtlich sogar ein neues Format ein. Im letzten von Jacqueline Montemurri verfassten Bandes "Der Herrscher der Tiefe" hat Kara Ben Nemsi zusammen mit Sir David Lindsey der britischen Regierung helfen müssen. Bei Friedhelm Schneidewind bekommt er dieses Mal von Marah Durimeh in Form einer "Mission Impossible" eine Rettungsmission zugewiesen. Ein wenig umständlich muss sich Kara Ben Nemsi natürlich mit seinem treuen Hadschi in den Kaukasus begeben. Die Bitte hätte aber auch an jeder anderen Stelle ausgesprochen werden können, aber Friedhelm Schneidewind etabliert zumindest den durchgehend dreidimensionalen, sorgfältig recherchierten und mit wirklich fast erdrückenden historischen wie kulturellen Informationen Hintergrund der Geschichte.
Während bei "Mission Impossible" das Team quasi den Aufgaben entsprechend auf einem sehr kleinen zur Verfügung stehenden Kader von Spezialisten zusammengesellt wird, deutet Marah Durimeh eher an, dass die beiden Helden auf ihrer Reise einige Helfer finden werden. Die Aufgabe ist, einen Riss zwischen den Dimensionen zu schließen, aus welchem böse Mächte - das ist eher symbolisch gemeint - aus der Anderswelt in diese Welt eindringen können.
Auf dem Weg in die unwirtliche Bergregion trifft Kara Ben Nemsi nicht nur wieder auf Sir David Lindseys Nicht und ihre Freundin, sondern auch überraschend auf Old Firehand, der sich aus den USA in diese Gegend zurückgezogen hat.
Die Struktur des Buches ist klassisches Karl May ohne die wichtigen wie schlagkräftigen Dialoge. Friedhelm Schneidewind nutzt das gesprochene Wort eher gewichtig. Da gibt es Hintergrunderzählungen, verbale Exkursionen zu einer Reihe von Sagen und Legenden; dazu Drohungen inklusiv eines Gerichtsprozesses, aber keine der heute teilweise noch lustig schlagkräftig zu lesenden Dialogen. Ein Manko, das der Autor anscheinend von Alexander Röder "übernommen" hat.
Durch die Informationsdichte und den Drang des Autors, den Plot mit möglichst vielen zusätzlichen Informationen fleischiger zu gestalten, verlangt er von seinen Lesern auch Geduld. Bis der Plot trotz der früh mitgeteilten Ausgangslage ins Laufen kommt, dauert es einige Seiten. Auf der anderen Seite ist die grundsätzliche Entwicklung der Geschichte mit der engen Verknüpfung des Hintergrundes für geduldige Leser auch buchstäblich bildend. Ohne zu belehren und damit Karl May wie Jules Verne mindestens einen Schritt voraus zeichnet Friedhelm Schneidewind ein wenig melancholisch und verklärend ein realistisches Bild des herausfordernden, aber auch befriedigenden Lebens in der Abgeschiedenheit des Kaukasus. Die kleine Gruppe trifft auf Menschen, die trotz manch schlechter Erfahrung gastfreundlich und herzlich sind, das letzte Brot und die Strohmatte mit den Gästen teilen und einen gewissen Nationalstolz sowohl Georgien als Vielvölkerstaat als auch das eigene Volk betreffend zeigen.
Der Autor führt eine Reihe von Nebencharaktere ein, welche vor allem die Eigenheiten des herausfordernden Lebens demonstrieren sollen. Sie sind klar unterscheidbar, aber ihnen fehlt ein herausragender Charakter.
Auch die Schurken wirken eher wie eine Mischung vertrauter Gesichter aus den Karl May Geschichten. Wer Tiere quält und sinnfrei tötet, muss ein Schurke sein. Dazu trägt man besondere Perlen im Haar und fummelt gerne mit dem Messer herum. Im Hintergrund ist der Kopf der Bande allerdings amerikanischer Mächte ein ehemaliger Kapitän, der schnell reich werden möchte. Drei offensichtlich abtrünnige Pinkerton Agenten runden die Gruppe der Schurken ab, die sich in einzelnen Situationen ausgesprochen naiv wie arrogant verhalten. Und das angesichts der Tatsache, dass sie zumindest Old Firehands vielleicht angeschlagene Reputation noch aus den Staaten kennen müssten.
Old Firehand ist teilweise unbewusst der Dreh- und Angelpunkt des Romans. In einer Rückblende lässt Schneidewind auf Old Firehands von Karl May in einer ursprünglich einzelnen Geschichte veröffentlichten Lebensgeschichte eingehen. Während Kara Ben Nemsis Abwesenheit in den Staaten wurde der alte Haudegen nach einer schweren Verletzung nicht nur von Winnetou gepflegt, sondern im Grunde aus bekehrt. Inzwischen ist er ein pragmatischer "Grüner", der ihm Einklang mit der Natur lebt; nur altersschwache Tiere jagt und tötet, sowie in einer der magischen Wendungen der ganzen Reihe sogar bedingt mit Tieren sprechen kann. Neben einem gigantischen weißen Tiger als Freund beschwört er mehrmals die "Kinder der Nacht", eine Anspielung auf Bram Stokers Dracula Roman. Old Firehand ist knorrig, schwierig, impulsiv und kann sich schwer anpassen. Das Kara Ben Nemsi zwischen Freundschaft und Waffenbrüderschaft unterscheidet und Old Firehand entsprechend einordnet, ist einer der Punkte, die Friedhelm Schneidewind gerne kurz anreißt, aber nicht weiter im Handlungsrahmen ausführt. Kara Ben Nemsi rettet auch Waffenbrüder, nicht nur Freunde.
Der Handlungsverlauf ist klassisch. Dieses Mal übernehmen Hadschi Halef und Kara Ben Nemsi nicht aus Zufall oder Eigennutz eine Mission, sie werden beauftragt. Das Ziel ist klar definiert, wobei der Autor sogar eine originelle Nutzung dieses Risses zwischen den Welten etabliert. Das dieses flüssige Material allerdings die Anderswelt unterminieren, quasi "ausbluten" lassen kann, wirkt angesichts der oberflächlichen Eindrücke hinter dem Riß ein wenig zu zweckoptimistisch. Wie bei Karl May ist aber vor allem die Reise und weniger die finale Auseinandersetzung der Anreiz, den Roman zu lesen.
Dabei geht der Autor ein wenig ambivalent vor. Mal wird das Tempo auch angesichts der ambitioniert beschriebenen Bedrohung forciert. Das beginnt beim Anmarsch zur Missionsübernahme auch per Eisenbahn, wenn man ein Fest nach nur wenigen Stunden verlässt oder ein Gewaltmarsch durch das schneeweiße Land. Auf der anderen Seite gibt es nicht nur ausführliche Zeiten, um die Pferde und sich selbst auszuruhen, sondern auch Geschichten auszutauschen. Der Leser hat selten das Gefühl, als dränge etwas. Karl May hat in seinen Romanen das Tempo kontinuierlicher angezogen und dem Leser manchmal auch einen Sinn für Dramatik und vor allem Eile zu vermitteln versucht. Friedhelm Schneidewind wirkt da stilistisch deutlich behäbiger. Vielleicht liegt das auch in der Tatsache begründet, dass der Autor seinen erzähltechnischen Stil stoisch durchhält, zu wenig variiert und sich möglicherweise noch mehr auf das große Ganze konzentriert.
Auch die magischen Elemente scheinen ihm ein wenig suspekt zu sein. Old Firehand kann die Tiere verstehen, vielleicht auch auf eine besondere Art und Weise mit ihnen besprechen, er ist aber kein klassischer Tierflüsterer. Das magische Handwerkszeug wird spärlicher, dann aber auch zielstrebiger eingesetzt. In erster Linie ist der Roman eine moderne Weiterentwicklung der Karl May Geschichten, in denen Kara Ben Nemsi allerdings als Überheld auch aus Mitleid tödlich verletzte Feinde erlöschen muss. Ein Schatten auf seiner ansonsten Gutmenschseele. Die Protagonisten befreien sich oder bekämpfen die Feinde durch ihre Erfahrung als Trapper, als Westmänner und mutige aufrichtige Helden, aber weniger durch den Rückgriff auf magische Elemente. Diese noch spärlichere Nutzung als in den letzten Büchern tut dem Roman sehr gut.
Zusammengefasst wirkt „Das magische Tor im Kaukusus“ trotz der angesprochenen Schwächen vor allem durch die Nutzung eckiger Charaktere wie Old Firehand, einer geradlinigen Handlung und einem zufriedenstellenden Ende trotz einiger Längen sehr viel kompakter und zugänglicher als die Tetralogie Alexander Röders, der als Vorreiter sehr viel für diese exotische Serie getan hat, sich aber manchmal in der Überkonstruktion einer Tetralogie auch unnötig wie umständlich verfangen hat.
480 Seiten Karl May Verlag
Klappenbroschur
Format 13,5 x 21,5 cm
ISBN 978-3-7802-2508-5