Halley

Thomas leBlanc

Das Thema der achten Sternenanthologie ist Abenteuer. In seinem Vorwort grenzt Thomas le Blanc die intelligente Space Opera von den pulpigen Geschichten ab, bricht aber auch eine Lanze für dieses Subgenre. Ohne eine gegenseitige Befruchtung von „Schund“ wie Perry Rhodan oder E.E. Smith wäre die gegenwärtige Science Fiction deutlich ärmer. An Themen, aber vor allem auch Autoren.

Das es auch interessante abenteuerliche Science Fiction gibt, die kritische Gegenwartsthemen reflektieren kann, sollen die zusammengestellten Storys zeigen, wobei schon in den bisher veröffentlichten Sternenanthologien manche eher dynamische als intellektuelle Konzeption präsentiert worden ist.

Zwei längere Texte eröffnen und schließen „Halley“. Manfred Borchard ist vor allem Fanzinelesern aus den siebziger und achtziger Jahren noch ein Begriff. Jörg Weigand hat in seiner persönlichen Betrachtung der SF- Literatur wehmütig davon gesprochen, dass Manfred Borchard professionell sein ganzes Potential heben konnte und sich auch über Veröffentlichungen in Fanzines genauso wie in Anthologien freuen konnte.

„Lichtsaison“ ist eine für Manfred Borchard markante Arbeit und gleichzeitig qualitativ eine der besten Geschichten dieser Anthologie. Der Protagonist ist gelähmt. Wie andere Kolonisten hat er sich an den Früchten der neuen Welt vergiftet. Eine Sekte verspricht eine Art Wunderheilung an einem Sonnentor. Die Flüge sind natürlich teuer und ausgebucht. Manfred Borchard geht intensiv auf das Innenleben des Protagonisten ein, der irgendwo zwischen Selbstzweifel und Hoffnung schwebt. Alleine das Schweben im All, umgeben von den hellen Strahlen des Tores würde ausreichen, um ihn in Ewigkeit dort verharren lassen. Anscheinend tritt wirklich ein Wunder an, aber der Epilog zeigt, wieviel Manfred Borchard von der religiösen Verklärung und vor allem der Geschäftemacherei durch kirchliche Organisationen hält.

„Seelenriß“ von Martin Eisele ist auf den ersten Blick eine gut geschriebene Abenteuerstory, deren Logik sich am Ende dem Leser nicht gänzlich erschließt. Es wird zu viel Aufwand für eine Quadratur des Kreises gemacht. Auch wenn die soziale Kritik und die menschenverachtende Politik der Herrschenden deutlich heraus gearbeitet wird, wirkt sie abschließend aufgesetzt. Zu viele Dinge könnten schief gehen und sind im Grunde auch schief gegangen, als das niemand nachhaltig und vor allem wirklich ohne Zeugen darauf reagieren könnte und würde.

Bis dahin ist es eine Überlebensgeschichte, an Bord eines gigantischen Raumschiffs. Die Protagonisten jagen und werden in dieser in die Primitivität zurückgefallenen technischen Landschaft gejagt. Die Herkunft der fremdartigen Kreaturen stellt sich erst abschließend heraus. Einzelne Actionszenen sind spannend, die Stimmung ist dunkel und nihilistisch. Der Protagonist unsympathisch genug, um authentisch zu erscheinen. Er träumt  von seiner Heimat. Eine Rückkehr scheint unmöglich. Das Ende ist ambivalent, aber nicht unbedingt ambitioniert genug.

Je mehr der Protagonisten stellvertretend für den Leser Erklärungen erhält, desto komplizierter und distanzierter wird leider der Plot. Kapitalistisch gesprochen stehen Aufwand und Ertrag in keinem Verhältnis und die eingesetzte Technik wirkt übertrieben, um nur dieses Ziel zu erreichen.     

 Martin Rossmann beweist in „One Man, one Vote“, das Humor in der Tradition von Douglas Adams „Per Anhalter durch die Galaxis“ – das Buch wird extra erwähnt – sich auch mit hintergründiger Politik mischen können. In einer Raumfahrerkneipe nicht unbedingt am Ende des Universums erzählt der Protagonist Mac Mac von seinen Abenteuern, als einem Fremden Whiskey statt Benzin angeboten werden soll. Gestrandet auf einer abgelegenen Kolonie hat er mit erlebt, wie dort im Rahmen einer Selbstbestimmung gewählt werden soll. Alleine das Verteilen der Wahlkarten wird an die drei dort friedlich lebenden Völker zu einem humorvollen Desaster, wobei der Autor die am meisten skurrile Antwort an den Beginn und leider nicht an das Ende stellt.

Der Humor ist nicht platt, sondern subversiv. Der Handlungsverkauf stringent und das Ende auf eine besonders die ambivalente Politik entlarvende Art und Weise pragmatisch. Martin Rossmann zeigt, dass deutsche Science Fiction Autor nicht nur Humor haben können, sondern intelligent eigene Wege gehen wollen.

„Ling Mee“ ist eine interessante Novelle von Iny Klocke, in welcher sie traditionelle chinesische Familiengesetze mit einer abenteuerlichen Handlung verbindet. Die fremden Invasoren bleiben im Grunde gesichtslos. Sie zwingen aber den Vater, seine versteckt gehaltene Tochter als fünfte Frau zu verheiraten. Ling Mee ist nicht gerade glücklich darüber. Auf ihrer Flucht/ Reise erfährt sie viel über das Leben im All von einem alten Kapitän. Das Ende ist auf der einen Seite spannend, auf der anderen Seite auch ein wenig unlogisch. Gefangen genommen wird ihr eine im Grunde unmögliche Aufgabe gestellt, die sie auf eine besondere Art und Weise lösen kann. Die Bevölkerung des Planeten wird als Faustpfand genommen, am Ende spielt das keine Rolle.

Daher wirkt „Ling Mee“ als Novelle ein wenig zu stark konstruiert und verliert gegen Ende ein wenig an Reiz, während die Exposition und vor allem die Zeichnung der Protagonisten ausgesprochen gut ist.      

Die freiwillige oder unfreiwillige Besiedelung neuer Welten steht bei nur wenigen Texten im Mittelpunkt des Geschehens. In den kürzeren Arbeiten wird Marianne Hiller von der Venus träumen oder Gerhard Hauer ebenfalls die Notlandung eines Raumschiffs beschreiben, aber die einzige Novelle, die sich länger und umfangreicher, aber nicht gänzlich befriedigend mit dem Thema auseinandersetzt ist Harald Kurt Frosts „Seminal Star“.

Ein militärisches Raumschiff folgt der Spur eines von der Erde vor Jahren gestarteten Generationenraumschiffs, dessen Hippie Besatzung angeblich das Paradies Eden gefunden hat. Auf dem Planeten finden sie keine Spuren der Überlebenden, der Dschungel wird zum Überlebenskampf.

Harald Kurt Frost versucht am Ende zwei Ideen miteinander zu verknüpfen. Auf der einen Seite das vordergründige Scheitern der wenig vorbereiteten Kolonisten auf einer fremden, aber besiedelbaren Welt. Auf der anderen Seite zwei Spezialisten, die sich darüber aufregen, das die Suche nach einer ultimativen Bombe, die das Wuchern der Natur ins Unermessliche steigert, zu Gunsten des Raumschiffs abgebrochen worden ist. Gegen Ende versucht der Autor die verschiedenen Ideen miteinander zu verknüpfen, wobei das ein wenig bemüht erscheint. Während andere Storys dieser Anthologie vor allem aus Sicht der Pointen überzeugen können, verlässt der Autor die bis dahin sehr realistische Handlung und versucht zu viel auf einmal zu machen. Da die Charaktere auch nicht unbedingt sympathisch gezeichnet worden sind, verliert die Novelle am Ende deutlich an Schwung. 

Neben einer Handvoll Novellen finden sich einige kürzere Texte in der Sammlung.  Robert Steffens „Die Profis“ geht auf eine besondere Art der Ablenkung während eines Spieles ein. Dabei reicht das Spektrum von besonderen Animiermädchen bis zu einem durch Solarzellen angetriebenen mechanischen Publikum. Wie bei einigen anderen dieser Texte ist der Plot aber sehr stark auf die Pointe zugeschnitten, die in diesem Fall bei einem professionellen Trainer arg konstruiert erscheint.

Horst Schlötenburgs „Ein gewisses Lächeln“ geht wie Manfred Borchard auf religiös fanatische Bewegungen ein. Der Protagonist huldigt sich kontinuierlich dem großen Vater und wird mit dem Tod bestraft. Alle Alternativen würden mehr oder minder direkt auch zum Tode führen. Die Pointe ist ausgesprochen schwach und leider seit Unzeiten bekannt. Wahrscheinlich wäre es sinnvoller gewesen, die sarkastischen Elemente in Form einer Novelle umfangreicher zu bearbeiten.  

Marianne Hiller konzentriert und im Grunde komprimiert ihren Plot in „Der warme Bauch der Venus“ auf wenige Ideen. Die Protagonistin ist Angestellte eines wissenschaftlichen Forschungsinstituts, das zwischen der Besiedelung der Venus und des Mars entscheiden soll. Der rote Planet gewinnt, allerdings üben die Bilder der Venus nicht nur auf die Protagonistin eine spürbare Faszination aus.

Der Plot wirkt sehr stark zusammengedrückt, die Charaktere agieren eher aufgrund der Kürze mechanisch und das Ende wirkt ein wenig zu stark konzentriert. Rainer Erler dagegen kann aus einer wirklich alten Idee in „Der Commander“ viel zu wenig machen. Ein Mensch wird in ein Raumschiff gesperrt, sein Gehirn an das Schiff angeschlossen. Langsam schleicht sich auf dem einsamen Flug der Wahnsinn in dessen Gedankengänge. Auch wenn es schwer fällt , Robert Bloch hat in einer seiner wenigen  Science Fiction Geschichten in den vierziger Jahren alles zu diesem Thema gesagt.

Gerhard Hauer nimmt auf den ersten Blick Aspekte aus Harald Kurt Frosts Novelle positiv auf. In “Drachentöter“ – der Titel bezieht sich auf die gelungene Pointe – landet eines der modernsten Raumschiffe auf einem primitiven Planeten. Die Besatzung muss akzeptieren, dass sie diese Welt nicht mehr verlassen kann. Absichtlich bis an den Rand des Klischees baut der Autor die Geschichte auf, um schließlich in den letzten beiden Absätzen die Perspektive zu drehen und gleichzeitig eine alte irdische Legende einzubetten. Was anfänglich ein wenig schwerfällig erscheint, wird plötzlich um mit den Protagonisten zu sprechen luftig. 

Weltraumabenteuer der eher intellektuellen Art hat Thomas le Blanc versprochen und viele Autoren dieser lesenswerten Sammlung auf unterschiedliche Art von satirisch humorvoll bis zu kritisch mahnend lesenswerte Geschichten präsentiert. Es sind vor allem die längeren Texte, welche aus der Sammlung herausragen, während die Kurzgeschichten gute Ansätze zu komprimiert präsentieren.

 

Halley - Science Fiction Stories deutscher Autoren

Goldmann Taschenbuch

216 Seiten