Androiden Band 4: "Kielkos Tränen"

Jean-Charles Gaudin

"Kielkos Tränen" ist der vierte und letzte Teil der "Androiden" Comicreihe. Jeder Band ist von einem anderen Team gestaltet worden und doch verbindet die vier Alben mehr als nur der gemeinsame Titel. Der erste und dritte Teil sind gewaltige Geschichten, in denen die Menschheit als Ganzes bedroht ist und sich Androiden den Gefahren stellen. Die zweite und vierte Geschichte sind eher intime, emotionale und persönliche Storys, wobei Jean- Charles Gaudins Plot anfänglich mit der Androidenziehmutter an das zweite Album erinnert, bevor die Geschichte in der expliziert erwähnten Anspielung an Brian de Palmas "Blow Out" eine zweimalige gänzlich überraschende Wendung nimmt.

"Kielkos Tränen" ist zeichnerisch das Debüt von Viska, der vor allem bei den Menschen ausgesprochen realistisch vorgeht und die Hintergründe pragmatisch effektiv zeichnet. Damit bildet er einen Kontrast zu den anderen Zeichnern dieser Reihe, die nicht selten die futuristischen, gigantischen Hintergründe zu Lasten der deutlicheren Erkennbarkeit der einzelnen Protagonisten überbetont haben. In einer derartigen zynischen Kammerspiel wäre diese Vorgehensweise allerdings auch kontraproduktiv gewesen.

 KIelko ist ein Android, der für eine vermögende Familie in einer im Grunde perfekten Zukunft arbeitet. Das "Geschlecht" scheint dabei eher ambivalent zu sein. Zu Beginn wird expliziert von einem "er" gesprochen. Auch der Hausherr verhält sich ihm gegenüber wie bei einer "Männerfreundschaft", das Ende impliziert aber vor allem in einem direkten Zusammenhang mit dem Brian de Palma Streifen weibliche Züge. Diese Ambivalenz unterminiert ein wenig das tragische, viele Fragen absichtlich nur indirekt beantwortende, aber konsequente Ende.

 Kielko ist aber mehr als nur ein Kindermädchen. Er ist der stille Beobachter des Familienlebens, das auf den ersten Blick harmonisch und glücklich erscheint. Sie ist eine erfolgreiche Geschäftsfrau, wahrscheinlich Anwältin. Er ist ein bekannter Galerist, immer auf der Suche nach dem nächsten Künstler, den er vermarkten kann. Sie haben regelmäßig Sex. Sie leben im Luxus. Rückblickend ist es aber auch so, dass wirklich alle Informationen dem Leser aus Kielkos Perspektive vermittelt werden und das mögliche Bild der Objektivität sich im Verlaufe der Geschichte anfänglich unmerklich, rückblickend aber klar erkennbar verschiebt.

 In diese harmonische Beziehung dringt der Ansatz einer Affäre. Der Ehemann geht fremd. Kielko ist der Beobachter dieser Seitensprünge. Emotional kann er sie aber nicht in seinem Erfahrungsschatz unterbringen. Ab diesem Punkt teilt sich im Grunde die Handlung. Die erotische Ebene folgt fast stereotyp und deswegen auch so verführerisch oberflächlich den bekannten Standardmustern. Er macht mit seiner letzten Liebschaft Schluss, sie will ihn erpressen; es wird Geld gegen kompromittierende Fotos übergeben, aber nicht alle Aufnahmen sind dabei. Weitere Erpressungen drohen, bis der Ehemann damit Schluss machen will und entschlossen durchgreift. Die Kette der Wahrscheinlichkeiten setzt sich bis zum dunklen Ende fort.

 Der einzige Beobachter und Mittler zum Leser ist Kielko. Der Android versucht auf der einen Seite dem Jungen der Familie ein treuer Freund zu sein, scheinbar die Ehefrau zu schützen und dem Mann zu helfen. Ein grundlegender Widerspruch in einer verfahrenen Situation. Zusammen mit seinem Zeichner Viska baut er die Handlung so geschickt auf, dass der außenstehende Betrachter die verfügbaren Informationen zusammensetzen muss und daraus wie die schließlich ermittelnde Polizei zu einem einzigen Ergebnis kommen kann. Selbst mögliche falsche Spuren wie der Mord an einer Prostituierten werden ausschließlich aus einer rein subjektiven Perspektive erzählt.

 Rückblickend ergibt sich möglicherweise ein etwas anderes Bild. Immer wieder erweitert Jean- Charles Gaudin die Perspektive, in dem er Kielkos gesetzliche Beschränkungen aufzeigt. Neben absolutem Gehorsam sind bestimmte Programme, aber auch Medien ihnen verboten. Wobei sich die Frage stellt, ob Brian de Palma Filme wirklich zwanzig Jahre in der Zukunft noch in allen Mediatheken stehen und warum Kielko ausgerechnet diese Arbeiten sich aussucht. Interessant ist auch, dass die Androiden nicht alles im Netz abfragen dürfen. Die Beschränkungen scheinen sich vor allem auf sekundärliterarische Literatur wie psychologische Studien zu beschränken. Die meiste Literatur hätte auch ausgeschlossen werden müssen. Dabei ignoriert der Autor allerdings einen wichtigen Aspekt. Ein Android kann ohne ein gewisses Grundwissen kein Kindermädchen sein. Selbst unter Ausschluss einiger Bücher über sexuelle Perversionen sollte ein Android ein Grundwissen über Pubertät oder sexuelle Entwicklung der Menschen haben, um notfalls rechtzeitig reagieren zu können. An keiner Stelle wird erwähnt, dass das Hüten von Kindern/ Jugendlichen nur bi zu einem bestimmten Alter möglich ist. Kielko ist ja nicht nur Kindermädchen, sondern Diener für alles.

 An einigen anderen Stellen wird aufgezeigt, das Kielko nicht nur die Emotionen seiner Menschen "lesen" und analysieren kann, sondern das diese Vorgehensweise auch erwünscht zu sein scheint. So soll er die Menschen vor Schaden schützen, was ihn nicht nur mit den drei Roboterprogrammen Isaac Asimovs in einen Konflikt bringt, sondern zeigt, dass diese art von Androiden mehr als nur Diener sind.

 Jean- Charles Gaudin hat die Geschichte als klassischen "Film Noir" Krimi entwickelt. Die potentielle Rettung des Ehemanns, der grundlegend ein unsympathischer und egoistischer Charakter ist, erscheint eher wie eine Manipulation der Öffentlichkeit. Die Saat des Zweifels bleibt. Es ist dieser doppelte Boden, der die langsam sich entwickelnde, psychologisch gegen Ende aus den Stereotypen ausbrechende Geschichte so interessant macht. Nicht zuletzt dank der kleinen Details hebt sie sich aus der Masse der vier Alben positiv hervor und hinterlässt hinsichtlich der Gesamtkonzeption zusammen mit der Auftaktgeschichte "Wiederauferstehung" den besten Eindruck.

 Während viele der anderen Zeichner dunkle Hintergründe bevorzugt haben, fokussiert sich Viska bis auf einige wenige schmuddelige Szenen auf helle Gebäude, viel Licht und vor allem einen auf den ersten Blick positive Atmosphäre. Nur hinter den Kulissen spielt sich ein Drama aus Lust/ Leidenschaft/ Exzessen und Zwängen ab.

 Damit diese Art der Geschichte so gut funktionieren kann, muss der Kontrast zwischen den beiden attraktiven wie erfolgreichen Menschen möglichst klein sein. Sie haben oft Sex, scheinen sich auch gut zu verstehen und alleine die Ehefrau hat ein wenig Angst vor dem Voyeur Kielko. Sie fühlt sich beobachtet. Auch dieser Aspekt wird während des rasanten, aber niemals hektischen Finales wieder aufgenommen und schließt die Geschichte auf einer interessanten Note ab. Wäre Jean- Charles Gaudin in einem Punkt konsequenter gewesen, hätte er einen gänzlich befriedigenden Future Film Noir erschaffen, dessen dunkle Abgründe in Kombination mit der Suche nach der Humanität in der perfekten/ perfektionierten im Ebenbild des Menschen erschaffenen Maschine erst nach und nach erschließen.

 "Kielkos Tränen" ist nicht nur ein gelungener Abschlussband dieser nur thematisch miteinander verbundenen Reihe. Es ist eine der besten Science Fiction Comic Geschichten seit vielen Jahren, die mit der dramaturgisch notwendigen Ernsthaftigkeit zwischenmenschliche Beziehungen bloß legt und zynisch aufzeigt, welche Abgründe in den Menschen ruhen und zu was die Maschinen in logischen Extremsituationen fähig sein könnten. Viskas hat diese psychologisch sehr faszinierende Geschichte in entsprechend sehenswerte Bilder gepackt, so dass der Leser viel länger über die einzelnen Figuren beginnend mit der/ dem menschlichen Kielko nachdenkt, als das es der ein wenig zu absichtlich offensichtliche Auftakt wahrscheinlich erscheinen lässt.

 

Androiden Bd. 4: Kielkos Tränen

ISBN: 978-3-95839-571-8
Erschienen am: 20.08.2018
Autor Jean-Charles Gaudin
Zeichner Viska
Übersetzer Swantje Baumgart
Einband Hardcover Splitter Verlag
Seitenzahl 56
Band 4 von 4
Kategorie: