Die Schiffbrüchigen der Zeit Band 9 "Wege des Vergessens"

Die Schiffbrüchigen der Zeit Band 9, Titelbild, Rezension
Paul Gillon

Mit dem vorletzten Album beginnt Paul Gillon seine lange Reise zu schließen. Während der Zeichner und Autor in den letzten Bänden immer wieder in Form von in sich abgeschlossener Episoden seinen surrealistischen Kosmos weiter expandiert hat, wirkt dieser Schritt zurück zum Anfang der Geschichte aber nur mehrere tausende Jahre in der Zukunft konsequent.

 Der Gouverneur möchte die von den Monstren in ferner Vergangenheit überrannte und von den Menschen verlassene Erde wieder besiedeln. Dazu hat er Truppen auf den Planeten geschickt, die einige als Kannibalen hausende Überlebende finden. Bei den auf der Erde spielenden wenigen Szenen setzt Colourist Hubert vor allem auf psychedelische Farben. Die Idee, auf die Erde zurückzukehren, betrifft auch die beiden Schiffbrüchigen der Zeit, die sich gerade an Bord eines Weltraumzirkusschiffs befinden. Chris sieht darin eine Chance, seine Mission zu beenden und vielleicht Antworten auf einige seiner Fragen zu erhalten. Valerie dagegen möchte am liebsten auf einem einsamen Planeten zusammen mit ihrem Geliebten ausgesetzt werden, dessen Position in Vergessenheit gerät. Nur so sieht sie eine Chance, wieder mit ihm zusammen zu kommen. Für dieses Ziel ist sie sogar bereit, sich zu prostituieren und mit dem Zirkusdirektor – ein bizarrer Clown mit Punkfrisur, der aber auch ein Geheimnis in sich trägt – eine Beziehung einzugehen. Dabei istz es vor allem Valerie, die von einer Zukunft der aus der Zeit Gefallenen träumt, ohne das die Chemie zwischen ihnen wirklich stimmt oder/ und eine romantische beiderseitige Beziehung in irgendeiner der Geschichten aufgebaut worden ist. Ihr Verhalten erscheint eher von Besessenheit denn Liebe geprägt zu sein.

 Während der Anfang und das Ende der Geschichte mit dem Bogenschlag zur Erde einen soliden Rahmen bilden, in dem Paul Gillon noch einmal verschiedene politische Konstellationen durchspielt.  Es ist eine Art bewegtes Stillleben. Da sich Chris und Valerie an Bord des Zirkusschiffes im farbenprächtigen Niemandsland bewegen, wirken ihre Gespräche eher wie die Quadratur des Kreises. Die Ränkespiele mit der falschen Identität des Zirkusdirektors gehören zu den besten Passagen der ganzen Geschichte.

Paul Dillon ist aber inzwischen ein so erfahrener Szenarist geworden, dass er keine einfachen Antworten liefert. Der Plan des Gouverneurs wird in mehrfacher Hinsicht durchkreuzt. Die Erde in der vorliegenden Form ist ein bizarrer Planet, welcher den Menschen fremd geworden ist. Die Heimatbewegung muss politisch initiiert werden und findet nur auf der Ebene der Entscheider statt. Hinzu kommt, dass in den bisherigen neun Bänden das Volk nur in einem begrenzten Umfang eine Rolle gespielt hat. Alle Welten wirken erstaunlich von Menschen befreit und selbst in den automatisierten „Großstädten“ gibt es mehr leere Gänge als einen Hang zur Überbevölkerung. Der Titel „Wege des Vergessens“ erscheint nicht sonderlich gut gewählt, denn bis auf Valerie will niemand wirklich vergessen. Sie ist aber auch die einzige Figur der ganzen Serie, die sich mit einer Mischung aus fast krankhafter Intensität und Naivität ein eigenes Paradies wünscht, um mit Chris glücklich zu werden. Dabei hat Paul Gillon in den letzten Alben alles unternehmen, um eine durchaus verständliche Distanz zwischen Chris und Valerie aufzubauen. Die Rettung der attraktiven Schiffbrüchigin der Zeit wirkte auch eher wie eine Pflichtaufgabe.

Es bleibt abzuwarten, in welcher Hinsicht Paul Gillon im Schlussband das immer noch sehr komplexe, von bizarren Charakteren dominierte Geschehen um die beiden Schiffbrüchigen zu einem zufrieden stellenden Abschluss bringen wird. Wie Dominosteine positioniert er die positiv in diesem Album dieses Mal nicht dominierenden Figuren und lässt sich alle Flanken offen. Deutlich stärker als in den letzten Geschichten greift der Autor auch nicht gänzlich abgeschlossene Handlungsstränge wieder auf und erweckt fast vergessene Figuren aus der Vergangenheit wieder zum fiktiven Leben, so dass „Die Schiffbrüchigen der Zeit“ mehr und mehr wie ein bis zum Ende hin geplantes Epos erscheint und die episodenartige Struktur der mittleren Alben in Vergessenheit geraten lässt. Die exotischen Farben, die offene aus heutiger Sicht aber dezente, teilweise pragmatisch eingesetzte Sexualität, die Mischung aus Science Fiction und Fantasy sowie die bizarren Kreaturen, denen der Leser zusammen mit Chris und Valerie begegnet, lässt „Die Schiffbrüchigen der Zeit“ aber weiterhin aus der Masse vieler französisch belgischer utopischer Comicserien der siebziger und achtziger Jahre herausragen.

  • Gebundene Ausgabe: 56 Seiten
  • Verlag: Splitter-Verlag; Auflage: 1 (1. November 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3958391087
  • ISBN-13: 978-3958391086
  • Originaltitel: Les Naufragés du temps
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