Tentakelreich

Dirk van den Boom

„Tentakelreich“ ist der abschließende Band der zweiten „Tentakel“ Trilogie aus der Feder Dirk van den Booms. Eine weitere Trilogie ist angekündigt. Hier liegt vielleicht auch ein grundsätzliches Problem dieses Romans begraben, denn das nihilistische Ende ist wie bei der ersten Trilogie nicht das letzte Wort, sondern ein weiterer Schritt in den Abgrund, der noch relativiert werden kann.  Der Reiz der ersten „Tentakel“ Roman bestand aus der absurden Prämisse, die Dirk van den Boom militärisch ernst erzählt hat. In den folgenden Bänden lockerte sich der Tonfall mehr und mehr trotz eines weiter dunklen, teilweise brutalen Hintergrundszenarios auf, so dass der Leser nicht mehr sicher sein konnte, ob es sich um eine Parodie auf das Subgenre Military Science Fiction handelt oder wirklich alles klassisch ernst gemeint ist. Insbesondere in „Tentakelreich“  stören nicht nur die Sexszenen, weil sie weniger erotisch als die Vorstellung eines pubertierenden Jungen sind. Der Querverweis auf anscheinend einige Persönlichkeiten aus einem SF- Forum wirkt genauso kontraproduktiv wie zumindest eine „Star“ Vater „Wars“ Anspielungen. Nicht selten bleibt das mulmige Gefühl, dass der Vielschreiber Dirk van den Boom den Roman hinter sich bringen wollte und während des Schreibens bemerkte, dass der grundlegende Plot nicht für einen zweihundertvierzig Seiten umfassenden Romans ausreicht und er alles mit Nebenszenen aufgepumpt hat.  

Zu den Stärken des Buches gehört, dass Dirk von den Boom ein Autor ist, der durch den teilweise allerdings ein wenig hektischen Wechsel zwischen den Kapiteln das Tempo hoch zu halten sucht. Mit drei Handlungsbögen ist das auch relativ leicht. Der schwächste Spannungsbogen betrifft die Idee des Virtuum, in dem Slap trotz mehrfacher Tode nach neuen Verbündeten für die in die Enge getriebene Menschheit im Kampf gegen die stoisch weiter anrennenden Tentakel sucht. Alleine das Verlassen der Realitätsebene und die Etablierung einer Alternative steht konträr zum anfänglichen Handlungsverlauf und wirkt kritisch gesprochen wie eine "Deus Ex Machina" Rettungsmöglichkeit. Natürlich lässt sich trefflich argumentieren, dass andere Military SF Autoren in letzter Sekunde förmlich eine Wunderwaffe aus dem Köcher ziehen, mit der ein bislang unbesiegbar erscheinender Feind plötzlich besiegt werden kann. Auf diese Vorgehensweise verzichtet Dirk van den Boom, aber wie einige andere Passagen des Buches wirkt die Idee des Virtuums nicht aus sich heraus erschaffen, sondern aufgesetzt. Das liegt vielleicht auch daran, dass insbesondere Slap mehr und mehr als Charakter degeneriert. Vor allem weil dieser Spannungsbogen eine Schwäche Dirk van den Booms aufzeigt. Er ist ein charmanter Plauderer und ein guter Actionautor. Er ist aber noch kein Schriftsteller, der über die Dialoge die Handlung nicht nur treiben kann, sondern entsprechende Emotionen innerhalb seiner Figuren befreit. So versucht er auf der einen Seite, Slaps aussichtslose Mission zu umschreiben, kann aber auf der anderen Seite das deprimierend nihilistische Gefühl nicht wirklich in Worte fassen. Diese Unentschlossenheit bewirkt, dass der Leser den eher spärlich ablaufenden Plot mehr und mehr in diesen Kapiteln aus den Augen verliert.  

Ebenfalls aus Versatzstücken - aber deutlich origineller - besteht die zweite Handlungsebene, in der Roby mit seinen Soldaten das Innere eines Tentakelschiffes untersucht und dabei deren Aliensammlung entdeckt. Vielleicht begeht Dirk van den Boom mit der unterschwelligen Vermenschlichung der Tentakel - ein Leser braucht nur auf den ersten Band zu schauen- einen taktischen Fehler, denn die Sammlerleidenschaft erscheint eher menschlich als der bislang rein existentiell expansive Drang der Tentakel, neue Siedlungsräume zu erschließen. Unterstrichen wird diese Vermenschlichung durch die gezüchteten "friedlichen", mit den Menschen zusammenarbeitenden und kämpfenden Tentakel, die aus einer anderen Richtung diese Fremdartigkeit unterminieren. Auch wenn Dirk van den Boom nicht so weit geht, versucht er Romero mit "Day of the Dead" doch ein wenig zu imitieren. Dazu könnte auch das nihilistische Ende des Romans passen.

Die Botschafterin der Allianz Miranda versucht auf der Erde sich mit einer Armeeeinheit zu einem Sammelpunkt hinsichtlich einer möglichen Evakuierung durchzuschlagen. Auf ihrer Ebene wird die Handlung auch durch die Foristen unterbrochen. Es ist nett, dass Dirk van den Boom seinen Diskussionspartnern ein kleines Denkmal setzt. George R.R. Martin hat "Plätze" inklusiv schauriger Tode in seinen "Games of Throne" Romanen für einen guten Zweck verkauft, aber wie er es macht, erscheint vor allem für einen erfahrenen Autoren wie Dirk van den Boom enttäuschend. Das hätte er erstens eleganter in die Handlung einbauen können und vielleicht hätte er zweitens diese Forsten wie ein Fisch aus dem Wasser einfach in den Einsatz geschickt und dann sterben lassen. Den Spannungsbogen für einen Insiderwitz so zu unterbrechen, ist weniger mutig als amateurhaft.

Die einzige offensiv aktive Handlungsebene beinhaltet Slaps Vorstoß im Virtuum, während an Bord des Tentakelraumschiffes und auf der Erde nur Rückzugsgefechte möglich ist. Diese ermöglichen es auch ohne Frage dem Leser, den immer kompakter werdenden Geschehen besser zu folgen und der nihilistisch depressive Ton erinnert auch positiv an die erste, deutlich effektivere "Tentakel" Trilogie. Immer wenn die Waffen sprechen und dabei in einem verträglichen Maße auch die Fetischismus Karte gespielt wird, fällt vom Plot fast eine Last ab, das Szenario wird dreidimensionaler und die Stärken des Autoren kommen sehr zufriedenstellend zum Tragen.   

Zusammengefasst ist "Tentakelreich" ein enttäuschender Roman eines sympathischen Autoren, der in den letzten Jahren wahrscheinlich einfach zu viele Projekte angefangen hat. Das er mit Serien besser Geld verdienen kann als mit Einzelromanen ist für den Leser verständlich. Aber im Vergleich zu seinen deutlich besser strukturierten "Kaiserkrieger" Romanen hat der Leser das Gefühl, als verfüge Dirk van den Boom bei den „Tentakel“ Bänden eher über einen groben Plan, der im vorliegenden Band von den Details erdrückt wird. Dazu kommt, dass Dirk van den Boom irgendwann literarisch den Sex entdeckt hat und der Meinung ist, dass diese Karte überall gespielt werden muss. Andere Autoren sind dabei vielschichtiger, subtiler und hinsichtlich des Handlungsverlaufs auch geschmeidiger vorgegangen. Ob der Autor seine Leser eher provozieren und die Prüderie der Gesellschaft mit vordergründiger Exotik/ Erotik unterminieren will, bleibt offen. Nur beginnen diese Szenen inzwischen nicht nur in den „Tentakel“ Romanen  zu stören, sondern sie frustrieren angesichts anderer Sequenzen wie in seiner „Rettungskreuzer Ikarus“ Trilogie, in denen Dirk van den Boom auch über Gefühle in Kombination mit sexueller Anziehungskraft sehr viel intimer und deswegen auch überzeugender geschrieben hat.

Auch wenn es widersprüchlich erscheint, ist das Schöne an „Tentakelreich“, dass es nicht der letzte Band dieser Serie ist. Mit dem „Sieg“ der Tentakel wäre das Ende logisch und effektiv, aber als Roman enttäuscht der vorliegende sechste Band wegen der eindimensionalen Charaktere, der Nutzung von Versatzstücken und der nicht stimmigen Struktur. So hat Dirk van den Boom ab jetzt eine ganze Trilogie Zeit, sich zu bessern und die anfänglich wie schon angesprochen im Grunde widersinnige und den Pulps der fünfziger Jahre entsprechende Idee von intelligenten aggressiven Tentakeln wieder in eine dem Genre entsprechend originelle Geschichte zu kleiden, das Verhältnis zwischen Parodie und Ernsthaftigkeit gerade zu rücken und sich mehr auf den eigentlichen Plot als die äußere Erscheinung wie das Musik Gimmick zu konzentrieren.      

Titelbild: Allan J. Stark
A5 Paperback mit Klappenbroschur, ca. 252 Seiten, ISBN 978-3-86402-183-1.
Atlantis- Verlag