Der 11. Band der “Phantastischen Miniaturen” setzt sich mit einem sozial allgegenwärtigen Thema auseinander. Der Zukunft der Arbeit sowohl aus kapitalistischer wie technokratischer, aber auch menschlich emotionaler Sicht. Thomas le Blanc zeigt gleich zu Beginn in seinen beiden Miniaturen „Psychotherapeutisches Erstgespräch“ I und II, dass die Psychoanalyse überall und bei jeder Gelegenheit auf die unschuldigen Arbeiter lauern kann. Wie ausgesprochen viele Texte dieser Anthologie sind die Miniaturen Pointen gesteuert, es ist der finale Satz, welcher den Storys einen Sinn gibt.
Ein weiteres sehr breites Feld ist die Automatisierung und damit die Vernichtung von Arbeitsplätzen. Während Hans Dieter Furrer den Trend des alten klassischen Handwerks zynisch extrapoliert und sie zu Museumsstücken macht, geht Katrin Dietter in der Auftaktstory „Tamagotchis für Droiden“ noch einen Schritt weiter. Es geht nicht nur um die Verdrängung der menschlichen Arbeit durch Maschinen bzw. Androiden, auch der freie Geist soll möglichst gezähmt und eingenordet werden.
Bei einigen Texten negiert dann allerdings die Pointe auch den Gehalt der Story. „Einen Tag im Monat“ von Ernst- Eberhard Manski präsentiert eine interessante Idee – die Menschen arbeiten nur einen Tag im Monat wegen zu wenigen realen Jobs -, welcher der Autor noch eine Pointe aufsetzen möchte. Aber kritisch gesprochen müsste der jugendliche Protagonist die Antworten auf seine Frage wissen, denn selbst mit einem Tag im Monat könnte ihm diese soziale Jobsharingtendenz bis ins Extreme gesteigert nicht unbekannt sein.
Holger Marks nimmt sich eines vergleichbaren Themas in „Arbeitssuche“ sehr viel effektiver an. Die abschließende Pointe setzt der Miniatur eine Art satirische Krönung auf, der Weg dahin ist aber interessant gestaltet.
Ansgar Schwarzkopfs „Gundrams Bericht. Ein Frontalunterricht an vorderster Bildungsfront“ zeichnet ein Portrait der außer Kontrolle geratenen Schulen nach, wobei der Autor im Grunde zu einer Farce neigt und an einigen Stellen den Bogen weniger satirisch, aber provokativ überspannt und dadurch vielleicht auch die interessante Botschaft mit einem viel zu breiten Pinsel übermalt.
Monika Niehaus zeigt in „Humankapital 2.0“, dass der Mensch zwar in fast allen Berufszweigen ersetzbar ist, aber das Humankapital zumindest im zwischenmenschlichen Bereich absichtlich auf Klischees basierende Vorzüge aufweist, die kein Android oder Avatar jemals erreichen wird. Dabei fügt sie ihrer kurzen Vignette vor allem im ersten Teil noch so viele Ideen und Ansätze für eine tiefer gehende Story hinzu, dass der Plot durchaus ausgebaut werden könnte und auch erweitert werden sollte. Im Notfall bleiben den Menschen nur noch zwei Wege offen, wie Kai Riedemann in „Mach´s selbst“ aufzeigt. In beiden Geschichten wirkt mehr oder minder ironisch bis zynisch darauf hingewiesen, dass „Mensch“ im Notfall immer irgendwo eine Art Beschäftigung finden kann.
Rainer Schorm zeigt aber in „Ihre Gebote bitte!“ auf, dass die Arbeitskraft des Menschen nicht unbedingt ein sehr wertvolles Gut ist. Noch bitterer versucht Friedhelm Schneidewind in „Pitt“ aufzuzeigen, dass die Gewerkschaften, die Schutzbestimmungen und schließlich die errungenen sozialen Fortschritte ein Blatt im Wind der internationalen Handelsabkommen sind. Mit dieser Idee stellt sich Schneidewind gegen zahlreiche andere Storys dieser Sammlung, in denen es vor allem um das Ersetzen des Menschen geht, während Schneidewind die Ausnutzung der wieder rechtlosen Menschen durch das Kapital in das Schaufenster seines Plots stellt.
Zu dem Thema Job in der Zukunft gibt es ebenfalls eine Reihe von Geschichte. „Halbwertzeit“ von Daniela Herbst beschreibt die natürlich professionelle Auswahl der zukünftigen Jobs ohne emotionalen Einfluss der Menschen. Für Freizeit gibt es in dieser perfektionierten Zukunftswelt immer noch Platz, während Jacqueline Montemurri in „Heimarbeit“ im Grunde schon den Austausch des Menschen bis auf die wenigen notwendigen Jobs extrapoliert hat. Ob für die angesprochenen Aufgaben Menschen wirklich noch von Nöten sind oder künstliche Intelligenzen viel besser die zukünftigen Resourcen erfassen und ausbeuten können, bleibt unausgesprochen.
„Goldrausch“ ist vielleicht nicht ein nicht wörtlich zunehmender, aber als literarische Anspielung zu verstehender Titel für Amin Möhles Story. Aber die Mühlsucher kämpfen wie Jack Londons gebrochene Protagonisten ums Überleben. Dabei spielt das Team keine Rolle mehr, alleine das Individuum zählt. Solide geschrieben mit einer passenden Pointe überzeugt der Text vor allem durch die stimmige Hintergrundatmosphäre dieser zusammengebrochenen Zivilisation.
Monika Niehaus führt diesen Handlungsbogen mit „Projekt S“ fort. Eine Gruppe von Arbeitern säubert einen Strandabschnitt. Am Ende der Schicht werden sie eine zynische Erkenntnis erlangen. Auch Friedhelm Schneidewinds „Zeugnis“ beschreibt die sich stetig wandelnde Arbeitswelt, in welcher kein Platz mehr für die breite Masse ist.
Auch Karl Weigands „Sinnfindung“ reiht sie in die Vielzahl von Miniaturen ein, in denen es weniger um die Arbeit per se, sondern vor allem um würdige Arbeit und den Wert des Menschen geht. Es ist ein melancholischer Abgesang auf diesen Themenbereich, während Jörg Weigand mit „Sein erster Einsatz“ zwar in die entgegen gesetzte Richtung zielt, aber mit der einfach zu simplen Vorgehensweise und der zu stark konstruierten Pointe nicht die melancholische Stimmung, das zum Nachdenken anregen erreicht wie seine Frau.
Alexander Roeder fügt mit seinen drei Berichten aus der Arbeitswelt von Morgen in Form einer Reportage einige lustige Ideen hinzu. Dabei überzeugt im Gegensatz zum ein wenig schwerfälligen „Möchten Sie mit einem Mitarbeiter sprechen?“ und dem zu intellektuell gehaltenen letzten Beitrag „Obsoleszenz“ die erste Geschichte Baut auf, Baut ab“ am meisten. Mit einer überzeugenden Liebe zum Detail beschreibt diese Reportage eine futuristische Baustelle mit einem menschlichen Vorarbeiter, aber Androiden, die sich auf eine surrealistische Art und Weise zutiefst menschlich verhalten. Gut beobachtet, pointiert umgesetzt eine der schönsten Geschichten dieser Anthologie.
Klaus Ulrich Burgdorf schließt sich dieser Übertechnik mit „Plaudertasche“ an. Eine Konsumentensatire, an deren Ende sich zeigt, dass Mensch schon lange vor den Geschöpfen im Inneren kapituliert hat, die er selbst erschuf. Es sind vor allem die pointierten Dialoge immer am Rande des Nervenzusammenbruchs, welche diese Miniatur aus der Masse der qualitativ überdurchschnittlichen Arbeiten positiv hervorheben.
Aber auch die animalischen Helfer müssen sich der Job bedingten Evolution stellen. Jan Osterlohs „Die Befreiung“ soll aufzeigen, dass die Verwandtschaft zu den Affen nicht nur Rechte, sondern auch Pflichte für die Artgenossen beinhaltet, während Claudia Raterings „Jacko Pause“ die Idee der natürlich unbezahlten Helfer auf eine interessante Spitze treibt. Ausgehend von aktuellen Themen aus dem Bereich der Pflege findet die Autorin eine originelle nachdenklich stimmende Lösung.
Monika Niehaus mit einer der schwächsten „Kaschemmen“ Geschichten aller Miniaturen sowie Bernd Schuhs „Netz-Haut“ zeigen noch einen anderen Aspekt auf. Monika Niehaus „Sweet Dreams“ beschreibt die kommerzielle Nutzung von Träumen, während Bernd Schuh eine dunkle Zukunft entwickelt, in welcher im Grunde die virtuelle Realität einen zynischen Schritt weiter fortgeschrieben wird. Monika Niehaus Geschichte ist vielleicht nur enttäuschend, weil die Pointe konstruiert erscheint und die lange Vorbereitung nicht nur die Pointe getragen wird, während Bernd Schuh interessant seine Welt fast subversiv aus der Rolle des schnüffelnden Vaters heraus entwickelt und den Leser abschließend mit finalen „Bild“ allein lässt. Auch der Titel ist in doppelter Hinsicht treffend gewählt.
Die sechsundzwanzig Miniaturen der zwanzig Autoren treffen im Grunde in Blöcken das vorgegebene Thema auf sehr unterschiedliche Art und Weisen sehr gut. Viele Ideen regen zum Nachdenken an, andere Texte extrapolieren sehr geschickt gegenwärtige Tendenzen, ohne allerdings durchgehend wirkliche Alternativen zu zeigen. Im Gegensatz zu den letzten Miniaturen, in denen sich teilweise auch einige bemühte Texte befanden, überzeugt “Job Future“ durch die Bank und gehört zu den besten Ausgaben dieser nach wie vor sehr empfehlenswerten Reihe ungewöhnlicher Texte.
Phantastische Kürzestgeschichten
Herausgegeben von Thomas Le Blanc
mit Texten von:
Karl-Ulrich Burgdorf, Katrin Dietter, Hans-Dieter Furrer, Daniela Herbst, Thomas Le Blanc, Ernst-Eberhard Manski, Holger Marks, Armin Möhle, Jacqueline Montemurri, Monika Niehaus, Jan Osterloh, Claudia Ratering, Kai Riedmann, Alexander Röder, Friedhelm Schneidewind, Rainer Schorm, Bernd Schuh, Ansgar Schwarzkopf, Jörg Weigand, Karla Weigand
Juni 2015 - Broschüre - 80 Seiten - 3,00 Euro