1963 erschien mit „Der blaue Planet“ der zweite Roman aus der Feder Carlos Rasch. Es ist zusammen mit den beiden Werken Günther Krupkats eines der wenigen Beispiel für literarische Prä Astronautik nicht nur im Rahmen der DDR Science Fiction, sondern zum damaligen Zeitpunkt auch generell deutscher Science Fiction. Walter Ernsting hat zwischen den Zeilen einzelne Ideen in seinem Erstling „UFOs am Nachthimmel“ anklingen lassen. Wie Jahre später Alexander Krögers „Sieben vom Himmel“ spielen die Ruinen von Ballbeck in Carlos Raschs Roman eine nicht unbedingt signifikante, aber erkennbare Rolle. Wolf Weitbrecht allerdings mit Bezügen zu Fabelwesen sowie Märchen und Rainer Fuhrmann haben sich in einzelnen Werken allerdings deutlich später der Idee von auf der Erde in der Frühzeit landenden Außerirdischen auch angenommen. Aber die Bezüge zu von Däniken späteren Thesen und angeblichen Beweisen sind vor allem in Krupkats und Rasch Werken zu erkennen.
Zusätzlich ist viel interessanter, dass Carlos Rasch immer wieder die unter anderem durch von Däniken sehr verbreitete These der Götter aus dem Weltall ganz im Sinne des sozialistischen Systems zu relativieren sucht. Die auf der Erde gelandeten Außerirdischen widersprechen nicht nur jeglichen Huldigungen als Gott oder Vertreter einer überirdischen Intelligenz, sie versuchen ihren von Carlos Rasch nur angerissenen Lebensstil den aus ihrer Sicht primitiven wie gewalttätigen Menschen zu veranschaulichen, um ihnen auf dieser Basis den langen beschwerlichen Weg zu den Sternen zu weisen, so sie irgendwann vielleicht noch einmal auf Nachkommen der Besucher aus dem All stoßen könnten.
Carlos Rasch ist eher ein wissenschaftlicher Autor. So wundert es den Leser nicht, dass die Szenen auf der Erde erst „spät“ den Roman bestimmen. Zu Beginn setzt er sich wie Walter Ernsting und Jesco von Puttcamer nicht nur mit den Reisen in die Tiefen des Alls als Expedition und vor allem friedliche Forschung auseinander, sondern beschreibt den Lesern die Ideen der Zeit- Dilatation auseinander. Seine wenigen Außerirdischen an Bord des Forschungsraumschiffs verbringen einen Teil der Zeit im Schlaf. Nur bei Schwierigkeiten werden die jeweiligen Spezialisten, im absoluten Notfall der dominierende Commander geweckt. Die Forscher wissen, dass diese Expedition hinsichtlich einer Rückkehr zu den Verwandten eine Einbahnstraße ist.
Die Orientierung im All erfolgt mittels Kreiseltechnik, die aus heutiger Sicht archaisch erscheint, aber von Carlos Rasch mit den damaligen wissenschaftlichen Grundkenntnissen den Lesern ausgesprochen gut vermittelt wird. Der Antrieb des Raumschiffs ist eine Mischung aus Ökologie und Atomkraft. Die Fremden setzen vor allem die Atomtriebe ihrer Landefahrzeuge in Erdnähe sehr vorsichtig ein. Es ist blanke Ironie, dass abschließend ausgerechnet die Energie von atomaren Ladungen die Rettung bringt. Hans Räde hat für die gebundene Erstauflage des Buches einige technische Zeichnungen beigesteuert, welche die pragmatische Technik der Fremden visuell zufriedenstellend darstellt.
Auch wenn Carlos Rasch seine Technik mit teilweise exotischen, dann wieder technischen Namen ohne ein System an Bord des fremden Raumschiffs tituliert, versucht der Autor dem Leser immer die Funktionalität nahe zu bringen. Das führt vor allem zu Beginn des Buches zu einer Reihe von Längen. So diskutieren die Heloiden Sil, Gohati und Trivia lange, ob es relevant ist, die Treibstofftanks nach dem Flug in einen Seitenarm der Milchstraße wieder aufzufüllen oder mit den taktisch bemessenen Reserven weiterzufliegen. Auch eine Rückkehr zum Heimatplaneten wäre noch möglich. Die Diskussion wirkt wie die Quadratur des Kreises und dient in der vorliegenden Form nur einem Zweck. Ein Sonnensystem in der Nähe anzufliegen und damit den „blauen Planeten“, also die Erde zu entdecken. Carlos Rasch macht aus der Sicht der Fremden und für ein Buch aus den sechziger Jahren signifikant deutlich, wie selten ein derartiger wasserreicher Planet im Universum ist. Selbst die Heloiden müssen auf ihrer Welt an dem kostbaren Nass sparen.
Das Volk der Heloiden bzw. deren Wissenschaftler wird von Carlos Rasch sehr ambivalent beschrieben. Ein abschließendes Bild bleibt vage. Sie scheinen Vegetarier zu sein, da sowohl die Opferung von Tieren als auch der Genuss von Fleisch abstoßend auf sie wirkt. Sie scheinen weiterhin Pazifisten zu sein, denen das Wohl von intelligentem Leben über allem steht. Daher auch die extreme Reaktion auf die aus ihrer Sicht barbarischen Beerdigungsrituale der Menschen im Zweistromland. Hinsichtlich des Kontakts mit Fremden sind sie nicht unerfahren, auch wenn es sie überrascht, das eine noch primitive Zivilisation auf diesem aus ihrer Sicht perfekten Planeten leben und sich entwickeln kann.
Technik wird nur als humanitärer Fortschritt eingesetzt. Sie sind sich der katastrophalen Auswirkungen ihrer Triebwerke bewusst und setzen die Atomenergie nur spärlich ein. Bei den Halbwertzeiten verfehlt Carlos Rasch im Gegensatz zu seinen sonstigem Ingenieurhintergrund jegliche Realität.
Die Heloiden sind nicht an irgendwelche Kontaktregeln gebunden. Sie stellen sich als Besucher von den Sternen vor. Aber sie lehnen es ab, Götter zu sein. Ganz bewusst machen sie klar, dass sie auch intelligente Wesen sind. Sowohl Anbetung als auch später ein opportunistisches Ausnutzen ihrer Personen durch die Priesterkaste sind ihnen zuwider. Carlos Rasch macht deutlich, dass es auch den Priestern im Grunde um Macht und Dominanz, aber nicht um Glauben geht.
Für einen utopisch technischen Roman aus den sechziger Jahren konzentriert sich Carlos Rasch bei den Außerirdischen aber nicht nur auf den futuristischen Aspekt ihres Raumschiffs, das mit seiner an einen Hubschrauber erinnernden Konstruktion der Beiboote dann wieder bodenständig gegenwärtig erscheint, sondern auch auf das Leben an Bord. So lässt Carlos Rasch die geschlechterspezifische Aufteilung zukünftiger Expeditionen diskutieren. Noch nicht in sexueller, sondern bislang nur sozialer Hinsicht. Carlos Rasch setzt sich auf mit verschiedenen gesundheitlichen Problemen langer Raumexpeditionen auseinander. Diese führen schließlich dazu, das sich ein Mitglied der Heloiden auf der Erde absetzt und lieber alleine/ isoliert unter Menschen lebt als ins Raumschiff zurückzukehren.
Bei der Sumerer Kultur auf der Erde rennen sie nur bedingt offene Türen ein. Die Fremden mit ihren ungewöhnlichen, aber humanoiden Erscheinungen und der Ringflüglertechnik sowie dem weißen Strahl als eine Art „Allzweck“ Technik sind mehr oder minder stumme Beobachter, die auf ihren Expeditionen, aber auch ihrer Beobachtung der menschlichen Entwicklung über einen sehr kurzen Zeitraum schnell feststellen, dass die Menschen auf die gleichen evolutionären Probleme gestoßen sind, welche die Heloiden natürlich vor Jahrtausenden überwunden haben. Das aktive Eingreifen beschränkt sich dann allerdings auf nur wenige Ratschläge. Nur bei den Beerdigungsritualen wird eine grenze überschritten, welche die Fremden aktiv zwingt, gegenzulenken. Carlos Rasch überdeckt diese Szene aber mit einem weiteren, die Existenz der ganzen Zweistromlandzivilisation bedrohenden Naturkatastrophe. Die Auflösung dieser Gefahrensituation reiht sich in die Phalanx von Erklärungen hinsichtlich der monumentalen Monolithen in der Bekaa Ebene und damit auch den Treppen von Baalbeck, sowie der Entstehung der an Glas erinnernden Wüstenoberfläche und dem ungewöhnlichen Verlauf mindestens einer Sintflut. Die Heloiden geht abschließend so weit, dass sie mit der Schaffung eines neuen Meeresverlaufs die Wiege der Menschheit für Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende absichern.
Die Mischung aus historischen Fakten und wilden Spekulationen, denen von Dänikens Jünger immer noch nachjagen, dominiert die sehr viel lebhaftere, aber vielleicht auch zu kompakt geschriebene zweite Hälfte des Romans. Die Geduld der Leser wird aber durch viele kleine Details abschließend belohnt.
„Der blaue Planet“ ist wahrscheinlich der beste Roman aus Carlos Rasch Feder, der durch die in der tiefsten Vergangenheit spielenden Szenen weniger stark gealtert ist als seine utopisch technischen Texte. Politik spielt nur bedingt eine Rolle, in welcher die grausame Mentalität der noch primitiven Menschen von den noblen Außerirdischen anfänglich durch Ratschläge, später einmalig durch ein aktives Eingreifen positiv im Sinne einer intergalaktischen Gemeinschaft korrigiert wird.
- ASIN : B00HTE2C9W
- Herausgeber : (Berlin), Das Neue Berlin (1963). (1. Januar 1963)
- Umfang ca. 240 Seiten