MORIARTY- Das mechanische Imperium

Fred Duval

Fred Duval und Jean- Pierre Pecau nutzen im Grunde Sherlock Holmes zusammen mit seinem ehr spärlich eingesetzten Doktor Watson als Hintergrund, um eine rasante Steampunk Geschichte zu erzählen, die wenig bis gar nichts mit dem viktorianischen Sherlock Holmes mehr zu tun hat.

Dieser Tatsache muss sich der Leser von Beginn an bewusst sein. Nur zu Beginn wirkt der Handlungsbogen noch wie ein Milieuabenteuer, in dem Sherlock Holmes deduzierend agieren kann. Ein Pokerspieler namens Mister Gibbs nimmt seit einigen Wochen die Londoner Oberschicht am Spieltisch aus. Anscheinend an den Rollstuhl gebunden befindet sich in seiner Gesellschaft immer eine Krankenschwester. Sherlock Holmes soll überprüfen, ob der Mann wirklich ein derartig brillanter Spieler oder ein intelligenter Betrüger/ Hochstapler ist. Seine Lösung ist höflich gesprochen effektiv. Sie basiert teilweise auf seinen Beobachtungen, aber wird vor allem von der Idee bestimmt, dass menschliche Schwächen nicht „jedermanns“ Sache sind. Die Szene lösen die beiden Autoren allerdings nicht wie ein britischer Gentlemen auf. Es ist nicht das letzte Mal in dieser Geschichte, dass Sherlock Holmes nicht nur seinen Verstand, sondern auch moderne Waffen teilweise unnötig und hinterhältig einsetzt.

An einer anderen Stelle verlangt ein Mann nach Opium. Es handelt sich um Dr. Jekyll. Der Leser ist Sherlock Holmes natürlich einen Schritt voraus, denn der Detektiv soll das Verschwinden des bekannten Doktors aufklären. Es ist nicht der erste Auftritt Robert Louis Stevensons monströser Schöpfung in den französischen Sherlock Holmes Comics. Es gibt keine Bezüge zu den anderen Serien. Aber selten sind Hyde/ Jekyll so ambivalent eingesetzt worden. Während des Finales ist es die rohe Kraft oder besser Männlichkeit der gespaltenen Persönlichkeit, welche schließlich den „Sieg“ bringt. Aber im Grunde ist die Wahrscheinlichkeit, gegen einen solchen Gegner zu bestehen, niedriger als Sherlock Holmes intellektueller Schachzug zu Beginn.

Sherlock Holmes folgert aufgrund eher rudimentärer Informationen, die Mycroft Holmes mit vagen Hinweisen anreichert, auf eine Rückkehr seines Erzfeindes Moriarty.  Angeblich wäre dieser Mann das einzige Genie, dass derartige Erfindungen hervorbringen kann. Zusammen mit einem jungen agilen Winston Churchill macht sich Holmes auf die Suche nach dem Mann.

Im Gegenüber steht mit der attraktiven Witwe Alfred Nobels und ihren Hintermännern eine geheimnisvolle wie rücksichtslose Frau, die anscheinend auch ihren schwerreichen Mann umgebracht hat.

Sherlock Holmes Ermittlungen werden eher differenziert dargestellt. Geht der Leser von dem theoretischen Fall aus, dass wirklich Moriarty hinter den Aktionen gegen das britische Imperium steht, dann agiert dieser ambivalent. Zu den Stärken gehört die Doppelgesichtigkeit nicht nur Jekyll / Hydes, sondern vor allem der britischen Adligen, die in der Öffentlichkeit Wasser predigen und heimlich Wein saufen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es um das Glücksspiel, gekauften Sex oder schließlich Rauschgift geht. Sie haben nicht nur alle ihre Laster, es handelt sich ausschließlich um Opportunisten, denen man ihren Fall eigentlich gönnen sollte.

Moriartys Plan ist grundlegend ausgesprochen ambitioniert, fast zu schwierig aufgebaut. Er will den Rauschgifthandel unter Kontrolle bringen, in dem er die Gesetzgebung verstärkt und gleichzeitig gigantische Mengen hortet.

Er will die Kontrolle über das britische Imperium erlangen, in dem er sich erst eine perfekte menschliche Waffe einfängt, sie repliziert und dann in einer der besten Szenen des ganzen Buches freilässt. Der überforderten britischen Regierung will er im Gegenzug perfekte Waffen andrehen, die auf einem drahtlosen System von Doktor Tesla (sic) basieren.

Damit dieser Deal aber komplett über die Bühne gehen kann, muss er die Königin erst bedrohen und dann quasi ersetzen. Mit den folgenden „Operationen“ allerdings bringt sich Moriarty vielleicht arrogant oder nur ungeduldig wieder in Gefahr.

Einige Schritte basieren auf dem Zufall. Für einen derartig komplexen und komplizierten Plan muss zuerst die geheime Formel Dr. Jekylls gestohlen werden. Wäre das Versteck nicht bekannt, könnte der Plan nicht funktionieren.

Anstatt anschließend in Ruhe die destruktive Situation auszunutzen und für Stabilität zu sorgen, überdreht Moriartys Mittelsmann das Szenario und lockt nicht nur Sherlock Holmes aus seinem Versteck.

An einer anderen Stelle wird Sherlock Holmes gefangen gehalten, bis der „Boss“ ankommt. Das sind immerhin mehrere Tage. Auch wenn Sherlock Holmes mit einem Fluggerät der Wrights sich an die Verfolgung gemacht hat und London von Baskerville weiter weg liegt, hätte Moriarty angesichts der Wichtigkeit der Situation mit einem Zeppelin mehrmals in der verstrichenen Zeit zu seinem in diesem Moment hilflosen Widersacher kommen können. So kann Sherlock Holmes mit einem fast naiv zu nennenden Bauerntrick wenigstens kurzzeitig entfliehen und sich eine visuell ohne Frage auffällige Verfolgungsjagd leisten.

In London warten Mycroft Holmes, Doktor Watson und Winston Churchill mit ein wenig Sorge ab, da Sherlock Holmes nicht selten längere Zeit verschwunden ist. Angesichts der kontinuierlich stärker werdenden Bedrohung eine seltsame Haltung.

Ein großes Problem ist die Behandlung von Gewalt. Es ist eine rohe, brutale Geschichte mit im Grunde Monstren. Stevan Subic ist sich nicht zu schade, platzende Köpfe und Blut überströmte Straßen zu zeigen. Auch Sherlock Holmes hat kein Problem, einen Gegner eher zu töten als ihn nur „unschädlich“ zu machen. Dazu kommen eher an Schraffuren als detailverliebte Graphiken erinnernde Bilder voller Dynamik, die aber die Grenze zur Karikatur überschreiten. Wie bei allen anderen französischen Sherlock Holmes Alben unterschiedlicher Künstler ist allerdings die Gegenentwurf eine verliebte Darstellung viktorianischer Gebäude inklusiv entsprechender Inneneinrichtungen, dazu Steampunkinstrumente mit möglichst vielen Ecken und Kanten. Aber dieser Hang zur übertriebenen „Künstlichkeit“ unterminiert eine Geschichte, die von einem sehr hohen Tempo geprägt ist und den Leser am besten nicht nachdenken lassen sollte, damit die verschiedenen Konstruktionen im Handlungsverlauf nicht zu offensichtlich werden.

Wie Robert Downey jr. Sherlock Holmes aus den beiden Kinofilmen haben Fred Duval und Jean- Pierre Pecau wenig kontinuierlichen Zugriff auf den berühmten Detektiv. Sie agieren zu impulsiv, so dass wie zu Beginn sehr gut entwickelte Szenen vor allem den verschiedenen Hetzjagden am Ende des Doppelbandes gegenüber stehen. Der ganzen ohne Frage in der Theorie intelligent und vielschichtig entwickelten, aber teilweise sehr pragmatisch umgesetzten Geschichten steht eine „anything goes“ Steampunkstruktur gegenüber, die Sherlock Holmes im Grunde nur nutzt, aber im positiven Sinne zu wenig benutzt, um eine einen gigantischen Bogen schlagende Geschichte zu erzählen, deren Ziele mit ein wenig mehr Zurückhaltung wahrscheinlich einfacher erreicht worden wäre.    

  • Gebundene Ausgabe: 128 Seiten
  • Verlag: Splitter-Verlag; Auflage: 1. (27. September 2019)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3962192980
  • ISBN-13: 978-3962192983

M.O.R.I.A.R.T.Y.

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