Der Metropolist

Seth Fried

Seth Fried hat mit seinem Debütant „Der Metropolist“ einen vor allem auf der Charakterebene sehr interessanten Roman verfasst, dessen Grundhandlung vielleicht ein wenig zu einfach angesiedelt worden ist. Seth Fried arbeitet vor allem als Rezensent, Essayist und Kurzgeschichtenautor, so dass er für sein Debüt clever vorgegangen ist und sich weniger auf einen ausgedehnten Plot, als eine gut von einem emotionalen Rahmen eingefasst relativ simple Geschichte konzentriert hat.

Und als sich der stoische Protagonist Henry Thompson genau die Fragen stellt, welche die Terroristen zum Handeln bewogen haben, schwenkt der Spannungsbogen im Epilog ab und konzentriert sich auf die Erneuerung einer einzigartigen Freundschaft. Natürlich ist die Argumentationskette seiner Vorgesetzten arrogant bis kapitalistisch- rassistisch, aber betrachtet der Leser das ganze Szenario, dann haben sie sogar ein wenig recht. Zu viel „Luxus“ zieht Menschen an und einzelne Stadtteile des gigantischen Molochs drohen zu ersticken, während andere Teile weniger der Stadt, sondern des Landes veröden. Eine abschließend befriedigende Lösung gibt es nicht. Daher ist die Vorgehensweise der Klicke um den Bürgermeister mindestens hinterfragenswert, wenn nicht sogar von Beginn an kriminell.

Grundlegend hat Seth Fried aber auf ein klassisches und sicheres Format zurückgegriffen, um Lücken in seinem Plot zu schließen. Das Buddyfeature. Zwei unterschiedliche „Menschen“, die sich anfänglich kritisch gegenüber stehen, werden im Laufe einer Mission, eines Auftrages durch gegenseitigen Respekt und das Retten von Leben mindestens zu Partnern, wenn nicht sogar zu Freunden.

Je exzentrischer dabei die Protagonisten sind, desto einfacher wird es,  den Plot zu strecken.  Henry Thomspon arbeitet für die Infrastrukturbehörde. Er hat in jungen Jahren seine Eltern beim zweischlimmsten Eisenbahnunglück der USA verloren. Er ist ein einsamer Mann, der für seinen Job lebt. Einer dieser übereifrigen Beamten, die alles besser machen wollen und deswegen mit ihrer minutiösen Beharrlichkeit nicht nur die Kollegen, sondern stellenweise auch die Vorgesetzten nerven. In seinem tiefsten Herzen ist er einsam, verunsichert und hält sich an dem festen Zeitplans seines Lebens fest.

Und so möchte er auch am liebsten seine Stadt sehen. Die gigantische namenlose Metropole, für die er an einer „fließenden“ Infrastruktur projektbezogen arbeitet.  Diese Stadt als Inbegriff des amerikanischen Traums und Traumas ist zwar allgegenwärtig, aber erstaunlicherweise macht sie Seth Fried nicht zu einer weiteren Persönlichkeit. Immer wieder werden die  Errungenschaften des Fortschritts beschrieben und der Leser hat das Gefühl, Fritz Langs Metropolis – allerdings nur die Oberwelt – entstehend zu sehen.

Diese Welt ist vordergründig zu perfekt, um sie zu erhalten. Zwei Ereignisse finden fast parallel statt. Die Tochter des Bürgermeisters wird entführt. Bis dahin ist sie das All American Girl der Medien gewesen. Hübsch wie bescheiden, klug wie hilfsbereit. Perfekt wie die Stadt. Und in der Stadt explodieren Bomben, die sich vor allem gegen allgemeine Einrichtungen wie Museen richten.

Die Behörde schickt den unwahrscheinlichsten Kandidaten nach Metropolis, um die Tochter des Bürgermeisters zu finden und gleichzeitig nach den Hintergründen der Attentate zu forschen. Auch wenn Henry Thompson einen guten Begleiter an die Seite gestellt bekommt, ist die Ausgangsidee zu schwach und unwahrscheinlich vorbereitet.  Es erscheint unglaubwürdig, dass eine Art Autist ohne jegliche Erfahrung außerhalb seines Projektmanagements und vor allem Kontakt zur Außenwelt losgeschickt wird.

Natürlich spielt der neue Partner an seiner Seite eine wichtige Rolle. Aber hätte man dessen Fähigkeiten und vor allem an Charaktere aus dem Film Noir erinnernden Benehmens nicht besser mit jemand anders aus der Behörde kombinieren sollen oder müssen. Lange Zeit erwartet der Leser, dass Henry Thompsons Mission im Grunde von Beginn an scheitern sollte und er deswegen ausgesucht worden ist. Das ist aber nicht der Fall.

Auch von einem ausgleichenden Element kann nicht gesprochen werden, da es keine Erfahrungswerte gibt. 

Sein Partner ist OWEN. Er ist die Projektion des hinter fast allen Funktionen der Stadt stehenden Supercomputers. Er hat sich quasi einen Körper „geschneidert“, wobei er nicht nur sich selbst, sondern auch Henry Thompson jederzeit verfremden und damit tarnen kann. Er liebt es, zu trinken, wobei er die Folgen eines Rauschs natürlich simulieren muss. Er weiß alles, er kann mit seinen Krawattennadeln alles sehen. Bedroht wird er nur durch ein Virus, dessen Elimination im Grunde natürlich eine Löschung seiner Persönlichkeit bedeutet. OWEN spielt den harten Macho mit dem Herzen aus Gold. 

Weniger in Owens Persönlichkeit, aber vor allem seinen Fähigkeiten liegt auch ein Problem das Romans. Im Grunde wirkt er wie eine 3D Projektion des  Terminators aus dem zweiten Teil der Serie. Er kann Waffen aus dem Nichts erschaffen, sich und Henry jederzeit tarnen und mit seinen allerdings im Laufe des Buches ein wenig eingeschränkten Sinnen auch alles hören oder orten.  Allerdings kann man ihn auch mit anderen Mitteln einschränken. Interessant ist, dass OWEN logisch denkend seinem Partner überlegen ist, im abstrakten Nachdenken allerdings vielleicht an seiner künstlich überhöhten Phantasie scheitert.

Die Ermittlungen schreiten relativ zügig voran. Der einzige in Frage kommende Verdächtige ist das Genie, das viele Infrastrukturmaßnahmen der Stadt geplant hat. Vor einigen Wochen ist er verschwunden. Auch das Verhältnis zur Bürgermeistertochter wird schnell geklärt. Aber das Versteck ist genial ausgesucht und die Idee dahinter einer der Höhepunkte. Echte Spannung kommt nicht auf. Auch die Bedrohung der beiden Protagonisten hält sich in Grenzen. Während einer der finalen Begegnungen scheint Seth Fried gerne auf das James Bond Klischee mit den ausführlich ihre jeweiligen Pläne erläuternden Antagonisten zurückzugreifen, ohne nachhaltig überzeugen zu können.

Als Ganzes ist das Buch aber sehr kurzweilig geschrieben. Zieht der Leser den umfangreichen Prolog, aber auch den ausgesprochen langen Epilog nach dem finalen Showdown ab, dann reichen knapp zweihundertvierzig großzügig bedruckte Paperbackseiten, um die ganze Geschichte zu erzählen.  Daher bleibt die Metropolis ein wenig auf der Strecke und nur an wenigen Stellen hat der Leser das Gefühl, sich wirklich in einer gigantischen perfekt geplanten Stadt der Zukunft zu bewegen.

Am Ende steht neben der Festnahme der Täter die Erkenntnis, das Henry Thompson aus seiner Isolation, seinem Träume aufwachen muss. Die Freundschaft zu OWEN hat zumindest erreicht, dass er sich seinen Gefühlen stellt und die Trauer um die Eltern überwinden muss. Natürlich wird damit auch sein einem Beamten gleichenden Lebenskreislauf durchbrochen und er muss eigene Entscheidungen beginnend mit einem langen Urlaub treffen. Aber dieses Erwachen ist ein klassischer, nicht unbedingt überraschender Abschluss des ganzen Falls und macht die ansonsten an eine Karikatur erinnernde Figur zugänglicher. Damit wird die Distanz zum OWEN – selbst dessen vorletzte Mitteilung ist unterhaltsamer als Henry Thompson Selbstmitleid während des ganzen Romans – ein wenig überbrückt und der Autor drückt klarer aus, warum in diesem Fall Mensch und KI tatsächlich nicht nur auf Augenhöhe miteinander agieren können, sondern vor allem so etwas wie Freunde werden sollten und müssen.

„Der Metropolist“ ist ein gutes Debüt mit einigen Schwächen, die aber umgehend auf der Charakterebene keine Grenzen überschreitend, aber zufriedenstellend ausgeglichen werden. Der Plot liest sich trotz der ein wenig einfachen Grundstruktur, die niemals weiter extrapoliert wird, zügig und flott. Es ist nicht Pulp Fiction, die auf Science Fiction trifft. In dieser Hinsicht liegt der Klappentext daneben. Aber wenn man unbedingt in den Bereich der Filme gehen möchte, dann erinnert manches an „Ein Computer wird gejagt“ aus den siebziger Jahren mit Bezügen natürlich zu „Lethal Weapon“ vor den fertigen Kulissen Fritz Langs „Metropolis“.

Der Metropolist: Roman

  • Broschiert: 320 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag; Auflage: Deutsche Erstausgabe (15. Juli 2019)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 345332014X
  • ISBN-13: 978-3453320147
  • Originaltitel: The Municipalist