Mit "Eine Sache der Diplomatie" beginnt nicht nur die zweite "Rettungskreuzer Ikarus" Trilogie dieses Mal aus der Feder des Seriengründers Dirk van den Boom, mehr noch als Irene Salzmanns empfehlenswerte Romane ist es ein idealer Einstieg in die Serie, da sich Dirk van den Boom sehr viel Zeit nimmt, ein neues Szenario zu entwickeln und die Hintergrundinformationen die handelnden Protagonisten stellvertretend mit den Leser präsentiert bekommen.
Das liegt am Planeten Talith, einer im Grunde aktiv abgeschotteten Welt, die sich plötzlich in den Mittelpunkt eines potentiellen Grenzkonfliktes zwischen Persephone und Chirok geschoben fühlt. Die Talithi gehören zu den alten Völkern, die relativ früh Raumfahrt betrieben haben und inzwischen den Tiefen des Alls den Rücken zugekehrt haben. Aus dieser Konstellation ergibt sich auf der zweiten, nicht politischen Handlungsebene ein gänzlich anders Problem, das im Auftaktband inhaltlich zu den Stärken des Romans gehört. Es gibt auf dieser Welt ein "akutes" - dieser Begriff muss im Verlaufe der Handlung relativiert werden - medizinisches Problem, bei dem Doktor Anande und indirekt die "Ikarus" helfen kann. Die Grundidee wird dabei vom Autoren sehr gut entwickelt. Mit einer interessanten Mischung aus Herausforderung und Melancholie beschreiben die fatalistischen Talithi ihre "Krankheit" und sehen der Zukunft höflich gesprochen gelassen entgegen. Ganz bewusst ist diese "Erkrankung" auch als Gegenentwurf zum Wanderlustvirus entwickelt worden und sollte in den folgenden Romanen nach Bekanntwerden die verschiedenen diplomatischen Interessen vor zusätzliche Probleme stellen. Selten ist eine Diskrepanz zwischen den verschiedenen politischen, von außen drängenden Parteien und dem Wohle der "Betroffenen" interessanter beschrieben worden. Es bleibt zu hoffen, dass der Autor in den folgenden Romanen keine "Deus Ex Machina" Lösung präsentiert oder Medikamente aus der tiefsten Vergangenheit ans Tageslicht befördert, sondern dass er sich mit dem Problem auf originelle Weise auseinandersetzt. Dirk van den Boom hat zusätzlich diese dreigeschlechtliche Gesellschaft - obwohl er mit der Idee des Neutrums noch nicht viel anfangen kann und die Beschreibungen teilweise trotz oder gerade wegen des Hinweise auf das Unwissen der ganzen Galaxis hinsichtlich des Phänomens des Neutrums bislang eher als Seitenfüller erscheinen - sehr detailliert und überzeugend beschrieben. Vielleicht wirkt die Idee möglicher Hinterlassenschaften des alten Volkes ein wenig zu klischeehaft, aber alleine die Lage des Planeten ist ausreichend, dass die bisherige Weltordnung der Talithi durcheinander gebracht werden könnnte. In der deutlich spannenderen zweiten Hälfte versucht der Autor dem bis dahin solide entwickelten, aber anscheinend ausschließlich als Sprungbrett für die folgenden Romane - Irene Salzmann hat im ersten Band ihrer Trilogie ein gänzlich anderes Tempo vorgelegt - dienenden Plot noch einige Wendungen zu geben. Für ihre Erfahrung agieren die Talithi plötzlich anscheinend aufgrund eines "Logistikfehlers" zu naiv und zu auffällig, so dass die erfahrene Spürnase der "Ikarus" Besatzung sich nicht einmal Mühe hinsichtlich potentieller Konfliktfelder geben muss.
Schon in "Eobal" hat sich Dirk van den Boom an intergalaktischer Diplomatie im Stile eines Keith Laumers oder Lloyd Biggle jrs versucht. "Eobal" ist ein deutlich humorvollerer Roman. Wer angesichts des provokanten Titelbildes ausschließlich humorvolle Unterhaltung vielleicht auch in Anlehnung an John Fords "How much for just the planet?" erwartet, wird ohne Frage überrascht. Die Grundidee – eine auf den ersten Blick primitive/unterlegene/ isolierte Welt zwischen zwei Fronten – ist dabei genauso wenig originell wie der mögliche Konflikt sowie in den meisten Fällen die abschließende Überraschung, dass die Fremden doch nicht hilflos sind. Der Autor geht in vielerlei Hinsicht einen anderen Weg. Vor Äonen waren die Talithi vielleicht sogar mächtiger als die gegenwärtig sich in absehbarer Zeit zum wiederholten Mal bekriegenden Parteien. Das Volk ist genetisch „müde“ geworden und ihr potentielles Erbe könnte sehr viel interessanter, aber auch gefährlicher sein als der drohende Krieg. Hinzu kommt die medizinische Komponente, die ebenfalls nachvollziehbar vorbereitet worden ist und der erstaunlich außerhalb der teilweise pointierten Dialoge ernste Tonfall, der auf den ersten Blick gar nicht so zu dem ansonsten „lauten“ und gerne provozierenden Schriftsteller aus Saarbrücken passt.
Dagegen legt Dirk van den Boom stilistisch vielleicht manchmal ein wenig zu flapsig und stellenweise erstaunlich umständlich bei den meisten gegenwärtig oder später noch wichtigen Figuren im Vergleich zu seinen anderen Romanen sehr viel mehr wert auf eine dreidimensionale Charakterentwicklung. Nicht umsonst teilen sich der chirokische Botschafter Boldwin und Captain Sentenza mit teilweise langen, selbst reflektierenden Passagen den Roman unter sich auf. Sentenza wirkt nach den beiden langen Abenteuern gegen die Outsider und mit dem Wanderlustvirus ein wenig ausgelaugt und müde. Ihre Abneigung gegen die Politik im Allgemeinen und den mehrfachen Missbrauch des "Rettungskreuzers Ikarus" im Besonderen ist deutlich spürbar. Herausragend ist allerdings als Figur bislang der Botschafter der Chiroken Boldin. Die Chiroken sind überdurchschnittlich große Lebewesen, die laut Beschreibung wie wandelnde Äste erscheinen. Vielleicht hätte der Autor über die Beschreibung hinaus sie noch ein wenig fremdartiger definieren sollen, denn die nicht selten selbstreflektierenden Charakterbeschreibungen wirken teilweise zu menschlich. Boldin hat keine leichte Aufgabe. Seine politischen Gegenspieler sind schon länger auf dem abgeschiedenen Planeten und konnten schon hinsichtlich der Errichtung einer Flottenbasis auf der Planetenoberfläche weiter vorfühlen. Aber auch Boldin ist ein Diplomat, der positiv aus den negativen Erfahrungen seiner langen Dienstjahre gelernt hat und jetzt weniger ehrgeizig/ ambitioniert, sondern vorsichtig taktierend an diese undankbare Aufgabe herangeht. Aber auch bei Boldin definiert Dirk van den Boom angesichts der Kürze des Plots seine Figur weniger über Aktion denn distanzierte, reflektierende Beschreibungen, was den Zugang zu den interessanten Protagonisten nicht immer erleichtert und den Roman sperriger ausschauen lässt als er es eigentlich verdient.
Als Einzelwerk betrachtet ist "Eine Sache der Diplomatie" ohne Frage wie schon angesprochen ein interessanter und lesenswerter Auftakt. Im Gegensatz zu vielen anderen "Ikarus" Romanen wird der Leser stellvertretend mit der Crew des "Rettungskreuzers" weniger unmittelbar und zu Beginn mit den Folgen/ Auswirkungen eines nicht selten medizinisch exotischen Problems konfrontiert, auf das sie nur reagieren können, sondern auf Augenhöhe mit dem Leser entwickelt der Autor parallel den anfänglich dominierenden politischen Aspekt des Romans im Gleichschritt mit der Aufdeckung des medizinischen Problems. Diese Vorgehensweise ermöglicht es Dirk van den Boom, zu Lasten der Action den Plot solider vorzubereiten und das Tempo hoffentlich in den beiden folgenden Fortsetzungen dieser trotzdem kurzweilig zu lesenden Einleitung anzuziehen.
Titelbild: Emmanuel Henné
Paperback, ca. 100 Seiten, ISBN 978-3-86402-143-5.