Karl Herbert Scheer
Mit K.H. Scheers „Piraten zwischen Erde und Mars“ legt der Terranischer Club Eden K.H. Scheers ersten veröffentlichten Roman in der ursprünglichen Form direkt aus den Seiten der Zeitschrift „Das grüne Blatt“ entnommen allerdings in einem deutlich verkleinerten Format mit allen Innenillustrationen sowie einigen Anmerkungen in den Anhängen wieder auf.
Lange Zeit galt „Stern A funkt Hilfe“ als Scheers erste Romanveröffentlichung. Kritisch gesprochen ist das auch heute noch richtig, denn während „Piraten zwischen Erde und Mars“ in der angesprochenen Zeitschrift veröffentlicht worden ist, erschien „Stern A funkt Hilfe“ als eigenständige Veröffentlichung in einer Auflage von 5000 Stück. Erst danach ist auch dieses Buch in „Das grüne Blatt“ nachgedruckt worden. Als längere Veröffentlichung unabhängig von der Erscheinungsform muss „Piraten zwischen Erde und Mars“ jetzt als Debüt angesehen werden, als reine Romanveröffentlichung ohne Seriencharakter weiterhin „Stern A funkt Hilfe“.
Im Nachwort gehen die Herausgeber auf den Umsetzungsprozess ein. Ursprünglich sind einige Seiten in den K.H. Scheer Gedächtnisbänden nachgedruckt worden. Im Zuge dieses Prozesses reifte die Idee, den ganzen Roman in der unveränderten Form inklusiv einer Antwort K. H. Scheers auf Leserfragen zu seinen astronomischen Angaben und Geschwindigkeiten im All zu publizieren. Joe Kutzner hat die größten Unterschiede neben dem Titel zwischen „Piraten zwischen Erde und Mars“ sowie den Nachdrucken als Leihbuch, Heftroman und schließlich auch in K.H. Scheers eigener Taschenbuchserie im Pabelverlag unter dem geänderten Titel „Piraten zwischen Mars und Erde“ zusammengestellt.
Auffällig ist zusätzlich, dass die ursprüngliche Fassung vor allem stilistisch als auch hinsichtlich einiger umständlicher technischer Erläuterungen länger und weniger fokussiert erscheint, während positiv die ursprüngliche Form der Trennkapitel das Lesevergnügen mit einem kontinuierlichen Ansteuern von vorläufigen Höhepunkten als Cliffhanger nicht mindert, sondern im Gegensatz zum in dieser Hinsicht deutlich stringenteren Taschenbuch hebt.
Das Überformat der Wochenzeitschrift „Das grüne Blatt“ konnte nicht in der Gänze wiedergegeben werden. So ist nur als Extra eine exemplarische Seite im richtigen Format dem Taschenbuch mit einem aufreizenden, provozierenden Titelbild von Alexander Braccu im Stil der Pulp Science Fiction beigefügt worden.
In seinem Vorwort und teilweise Nachwort bezeichnet Kurt Kobler den vorliegenden Text euphorisch um „den wichtigsten deutschen Science- Fiction Roman nach dem Zweiten Weltkrieg handelt“ und relativiert die Aussage im gleichen Satz, dass er dabei die Handlung außer acht lässt. Ohne Frage hat die Veröffentlichung dieses Textes K.H. Scheer in seinem zukünftigen Weg geleitet und von den verschiedenen Genres – Piraten, Thriller – in die technisch utopische Richtung gezogen. Ohne diese Veröffentlichung wären einige andere Strömungen nicht möglich gewesen und es stellt sich in der Theorie natürlich die Frage, ob Walter Ernsting mit einem anderen Partner als K.H. Scheer an seiner Seite die „Perry Rhodan“ Serie auch auf ein derartiger Fundament hätte stellen können.
Viele Entwicklungen lassen sich nur in der Theorie extrapolieren, aber die Wiederveröffentlichung des ursprünglichen, vom euphorisch jugendlichen K.H. Scheer fast wie ein maritimes Piraten oder teilweise sogar Weltkriegsabenteuer mit den Gesetzlosen statt U- Booten, welche die Geleitzüge zwischen Erde und Mars angreifen und nicht wie im Zweiten Weltkrieg auf dem Atlantik, verfassten rasanten Abenteuergarns sowie den überdeutlich erkennbaren Anlehnungen an die technisch utopischen Stoffen eines Hans Dominiks mit der gelben Gefahr, ermöglichen es, zu K.H. Scheers literarischen Wurzeln zurück zu kehren und den Übergang zwischen den Nachkriegswehen – auch hier findet sich ein Hinweis, dass der Wiederaufbau Deutschlands in Scheers Roman deutlich länger als in der kommenden Realität gedauert hat – sowie der Aufbruchsstimmung aus der Perspektive eines heranwachsenden Autoren „mit zu erleben“.
Dass Scheer ein ambitionierter, manche sprechen von einem ehrgeizigen Fleißautor gewesen ist, steht nicht zuletzt aufgrund seiner außerordentlichen Disziplin über viele Jahre hinweg und den Ausgleich seines nicht immer griffig fließenden Stils durch faszinierende Szenarien und einen stakkatoartigen Aufbau der Handlung außer Frage. Viele dieser Positiva finden sich schon in seinen ersten Arbeiten. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist eine nähere Betrachtung dieser jetzt in der Ursprungsform sogar zugänglichen Veröffentlichung im Hinblick auf Fundamente für Scheers zukünftiges Werk interessant.
Geschickt verlegt er eine klassische Piratenhandlung in den erdnahen Weltraum. Das Buch beginnt mit einem eher nostalgisch verklärten Blick auf die inzwischen zur Routine gewordene Raumfahrt und eine lange Einführung in die moderne Raketenantriebstechnik. Schon auf den ersten Seiten verknüpft er seine fiktive historische Geschichte mit einer wahren Flut von Fakten, die einem Reporter stellvertretend für den Leser erläutert werden.
Mit diesem einfachen Trick hebt er seine Leser auf die gleiche Wissensebene wie seine Charaktere – für die spätere Handlung eine notwendige Grundvoraussetzung. Und in einer Art vollzogen, die später zu seinem Markenzeichen werden sollte: kompromisslos, kompakt und fundiert.
Die friedliche Fahrt des Frachtschiffs durch das All wird durch einen brutalen Piratenüberfall gestört, die dem Leser auf den ersten Seiten vertraut gewordenen Charaktere umgebracht. Es folgt ein rasanter Szenenwechsel zur Erde, die Regierungen des westlichen Staatenbundes im Gegensatz zu der großasiatischen Förderation (ebenfalls ein wiederkehrendes Motiv: Wie auch Hans Dominik geht Scheer davon aus, dass sich trotz aller Mentalitätsunterschiede und Abneigungen die wichtigsten Staaten in Asien zusammenschließen) beschließen, den Piraten eine Falle zu stellen.
Die Versorgung der irdischen Raumfahrt durch ein seltenes Element, das auf dem Mars gefördert wird, ist bedroht.
Allerdings hegen zumindest die Asiaten gewisse Vorbehalte gegenüber dem Westen und versuchen den Stoff – „... in der Hand der Asiaten bedeuten ungeheure Gefahr für die gesamte weiße Menschheit ...“ - – hinter dem Rücken der westlichen Allianz illegal zu kaufen. Im letzten Kapitel enthüllt Scheer die Zusammenhänge und verzichtet in einem direkten Vergleich zu Dominik, aber auch Paul Alfred Müller auf eine Rassendiskriminierung und zeigt, dass vor allem die Kapitalisten die eigentlichen „Schurken“ sind.
Mit den beiden Deutschen Mainhardt und Schulze werden zwei erfahrene Raumfahrer ausgewählt, in die Piratenorganisation nach einen Schauprozess einzusickern und deren geheime Basen auf der Erde und im All (einen gestohlenen Mondsatellit) ausfindig zu machen.
Der Leser wird diese Art der Vorgehensweise in zahlreichen von Scheers ZBV-Romanen, den ersten ATLAN Heften wiederfinden. Die Grundidee selbst hat der Autor auch schon in seinen Piratenromanen allerdings in ein wenig abgemilderter Form ausprobiert.
Interessant ist erst einmal, dass sich Scheer zwei deutsche Protagonisten ausgesucht hat und sich nicht an der angloamerikanischen Science Fiction orientierte.
Den beiden uneigennützigen Helden ist nur einer wichtig:
„‚Wir sind bereit, Sir. Sie werden nach Erledigung des Auftrages für unsere Rehabilitation sorgen, auch wenn wir nicht wiederkommen?’
Dabei stellt Scheer die beiden sehr ähnlichen Charaktere nicht als simple Machohelden dar, sondern bemüht sich, ein nuanciertes Charakterbild ihrer offenkundig überzeichneten heroischen Züge beizufügen. Im Nachwort erwähnen die Herausgeber, dass Scheer gerne seine Überhelden mit Herkules zumindest körperlicher Hinsicht verglichen hat. Da es bei Perry Rhodan nicht ausreichend funktioniert hat, machte der aus Friedrichsdorf stammende Autor vielleicht aus dem zukünftigen Großadministrator einfach einen Sofortumschalter.
Die Regierung veranstaltet in Frankfurt am Main den schon erwähnten Schauprozess wegen illegalen Handels mit Halldronium, dem seltenen Treibstoffelement, das die Piraten in Tonnen bei ihren Überfallen erbeutet haben. Sie werden unehrenhaft entlassen und ihre Kapitänspatente eingezogen. Der Prozess wird zu einem öffentlichen Schaulaufen. Kurze
Zeit später halten sich die beiden in einer einschlägigen Disco auf, um in Kontakt mit den Piraten zu treten. Diese planen, einen der modernsten Raumkreuzer der Streitkräfte zu stehlen und brauchen dringend zwei Piloten. Hinter der Piratenorganisation steht nicht nur unter einem
Decknamen ein skrupelloser Gangster. Bei den Utopia Classics hat Scheer dem „Hintermann“ sogar einen passenden Namen gegeben: Jaguar. In der Fassung von „Das grüne Blatt“ bleibt der Unbekannte wie Doktor Mabuse lange Zeit gesichtslos, während seine Helfer immer wieder kurz und prägnant skizziert werden.
Als dessen Identität entlarvt wird, sorgt Scheer für einen überraschenden Paukenschlag, der allerdings nur aus der Intention her, nicht aber einer begründbaren Logik folgend funktioniert.
Zusätzlich finden die Gangster Unterstützung bei dem wahnsinnigen Professor Romena, der in James Bond Manier einige Jahre vor dem ersten Ian Fleming Roman dank seiner Erfindungen von der Weltherrschaft träumt.
Erst später führt Scheer noch ein obligatorisches weibliches Wesen ein, das sich schließlich in einen der beiden Untergrundagenten verlieben wird. Damit hoffte Scheer, das deprimierende brutale Szenario zumindest für die Leser der Zeitschrift ein wenig erträglicher gestalten zu können und seinen beiden Agenten eine wieder menschliche Seite zu geben, nachdem sie immer wieder nach dem „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ Prinzip genauso skrupellos wie die Gangster vorgegangen sind.
Über weite Strecken wirkt „Raumpiraten zwischen Erde und Mars“ wie eine Matrize seiner zukünftigen Romane:
Zwei Männer – im Gegensatz zu seinen späteren ZBV-Romanen sind die beiden sowohl körperlich als auch intellektuell auf einem Level – auf einer geheimen Mission zur Rettung der menschlichen Zivilisation ...
rücksichtslose Verbrecher, die sich nicht um Menschenlebenkümmern und ebenso skrupellos von den Ordnungskräften ohne Vorwarnung erschossen oder atomisiert werden
ein Liebesinteresse, wobei die Frau nicht selten Tochter eines Intellektuellen oder Professors ist, ihren Vater bei seiner Arbeit unterstützt und dem Helden widerspruchslos verfällt, nachdem sie sich vorher nicht oder nur wenig für Männer interessiert hat
viel Technik, sowohl was Waffen als auch Raumschiffe angeht, allerdings überwiegend von einzelnen Personen und nicht großen, nationalen Organisationen entwickelt und eine geradlinige action-orientierte Handlung.
Zumindest im vorliegenden Roman hat sich Scheer vor allem in der jetzt vorliegenden Fassung bemüht, einzelne Höhepunkte am Ende der jeweiligen Zeitschriftenkapitel in den Vordergrund zu stellen und durch eine Art Sendungsbewusstsein zu ergänzen. Am deutlichsten erkennt man allerdings die grundlegende und zukünftige Ambition des Autoren im letzten Absatz des Romans:
„‚Dafür müssen wir mit allen Kräften sorgen. Die Menschen dieser Erde müssen lernen zusammenzuarbeiten und dürfen sich nicht immer wieder gegenseitig übervorteilen wollen, sonst bereiten sie eines Tages ihren eigen Weltuntergang vor.’“
Mit diesem sich in einer Reihe seiner Romane wiederholenden Credo bereitet er seine Leser nach den Schrecknissen des 2. Weltkriegs auf eine neue, allerdings auch streitbar demokratische Weltordnung vor.
In seinem ersten Roman setzt er nicht zuletzt aufgrund dieser Bemerkung und seinen faszinierenden Beschreibungen der Flüge von der Erde zum Mars und zurück – diese erinnern trotz der Bedrohung durch die brutalen Piraten auch an Beschreibungen einer romantisierten christlichen Seefahrt und wirken deswegen auch so überzeugend – den Grundstein für die angesprochenen Punkte, die sein Werk auszeichnen sollte.
Natürlich lässt sich auf der anderen Seite auch argumentieren, dass nicht selten der Faktor Zufall seinen beiden coolen Helden hilft und sich die Piraten unabhängig von ihrem vorhandenen und immer wieder betonten Misstrauen ausgesprochen naiv anstellen.
Auch die Vernichtung ihrer Basen – sowohl die Mondstation durch die beiden Agenten als auch ihr Unterwasserversteck durch einen Raketenüberfall ohne Vorwarnung oder die Erstürmung des Anwesens des Kopfes der Organisation – werden brutal und effektiv ausgeführt. Immer wieder macht Karl Herbert Scheer durch seine Protagonisten deutlich, dass Gesetzesbrecher kein Mitleid verdienen und wie ihre Opfer ohne Warnung getötet werden können und müssen, damit der Abschreckung genüge getan wird.
Die beiden Geheimagenten tragen eine Reihe von futuristischen Gimmicks bei sich, die vor allem den James Bond Verfilmungen der späten sechziger und frühen siebziger Jahre Ehre machen und in einem Kontrast zu Ian Fleming eher brutalen wie bodenständigen Romanen stehen. Ohne diese Ausrüstung wäre die Mission schon frühzeitig gescheitert, auch wenn Karl Herbert Scheer immer wieder eine zufrieden stellende Balance zwischen diesen technischen Hilfsmitteln und vor allem der Intuition/ Erfahrung seiner Protagonisten sucht.
In der vorliegenden Form im Gegensatz zu der überarbeiteten Neuauflage im Rahmen der „Utopia Classics“ ist Scheer Sturm und Drangstil mit seinen teilweise unnatürlich steifen Dialogen, seiner Holzschnittartigen Zeichnung seiner Protagonisten unabhängig von deren dynamischem Auftreten und seiner Absicht, das Tempo konsequent hoch zu halten und an wichtigen Stellen sich fast selbst überschlagend noch zu erhöhen, noch deutlicher zu erkennen.
„Piraten zwischen Erde und Mars“ ist nicht Scheers bester Roman. In die Tiefe gehende Arbeiten sollten in den folgenden Jahren erscheinen und zumindest mit offenen Augen lesenden Kritikern den Eindruck verschaffen, dass Scheer nicht nur ein Mann für die Brachiallösungen ist. Was die „Das grüne Blatt“ Version so auszeichnet, ist die Unbekümmertheit, mit welcher der Autor verschiedene Genres zusammenwirft, einmal kräftig umrührt, technologisch auf einen typischen Scheer Standard bringt und das rasant bis hektisch geschriebene Garn in eine Form presst, die der manchmal ein wenig zu simplen Handlung nicht immer gerecht wird.
Die empfehlenswerte Neuauflage des „Terranischen Club Edens“ ist alleine durch die Extras und die Seltenheit dieses Ur Scheers eine Anschaffung wert. Wer sich intensiver mit Scheers Wandel als Schriftsteller befassen will, sollte Joe Kutzners Vergleich am Ende als Sprungbrett nehmen, um die „Piraten zwischen Erde und Mars“ mit den „Piraten zwischen Mars und Erde“ einmal intensiver zu vergleichn.
Format Din A5, Softcover / Umfang: 154 Seiten
Farbiges Titelbild: Alexander Braccu
Preis: 7,50 € + Versand (BRD: 1,50 € / EU: 3,50 €)
Terranischer Club EdeN, Mai 2017
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Kurt Kobler
Feuerwerkerstr.44
46238 Bottrop
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