C.C. Finlay präsentiert nur eine Novelle in dieser Ausgabe. „Johny Rev“ von Rachel Pollack ist die inzwischen dritte Geschichte um Jack Shade. Der Leser braucht keine Vorkenntnisse hinsichtlich dieses übernatürlichen Ermittlers in einem New York City weniger der Gegenwart als ohne richtige Zeitangabe impliziert der fünfziger bis siebziger Jahre. Jack Shade arbeitet weiterhin als übernatürlich begabter Ermittler. Er verweist auch mehrfach auf seine bisherigen, nicht selten bizarr erotischen Fälle. In dieser Geschichte wird er – wie der Titel sehr verspielt suggeriert – von seinem eigenen durch Magie erschaffenen Duplikat gestalked, das er irgendwie wieder loswerden muss. Auch wenn die finale Auseinandersetzung gut beschrieben worden ist, wirkt der Weg unabhängig von den wirklich sehr gut gezeichneten Charakteren und vor allem den exotischen Hintergründen für die Länge der Geschichte nicht angemessen genug, so dass im Mittelteil die Erwartungshaltung der Leser nicht zufriedenstellend wird. In einem starken Kontrast zu dieser inhaltlichen Schwäche stehen die lebensechten Charaktere inklusiv der gut gezeichneten übernatürlichen Monster, der gezielte Einsatz von Magie und schließlich auch die liebevoll verklärt der Hardboiled Tradition folgende Beschreibung dieses fiktiven wie realen New York Citys. Wie die ersten beiden Jack Shade Geschichten leidet allerdings Rachel Pollacks Text unter seiner Hauptfigur. Der Funke springt nicht richtig über. Der Leser folgt Jack Shades Abenteuern eher aus einer neutralen Distanz und leidet nicht mit dem zu selbstsicheren, zu egoistisch gezeichneten Abenteurer, so dass den Texten das dunkle Herz fehlt, welche das überdurchschnittliche Titelbild dieser Ausgabe zu fassen sucht.
Naomi Kritzer führt ihre “Seastead” Saga fort. Nachdem die jugendliche Protagonistin am Ende der letzten Geschichte zusammen mit ihrer Mutter die vor der Küste der USA zusammengebunden, sich unabhängig erklärten Schiffe verlassen wollte, steht sie in „The Silicon Curtain: A Seastead Story“ doch wieder vor einer weiteren Herausforderung. Für Neueinsteiger ist die Story unabhängig von den teilweise fehlenden Vorkenntnissen wahrscheinlich spannender als die Anhänger dieser Saga, da die „alles oder nichts“ Herausforderung wieder sehr stark auf die Hauptprotagonistin zugeschnitten ist, die dank ihres allgegenwärtigen und trotzdem nicht auftretenden Vaters über die Generalschlüssel zu Bereichen der Schiffe verfügt, die andere nicht betreten können. Dadurch kann sie wieder einen perfiden Plan durchkreuzen, wobei sie die Erkenntnis erlangt, das die Anderen – in diesem Fall die USA – auch nicht besser sind als die politischen Freibeuter und ihre Opportunisten auf den Schiffen. Vieles wirkt an dieser solide geschriebenen Geschichte zu zentralisiert und das Flair der immer schneller verfallenden zusammengebundenen Schiffe vor der Küste versickert langsam, da Naomi Kritzer immer wieder kleinere Höhepunkte ansteuert, aber ein wichtiger übergeordneter Handlungsbogen inklusiv der entsprechenden Reifeprozesse in der jugendlichen Protagonistin vor allem in den letzten Geschichten deutlich zu kurz gekommen sind.
Matthew Hughes schreibt eine weitere Episode aus dem Leben seines Diebs Raffalon. In „The Curse of MyrmeloN“ steht er aber nicht alleine da. Der neugierige Cascor möchte nicht nur ihm auf die Spur kommen. In einem abgeschotteten Lagerhaus verschwinden Gegenstände. Raffalon soll einen magischen Detektor rein- und mit entsprechenden Daten auch wieder rausschmuggeln. Dafür darf er nicht in Konflikt mit der Gilde der Magier kommen. Dieses Mal ist Raffalon im Vergleich zu den letzten Stories, in denen der Dieb eher passiv gewesen ist, deutlich aktiver, was den Reiz dieser unterhaltsamen Geschichte ausmacht. Sie gehört zu den besseren Raffalon Stories der letzten Zeit.
Drei sehr ungewöhnliche “Reise”/ Begegnungsgeschichten vertreten in dieser Ausgabe die Bereich Fantasy, Science Fiction und schließlich auch Grusel. Im Vorwege könnte der Leser James Patrick Kellys „Oneness: A Triptych“ lesen, in welcher der Amerikaner die drei Genres in Form einer weniger erotischen, als bemühten Verführung zusammenführt. Während die mittlere Story am ehesten überzeugt, wirkt die virtuelle Realität genauso aufgesetzt wie die Auseinandersetzung mit den bornierten religiösen Eiferern aufgesetzt ist. Die Episoden sind zu kurz, um wirklich überzeugend zu können, so dass „Oneness“ leider nicht James Patrick Kellys sonstige Qualitäten erreicht. Also sollte sich der Leser auf die unterschiedlichen „Wanderungen“ der nächsten drei, aber nicht in dieser Reihenfolge im Magazin veröffentlichten Kurzgeschichten konzentrieren.
Tamsyn Muirs “The deepwater Bride” stellt nicht nur ihr Debüt als Autorin in diesem Magazin dar, die längere Kurzgeschichte ist auch für den Nebula Award nominiert worden. Es ist die Geschichte eines sechzehn Jahre alten Mädchens, das durch die eher ambivalent beschriebenen Dinge, die vom Meeresgrund hoch kommen, in die nicht immer schöne Zukunft sehen kann. Vielleicht wirken ihre Handlungen insbesondere in einem direkten Vergleich zur zahllosen phantastischen Jugendliteratur vorhersehbar, aber der ganze Plot ist dicht gestaltet worden und vor allem die enge Verbindung zwischen der nicht immer schädlichen Phantasie und der Realität ist sehr gut in dieser lesenswerten Kurzgeschichte herausgearbeitet worden.
Im Bereich der Science Fantasy ist „The Body Pirate“ von Van Aaron Hughes angesiedelt. Auf einer fremden Welt sind die Menschen scheinbar eine Symbiose mit den vögelähnlichen Kreaturen dieser Welt eingegangen. Dabei werden die „schwarzen Seelen“ aus der irdischen Mythologie übertragen auf diese immer mehr parasitär erscheinende Verbindung. Mit einem in zwei Blöcken gegenüber gesetzten Text versucht die Autor verspielt die Unterschiede zwischen den beiden in einem Körper doch wieder vereinten Wesen herauszuarbeiten. Es zeigt sich mehr und mehr, dass der Körper zwar eine Art Leben hat, aber von seinem Wirt abhängig ist. Stilistisch verspielt bis herausfordernd scheint der Stil den Inhalt vor allem im Mittelteil zu erdrücken. Grundsätzlich ist die Idee interessant, auch wenn sie besser in die Form einer Novelle gepasst hätte.
„Dixon´s Road“ von Richard Chwedyk könnte als der Science Fiction Entwurf dieser Idee bezeichnet werden. Stilistisch Stephen Kings frühe Novellen nachahmend ist es die Geschichte eines Fremden, eines Namenlosen, der das Haus eines berühmten Poeten besucht. Während Muirs jugendliche Figuren nach außen streben, neue Erfahrungen sammeln möchte, schreibt Chewdyk von einem Mann, der nach Hause kommt und wie der Leser schon ahnt, erkennen muss, das es sich nicht mehr um sein Zuhause handelt. Es gibt keinen Spannungsaufbau, keine Dramaturgie. Die Dialoge sind allerdings sehr subtil geschrieben worden und lenken den Leser ohne nachhaltige Manipulation einem Ende entgegen, das allerdings nicht abschließend überraschend ist.
In der dritten kurzen ungewöhnlichen Reisegeschichte „Paradise and Trout“ von Betsy James geht es um den Geist eines zehnjährigen Jungen, der irgendwo verzweifelt den Weg ins „Paradies“ zu finden sucht. Der kleine Junge kann sich nicht von den Dingen verabschieden, die er auf dieser dem Leser vertrauten Welt so geliebt ist. Er muss den Planeten viel zu früh verlassen. Da der Hintergrund zu wenig erläutert wird und der Leser dessen Entscheidungen eher aus der Ferne betrachtet, wirkt die Geschichte weniger wie eine ausgearbeitete Story als eine Fabel, deren Allgemeingültigkeit allerdings in Frage gestellt werden kann und werden sollte. Stimmungstechnisch handelt es sich um eine sehr schöne kurzweilig zu lesende Geschichte.
Bei den kürzeren Texten beweist "Into the fiery Planet" von Gregor Hartmann, das eine Geschichte mit einer im Grunde unlogischen Idee doch unterhalten kann. Der Protagonist bekommt die Chance, am Terraforming Prozess eines Vulkan Planeten mitzuwirken und zu zeigen, dass er ein vollwertiges Teammitglied ist. Die Grundprämisse funktioniert aber nicht. Es gibt zu viele Punkte, die gegen einen Terraforming Prozess ausgerechnet auf dieser Welt sprechen, zumal es anscheinend impliziert Alternativen gibt. In der Theorie ist der neue Mann mit seinem Wissen eine ideale Ergänzung dieses sehr lebendig und realistisch beschriebenen Teams von harten Arbeitern. Der Spannungsbogen ist gut entwickelt, aber die einzelnen Teile fallen wie eingangs erwähnt eher schwerfällig zusammen. Auch Oliver Buckrams "The Quintessence of Dust" leidet unter der von Ray Bradbury und weniger wie im Vorwort erwähnt Jack McDevitt abgeleiteten Ideen. Ein zu menschlicher Roboter macht sich in dieser Geschichte nach dem Verlust des menschlichen "Partners" auf eine Suche nach im Grunde der eigenen, nicht mehr kopierten Idee. Dabei wirken diese Roboter zu menschlich und alleine das Einflechten einzelner Wortphrasen hilft nicht unbedingt. Der Protagonist und Erzähler ist dreidimensional gezeichnet worden, wobei Buckram seine Prämisse zu wenig extrapoliert. Immerhin könnten so menschliche Roboter beginnen, den Gesetzen der Menschen zu folgen und sich gegenseitig bewundern, lieben und vielleicht sogar Partnerschaften eingehen. Es gibt in Buckrams Welt in dieser Hinsicht keine Grenzen, so dass der zur Verfügung stehende Raum vielleicht zu wenig genutzt wird.
Kathi Maios Filmkolumne beginnt sich ein wenig abzunutzen. Zum wiederholten Male wird auf Disney und die verschiedenen Inkarnationen seiner Neuinterpretationen eingegangen. Es stellt sich unwillkürlich die Frage, ob es nicht noch andere Filme gibt. Charles de Lint weist dieses Mal auf einige herausragende Bücher hin, die abseits der Genreerwartungen auf ein Publikum warten, während James Sallis zu ausführlich auf das allerdings bemerkenswerte Werk Laura can den Bergs eingeht. Dagegen erweist sich di Fillipo mit seinen Pegasus Notizen und der Abrechnung mit Hollywood wieder in Höchstform. Der beste sekundärliterarische Beitrag dieser Ausgabe.
Zusammengefasst präsentiert sich der „The Magazine of Fantasy & Science Fiction „Sommer 2015 als eher durchschnittliche Ausgabe mit einigen sehr guten längeren Kurzgeschichten, sowie manch kürzerer Arbeit, die leider nur stilistisch überzeugen kann.