Coco Zamis 34- Sonst fressen dich die Raben

Susanne Wilhelm & Catalina Corvo

Im letzten alleine von Michael Marcus Thurner verfassten Roman sind die Chroniken der jungen Hexe zumindest vordergründig von der "Dorian Hunter" Serie abgekoppelt worden. Der Dämonenkiller ist nach seinem Blutbad unter den Zamis zum neuen Wächter der Wiener Villa degradiert worden. Die Abkoppelung der beiden Serien auf der einen Seite forderte einen gewissen Widerstand unter den Stammlesern insbesondere der "Dorian Hunter" Arbeiten hervor. Auf der anderen Seite haben sich Uwe Voehl und Michael Marcus Thurner alle Seiten offen gelassen. Dorian Hunter ist nicht tot, sondern vor seiner ersten Begegnung mit "Coco Zamis" aus dem direkten Plot herausgezogen worden. Die Beiden fühlen sich zueinander angezogen und Coco Zamis erwartet sogar ein Kind von ihm. Ohne Probleme könnte Dorian Hunter befreit, seiner Erinnerung beraubt und wieder auf die Reise geschickt werden. Auch Coco Zamis könnte nach einer potentiellen Abtreibung des Kindes Dorian Hunter vergessen, so dass sich die beiden Liebenden erst in der geordneten Chronologie der Hauptserie zum dann allerdings nur dem Leser bekannt zweiten Mal kennenlernen. Dorian Hunter spielt keine Rolle mehr.

Im vorliegenden Doppelroman - verfasst von Susanne Wilhelm und Catalina Corvo- geht es weniger um eine weitere Abkoppelung von der Hauptserie, sondern die Erweiterung der Zamis Familie. Cocos Zamis hat sich inzwischen in ihrer mit einem magischen Schutzschild umgebenen Kneipe - von einem Kaffeehaus zu sprechen, wäre überzogen - häuslich eingerichtet und fühlt sich in ihrer zumindest in der Theorie bürgerlichen Existenz nicht unwohl. Auch geschäftlich scheint es dem Cafe Zamis gut zu gehen. Es gibt zumindest in der anfänglichen Theorie zwei kleine Probleme. Sowohl Skarabäus Toth als auch die eigene Familie sind hinter Cocon Zamis her und wollten sie für ihre erneuten Verfehlungen hinsichtlich der Hinrichtung Dorian Hunters zur Verantwortung ziehen. Auch wenn dieses Thema immer wieder im Verlaufe der Handlung betont wird und insbesondere Coco Zamis Vater handgreiflich wird, hat dieses Interesse an der jungen Hexe eher sekundäre Bedeutung für die Handlung.

Einen Großteil des Romans nehmen drei Rückblicke ein. Georg Zamis besucht seine Schwester in ihrem Cafe und überreicht ihre eine Mappe von Tagebuchaufzeichnungen ihres Bruders Volkart, der seit langer Zeit verschwunden ist. Vor vielen Jahren waren Volkart und Demian Zamis unzertrennlich. Dann wurde angeblich Demian Zamis von einer verfeindeten Dämonensippe getötet. Nachdem sich Volkart vom ersten Schock erholt hat, begann er nach seinem Bruder und dessen Seele zu suchen. Susanne Wilhelm hat Volkarts Geschichte vom Tod seines Bruders bis zur Einlieferung in eine ganz besondere Nervenheilanstalt an Hand dessen Tagebuchaufzeichnungen ergreifend und packend beschrieben. Der Leser muss sich in einer sehr ungewöhnlichen Situation mit dieser ihm bislang eher unbekannten Figur vertraut machen. Wie Volkart weiß er nicht, ob dessen Visionen und Erlebnisse in der Anstalt wahr sind oder sie seiner nicht näher definierten "Geisteskrankheit" zuzuschreiben sind. Wollten die Zamis das zweite schwarze Schaf der Familie nur abschieben oder ist Volkart durch den Tod seines Alter Egos wirklich wahnsinnig geworden?  Da Susanne Wilhelm nur die Tagebuchaufzeichnungen des verstörten Volkarts präsentiert, kann sich der Leser kein abschließendes Urteil erlauben und leidet mit Volkart mit.

Nach den Tagebuchaufzeichnungen beschließt Coco Zamis, ihrem Bruder zu helfen und verlässt das Cafe Zamis, um bei der eigenen Familie einzubrechen. Hier begegnet sie nicht nur ihrem Vater Michael Zamis, sondern erfährt im Grunde chronologisch deutlich früher angelegte Informationen über ihren Bruder. Damit rundet sich das Bild eines weiteren Bauernopfers in den diversen Auseinansetzungen der Zamis mit ihren Feinden zumindest vordergründig ab. Im zweiten Teilroman „Sonst fressen Dich die Raben!“ schlägt Catalina Corvo den Bogen noch weiter und präsentiert einen dritten „Rückblick“. Überraschend sucht Skarabäus Toth Coco Zamis auf und erzählt ihr von weiteren Abschnitten der Suche Volkarts nach seinem Bruder, die außerhalb des Bahnkreises der Zamis statt gefunden haben. Diese Erzählung führt den Leser schließlich zurück ins alte Ägypten und zu Osiris.

Am Ende des Romans wird ein potentieller neuer Gegner aufgebaut, der mächtiger als zumindest Skarabäus Toth und die Zamis sein könnte. Auf den ersten Blick wirkt aber der Hinweis auf die drei Amulettbesitzer, die von dieser bislang unbekannten und mysteriös umschriebenen Gefahr bedroht werden, ein wenig zu stark konstruiert. Nach dem Familienkonflikt gegen die dunklen Familien Wiens und indirekt Asmodi werden die Zamis schon wieder bedroht. Coco Zamis muss sich im Grunde gegen ihren Willen wieder auf die Seite der eigenen Familie schlagen, auch wenn diese nach den verschiedenen Verfehlungen sie eher aus dem Verkehr gesehen sieht. Das einzig Überraschende an dieser Situation ist, dass Skarabäus Toths Interessen durch die Bedrohung auch auf der Seite der Zamis liegen. Ist das aber wirklich eine gänzlich neue Situation? Auch wenn Toth als Schiedsrichter eher zu Asmodis gehalten hat, hielt er sich immer eine Hintertür offen, durch die er im Fall einer Niederlage des Herrschers der Hölle immer noch die Seiten hätte wechseln können. Und dass sein Interesse an Coco Zamis ambivalent ist, hat er mehrmals im Verlaufe dieser Serie unterstrichen. So birgt die Ausgangssituation für einen neuen Teilabschnitt der Serie weniger Sprengstoff als es die letzten Zeilen des Buches vermuten lassen.

 

In der ersten Hälfte des Romans bemüht sich Susanne Wilhelm sehr positiv, dem Plot eine dunkle, nihilistische Stimmung zu geben. War Coco Zamis direkt und ihre Familie oft indirekt das Licht in der dunklen Dämonenwelt, so zeigt Susanne Wilhelm die brutale und wilde Seite der Zamis. Im Grunde sind alle Sadisten, die sich auf der einen Seite am Leid der Menschen ergötzen, auf der anderen Seite diese schwache Seelen auch brauchen, um ihre Macht entfalten und die Opfer unterdrücken zu können. Ohne allzu sadistisch zu werden, beschreibt die Autoren eine Reihe von unangenehmen Szenen. Im Vergleich zu früheren Beiträgen zur Coco Zamis Reihe fehlt allerdings nicht negativ die sexuelle Gewalt. Während Susanne Wilhelm in ihrem Romanteil die jungen Zamis und ihre Umgebung ausgesprochen blutig detailliert charakterisiert, darf Catalina Corvo in der zweiten Hälfte des alte Ägypten direkt vor Coco Zamis Augen aus einer ungewöhnlichen Perspektive wieder zum Leben erwecken. Ohne den vielleicht ein wenig zu statisch und zu gedehnten Plot zu erdrücken bilden Handlung und Hintergrundbeschreibungen eine überzeugende Balance. Die Lebens- und Leidensgeschickte Volkarts geht angesichts des aufzubauenden Mysteriums ein wenig unter, aber als Sprungbrett für eine weitere Entwicklung der großen Rahmenhandlung ist der vorliegende Doppelroman ansprechend geschrieben. Er reicht allerdings nicht an Michael Marcus Thurners Einzelroman heran, der die Serie nach einigen kleineren Durchhängern wieder zu den Stärken der Auftaktromane zurückgeführt hat.

Hinzu kommen aber überzeugend gezeichnete Nebenfiguren, welche den Familienhintergrund der Zamis erweitern. Schon während des Konfliktes mit den anderen Familien in Wien haben Uwe Voehl und seine Mitstreiter die Vergangenheit bekannter und markanter Zamis Familienmitglieder aufgehellt und die Figuren/ Charaktere dreidimensionaler gemacht. Jetzt geht Uwe Voehl einen Schritt weiter, in dem er bislang eher unbekannte oder höchstens am Rande erwähnte tragische Protagonisten in den Mittelpunkt stellt und die Rücksichtslosigkeit der Zamis über das ambivalent gestrafte/ gelobte schwarze Schaf Coco deutlicher und drastischer darzustellen.

Während Volkarts Bruder ein allgegenwärtiger „Schatten“ bleibt, ist Volkart wie schon angesprochen eine tragische Figur. Im Grunde ein Opfer von Umständen, die er nicht vertreten kann, sucht er eine Wunde zu schließen, die sich mit keiner Medizin der Welt heilen lässt. Diese inneren Zwiespalte werden von der Autorin Susanne Wilhelm emotional, aber weder pathetisch noch kitschig beschrieben. Die Subjektivität der Tagebuchaufzeichnungen ist schon betont werden. Auf der einen Seite drücken sie die Verwirrung, den stereotypen Ablauf des Institutsbetriebes im Allgemeinen und einer Dämonen- Verwahranstalt im Besonderen genauso aus wie die Ängste, Zweifel, die Furcht vor gänzlicher Isolation der Familie und der Umwelt gegenüber. Um Volkert herum sind einige exzentrische, kurz ancharakterisierte Dämonen platziert worden. Vielleicht wäre es rückblickend sogar effektiver und interessanter gewesen, Volkart mit „normalen“ Verrückten einzusperren, um dessen Isolation noch weiter vorantreiben. Unabhängig von der Überspitzung ist Volkart Zamis eines der interessantesten Familienmitglieder, das in letzter Zeit in der Serie eingeführt worden ist. Coco Zamis ist bis auf ihre erste Rückkehr seit den Ereignissen um Dorian Hunter mit der eigenen Familie eher ein zurückhaltender Charakter, dem Volkarts Schicksal unter Umständen als Teil eines umfassenderen und perfiden Plans von Georg quasi auf dem Silbertablett unter der Vorspielung potentiellem Mitleids präsentiert wird. „Sonst fressen dich die Raben“ ist ein stimmungsvoller, gut mit grotesken Szenen und interessanten Hintergrundbeschreibungen durchsetzter „Coco Zamis“ Roman, der über großes plottechnisches Potential verfügt.       

 

Taschenbuch, Zaubermond Verlag

Juni 2013, 200 Seiten

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