Atalanta Band 3

Atalanta Band 3, Robert Kraft, Rezension, Thomas Harbach
Robert Kraft

Nachdem Robert Kraft vor allem in den ersten Lieferungen – Heinz J. Galle erläutert in seinem interessanten Essay über die Kolportageromane im Anhang diese Notwendigkeit – ein hohes Tempo vorgelegt hat, versucht der Autor in einzelnen Abschnitten die einzelnen Figuren wieder aufeinander zu bewegen. Hinzu kommt, dass insbesondere die Lieferungen 25 bis 36 unglaublich viele Anspielungen auf das eigene Werk enthalten. Da wären Hinweise auf die locker miteinander verbundenen Geschichten aus „Im Reich der Phantasie“, wenn nicht zum letzten Mal in den fiktiven Astralraum gewechselt wird. Das gigantische moderne, keinen Hafen mehr benötigende Superschiff erinnert an die Schiffsnovellen und auch die Idee von „Im Aeroplan um die Erde“ findet sich bei der seltsamen Reise der Engländer in Richtung Lemuria wieder.

Ein wichtiger Aspekt als Vorläufer des Holodecks sind die „virtuellen“ Welten unter dem Sklavensee. Im ersten Lieferungsroman dieser Sammlung verschlägt es zwei Unvorsichtige zu den Eskimos. Die Tür aus dem Raum fällt zu und sie müssen ums Überleben kämpfen. Später bewegen sich Atalanta und ihr Gemahl in einem dekadenten orientalischen Paradies. Dort sind nach einer weiteren Entführung allerdings gegen ihren Willen gefangen. Der Zusammenbruch des Paradieses, ausgelöst durch einen technischen Unglücksfall, gehört zu den intensivsten Passagen dieses Lieferungsromans. Mit fast sadistischen Vergnügen zerlegt Robert Kraft minutiös die Welt, die er geschaffen hat. Natürlich glaubt kein Leser, das Atalanta und ihr Gemahl bei dieser Katastrophe ums Leben gekommen. Alleine könnten sie wieder voneinander getrennt werden, aber die Beschreibungen sind eindringlich, spannend und vor allem auch fantasievoll.

Bei zu der Entführung durch Professor Dodd – im Auftrag von Miss Morgan hat er sich teilweise schon als sezierender verrückter Wissenschaftler mit einem Kabinett lebender Leichen in dem Plot bemerkbar gemacht – geht es in erster Linie um die Amnesie des Grafen von Felsenmark, sowie Atalantas Intention, in ihn einer wilden Savannenlandschaft in seinem Dämmerlicht leben zu lassen. Auch wenn Atalanta und ihr Mann trotz dreijähriger Ehe keine Gelegenheit hatten, die Ehe zu vollziehen – ein interessanter Hinweis im Originaltext – scheinen sie auch nicht viel miteinander zu sprechen. Das ändert sich erst durch den angesprochenen Professor.

Im Vorwege flieht der Graf anscheinend bewusst aus seinem „Gefängnis“ und schließt sich der amerikanischen Armee im Kampf gegen die Mexikaner unter einem fremden Namen an. Während er relativ schwer zu erkennen ist, verkleidet sich Atalanta als junger Italiener, der im gleichen Regiment kämpfen. Als die Mexikaner ihre Einheit aus einer gut gesicherten Festung bedrohen, entschließt sie sich zu einem waghalsigen Kommandounternehmen, in dessen Verlauf sie Kriegs entscheidend  agieren kann. Robert Kraft löst diese mit viel Humor und Seitenhieben auf die so angeblich unfähigen Generäle gespickte Handlung mit einer Art doppelten Happy End auf. Atalanta gibt sich zu erkennen, wobei Graf Felsmark wie der Leser schon lange klar ist, das es sich um die Indianerin handelt. Es kommt beinahe zu einem Putsch, wobei auch Miss Morgan fast aus dem Nichts ebenfalls der unterirdischen Stadt am Sklavensee entkommend für die nötige Würze sorgt.

Auch die Idee, dass Atalanta sich als Mann verkleidend in verschiedene Rolle schlüpft, wird wie die Idee der virtuellen Räume in den hier zusammengefassten Lieferungen zweimal angesprochen. Das eine Mal als Begleiterin/ Beschützerin ihres Mannes, das andere Mal auf der Suche nach ihrem Kind an der unwirtlichen Küste Chiles.  

Da es sich bei „Atalanta“ ja um keinen Endlosroman, sondern um eine Serie handelt, die wahrscheinlich von Robert Kraft für einen bestimmten Mindestumfang – auch er wird später nicht nur pauschal, sondern pro Lieferung bezahlt worden sind – konzipiert worden ist, zerreißt er den übergeordneten Handlungsbogen der Liebesgeschichte zwischen der Indianerin und dem mittelbaren deutschen Adligen immer wieder in kleinere Episoden, die es ihm auch ermöglichen, verschiedene Teile der Erde zu besuchen. Auch wenn das virtuelle Paradies wie auch die unwirtlichen Weiten der Arktis eher in einem „Zimmer“ entstanden sind, ist der mexikanisch- amerikanische Krieg eine historische Episode, die Robert Kraft auch als Authentizitätsgründen eingebaut hat. Viele Szenen erinnern vor allem auch die frühen Kolportageromane Karl Mays, der neben den unwahrscheinlichen Romanzen auch gerne Einzelgänger auf der Pirsch ins Feindeslager bis hin natürlich zu Winnetou und Old Shatterhand beschrieben hat. Um diesen Frontierteil hat der Autor aber immer wieder nicht nur mit den virtuellen Räumen, sondern dem drahtlosen visuellen Telefon technische Erfindungen beschrieben.

 Interessant sind die Brüche. Während in den frühen zwanziger Lieferungen plötzlich ein deutscher Kapitän zu Atalantas Stab gestoßen ist, spielt plötzlich eine Episode in der eher normalen bürgerlichen Berliner Gesellschaft, wo eine Witwe mit ihren Kindern einen exzentrischen Italiener in einem Gastzimmer aufnimmt. Ohne Rücksicht auf den übergeordneten Handlungsverlauf wird hier der Spannungsbogen unterbrochen und teilweise mehr als eine Lieferung später erst wieder aufgenommen.  Es folgen die üblichen Irrungen und Wirrungen teilweise des Herzens. Mit dem Einzug des Fremden beginnt plötzlich in verschiedener Form ein Geldsegen auf die kleine Familie einzubrechen. So erhält die Mutter für das Holen von Milch ein üppiges Trinkgeld, die Tochter soll vom Fremden einen großen Auftrag hinsichtlich ihrer Porzellanmalerei erhalten. Selbst der Sohn in den USA wird befördert. Es ist kein Zufall, dass er für einen indianischen Unternehmer in der Nähe des Sklavensees arbeitet. Im Grunde zeichnet Robert Kraft die Träume einer armen, aber grundehrlichen deutschen Familie nach, die sich immer wieder um sozial noch schwächere kümmernd ihr Glück nicht fassen kann und doch auf dem Boden der Tatsachen bleibt. Als der Fremde plötzlich verhaftet wird, scheint ihre Welt zusammenzubrechen. Auch hier kommt das Glück in Form eines Generaldirektors zurück und die zart blühende Liebesgeschichte zwischen der scheuen Tochter und dem exzentrischen Fremden - hier hat Kraft am Ende erstaunliche Erklärungen bereit - endet natürlich nicht auf einer bitteren Note. Am Ende finden alle handelnden Personen in Amerika, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten vor allem für deutsche Arbeiter mit einer soliden Ausbildung, wieder zusammen, so dass wie auch bei Karl Mays Kolportageromanen nur noch ein Beziehungsdreieck aufgelöst werden muss. Was anfänglich befremdlich und vor allem als Bruch der laufenden Handlung ausgerechnet in einem spannenden Moment erscheint, wird gegen Ende dieses mehrere Lieferungen und damit Wochen umfassenden Exkurses wieder in die Atalanta/ Felsmark Handlung eingebaut. Es ist vielleicht die typischste, aber für Robert Krafts eher phantastische ungewöhnlichste Passage, die an die großen Romanzen wie "Um die indische Kaiserkrone" aus seinem Schaffen erinnern.  Natürlich fließen die Handlungen wieder zusammen. Die Dreikonstellation wird drastisch, aber wie sich später herausstellt, auch nur vorläufig aufgelöst. Es wirkt wie ein Klischee, wenn der Alkohol bei den Indianern fatale Folgen hat, während der deutsche August mit seiner Turnerschaft jedes Jahr zu seinem Geburtstag ein Besäufnis vor dem Herrn veranstaltet. Die Zusammenführung der Handlungsebenen August Berliner Familie und Atalanta/ Felsmark ist dabei überraschend. Atalanta lebt mit ihrem Mann in einem Versteck unter der Erde, das direkt aus Jules Vernes „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ entnommen zu sein scheint. Zeitgleich hat auch Arthur Conan Doyle mit „De vergessene Welt“ auf die Möglichkeit hingewiesen, das irgendwo Dinosaurier überlebt haben könnten. Bei Robert Kraft gibt es aber eine technische Erklärung. Eine dunkle Prophezeiung zwingt Atalanta zu Reisen und kaum hat sich der Leser versehen, wird der Atlantis Mythos wahrscheinlich von Paul Alfred Müller für „Sun Koh“ entnommen als Herausforderung und Bedrohung zu gleich angenommen. Bevor die Handlung aber zu phantastisch erscheint, greift Kraft wieder auf die Idee der mystisch überzeichneten Entführung in diesem Fall eines Babys zurück. Die Romanreihe betrachtend ist interessant, dass die anfänglich so entschlossene Atalanta mehr und mehr von einem indischen Fakir ferngesteuert wird.  Es gibt aber einige Passagen, in denen die Beziehung zwischen der dominierenden, aber auch fraulichen Atalanta und ihrem Mann ausgebaut wird. Da Miss Morgen nur wenige Auftritte hat und Robert Kraft nicht nur in der später in die Haupthandlung einfließenden Exkursion nach Berlin, sowie den beiden auf „Lemuria“ gestrandeten Engländern das Spektrum der handelnden Personen deutlich erweitert, wirken diese Handlungsabschnitte frischer und vor allem abwechselungsreicher, wenn auch ein wenig zu deutsch patriotisch als die teilweise ein wenig klischeehaften Lieferungen des letzten Sammelbandes. Auch wenn Robert Kraft sich immer noch teilweise wiederholt und mit unterschiedlichen Prämissen auf die gleichen Szenarien hastig herunter geschrieben zurückgreift, wirkt die Mischung aus gängiger Abenteuerliteratur vor exotischen Schauplätzen sowie der sich abzeichnenden Atlantis/ Lemuria Thematik interessant. Immer wieder setzt Robert Kraft für die damalige Zeit futuristisch erscheinende Technik effektiv ein und verzichtet vor allem in den wenigen ausschweifenden erklärenden Passagen auf den belehrenden Ton, den sowohl Jules Verne als auch Paul Alfred Müller gerne angewandt haben. Wie hart das Leben als Kolportageautor gewesen ist, beschreibt Heinz J. Galle konzentriert in seinem Nachwort. Er geht nicht nur auf die einzelnen Verlage teilweise mit minutiösen Informationen ein, sondern zeigt deutlich auf, wie weit verbreitet und populär dieser Markt gewesen ist. Sowohl Text als auch Nachwort sind gut illustriert.           

Verlag Dieter von Reeken

Band 3 (Lieferungen 25–36,  485 Seiten, 51 Abb.)

ISBN 978-3-940679-96-3

www.dieter-von-reeken.de