Dreckige Spaghetti

Uwe Killing

Im Breitwandformat, damit die herausragenden Fotos überragend hervorstechen, präsentiert der Hannibal- Verlag aus der Feder Uwe Killings nicht unbedingt die untertiteltechnische “glorreiche Geschichte des Italo- Western”, so versucht im Vergleich zu verschiedenen anderen, sehr viel ausführlicheren Studien einzelne Akzente zu setzen.
Das das Buch im Fahrwasser von Quentin Tarantinos “Django unchained” erschienen ist, macht Uwe Killing in den texttechnisch schwächsten Passagen des Buches deutlich. Es findet sich ein kleines, oberflächliches und viel zu verehrendes Interview mit Quentin Tarantino, in dem er auf die Entstehung seines achten Spielfilms kurz eingeht, die Bedeutung einiger Italo- Western für sein Gesamtwerk anreißt und schließlich seine Top Ten Filme präsentiert. Begleitend versucht der Autor den fortdauernden Einfluss des italienischen Western auf das in erster Linie amerikanische Kino der Gegenwart zu extrapolieren. “Der Mythos- Glory, glory Basterds” spricht bis auf wenige Eingeständnisse neuen Regisseuren wie Arthur Penn gegenüber dem amerikanischen Kino seit 1964 - als Sergio Leones “Für eine Handvoll Dollar seinen Siegeszug um die Welt begann - jegliche Innovation bis auf den fast vergötterten Quentin Tarantino ab. Ohne Frage haben Sergio Leone und Co beginnend während eines abendlichen Treffen 1959 auf dem Set eines der für Italien typischen “Sandalen” Filmen einen bleibenden Eindruck in der Filmgeschichte im Allgemeinen und dem Western im Besonderen hinterlassen. Das sie das Genre von Grund auf reformiert haben, ist eher Uwe Killings These. Fairerweise entwickelte sich parallel im Zuge der gesellschaftlichen Veränderungen des “Summer of Love”; des Eindrucks, den der Vietnamkrieg in der jugendlichen amerikanischen Bevölkerung hinterlassen hat und der Entstehung des weit über die populären Actionkinos hinausreichenden New Hollywood Bewegung eine neue Betrachtung der uramerikanischen Mythen. Anfänglich behauptet Uwe Killing, dass der Western in den USA Anfang der sechziger Jahre im Aussterben begriffen gewesen ist. Nur durch die Erneuerung aus Italien mit Sergio Leone als dem italienisch- amerikanischen Vorreiter konnte diese Entwicklung gestoppt werden. Dann relativiert der Autor in einem der folgenden Kapitel seine Aussage, in dem er behauptet, der Western wäre niemals wirklich in den USA gestorben. Beispielhaft wird neben “Erbarmungslos” und “Der mit dem Wolf tanzt” Michael Ciminos “Heaven´s Gate” aufgeführt, der nicht nur einem Studio die Existenz gekostet hat, sondern vor allem das Genre für eine Dekade getötet hat. Eine Dekade, in der weniger als eine Handvoll in erster Linie fürs Fernsehen produzierte Western gedreht worden sind.

Es ist nicht ganz klar, an welches Publikum sich Uwe Killing mit seiner Studie richten wollte. Die eingefleischten Italo- Western Fans werden die großformatigen und teilweise sehr seltenen Fotos lieben. Die Texte richten sich eher an Newcomer, da ein ausführliches Lexikon die wichtigsten Nebenfiguren und Begriffe des Italo- Western erläutert wie in anderen Kapiteln sehr knapp und teilweise frustrierend oberflächlich die wichtigsten sieben glorreichen Halunken vorgestellt werden. Diese Texte werden echten Italo- Westernfans zu wenige neue Informationen bieten, während die aufgrund von Quentin Tarantinos neu am Italo- Western interessanten Fans einen stark fokussierten Einblick in die Entstehung dieses Genres erhalten.
Die wichtige treibende Kraft ist für Uwe Killing ohne Frage “Für eine Handvoll Dollar” mit Sergio Leone als Regisseur gewesen. Auch wenn Uwe Killing die ersten Italo- Western dem Erfolg der Karl May Verfilmungen in Deutschland zuschreibt, sieht er diese frühen Arbeiten eher als Mischung amerikanischer Mythen und deutscher Produktionsmechanismen. Er gesteht ihnen kein Eigenleben zu. Diese Einschränkung ist nur bedingt richtig, da sie - wie parallel der amerikanische Western - die Mythen der Frontiermentalität zu hinterfragen begannen. Natürlich hat Sergio Leone das darbende, aber nicht sterbende Westerngenre mit “Für eine Handvoll Dollar” revolutioniert. Und natürlich ist es opportun, die Leone Western so ausführliche und detailliert vorzustellen wie es Uwe Killing macht. Auch Sergio Corbucci wird sein Platz im Pantheon der Westernregisseure zugestanden. Sowohl “Leichen pflastern seinen Weg” als auch “Django” bespricht der Autor ausführlich. Danach folgt der Abstecher zu den Revolutionswestern mit ihren politisch eher links stehenden Ansichten einer Sergio Sollima oder Damiano Damiani oder einigen brutalen Exzessen, aber der Leser hat das unbestimmte Gefühl, als sehe Uwe Killing Sergio Leone alleine als den Höhepunkt des Genres. “Keoma” stellt für ihn einen letzten Aufschrei des sterbenden Italo- Western dar, während alle neuen Produktionen wie “Django Returns” oder ”Die Rache des weißen Indianers” von vorneherein als misslungen zu betrachten sind, ohne das der Autor hier tiefer gehende Erklärungen anbietet. Auch vermisst man Anmerkungen zu den Bearbeitung der italienischen Spätwestern in Heiner Brandt Manier, die aus ernst gemeinten Streifen heutzutage kaum erträgliche Klamaukattacken gemacht haben.
Diese einseitige Fokussierung setzt sich insbesondere in dem schon angesprochenen Kapitel über den Einfluss des Italo- Western auf das Kino der Gegenwart fort. Eine ähnliche Heldenverehrung erfährt noch Quentin Tarantino, wobei der Autor ihn als eine Art “One-Man- Show” betrachtet, der mit seinen ausführlichen “Zitaten” - manche sprechen auch zynisch von kopierenden Plagiaten - verschiedenster B- Picture das Interesse an diesen “Grindhouse” Produktionen aufrecht erhält. Uwe Killing tut dem amerikanischen Kino der Gegenwart genauso Unrecht wie er das asiatische “Gangster” Subgenre eines John Woos oder Ringo Lams komplett ignoriert. Wenn er schon nach Epigonen sucht, dann sollte der Fokus deutlich globaler sein, zumal der späte Italo- Western auch die Anlehnung an das Kung Fu Genre scheiternd versucht hat. Insbesondere die siebziger Jahre sind wie die Gegenwart ein Ausdruck der verzweifelten und wenig originellen Suche nach Quellen, die budgettechnische Überlegenheit Hollywoods durch Trend auszugleichen. Wenn jeder moderne Actionfilm - siehe “Lethal Weapon” oder “Die Hard” - auf seine Wurzeln im Italo Western untersucht wird, verwundert es, dass Filme wie “800 Bullets”, die in Almaria spielen und den Mythos des Italo- Western glorifizieren, fehlen. Hier agiert Uwe Killing zu überambitioniert und versucht Serio Leone nicht nur als eine der größten Regisseure des 20. Jahrhunderts zu etablieren, sondern ihm einen fast gottgleichen Status zuzuschreiben, der übertrieben erscheint. Trotz aller Eigenständigkeiten gesteht Uwe Killing dem Italo- Western anfänglich auch zu, in erster Linie kopiert und dann weiterentwickelt zu haben. Natürlich wird das moderne Kino von diesen gewalttätigen Exzessen beeinflusst, aber Regisseure wie Brian de Palma haben auch andere Vorbilder gesucht und gefunden.
Es empfiehlt sich, Uwe Killing nicht selten zu unkritische und zu glorifizierende Essays, die eher wie eine lose Folge von gesondert erschienenen Artikeln erscheinen, als Sprungbrett zu nehmen. Als Sprungbrett für die vielen obskuren Filme, die selbst eingefleischte Fans bislang noch nicht gesehen zu haben, kann diese Studie mit Einschränkungen hinsichtlich der kritischen Auseinandersetzung dienen.
Was die Veröffentlichung aber auch für eingefleischte Fans des Genres so empfehlenswert macht, sind die Bilder. Das ungewöhnliche Breitwandformat des Buches ist schwierig zu halten, aber für die Italo- Western so bezeichnend. Neben dem Nachruck des illustrierten Film- Kuriers 105 “Für eine Handvoll Dollar mehr” findet sich ein Kaktusstammbaum, auf dem die Blüte des Italo- Western mit seinen entsprechende cineastischen Meilensteinen aufgezeichnet worden ist. Uwe Killing unterteilt das Genre in “The Italien West” , “Django”, “Rache & Action”, “Rebellion”, den Western- “Eastern“ oder die Brutalos bzw. die “Fun” Geschichten. Durch die verschiedenen Subgenres ist eine chronologische Auflistung nicht möglich, aber wer den Kakteenarmen folgt, erhält insbesondere als Neuling einen ausgesprochen kompakten Überblick über das Genre.
Die eigentliche Faszination dieses Buches sind aber wie mehrmals angesprochen die zahllosen, großformatigen Fotos, die sich nicht aus dem üblichen Werbematerial zusammensetzen. Viele Hintergrundaufnahmen geben einen guten Einblick in die nicht selten chaotischen, improvisierten Dreharbeiten oder zeigen die bizarre Schönheit der Filme. Neben thematischen Blöcken, die allerdings angesichts des Einfallsreichtum der italienischen Drehbuchautoren ein wenig bebildert karg erscheinen, hat Uwe Killing den schönen Frauen neben einem gut zu lesenden Artikel einige Seiten gewidmet. Die Meilensteine werden genauso visuell erfasst wie die obskuren Exzesse, die nur in der zensurfreien Zone der damaligen Zeit entstehen konnten. Die Fotos werden ohne Frage auch der Hauptgrund sein, warum man dieses umfangreiche ungewöhnliche formatierte Buch immer wieder aus dem Regal holen und sich in den hunderten von Bildern positiv verlieren wird.
Es ist schade, dass Uwe Killings solide, nur teilweise inspiriert, aber zu subjektiv geschriebene Texte mit dieser wahren Bilderflut nicht mithalten können. Sonst wäre “Dreckige Spaghetti” eine perfekte Hommage an den Italo- Western.

Uwe Killing : "Dreckige Spaghetti"
Sachbuch, Hardcover, 256 Seiten
Hannibal- Verlag 2012

ISBN 9-7838-5445-3826

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