Heute die Welt, Morgen das ganze Universum

Heute die Welt, morgen das ganze Universum, Titelbild, Rezension
Haitel, Ritter, Rüster und Spreen

Das grüne Alien mit dem Hitlergesicht verleitet dazu, die drei sehr differenzierbaren Texte vor allem von Autoren unterschiedlicher Forschungsrichtungen als Parodie aufzufassen. Auch wenn die drei Essays nicht die Breite und vor allem auch die inhaltliche Tiefe von Salewskis "Zeitgeist und Zeitmaschine"  erreichen, bieten sie auf sehr unterschiedliche Art und Weise Einblicke nicht unbedingt nur in den propagierten, aber auch herbei diskutierten Rechtsruck in der phantastischen Literatur, sondern zusätzlich Beispiele und Gedankenmodelle.

 Beim Vorwort stehen sich die Autoren und Herausgeber Michael Haitel ein wenig im Wege. Natürlich ist die rechtsradikale Literatur und der Umgang mit potentiellen Alternativwelten mit Nazis als Sieger des Zweiten Weltkriegs ein sehr schwieriges Thema, das nicht nur als "normale" Unterhaltungsliteratur im Rahmen des phantastischen Genres angesehen werden sollte.  Aber weder wird im Gegensatz zu "Zeitgeist und  Zeitmaschine" umfassend die Decodierung des potentiell braunen Gedankengutes in der phantastischen Literatur zufriedenstellend durchgeführt, noch können die Autoren aufzeigen, das das Genre besonders anfällig ist. Vor allem differenziert Johannes Rüster in seinem Beitrag zwischen dem Hintergrund der Alternativwelt und nicht selten einfachen Kriminalgeschichten, in denen der Schrecken der Nazis gezeigt, viel zu oberflächlich. Er hinterfragt nicht, was angeblich glorifiziert wird. Ob die drei Essays in der vorliegenden Form ein Flämmchen der Aufklärung sind, muss der Leser selbst entscheiden. Sie geben aber ein Sprungbrett, um sich in anderer Form primär und sekundär mit dem Thema auseinandersetzen.

 In einem direkten Vergleich ist es ausgerechnet wegen der thematischen Enge und nicht Breite Dierk Spreen, der mit seiner Auseinandersetzung hinsichtlich der Serie "Stahlfront" sehr viel mehr richtig macht als Hermann Ritter, der mit "Die Weltregierung tagt in Tibet" ausgerechnet den verschiedenen Verschwörungstheorien, der Esoterik der Andersgläubigen und schließlich den Thesen nachgeht, dass die Atlantis Bewohner Arier gewesen sein müssen. Ein breites Feld, in das sich der Literaturwissenschaftler einarbeiten  möchte.  Und dabei mag er die meisten der vorgestellten Bücher nicht. Auch wenn der Historiker Hermann Ritter manche literarische Klippe mit Humor nimmt, verschrecken vor allem die Eingangsbemerkungen - sie klingen provozierend,  belehrend und vor allem leider auch arrogant - die potentiellen Leser.  Der Autor ist sich ohne Frage im Klaren darüber, dass er erstens nicht für das Boulevard schreibt und zweitens die aus seiner Sicht eher minder bemittelten Anhänger der Verschwörungstheorien inklusiv Neonazis und Reichsbürgern werden sein Essay sowieso nicht lesen. Warum nicht unvoreingenommen und objektiv an die Sache herangehen?  Dierk Spreen hat es bei dem abschließenden Artikel vorbildlich vorgemacht.  Und wenn dieser Ansatz zu krude ist, dann hilft immer noch Humor, aber nicht der reichlich aus Zitaten bestehende Mosaikkasten, der munter zwischen verschiedenen Ansätzen von den arischen Atlantisbürgern über  einen Exkurs in den Bereich der Alternativweltromane inklusiv exklusiver Definition bis zu den verschiedenen esoterischen Verschwörungstheorien hin und her springt.

 Natürlich hat Hermann Ritter das breiteste Spektrum an möglicher Literatur. Die "Lemuria" Verschwörung Shavers basierend auf Lovecrafts Wurzeln. Wie angesprochen die Idee einer Expedition nach Tibet auf der Suche nach den arischen Wurzeln. Die geheime Superfestung im ewigen Eis. Dazu immer wieder der nicht selten verschmitzte Blick in den Bereich der Esoterik, der aus jeder bizarren Idee immer noch eine Sensationsmeldung machen kann.  Viele Argumente sind schwammig und der Rückgriff auf unzählige Zitate erschwert die eigene, aber notwendige Meinungsbildung. Vor allem weil er sehr viel richtig macht und die Idee einer Arierrasse chronologisch richtig einordnet und wahrscheinlich für viele Leser überraschend eruiert, dass Hitler seinen Rassenwahn nicht selbst entwickelt, sondern der Literatur natürlich im übersteigerten Sinne entnommen hat.  

 Anstatt diese sachliche Basis auszunutzen und mittels Thesen/ Theorien und den vorhandenen zahlreichen Beispielen in einem unterhaltsamen Essay diese rechtsextremen Verschwörungstheorien und esoterischen Gedankengebilde argumentativ zu negieren, verprellt Hermann Ritter seine objektiven Leser durch eine zu negative im Grunde auch absichtlich voller Vorurteile verfasste Form.  Natürlich ist die Art und Weise, wie sich Fiktion und verzerrte Verschwörungsrealität miteinander verbunden und "fortgepflanzt" haben, absurd und entbehrt nicht entsprechender Komik, aber um argumentativ ernst genommen zu werden, sollte der  Autor eine gewisse Distanz bewahren und so seine Ideen besser einem Aufnahme bereiten Publikum präsentieren zu können.

 Auch die Definition der kontrafaktischen Literatur in einem direkten Vergleich zu den "normalen" Alternativweltgeschichten wirkt teilweise bemüht. Es finden sich einige Beispiele. Bei der Fantasy ist der Autor nicht so erfolgreich, zumal er im Grunde von den nordischen Mythen ( Poul Andersons Nacherzählungen der Sagen fehlen in der Aufzählung) über Robert E. Howard bis zu Tolkien im Grunde das ganze Fantasy  Genre einzugrenzen sucht. Da laufen einige der eher oberflächlichen Argumente komplett ins Leere und wirken trotz der Beispiele überambitioniert.   

 Wer über den belehrenden Tonfall hinweg liest, wird trotzdem vor allem aufgrund der literarischen Beispiele - laut Hermann Ritter fast alle niederer Qualität -  an einem fiktiven Gängelband durch die große Esoterik Verschwörung der mit einer Unzahl von fiktiven Fakten herumwerfenden Reichsbürger und Nachfolger der Nationalsozialisten geführt.   

 Johannes Rüster als Literaturwissenschaftler setzt sich mit seinem Essay "Ein Volk, ein Reich und/ oder ein Führer?" leider zwischen alle Stühle. Er möchte  über die Faszination nationalsozialistischer Alternativwelten schreiben. Gleich zu Beginn gibt er berechtigt zu, dass es viele erwähnenswerte Werke gibt und eine Aufzählung aller Arbeiten den Rahmen sprengen würde. Mitten im Text fügt sich dann ein Exkurs in Richtung Hollywood und zum Beispiel den "Indiana Jones" Filmen oder der finnischen Produktion "Iron Sky" ein. Hinzu kommt, dass im Grunde jede langlaufende Science Fiction Serie beginnend mit der Nazi Folge in "Enterprise" irgendwann und irgendwo auf eine faschistische, als Extrapolation des nationalsozialistischen Deutschland erkennende Parallelwelt oder Paralleluniversum gestoßen ist. 

 Anstatt den eingeschränkten Raum zu nutzen, um entweder mittels eines fokussierten Konzeptes ein Thema ausführlich zu bearbeiten, springt der Autor zwischen positiv unbekannteren Werke wie Oliver Henkels "Im Jahre Ragnarök" oder den bekannten Bestsellern wie "Vaterland" von Harris oder Deightons "SS-GB" hin und her. Auf diese Art und Weise kann der Literaturwissenschaftler exemplarisch auf Stärken und Schwächen der einzelnen Romane hinweisen, befriedigt aber vor allem den Wissensdurst eines interessierten Publikums nicht, da der Konsens enttäuschend schwach ist. Anscheinend ist es vollkommen egal, in welcher Alternativwelt oder der dunklen Realität der Gegenwart man sich bewegt. Es gibt immer Helden und Schurken, Diktaturen, gequälte Menschen und meistens auch verschiedene militärische Konflikte, in denen es vor allem um Dominanz geht. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Auseinandersetzungen unter dem Hakenkreuz stattfinden, dem Terror Stalins in der Sowjetunion oder der Vernichtung von Minderheiten in den Gebieten, die der IS in den letzten Jahren mit unglaublicher Brutalität erobert hat. Mit dieser Meinung hat der Autor ohne Frage recht und wenn er seine Enttäuschung äußert, dass in der SF der Schrecken des Dritten Reiches und die Massenvernichtung der Juden nicht selten auf Fußnoten wie bei Harris oder Ignoranz wie in einigen anderen Büchern reduziert wird, dann liegt er richtig und falsch zu gleich. Auch die amerikanischen Western setzen sich selten mit dem Schicksal des ganzen indianischen Volkes auseinander, sondern versuchen der Schicksal an Individuen zu beschreiben. Der kommunistische Terror wird in der Literatur kaum erwähnt. Und wenn man heute die Nachrichten sieht, dann kommt einem auch das Gedanke, dass die Vielzahl von Leid und Ermordeten, von Opfern verschiedener Naturkatastrophen greifbarer und ergreifender ist, wenn man sie stellvertretend am Leid eines einzelnen Menschen oder einer Familie festmacht, als sich in Zahlen und damit einer Anonymität zu flüchten. 

Diese Kritik spielt auch keine entscheidende Rolle. Viel wichtiger ist, dass der Autor jedes Buch einzeln betrachtet viel richtig macht und sogar interessante Ansätze präsentiert, die Zusammenfassung der wichtigsten Punkte des Artikels aber zu oberflächlich erscheint. Viel effektiver wäre es gewesen, die nationalsozialistischen Alternativwelten deutscher Autoren zu analysieren. Thomas Ziegler wird im Anhang erwähnt. Aber warum nicht das umstrittene Leihbuch "Adolf Hitler- mein Frieden" mit aufnehmen? Selbst durch eine Fokussierung auf deutschsprachige Autoren hätte vielleicht der umfangtechnische Rahmen gesprengt werden können, aber Johannes Rüster hätte ein überzeugenderes Fazit herausarbeiten können und damit die guten Ansätze seiner Analysen für ein ganz speziell ausgesuchtes Feld allgemeingültiger machen können. In der vorliegenden Form vor allem mit dem unnötigen Exkurs in Richtung Kino/ Fernsehserie wirkt das Essay leider nicht konzentriert genug.  

 Obwohl Dierk Spreens Auseinandersetzung mit den ersten drei "Stahlfront" Romanen ein überarbeiteter Nachdruck aus dem "Sciene Fiction Jahr" ist, handelt es sich um den inhaltlich konzentriertesten Beitrag dieser Ausgabe. Zumindest literarisch objektiv vorverurteilt der Autor nicht die Science Fiction Serie, sondern versucht ihr rechtspopulistisches Gedankengut auf unterschiedliche Art und Weise herauszuarbeiten und abschließend neben der medienpopulistischen Wirkung und sowie der Argumenten des Verlages beim Prozess um die Indizierung das nicht immer subtil, aber effektiv verbreitete braune Gedankengut herauszuarbeiten. 

 Interessant ist, dass der Inhalt - eine Pulpinvasion von Außerirdischen, die nur von den immunen Ariern allerdings aller Völker zurück geschlagen werden könnte - vordergründig eben nicht nationalsozialistisch ist, sondern viele propagandistische Züge erst in Form der Überzeugung der Kritiker und Gegner der Thule Gesellschaft stellvertretend für den Leser erst zum Vorschein kommen. Das Element der Verneinung, der Ablehnung wird auf diese Art und Weise zu einem interessanten Gebiet der abschließend starken Überzeugung und Bejahung, da die Skeptiker das Lager wechseln und sich dem einzigen erfolgreichen Widerstand anschließen. Zusätzlich arbeitet Dierk Spreen überzeugend und immer wieder seine Argumente belegend auch heraus, dass die Wurzeln der "Stahlfront" Serie nicht nur in der Verherrlichung der Wehrmacht im Allgemeinen und der kämpfenden Waffen SS in Form der manipulierenden Differenzierung liegen, sondern mit der idealisierten Thule Gesellschaft sogar in die Zeit des Ersten Weltkriegs hereinreichen könnten. In den einzelnen Abschnitten legt der Autor dem Leser offen, dass sowohl das braune Gedankengut vom Verlag unter Umständen als eine kommerzielle Einnahmequelle mit einer bewussten Ansprache des zumindest rechten Sympathisantenkreises gesehen worden ist. Diese zusätzliche Kommerzialisierung eines literarisch problematischen Felds inklusiv einer Rechtfertigung des Verlages durch Abgrenzung der Perry Rhodan Serie gegenüber ist eine Erweiterung der klassischen, nicht immer objektiven, aber notwendigerweise distanzierten Auseinandersetzung mit den Inhalten der "Stahlfront" Serie. Der von Dierk Spreen gegangene Weg könnte als ausweichend anfänglich gesehen werden, aber mit einer neutralen Ausgangsbasis und nachvollziehbaren Gedankenketten belegt von entsprechenden Textbeispielen wird er eher ein objektives und deswegen auch nachhaltiges Bild der Serie und der Indizierung zeichnen können, als wenn er von Beginn an "Stahlfront" gleich als rechtes wie braunes Menschen verachtendes Gedankengut gekennzeichnet und anschließend argumentiert hätte.

 Zusammengefasst wirft "Heute die Welt- Morgen das ganze Universum" eher Schlaglichter anstatt die Durchdringung der phantastischen Literatur mit arischem wie rechtsradikalem Gedankengut zu untersuchen.  Die einzelnen Essays lesen sich trotz der Schwächen sehr gut. Im Vorwort wird auf eine das Thema erweiternde Monographie hingewiesen. Hinzu kommt als Empfehlung die ergänzende Lektüre von "Zeitgeist und Zeitmaschine". Zusammen mit diesem thematisch sehr differenzierten Bindeglied kann sich der interessierte Leser auf diese Art und Weise einen ersten Eindruck vor allem von verschiedenen Alternativwelten und bedenklicher Pulpliteratur machen, bevor er sich selbst in das nicht immer zufriedenstellende literarische Vergnügen stürzt. Selbst der schwächste Text dieser Sammlung ist aber hinsichtlich des herrschenden Zeitgeists - damit sind politisch rechts wie links sowie der Terror gegen Andersgläubige gemeint - trotzdem ungemein wichtig und sollte Beachtung finden. 

 

  • Taschenbuch: 216 Seiten
  • Verlag: p.machinery Michael Haitel; Auflage: 1 (1. Mai 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3957650496
  • ISBN-13: 978-3957650498
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