Richard Laymons "Der Geist" - im Original "Darkness, Tell us" - ist einer der Romane aus dem Nachlass, die zwar viele Themen im Schaffen des Amerikaners abdecken, als Gesamtwerk aber zu uneinheitlich erscheinen. Vielleicht wirkt es vermessen, vom Vielschreiber Laymon einen sorgfältig strukturierten Band angesichts der vielen wenig zufriedenstellenden, mit schwachen offenen Ende versehenen sonstigen Arbeiten zu erwarten, aber "Der Geist" fällt in dieser Hinsicht noch negativer auf als einige andere Bücher. Vor allem weil auffällig ist, dass wieder rote Fäden im Nichts enden, Nebenhandlungen einfach eingebaut worden sind, die in dieser Phase der Plot Entwicklung nicht viel Sinn machen und das Ende überstürzt erscheint.
Der Auftakt ist ein fast klassisch klischeehafter Richard Laymon. Einige verwöhnte, arrogante und eindimensionale Teenager finden auf einer Party bei ihrem Professor ein Ouija Brett. Die Professorin hat das Brett behalten, obwohl es richtig den Tod ihres Mannes voraussagte. Das Brett weißt auf einen Schatz in den Bergen hin. Ein Mädchen wird während der ersten Sitzung beschämt und ein verschollener Bruder - Charaktere, die bei Laymon aus dem Nichts kommen, sind immer gefährlich - des toten Ehemanns der Professorin taucht plötzlich aus dem Nichts aus. Die kleine Gruppe inklusiv des gestohlenen Bretts zieht es auf Schatzsuche an einen von jeglicher Technik und Zivilisation isolierten Ort quasi gleich um die Ecke, was bei Laymon ein oft angewandtes Klischee ist. Die Handlung zerfällt ab jetzt in zwei voneinander getrennte Spannungsbögen, die weitere Klischees ans Tageslicht bringen.
Da wäre die Professorin, die sich anscheinend nicht im Moment in den lange verschwundenen Bruder ihres Mannes verliebt hat. Sie gestehen die gegenseitigen Gefühle und schlafen miteinander. Auch wenn es nicht so augenscheinlich ist, gehört Laymon nicht nur zu den Autoren, welche die Grenzen des sexuellen Sadismus bis zum Zensor ausnutzen, sondern auch wirklich konzentriert erotische Liebesszenen schreiben können, die aber in den Horrorszenarien seiner Romane untergehen. Die Liebesnacht zwischen den beiden immer noch attraktiven, aber deutlich älteren Menschen gehört zu den besten Szenen des Buches. Am nächsten Tag erkennen sie, dass die Kinder das Quija Brett gestohlen haben und versuchen ihnen zu folgen. Die Wahrscheinlichkeit, sie wirklich in dieser Einöde zu finden, wird durch die Prophezeiung des verborgenen Schatzes auf ein realistisches Niveau erhöht.
Auf der anderen Handlungsebene versucht Laymon seine Figuren noch ein wenig mehr zu definieren. Da gibt es den einen Studenten, der sich in Wirklichkeit in seine Professorin mehr als platonisch verliebt hat. Plötzlich steht er auf das innerhalb der Gruppe beschämte Mädchen, das bei einem älteren Mann lebt, der ihre Ausbildung gegen sexuelle Gefallen bezahlt. Es ist nicht der einzige Rückblick auf ein Leben voll sexueller Grausamkeiten. Ihre Mutter ist bei einem anscheinend gestellten Autounfall ums Leben gekommen. Ihr Stiefvater und dessen Sohn haben sie sexuell mehrfach missbraucht, andere Frauen entführt und vergewaltigt und sie schließlich "tot" zurück gelassen. Sie wollte ein neues Leben anfangen und fiel in die Hände eines ebenfalls sadistischen Pflegevaters, aus dessem Käfig sie schließlich befreit worden ist. Solche Schicksale gibt es ohne Frage und die Grausamkeit der potentiellen Fürsorger wird penibel bis penetrant ausführlich und intensiv von Laymon beschrieben. In manchen seiner Bücher funktioniert diese Vorgehensweise auch ausgesprochen gut, aber hier wirken diese Rückblenden nicht nur zu aufgesetzt, sondern wie Versatzstücke in ein Buch eingesetzt, das umfangtechnisch ansonsten zu kurz gekommen wäre. Auch sind diese Beschreibungen kein neues Element in einem Laymon Thriller, aber zumindest weicht der Autor von seiner ansonsten relativ früh in seinen Romanen etablierten schwarzweiß Zeichnung ab und lässt die Jugendliche eine "gute" Tat vollbringen. Obwohl die Gruppe neben den angesprochenen Charakteren sich noch über die selbstverliebte reiche Tochter aus sehr gutem Hause und ihren willigen Helfer verfügt, bemüht sich Laymon im Mittelabschnitt des Buches abgeschnitten von jeglicher Rettung den potentiellen Opfern mehr Gestalt zu geben. Leider kann Laymon ab diesem Augenblick mit dem eigentlichen Plot nicht mehr viel anfangen. Eines der Mädchen wandert durch die dunklen Wälder und wird von einem eine Machete schwingenden "Wilden" angegriffen, der mit Lendenschurz höflich gesprochen mehr als deplatziert wirkt. Der Schockeffekt verpufft angesichts der Lächerlichkeit dessen Beschreibung. Wenn Laymon auf Verrückte oder übernatürliche Phänomene eingeht, dann wirkt das nicht selten bemüht und nicht immer überzeugend. Stärker sind seine Romane, wenn unterdrückte dunkle Emotionen wie Sadismus und Mordgier aus scheinbar "normalen" Menschen in öfters unnormalen Situationen wie Erdbeben oder als Gegenentwurf dem normalen Alltag ausbrechen und Unschuldige als Opfer finden, die sich aber unter großen Opfern darauf einstellen können.
In der zweiten Hälfte des Buches versucht Richard Laymon die angesprochenen Konstellationen wieder zusammenfügen. Dies ist wörtlich zu nehmen, denn von der ermordeten Mutter über den Stiefvater bis zu den einzelnen Nebenfiguren wie dem wilden Mann, der ebenfalls eine Rolle spielt, bemüht sich Laymon inklusiv einer Geistererscheinung, einer zweischneidigen Mission und einer zynischen Pointe hinsichtlich des Schatzes, den Leser zufriedenzustellen und den Plot überzeugend zu beenden. Das führt allerdings dazu, dass sich abwechselnd die Figuren dumm verhalten müssen. Hinweise werden insbesondere auch nach dem Angriff auf die junge Frau kontinuierlich ignoriert. Die geschlagenen Brücken mit dem Bus, der je nach Perspektive in der Prophezeiung erwähnt worden ist oder nicht, führen zu leichtsinnigem Verhalten. Im Vergleich zu den anderen Laymon Thrillern bleiben die einzelnen Figuren erstaunlich lange am Leben, bis sie förmlich in einer Orgie von Gewalt und Gegengewalt deutlich reduziert werden. Nicht selten fühlt sich der Leser an eine Komödie wider Willen erinnert, in der die schmierigen Familienbande so aufgesetzt erscheinen, dass es am Ende mit den falschen Rückblenden keinen wirklichen Sinn mehr macht. Genau wie die Handlung ist der Hintergrund des Romans auch atmosphärisch uneinheitlich. Viele Versatzstücke eines typischen Laymons sind vorhanden und werden in einigen Szenen auch effektiv eingesetzt. Die überdrehten Nebenfiguren sind dabei nicht selten ihren Instinkten ausschließlich unterliegende Kreaturen, wobei der Sadismus und die sexuelle Ausbeutung von nicht selten Minderjährigen über das für ihn signifikante Maß sogar hinaus gehen. Richard Laymon ist öfters der Vorwurf gemacht worden, Frauenfeindlich im Allgemeinen und voyeuristisch in Besonderen zu schreiben. In einigen Büchern wie "Das Spiel", "Das Erdbeben" oder "Die Insel" konnte dieser Vorwurf widerlegt werden, da die anfänglich wenig selbstbewussten Frauen sich der Herausforderung durch psychotische Männer nicht nur stählten, sondern sie besiegten und damit trotz körperlicher oder seelischer Schäden zu gefestigteren Frauen geworden sind. Diese Ansätze sind im vorliegenden Band nicht nur kaum vorhanden, sondern die kontinuierliche, systematisch und teilweise brutale Ausnutzung von Schutzbefohlenen durch Stief oder Pflegeväter und deren Anhang überdeckt die spärlichen Versuche, weibliche Charaktere dreidimensional und zugänglich zu beschreiben. Hinzu kommt, die allen Klischees entsprechende Liebesgeschichte zwischen der Professorin und dem lange verschollenen Schwager, die kein Gegengewicht zu den sadistischen Exzessen aufbauen kann.
Am ehesten enttäuscht an diesem Roman zusätzlich, dass sich Laymon nicht auf ein oder zwei Themen konzentrieren wollte, sondern die Handlung mit einzelnen Exzessen zum Stehen bringt, deren rote Fäden er gegen Ende des Buches nicht wieder aufnimmt. Hier sei der Wilde aus den Wäldern genauso gemeint wie das fremde Auto, das niemanden gehört, aber von jeder Figur betrachtet wird. Auch die Idee eines tatsächlichen Geistes, der ein Mitglied der Gruppe zwingt, dessen Knochen aufzusammeln, wird so ambivalent und distanziert behandelt, dass sich der Leser fragt, ob es real oder eingebildet ist. Die betroffene Figur könnte ohne Probleme unter Traumata leiden. Zusammengefasst ist "Der Geist" ein schwacher Laymon Thriller, der inhaltlich zu stark auseinanderfällt, Dynamik durch sexuell sadistisch aufgeladene Rückblenden ersetzt und vor allem überdeutlich macht, warum dumme Leute noch unlogischer in einem Wust aus Ideen handeln müssen, damit eine rudimentäre Geschichte herauskommt.
Originaltitel: Darkness, Tell Us
Originalverlag: Leisure
Aus dem Amerikanischen von Marcel Häußler
Deutsche Erstausgabe
Taschenbuch, Broschur, 512 Seiten, 11,8 x 18,7 cm
ISBN: 978-3-453-67649-7