„Der Weg nach unten“ wird von Apex Verlag neu aufgelegt. Es handelt sich um den vierten und letzten Roman aus der ersten schriftstellerischen Ära des Übersetzers und Autoren Norbert Stöbe. Zwischen 1986 und 1991 publizierte der in Troisdorf geborene Stöbe wie erwähnt vier Romane, von denen thematisch zwei in einer Art Doppelpack angeboten werden. „Spielzeit“ und „Namenlos“ ergänzen sich gut. Auch „New York ist himmlisch“ – ausgezeichnet mit dem Kurd Laßwitz Preis 1988 und ebenfalls im Apex Verlag neu aufgelegt – passt sehr gut zu „Der Weg nach unten“, dem umfangreichsten der vier Bücher.
Erst zwanzig Jahre später erschien mit „Morgenröte“ ein weiteres Buch aus Norbert Stöbes Feder.
Wie „New York ist himmlisch“ spielt „Der Weg nach unten“ in einem Mikrokosmos. Im ersten Band innerhalb einer Enklave, im zweiten Roman in einem gigantischen Hochhaus. Die Zivilisation per se ist zusammengebrochen. Ordnung ist ein relativer Begriff, der sich nur noch in den wenigen Vierteln der Reichen wiederfindet.
Jeremy Wesson alias Prinz, der in einem Komplex als Hausmeister arbeitet, führt den Leser gleich zu Beginn in diese moderne urbane Hölle ein. Norbert stöbe folgt Autoren wie James Ballard oder Christopher Priest, in Teilen auch John Brunner, die in ihren Arbeiten den sozialen Zusammenbruch der Menschen, die in den gesichtslosen Molochen der Großstädte eher hausen als leben, in verschiedenen Büchern aufgearbeitet haben.
Dieser Zusammenbruch ist allerdings fließend, wie Jeremy Wesson auch erkennen muss. Was gestern noch ein Viertel gewesen ist, das man freizeittechnisch besuchen kann, besteht heute vielleicht schon aus Straßenzügen, bei denen sich nicht einmal die Bewohner auf die Straße gehen.
Eines Abend beschließt Jeremy Wessen, das Märchentheater Goldene Gilde aufzusuchen, wo in einer Art Endlosstück die Besucher zu Akteuren werden. Mit seiner goldenen Karte erhält er sogar freien Eintritt. Die Idee ist, dass die Teilnehmer ein wenig drogentechnisch beeinflusst ihre Rollen nicht nur spielen, sondern im Grunde in der Abgeschlossenheit des Theaters leben oder vielleicht sogar exzessiv ausleben. Schon vor dem gigantischen Komplex stehend ahnt Prinz, das es vielleicht keine so gute Idee ist, dieses Viertel aufzusuchen. Das Theater befindet sich in der 154. Etage. Auf dem Weg nach oben lernt er sogar ein nettes offenherziges Mädchen kennen und knutscht als Einstieg im Fahrstuhl.
Natürlich wird das Theaterstück gestört. Natürlich werden die Teilnehmer angegriffen. Natürlich sind sie erst einmal in der 154. Etage gefangen. Sie wissen nicht, ob die beiden schon Angst einflößend aussehenden Fahrstühle funktionieren oder sich als tödliche Fallen erweisen. Auf der anderen Seite sich über einhundertfünfzig Etagen im Treppenhaus nach unten zu bewegen ist auch mörderisches Unterfangen. Eine perfekte Ausgangsbasis, die auch gerne im Kino genommen wird. Doch da müssen sich die überdimensionalen Helden meistens von unten nach oben kämpfen, wie der erste „Die Hard“ bewiesen hat. Erst Jahre später muss sich in „The Raid“ ein Polizist in einem vergleichbar mit Verbrechen und anderen Gestalten durchseuchten Hochhauskomplex nach unten in die Freiheitkämpfen.
Aber Norbert Stöbe will in seinem Buch mehr als eine existentielle Überlebensgeschichte einer kleinen Gruppe erzählen. Neben Prinz ragt von Beginn an der paranoide, aber in diesen Extremsituationen erfahrene Pack heraus. Norbert Stöbe arbeitet nicht nur die Spannungen und unterschiedlichen Interessen innerhalb der Gruppe teilweise ein wenig drastisch, teilweise als Amateurpsychologe heraus, sondern macht deutlich, dass es in dieser seiner persönlichen Zukunftswelt eben keine Helden und Schurken mehr gibt. Alle Bereiche sind Grau. Erzwungener Sex ist vielleicht ein wenig drastisch, aber zumindest konsequent. Vorher hat Norbert Stöbe schon in einigen Szenen aufgezeigt, wie sehr die moralischen Grenzen der vielleicht zu verklemmten Gegenwart vor allem der bürgerlichen achtziger Jahre nicht mehr gelten.
Auf einer zweiten Handlungsebene beschreibt Leben der Hausbewohner. Diese haben eine autarke Gemeinschaft erschaffen. Im Grunde brauchen sie nicht mehr nach unten. Der Notaussteig wird zum Müllschacht umfunktioniert. Und wenn das Wasser nicht aus den Hähnen kommt, gibt es noch Auffangmöglichkeiten außerhalb der Hausbewohner. Technik wird oder besser wurde abgeschworen, obwohl sie ja in einem der ehemals komplexen Molochs und innerhalb der Stadt leben. Der Zusammenbruch der Zivilisation nicht durch Kriege, sondern durch Dekadenz war vor allem in der New Wave Science Fiction der siebziger Jahre. Norbert Stöbe kann im Groben diesem Szenario keine neuen Ideen hinzufügen. Es sind die Feinheiten des alltäglichen Überlebens, stellvertretend für die Leser von Prinz staunend betrachtet und manchmal sogar ironisch kommentiert. Für den Handwerker/ Hausmeister scheint es eine gänzlich andere Welt zu sein, obwohl sie quasi im Viertel nebenan leben.
Die dritte Gruppe besteht aus den Schurken. Im Gegensatz zu zum Beispiel John Carpenters „Das Ende“ sind sie nicht gesichtslos oder allgegenwärtig. Norbert Stöbe zeichnet sie am Rande des Klischees, welche in schwarzem Leder und entsprechend bewaffnet Jagd nicht nur auf die kleine Gruppe der sich nach unten bewegenden Menschen machen, sondern auch die Hausbewohner tyrannisieren.
Geschickt verbindet Norbert Stöbe diese drei Handlungsbögen und lässt sie zusammenfließen. Ein großes Problem des Buches ist allerdings, dass wie eingangs erwähnt Norbert Stöbe kein Interesse hat, einen klassischen Action Science Fiction Roman zu schreiben, sondern was existentielles. Das beginnt mit dem grotesk wirkenden Theaterstück über den Fund der ersten schon lange in ihrem Bett liegenden Leiche und endet den ganzen Roman betrachtend ein wenig überraschend.
Nicht eine Szene ist „einfach“ beschrieben. Schon seine ersten drei Romane forderten erzähltechnisch den Leser, ohne ihn wirklich nachhaltig zu befriedigen. An einigen Stellen herrschte das unbestimmbare Gefühl vor, etwas Großes nicht zur Kenntnis zu nehmen, während sich der Autor stilistisch verausgabte. Schnell zeigten sich auch beim Leser Ermüdungserscheinungen; die Sehnsucht nach einer Handvoll einfacher und verständlicher Passagen. Der Autor erzwingt förmlich die Geduld des Lesers. Identifikationsfiguren gibt es im ganzen Roman nicht und „Der Weg nach unten“ wird auch schnell zu einer Reise ins Innere der angeknacksten, vielleicht manchmal auch gebrochenen Charaktere. Diese Zeichnung der Protagonisten distanziert den Leser noch weiter vom Geschehen.
Auch wenn es einige, in ihrer Anzahl aber erstaunlich wenige Actionszenen gibt, ist „Der Weg nach unten“ vor allem hinsichtlich des ein wenig überraschenden Endes wie mehrfach erwähnt kein simpler Überlebenskampfroman, sondern eine interessante deutsche Version der dystopischen Ballard Werke. Dieser hat solche Themen sogar in seinem Spätwerk ins 21. Jahrhunderts hinüber gerettet.
Von den vier Frühwerken Stöbes ist „Der Weg nach unten“ auf Augenhöhe mit „New York ist himmlisch“ deutlich besser als „Spielzeit“ und vor allem als „Namenlos“, dessen Fortsetzung nicht mehr vom Verlag angenommen worden war.
- Herausgeber : Apex Verlag
- Sprache : Deutsch
- Gebundene Ausgabe : 480 Seiten
- ISBN-10 : 3750200971
- ISBN-13 : 978-3750200975