„Die Augen des Riggers“ ist der zweite Roman der „Deutschland in den Schatten“ Trilogie. Er erschien im gleichen Jahr wie der erste Band „Das zerrissene Land“ und wurde deswegen wahrscheinlich im Gegensatz zum ersten und dem dritten ein Jahr publizierten Abschlussabenteuer nicht mit dem Kurd Laßwitz Preis ausgezeichnet als bester Roman des Jahres.
Am Ende von „Das zerrissene Land“ hat sich Thor Walez nicht nur von seinem bisherigen Leben als Decker und seiner letzten Liebe verabschiedet, die ihn aus seiner Sicht verraten hat, sondern auch von seinem bisherigen Namen. Nicht nur, um seine Spuren gegenüber seinen Verfolger in Form eines Killerelfenteams und der Chemie AG, zu verwischen, sondern ein neues Leben anzufangen.
Zwei Jahre sind seit den Ereignissen am Ende von „Das zerrissene Land“ vergangen und der Plot setzt bei den Hovercraftpiraten in der Nordsee ein. Hans Joachim Alpers hat auch für das Rollenspieluniversum „Das schwarze Auge“ mit „Die Piraten des Südmeeres“ eine im gleichen Milieu angesiedelte Trilogie verfasst.
Dem zweiten Band fehlt die lange Einleitung aus „Das zerrissene Land“. Im Sammelband ist der Leser über verschiedene Strömungen und das Auftauchen der Magie/ magischer Wesen informiert worden. Wer die Taschenbücher einzeln erworben hat, sollte nicht nur zwingend die Trilogie in ihrer chronologischen Reihenfolge lesen, sondern beachten, dass Hans Joachim Alpers zwar weiterhin jedem Kapitel eine fiktive geschichtliche Ausarbeitung vorangestellt hat, der Ton aber ironischer wird und vor allem geht der Autor mehr in die Details. Manchem Leser wird warm ums Herz, wenn einer der Drachen die Verursacher der Nordseeverschmutzung einfach bei seinem Rachefeldzug ins Jenseits gebrannt hat. Interessant an diesen sehr politischen Zwischeneinschüben in die Konzentration auf Norddeutschland im Allgemeinen und Hamburg im Besonderen. Dort spielen auch gute achtzig Prozent des vorliegenden Buches. Aufmerksame Leser werden allerdings einige kleinere Exkurse aus anderen Filmen wie „Escape from New York“ mit Wilhelmsburg als autarke Gefängnisinsel wiedererkennen. Angesichts der Komplexität des die ganze Trilogie betrachtenden Hintergrunds der Serie unterminieren diese kleinen Vertrautheiten aber nicht das generelle Lesevergnügen.
Wie „Das zerrissene Land“ ist auch „Die Augen des Riggers“ fast statisch aufgebaut. Pandur alias Thor Walez unternimmt zwei Runs, die beide allerdings im Gegensatz zu den ersten Einbrüchen nicht im Ruhrgebiet spielen, sondern auf dem das Land überschwemmende Wasser der giftigen Nordsee und/ unter den überfluteten Straßen Hamburgs. In beiden Fällen sind die Unternehmen unterschiedlich erfolgreich. Auch dieses Handlungsmuster lässt sich dem ersten Buch entnehmen, wobei der exotische Hintergrund und die Detailbesessenheit, mit welcher Hans Joachim Alpers vor allem das exotische, aber auch erkennbare Hamburg weiterentwickelt, qualitativ eher für den zweiten Band der Trilogie sprechen.
Der erste Run ist ein Überfall mit einem Hovercraft auf die Transportschiffe, welche die Nordsee durchqueren. Ein Teil der Nordsee ist inzwischen zu einem mystischen Geisterland geworden, das eher an die Seemannsgeschichten eines William Hope Hogdsons erinnert. Wie in „Waterworld“ greifen die Piraten die Frachtschiffe mit kleinen magnetisch ausgestatten Jetskis an.
Als ein bewaffnetes Begleitschiff auftaucht, lässt die Piratenkapitänin sowohl Thor als auch einen Kameraden im Stich und flieht. Da die Energie ihrer Jets nicht ausreicht, um an Land zu kommen, sind die beiden Männer im Grunde einem langsamen Tod ausgeliefert. Thor ist sich allerdings nicht ganz sicher, ob das Auftauchen des bewaffneten Schiffes und die Flucht der Piratenkapitänin nicht doch mit seinem letzten Run vor zwei Jahren und der Wut eines höheren Angestellten der Chemie AG auf ihn persönlich zu tun hat.
Beim zweiten Run führt er wieder eine Mission aus, die ihm finanziell helfen soll. Ziel sind die Server im Hamburger Chilehaus. Der Auftraggeber ist ein wenig schwammig. Es könnte eine Umweltschutzorganisation sein. Allerdings sichert sich Thor bei diesem spannend beschriebenen, ein wenig holprig ablaufenden Unternehmen datentechnisch so viel Sprengstoff, das aus seiner Sicht die Chemie AG in ernste Schwierigkeiten kommen könnte. Nur will er diesen Zusatzertrag nicht unbedingt kommerziell, sondern sozial vergolden. War es bislang schon Zielscheibe des Unternehmens, wird die Jagd blutiger, zumal der Shadowrunner aus magischen Gründen nicht mehr an sein Board kommt und dadurch im Grunde den eigentlichen Auftrag genauso wenig abschließen wie seinen Herzenswunsch realisieren kann. Und die Häscher kommen immer näher.
Je weiter der Leser in den vorliegenden Band literarisch vordringt, um so öfter finden sich Hinweise und Anspielungen auf „Das zerrissene Land“. Dabei reicht das Spektrum von Thors Erfahrungen mit Frauen über seine Karriere als Shadowrunner bis zu einem Mann, der eigentlich auf seiner Seite stehen müsste und plötzlich die Fronten gewechselt hat. Die Komplexität überdeckt den im Grunde nur auf zwei großen Verfolgungsjagden mit einer unterschiedlichen Anzahl an Actionszenen bestehenden Plot.
Während Thor im Ruhrgebiet vor allem mit den Wagen und zu Fuß unterwegs gewesen ist, bietet „Die Augen des Riggers“ mehr. Manches erinnert wie eingangs erwähnt an eine Cyberpunk Version von Waterworld ohne die Absurditäten auf dem Tanker. Da haust eine Sekte in einem vom Wasser umschlossenen Hochhaus. Mit einem Klein U Boot dringen die Shadowrunner schließlich in den Keller des Chilehauses und müssen nicht nur im Schlick des verdreckten Wassers des Patrouillen ausweichen, sondern werden von Nazis in ihrer engen Straße beschossen. Sie besuchen eine gigantische Konzertinsel, die sich wie der Gefängnisstaat quasi selbstständig gemacht hat und ein ewiges Festival mit schlechtem Punk, aber wahrscheinlich vielen Drogen den Besuchern anbietet.
Hans Joachim Alpers hat sichtlich Vergnügen, das bestehende Hamburg zu demontieren und mit der hanseatischen Arroganz zu spielen. Das beginnt bei den Flutkatastrophen und ihren entsprechenden Spätfolgen und endet schließlich in einer Art Kommune mit Magiern, die nur kurzzeitig ein Versteck darstellt. Die Balance aus den teilweise pointierten Hintergrundbeschreibungen eines für viele Leser vertrauten Ortes und den unterhaltsamen, deutlich variableren Actionszenen funktioniert in „Die Augen des Riggers“ mindestens so gut, wenn nicht sogar noch ein klein bisschen besser als in „Das zerrissene Land“, in dem Alpers mehr das gesamte Universum den Nichtspielern vorstellen musste. Auch die Magie über Schutzzauber oder Schamanen hinaus wird effektiver eingesetzt, wie der verblüffte Thor Walecz am eigenen Board in einer der besten Wendungen des Plots erfahren muss.
Spürbar schwächer ist die Charakterisierung der Nebenfiguren. In dieser Hinsicht verfügt „Das zerrissene Land“ über eine Handvoll von bizarren, aber mit spitzer Feder gezeichneten Antihelden. Bis auf die junge Frau an Thors Seite und sein neues vages Liebesinteresse bleiben die Teammitglieder effektiv, aber charakterlich blass. Das hohe Tempo mit den zahlreichen, von den Auswirkungen ökologischer Katastrophen geprägten Hintergründen lässt Hans Joachim Alpers im übertragenen Sinne keinen Raum, um die Figuren nachhaltiger zu entwickeln. In „Das zerrissene Land“ hatte fast jede der Nebenfiguren ihre fünf Minuten des Ruhms, hier müssen sie sich alle mit geteilten Augenblicken begnügen. Hier bleibt ein die Umweltverschmutzer bestrafender Drache und eine schüchterne Wassernixe mit perfekten Busen eher im Gedächtnis als der Pilot des kleinen Mini U- Bootes, der in den Stahl- und Betonlabyrinthen der Hamburger Innenstadt fahrerisch wahre Wunder vollbringt. Zumal dieser auch noch Opfer eines Betrugs geworden ist und seine für Magier vorgesehenen Augen nicht funktionieren. Die Transplantation wird ihn nach und nach in den Wahnsinn treiben.
Während des Finals als Übergang zum abschließenden Roman „Die graue Eminenz“ dreht Hans Joachim Alpers noch einmal an der Temposchraube und überspannt fast den Bogen in James Bond Action Manier. Er verlegt das Szenario nach Prag. In einer Welt voller Magie und magischer Wesen bleibt dem Autor nichts anderes übrig, als den Golem zu reaktivieren. Während des Showdowns orientiert sich Hans Joachim Alpers aber auch ein wenig zu sehr an James Camerons "Terminator" 2, in dem er den Golem ambivalent, aber nicht besonders effektiv einsetzt. Einige Szenen wirken innerhalb dieses Finals verwirrend und die unterschiedlichen Gruppen versuchen ihre Motivation viel zu umfangreich wie unnötig zu erläutern. Im letzten Roman werden diese Erkenntnisse sowieso wieder hinterfragt, weil die Handlung auf eine weitere Paranoiaebene gehoben wird. Zusätzlich begegnet Thor zumindest den mittelbaren Verantwortlichen.
Das fatalistische Ende ist aber nicht nur der Übergang zum abaschließenden Roman, sondern bedeutet für Thor Walez auch einen Wendepunkt. War er als betrogener Shadowrunner bislang ein Getriebener, will er sich für seine beiden Freundinnen rächen, die auf den Missionen ums Leben gekommen sind.
Zusammengefasst ist "Die Augen des Riggers" kein klassischer Mittelband einer Trilogie. Minutiös und mit vielen kleinen Ideen treibt Hans Joachim Alpers den Plot mit einer gesunden Mischung aus zwei langen Actionszenen, einem dramaturgisch bizarren Finale und einigen hintergrundtechnischen Ruhephasen effektiv weiter voran. Hamburg wirkt in seiner Fülle sogar faszinierender als der Ruhrpot mit dem Schwerpunkt Wuppertal vielleicht als kleine Hommage an Alpers Freund und langjährigen Coautoren Ronald M. Hahn. Die Figuren sind im Detail nicht so differenziert entwickelt worden wie im ersten Band. Dafür wird Hans Joachim Alpers im letzten Buch der Trilogie auf eine Reihe von Figuren aus beiden Romanen nicht nur zurückgreifen, sondern ihnen dann eine umfangreichere Motivation mit auf den Weg geben.
- Herausgeber : Heyne (1. Januar 1994)
- Sprache : Deutsch
- ISBN-10 : 3453077571
- ISBN-13 : 978-3453077577