Die PSI Droge

Mike Dolinsky

„Die Psi Droge“ ist der einzige von nur vier Romanen aus der Feder Meyer Dolinskys, der auf deutsch erschienen ist. Horst Pukallus übersetzte das Buch 1976 für den Heyne Verlag. Der Apex Verlag legt den Roman neu als EBook wie auch gedruckt auf.  Es ist die einzige literarische Science Fiction Arbeit des Mannes, der mehrere Jahrzehnte lang Drehbücher für die populärsten Fernsehserien der USA verfasst hat.  Interessant ist, dass Dolinsky zu Beginn seiner Karriere zwei Romane in den fünfziger Jahren veröffentlichte und am Ende seines Lebens in den Siebzigern auch zwei Bücher folgen liess.

So schrieb er an Bonanza, Am Fuss der blauen Berge, Daktari, Kobra übernehmen sie, Hawaii Fünf- Null, Cannon, aber auch der dritten Staffel von „Star Trek“ mit.

Auch wenn das Buch nicht perfekt ist, reiht es sich wegen seiner originellen Handhabung des Themas „Telepathie“ in die schmale Phalanx von provokanten Werken wie Robert Silverbergs „Es stirbt in mir“, Katherine MacLeans „Der Esper und die Stadt“ sowie James Blish unterschätztem Roman „Der Psi Mann“ ein.  

Eine experimentelle Droge ermöglicht es Menschen, Gedanken zu lesen. Aber Mike Dolinsky geht in diesem Punkt einen Schritt weiter. Es ist keine passive Fähigkeit, sondern es kommt zu einer Art Kommunikation zwischen den durch die PSI Droge manipulierten Menschen, in denen sie über deren Gedanken hinaus im Grunde auch die emotionale Ebene „ertasten“ und sogar beeinflussen können. Das erste „Opfer“ ist der an Schizophrenie erkrankte Bert Roland, dem die Droge eigentlich einen stabileren Gemütszustand verschaffen sollte. Der Plot geht nicht weiter darauf ein, ob Bert Roland besonders empfindlich oder besser empfänglich für die Droge ist oder die Warnhinweise hinsichtlich der Dosierung vom Pflegepersonal einer kirchlichen Einrichtung nicht richtig gelesen worden sind. Auf jeden Fall kommt es zu einer Überladung seines Gehirns, weil er selbst seine Gedanken und Emotionen vor allem auch hinsichtlich seiner attraktiven Psychoanalysten nicht mehr unter Kontrolle halten kann.

Bert Roland bringt sich schließlich auf. Nicht der Selbstmord, sondern die offensichtlichen Nebenwirkungen der Droge veranlassen vier Verantwortliche, die Droge an sich selbst auszuprobieren.  Bert Roland ist das unfreiwillige tragische Opfer. Mit seiner Verzweiflung, aber auch seinem kindlichen Ehrgefühl vor allem seiner Psychologin Sarah Heldt gegenüber ist er einer der fünf überdurchschnittlich gut gezeichneten Protagonisten, welche durch die PSI Droge zu einer Art Schicksalsgemeinschaft werden.

Pater Kevin ist nicht nur sein behandelnder Arzt, er ist auch Jesuit. Verliebt ist Pater Kevin in Sarah Heldt. Der Roman macht nicht deutlich, ob ihre Liebe eher platonischer Art ist oder in der Vergangenheit vor dem Einsetzen des Plots moralische Grenzen überschritten worden sind. Pater Kevin ist in seinem Glauben gefangen. Vor allem jeglicher möglicher Bruch der strengen Priesterregeln und damit den obligatorischen Schritt näher zur ewigen Verdammnis könnte seine nur bedingt starke Persönlichkeit ins Wanken bringen.

Sarah Heldt ist eine attraktive, modern denkende junge Frau, die als Psychologin sich um ihre Patienten kümmert. Sie liebt Pater Kevin – natürlich ein rothaariger Priester mit irischen Wurzeln -   nicht nur platonisch, auch wenn sie ahnt, dass sie hinter Gott höchstens eine Nebenrolle einnehmen kann.

Phil Langner ist der Biochemiker, welche die Droge entwickelt hat. Pragmatisch bis eindimensional langweilig ist er Täter und Opfer zu gleich. Er kann sich nicht vorstellen, wie diese Nebenwirkung entstanden ist. Langner ist in der Gruppe aber auch der Mahner, der eine paranoide und durchkontrollierte Welt sieht, sollte der Nebeneffekt der emotionalen Telepathie bei allen Testanten auftreten.

Tooey Thomas ist der reiche Playboy der Gruppe, der Chef des die Droge produzierenden Pharmakonzerns ist. Er ist auch die treibende Kraft hinsichtlich des Selbstversuchs, der ihm die Chance gibt, moralische Grenzen nicht nur auszutesten, sondern konsequent zu überschreiten und die anderen Mitglieder der Gruppe bloßzustellen – Sarah Heldt – oder hinsichtlich ihrer Hemmungen – Pater Kevin – zu provozieren. 

Der Anschlag von fremden Emotionen und Gedanken ist erdrückend. Ohne in die Details zu gehen beschreibt der Autor diese relativ authentisch. Dabei stellt er unbewusste Handlungen, wie Sarahs innere Abneigung gegenüber Berts Liebesschwüren, den erotischen Wünschen/ Gedanken oder den wie eine Sucht wirkenden Obsessionen Tooey Thomas gegenüber. Nur können die Menschen diese nicht mehr bei sich verhalten, sie sind gedanklich gläsern geworden.   Im mittleren Abschnitt des Romans konzentriert sich der Autor auf die charakterlich dreidimensional entwickelte Gruppe mit ihren Ecken und Kanten, Neurosen und Schwächen. Sie müssen auf der einen Seite im Geheimen zusammenstehen, um die Wirkungen und Auswirkungen der Droge zu beobachten und zu dokumentieren, auf der anderen Seite treiben ihre jeweiligen Gedanken sie immer wieder und immer weiter auseinander.

Der nächste Schritt ist folgerichtig. Die Politik und das Militär sehen unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten.  Aber die Droge lässt sich hinsichtlich ihrer Verbreitung nicht mehr kontrollieren, so dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie an die labile Öffentlichkeit dringt und damit das soziale Zusammenleben unmöglich wird.  

Der Autor verbindet einige bekannte Ideen aus der Science Fiction zu einer sehr erwachsenen und vor allem auch intelligenten Mischung. Die Telepathie ist grundsätzlich keine Gabe, sondern in der beschriebenen Form ein Fluch. Damit folgt er Robert Silverberg oder James Blish, welche die Telepathen, ihre Gabe und vor allem bei Robert Silverberg das Erlöschen der Fähigkeit eher als Makel, als ein Isolation von der nicht perfekten, aber funktionierenden Gesellschaft angesehen haben. Nicht umsonst wird ein General, welcher die Droge an sich selbst ausprobiert, durch seine kontinuierliche Paranoia wahnsinnig. Dank der Fähigkeit wird unfreiwillig und unabänderlich die Selbstschutzgrenze überschritten und jeder latente Gedanke der Mitmenschen kann zu einer intellektuellen Waffe werden.

Da auch Emotionen, Wünsche, Gelüste und Begierden lesbar und übertragbar sind, fallen gegen Ende des Romans die moralischen Schranken. Eindrucksvoll bei seiner Reise durch ein rasant zerfallendes, sich selbst zerfleischendes Land wird das vor allem dem verklemmten Pater Kevin klar, der sich mit einem erdrückend schlechten Gewissen mit seiner Sarah sexuell vereinigt und gleichzeitig von seinen eigenen Gedanken abgestoßen wird.

Es ist der letzte und intensivste Schritt des Romans. Die PSI Droge wird zu einem neuen Heilsbringer, eine Art Ersatz LSD, welche auch „normale“ Menschen anzieht wie die Motten vom Licht. Zwar deutet der Autor an, dass die Wirkung nachlassen kann, aber sie hinterlässt auch schwere Hirnschäden, wie Langner erkennen muss. Da hilft ihm auch das leicht verdiente Geld durch Regierungsauftrag bei der Erforschung anderer Medikamente nichts.

Mit der kleinen Vierergruppe streift der Autor auch wichtige Eckpfeiler der Gesellschaft. Der verklemmte, verzweifelt um Normalität kämpfende und sich für seine Patienten aufopfernde Kevin; dazu die im Grunde „normale“ Psychologin, die sich in Kevin verliebt hat und gerne eine auch sexuell aktive Partnerschaft mit ihm eingehen möchte. Der Playboy Thomas ist die variable Radikale. Mit seinem Geld kann er sich im Grunde alles kaufen und ist doch bei seinen ganzen Liebschaften einsam. Er provoziert Kevin mit seinen erotischen Versionen Sarah betreffend, die auf der einen Seite abgestoßen, aber auf der anderen Seite durch diesen Freigeist auch seltsam berührt wird.

Alle vier können aber ihre Fähigkeiten mittelbar kontrollieren. Sie können die Gedankenverbindungen vor allem in ihrer Nähe nicht ausschalten, aber sie agieren zielstrebig und konsequent. Mike Dolinsky beschreibt diesen Prozess nicht nur eindrucksvoll und auf Augenhöhe, sondern zeichnet das labile Verhältnis zwischen der nach außen gekehrten Innenwelt und dem verzweifelten Versuch, trotzdem als Team zu agieren überzeugend nach.

„Die PSI Droge“ ist auch heute noch ein interessanter,  auf der zwischenmenschlichen Ebene ausgesprochen realistischer Roman, welcher die Telepathie ausschließlich als Fluch, als Belastung darstellt und nicht als Segen oder manipulierende Waffe. Mit den dreidimensionalen Charakteren und einem soliden, an Tempo bis zum fatalistischen Ende gewinnenden Spannungsbogen sowie der Ergänzung um eine emotionale Verbindung verdient der Roman eine Wiederentdeckung im 21. Jahrhundert und ist wie „Der Esper und die Stadt“ zu Unrecht in Vergessenheit geraten.  

DIE PSI-DROGE - Der Science-Fiction-Klassiker! - Mike Dolinsky, Horst Pukallus

  • Taschenbuch: 296 Seiten
  • Verlag: epubli; Auflage: 1 (21. März 2019)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3748522630
  • ISBN-13: 978-3748522638