Galaxy Tunes (r)

Rob Reid

Rob Reid muss Anwälte lieben. Nicht nur, das er in seinem im Original zu einfach betitelten Roman "Year Zero"- das Jahr, in dem die Aliens die irdische Musik entdeckten und alle galaktischen Kalender auf "null" stellten -  ein kleines Anwaltslicht einer auf Markenrechte und Copyrights spezialisierten Anwaltskanzlei in den Mittelpunkt des immer exzentrischer werdenden Geschehens stellt, der Plot endet schließlich mit einem für Anwälte und in diesem Fall auch die ganze Menschheit lukrativen Vergleich. Weniger in monetärer Hinsicht, denn in Bezug auf die zukünftige Lebenserwartung. Obwohl es Rob Reids dritte Buchveröffentlichung ist, handelt es sich um seinen ersten Roman. Bislang hat er neben den Memoiren eines Studenten in Harvard - interessanterweise "Year One" überschrieben - noch den Aufstieg des Internets als kommerzielles Medium in "Architects of the Web" beschrieben. Obwohl Rob Reid sehr genau über Anwälte und Medienrecht in seinem vorliegenden Roman schreibt, ist er selbst kein Anwalt gewesen. Er hat aber "Listen.com" gegründet. Ein Online Musiservice, der sich im Vergleich zu den zahllosen Raubkopierern die Rechte an den Liedern von

den meisten großen Labels sicherte und vermarktete. Rob Reid hat die Firma schließlich verkauft. Immerhin gibt es auch heute noch mehr als eine Millionen Abonnenten. Kein Wunder, das "Year Zero" insbesondere in der ersten Hälfte so überzeugend und authentisch erscheint. Hier schreibt ein indirekter Insider. Zusammen mit John Scalzy könnte Rob Reid nach der Riesenlücke, die Douglas Adams zu früh hinterlassen hat, die Lücke im Bereich humorvoll intelligenter Science Fiction füllen, die Aspekte des Genres - First Contact als Beispiel - liebevoll parodiert, surrealistisch extrapoliert und vor einem all zu menschlichen Hintergrund abspielen lässt.

Die Grundidee ist bestechend einfach und basiert wahrscheinlich auf Reids Erfahrungen. Die ganze Galaxis ist nicht nur voll mit intelligentem Leben, diese Außerirdischen sind den Menschen in allen Bereichen überlegen. Nur Musik bekommen sie nicht hin. Daher klauen die Aliens seit vielen Jahren einfach die irdische Musik. Als sie erfahren haben, dass es so etwas wie Urheberrecht und vor allem drakonische Strafen insbesondere in den USA gibt, nehmen sie sich einen Anwalt. Den Besten, den es geben könnte. Wie bei einer Screwballkomödie beginnt ab diesem Augenblick einer Reihe von Missverständnissen. Denn erstens ist Nick Carter nicht mit dem Firmeninhaber Carter verwandt oder verschwägert. Und zweitens ist Nick Carter kein Mitglied der Backstreet Boys. Da die Außerirdischen über einen eher von Rob Reid ambivalent genutzten Ehrencode verfügen, wollen sie die irdischen Gesetze beachten und ihre Schulden bezahlen. Nur sind die Schulden inzwischen ins Unermessliche angewachsen, da - eine interessante Wendung des Plots - die Außerirdischen alle Songs jeweils für jeden "Bewohner" herunter geladen haben. Der irdische Sammlerwahn wird in die Weiten der Galaxis übertragen. Aber selbst das wäre zumindest in der Theorie angesichts der Milliarden von Raubkopien nicht einmal ein Problem, da die Urheberrechtsgesetze nur für alle Länder gelten, die vor mehr als einhundert Jahren die entsprechende Charta unterschrieben haben. Und dazu gehört keine außerirdische Zivilisation. Um die Fremden dennoch in eine materielle Klemme zu bringen, muss Rob Reid nicht zum ersten Mal im Verlaufe des Plots tricksen. Die Außerirdischen zapfen die Radiosender auf amerikanischen Boden ab. Direkt aus einem unterirdischen, nicht genutzten U- Bahnhof. Also erfolgt die erste Raubkopie in einem Mitgliedsland dieser Charta, das ausgerechnet auch noch über blutrünstige und Geldgierige Anwälte verfügt, die lieber Kontrahenten oder gar den technischen Fortschritt im gerichtlichen Keim ersticken als das ihren Mandanten und damit ihnen - eine schmale Grenze, die von den Gegnern vor Gericht immer gerne beachtet wird - kein Geld entgeht. Auch wenn diese Idee nicht nur originell, sondern auch begründungstechnisch akzeptabel ist, wirkt der zweite Schritt aufgesetzt. Da der Transport durch die Falzen - hier bleibt Rob Reid eher frustrierend vage - keinen Zeitverlust bedeutet und so gut wie nichts kostet, haben die Außerirdischen die zahllosen Raubkopien anscheinend für jedes außerirdische Wesen in New York gefertigt und von dort ins All geschickt. Damit wird für jede einzelne Kopie eine Strafe fällig. Diese angehängte Prämisse, die Nick Carter aus verschiedenen Gründen fertig macht, wirkt allerdings aufgesetzt.

Um Spannung zu erzeugen, muss es auch eine Fraktion der Fremden geben, die nichts vom Bezahlen von Rechnungen hält. Um aus der Schuldenfalle herauszukommen, ist Angriff die beste Verteidigung und so soll die Erde vernichtet werden. Mit dieser Prämisse dreht Rob Reid ein wenig zu sehr an der Klischeeschraube, zumal sich die unterschiedlichen Interessensgruppen mehrfach im Verlaufe des Plots nicht nur auf der Erde und damit in New York, sondern auch in den Tiefen verschiedener Niemandszonen begegnen, ohne dass diese nachhaltige Spuren im Plot hinterlassen.  

Es ist erstaunlich, dass Rob Reid das gewichtigste Thema - Musikpiraterie im Auge des Urheberschutzes – im Vergleich zu den eher typischen Science Fiction Elementen am leichtesten abhandeln kann. Das liegt nicht nur in der Tatsache begründet, dass Reids Protagonist und Identifikationsfigur des Lesers selbst über die absurden Exzesse der Gesetze staunen kann, von denen nicht weniger aus der Feder seiner direkten Vorgesetzten stammen. Auf den ersten einhundertfünfzig sehr gefälligen Seite breitet der Autor ein für die Fremden im Grunde aussichtsloses Szenario vor. Dabei geht es ausschließlich um Geld. Das auf Raubkopien auch Haftstrafen stehen, wird von Anfang an ausgeklammert. Das hätte wahrscheinlich die grundlegend humorvolle Note des Buches unterminiert. Am Ende fängt Rob Reid nach einer wirklich teilweise absurd überzogenen Odyssee diese Idee wieder ein und präsentiert für alle Nationen außerhalb von Nordkorea einen Vergleich, der aber kritisch betrachtet für die meisten Menschen zu einem Nullevent wird. Profitiert haben nur die Anwälte, wobei nicht klar ist, wer Nick Carter für seinen zahllosen Stunden bezahlen wird. Vielleicht stiehlt sich der Autor ein wenig zu leicht aus einer Prämisse, die in ihrer Absurdität und damit auch ihrem Unterhaltungswert schwer zu übertreffen ist.

In seinem Nachwort spricht Rob Reid davon, dass die Ausgangsidee im Verlaufe der zahlreichen Variationen durch Nebenhandlungen erweitert worden ist. Diese Einschübe sind deutlich erkennbar. Wenn der Leser schon die naiven bis dümmlichen außerirdischen Boten nicht ernst nehmen kann, wirkt die Invasion von Rob Reids Wohnung gerade während eines weiteren Dates mit einer talentierten Sängerin und Nachbarin - eine leider interessante, aber unterentwickelte Nebenfigur des Buches - auf "Ghostbusters" Niveau zu überzogen.                                                     

Die Gefahr, dass die Aliens statt die Rechnung zu bezahlen eher die Erde zerstören könnten, nachdem die Menschen in den letzten dreißig Jahren viermal der Selbstvernichtung zum Erstaunen der ganzen Galaxis entkommen sind, wird von Rob Reid mehrmals expliziert erwähnt, aber ein Drängen, ein zeitlicher Druck zeigt sich an keiner Stelle des Romans, so dass der Plan B der Aliens eher wie ein MacGuffin den eine wirkliche Alternative darstellt.

 

Die Reise durch die Tiefen des Alls erinnert nicht selten impliziert an Joe Dantes "Explorers", wobei sich Rob Reid schon bemüht, einzelne fremde Völker als Bedrohung der nichts ahnenden Menschheit darzustellen. Im Vergleich zu Douglas Adams reiner Satire auf das Genre wirkt Rob Reid allerdings an einigen Stellen zu bemüht. Douglas Adams Kunst bestand darin, Alltägliches zu nehmen und so lange zu verändern, bis der Leser nicht anders konnte, als es in dieser "neuen" Form zu akzeptieren. Man denke nur an das Handtuch und die Zahl "42". Auf diesem Niveau ist Rob Reid nicht. Sein Humor ist deutlicher im hier und jetzt angesiedelt. Nick Carter ist ein Kind dieser Epoche, der seine fünfzehn Minuten des Ruhms in der Gegenwart hat. Viele seiner Anspielungen beziehen sich auf gegenwärtige Künstler. Die achtziger und neunziger Jahre wirken nicht eine Generation entfernt, sie scheinen aus einem gänzlich anderen Jahrhundert zu stammen. Auch hat der Leser an mehr als einer Stelle das Gefühl, als wenn der Autor mit seinem Insiderwissen und seinen Erfahrungen zwar vor den Lesern kokettiert, aber nicht angibt, trotzdem fühlt man sich ein wenig außen vor. Die Balance zwischen Humor und Spannung stimmt insbesondere im zu langen, sich um die eigene Achse drehenden Mittelteil zu wenig. Rob Reid zerfasert die Handlung in diesem wichtigen Plotabschnitt zu sehr, als das der Leser allen Komponenten folgen kann oder viel schlimmer folgen will.

Die Grenze zwischen parodistischen Humor, Satire und Groteske ist schmal. Mit den sprechenden Papageien - ebenfalls außerirdische Wesen -, die Nick Carters reichen wie dummen Cousin heimsuchen und dessen Botschaften schlägt das Pendel ins Negative um. Diese Passagen sind nicht witzig. Sie wirken eher wie Zeilenschinderei.

Zusammengefasst lebt „Year Zero“ von einer sehr guten Ausgangsidee, die Rob Reid aufgrund seiner eigenen Erfahrungen auch geschickt mit einem eher untypischen und deswegen auch wenig erfolgreichen Anwalt – er verfügt über keine eigenen Ideen – zufriedenstellend ausgearbeitet hat. Zu den Schwächen gehören neben den angesprochenen Längen die bemühten Versuche, Nebenhandlungen unnötig aufzubauen und zu viele rückblickend überflüssige und eher eindimensionale Charaktere – dabei spielt es keine Rolle, ob es Menschen oder Außerirdische sind – in die laufende Handlung zu integrieren. Auf der anderen Seite hat es lange keinen Roman auf diesem Niveau mehr gegeben, der nachhaltig zeigt, wie sehr unsere Welt von Popkultur jeglicher Art und Niveaus durchdrungen ist und wie abgehoben – neben der Finanzwelt – das Musicbusiness geworden ist. Insbesondere die Seitenhiebe auf die Chef der Plattenlabel und eine Reihe von Künstlern sind köstlich wie bösartig zu gleich. Rechtsanwälte und angehende Jurastudenten werden noch mehr Spaß mit dem Spiegel haben, den ihnen Rob Reid ins Gesicht hält. Für Normalverbraucher und illegale Downloader beschreibt Rob Reid die „Perpetuum Mobile“ Mechanismen dieser jeglicher Kontrolle entglittenen Welt mit einfachen, erstaunlich klaren Worten ausführlich, ohne dabei die Grundidee von hintergründiger, humorvoller Unterhaltung aus dem Augen zu verlieren. „Year Zero“ ist einer der empfehlenswerteren Erstlinge der letzten Jahre, der überwiegend positiv lustigen Humor mit einer guten, so typisch menschlichen Ausgangsidee zu einem an Fastfood erinnernden, schnell herunter zu lesenden Roman verbindet.        

         

 

Originaltitel: Year Zero
Aus dem Englischen von Bernhard Kempen

Deutsche Erstausgabe

Taschenbuch, Broschur, 480 Seiten, 11,8 x 18,7 cm
ISBN: 978-3-453-52991-5