Zum ersten Mal in der relativ kurzen Geschichte von „Perry Rhodan Neo“ wird offensichtlich eine Handlungsebene nicht innerhalb des von Frank Borsch abgesteckten Rahmens von in diesem Fall zwölf Taschenheften abgeschlossen. Im Vergleich zu Rhodan zweiten Vorstoss in Richtung Arkon wirkte die bodenständige „Mutantenkrise“ Handlung auf der Erde sehr viel spannender mit einem unbestrittenen Höhepunkt „Der König von Chittagong“. Der vorliegende Roman „Die Genesis- Krise“ – der Titel wird von Christian Montillon gegen Ende der Handlung sogar relativiert – nähert die Mutentenhandlungsebene noch mehr an die „X- Men“ Folgen aus der Zeit Claremonts an. So gut die Idee einer Viruserkrankung unter den Mutanten auch sein mag, so sehr muss sich Frank Borsch der Kritik stellen, dass ihm als Autor/ Expokrat wirklich nicht viel Neues geschweige denn Originelles einfällt. Die Auflösung des von Christian Montillon anfänglich wirklich gut geschriebenen Romans ist gelinde gesagt eine Enttäuschung. Dass das Paralleluniversum die Möglichkeit eines endgültigen Todes schon relativ stark eingeschränkt hat, deutete sich in den letzten „Neo“ Bänden schon an. Noirs Fähigkeit, Menschen/ Wesen zwischen den Universen quasi auszutauschen erinnert eher an die Pseudowissenschaften der gegenwärtigen „Star Trek“ Serie. Zu sehr ragt sie aus dem bisherigen „Neo“ Universum heraus und zu stark eröffnet sie den Autoren Hintertürchen, mit deren Hilfe sie ihre Protagonisten im Grunde aus unmöglichen Situationen retten können. Das der Tod nicht endgültig ist, haben eine Reihe von „Neo“ Romanen bewiesen. Daher bleibt abzuwarten, ob die Autoren sich zu einem endgültigen Opfer entschlossen und diesen klischeehaften Kreislauf durchbrochen haben. Positiv ist, dass mit der erotischen Wundervorstellung einiger Autoren – der Truckerin mit dem Spitzname „Wonderbra“ – sowie dem Mutanten Monk Figuren aus der Anfangszeit der Serie wieder auftauchen.
Der Auftakt von „Die Genesis- Krise“ setzt die semirealistische Handlung insbesondere von „Der König von Chittagong“ nahtlos und überzeugend fordert. Mercant und Adams haben insgesamt zwölf Zweierteams mit Mutanten ausgeschickt, um bislang unbekannte Mutanten und ihre unterschiedlichen, im Vergleich zur alten Serie deutlich differenzierten Fähigkeiten zu finden und in das Ladeside Institut zu bringen, wo sie entsprechend ausgebildet werden könnten. Eines dieser Teams besteht aus Ras Tschubai und dem passiven Teleporter Olf Stagge, der von selbst nicht springen kann. Er kann als Katalysator bei einem Teleporter dessen Energie verstärken und selbst Menschen mitnehmen. Die beiden spüren in Java die Chinesin Ailin auf, die in einem Bordell arbeitend Glas zersplittern und dieses Ziel gerichtet fliegen/ angreifen lassen kann.
Die Begegnung mit der Chinesin erfolgt nicht nach Plan, zumal ominöse Hinweise des Parallelwelten Haggards von einer drohenden Mutantenkrise sprechen. Es wird vor einem Amoklauf der Mutanten gewarnt. Interessanterweise spricht niemand mit den Mutanten. Entweder ist das Vertrauen insbesondere in Mercant und Adams so schwach, dass sie mit ihren Schülern nicht in Kontakt treten können oder es gibt einfach nur plottechnisch konstruierte Gründe, das Institut mittels eines fingierten Feueralarms – wie unauffällig – zu evakuieren und die Mutanten zurückzulassen. Das diese Aktion inklusiv des Umschließen des Komplexes das Misstrauen der Mutanten weckt, braucht nicht weiter diskutiert werden. Tako Kakuta gelingt es für einen Moment, den Schirm mittels Teleportation zu durchdringen. Die höherdimensionalen Wechselwirkungen „töten“ allerdings den Mutanten. Wie schon angesprochen stellt sich die Frage, ob Kakuta wirklich „tot“ ist oder er später entweder durch einen mehrdimensionalen Trick wieder belebt oder in der Begegnung mit Ernst Ellert, der am Ende des Romans als mahnender „Zeigefinger“ wieder auftaucht, eine neue Erfüllung findet.
Die Ursache der Mutantenkrise scheint ein Virus zu sein. Da der Haggard der Parallelwelt medizinisch weiter ist, klärt er sein „Neo“ Haupthandlungs- Ich über dieses Virus auf. Hier tauchen die ersten Widersprüche an. Faktisch wäre der potentielle Briefträger Andre Noir quasi an zwei Orten und in zwei Paralleluniversen zu gleich gewesen. Natürlich ist so etwas in der Science Fiction möglich, aber es stellen sich mehrere Fragen: Hat Andre Noir auch ein anderes Ich in der nächsten Dimension? Wie kann er seine Verwandten/ Freunde mittels einer Blutspur in erster Linie in Europa töten/ retten und gleichzeitig in Behandlung beim anderen Haggard sein? Woraus besteht die Behandlung? Antikörper oder eine einfache Spritze. Wie kann in der Parallelwelt Haggard diese Krankheit heilen, die dort anscheinend noch nicht ausgebrochen ist? Sonst wären ja die Austauschkandidaten mindestens zum Teil erkrankt?
Die Grundidee, das die Mutantenfähigkeit variabel sind und insbesondere der Junkanteil im menschlichen Genom durch den Einfluss des Virus veränderbar ist, wird von Christian Montillon mit dem notwendigen Ernst und nachvollziehbaren Thesen erläutert. Auch die Steigerung der parapsychischen Energie bis zur Eruption in allerdings eher cineastisch interessanten Feuerbällen manifestiert zeigt, dass sich Frank Borsch intensiver mit den Mutanten insbesondere im Vergleich zur Mutantenkrise der alten Serie auseinandergesetzt hat. Leider macht Frank Borsch aus dieser interessanten Grundprämisse zum wiederholten Mal zu wenig bis leider kritisch gesprochen gar nichts. So findet sich in Haggards Brief natürlich das Antivirus, das die Symptome auf eine Erkältung reduziert.
In der zweiten Hälfte des Romans versuchen die Mutanten das Arkonidenschlachtschiff, als letzte Bastion in der Nähe des Instituts mit aktivierten Waffen schwebend, zu kapern. Parallel reaktivieren Sue und ein „normaler“ Sid den Mutanten Monk, der die Mutantengaben vor Abreichung der Gegenmittel blockieren soll.
Die Action dominierten Szenen der zweiten Romanhälfte können nicht mehr so überzeugen wie die stimmungsvollen Sequenzen zu Beginn. Erstaunlicherweise sind insbesondere Michael Marcus Thurner, Leo Lukas und Christian Montillon im Rahmen der “Neo“ Serie am stärksten, wenn sie eine aus den Fugen geratene dritte Welt beschreiben, in welcher das Recht des Stärken gilt. Die Menschen werden von den Triadengleichen Banden unterdrückt und die Touristen aus der ersten Welt lassen ihren Gelüsten freien Lauf. Überall herrscht Kriminalität und Armut, Prostitution und Leid. Und trotzdem gibt es in diesem Moloch immer wieder Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft. Auch „die Genesis- Krise“ lebt von der Begegnung der quasi ersten Welt in Person der beiden ausgeschickten Mutanten und der Chinesin Ailin, die sich als Prostituierte zwar nicht wohl fühlt, aber zumindest in dem Bordellhort am ehesten überleben kann. Hinzu kommt, dass Christian Montillon die verängstigten Mutanten im Lakeside Institut, die bislang kaum mit ihren vielfältigen Fähigkeiten zu Recht gekommen sind, gut beschreibt und ihren individuelle Züge gibt. Höhepunkt ist sicherlich die Enttarnung Mercants durch seine kurzzeitige Freundin Wonderbra, die als Überraschungseffekt gelingt. Auf der anderen Seite fällt den Mutanten neben dem Antivirus die Lösung mit Monk – in den ersten Romanen eine deutlich faszinierendere, dreidimensionale Figur – fast zu leicht in die Hand.
Die mehrfach angesprochene dunkle semirealistische Stimmung weicht einer Abfolge von Actionszenen, in denen Christian Montillon die Gefährlichkeit der Mutanten mit ihren unterschiedlichen Fähigkeit weidlich demonstriert. Trotzdem gelingt der „Gegenschlag“ abschließend zu leicht und angesichts des Potentials werden zu wenige Opfer beklagt. Warum sich das Raumschiff nicht von Beginn an mit einem weiteren Schutzschirm umgeben hat – anscheinend das einzige wirkungsvolle Mittel gegen die Mutanten – wird nicht weiter erörtert.
Abschließend bleiben zum Wohle der laufenden Handlungsebene genügend Fragen offen. Mit Ernst Ellert taucht eher überambitioniert wieder das mahnend mystische Element auf. Auch die Querverweise zum in einer anderen Galaxis weilenden Atlan wirken bemüht. Hier versäumen es Montillon und Frank Borsch, diese trotz der bekannten Schwächen wie Auflösung einer schwierigen Situation deutlich interessante der beiden Handlungsebene zufrieden stellend realistisch abzuschließen. Zusammengefasst ein teilweise überdurchschnittlicher „Neo“ Roman, der in der zweiten Hälfte angesichts zu vieler „Deus ex Machina“ Lösungen deutlich zerfällt. Stilistisch wie seine letzten Arbeiten zur Erstauflage scheint sich Christian Montillon wieder gefangen zu haben und präsentiert einen solide geschriebenen Roman.
- Format: Kindle Edition
- Dateigröße: 331 KB
- Seitenzahl der Print-Ausgabe: 157 Seiten
- Verlag: Perry Rhodan digital (4. Juli 2013)