Paul Alfred Müllers Essaysammlung „Hohlwelttheorie“ kann wie die Herausgeber es angedacht haben als Ergänzung zu seiner Studie „Welträtsel Universum“ gesehen werden, obwohl in den vier Hauptarbeiten keine neuen Aspekte präsentiert, sondern die Theorie im Rahmen der Sputnik Flüge eher bemüht, aber auch überzeugend an die „Gegenwart“ angepasst worden ist. Auf der anderen Seiten fassen insbesondere die beiden langen Essays „Kosmoszentrische Bewegungsgesetze“ aus dem Jahr 1957 und „Der Mikrokomos“ (1961) Müllers Ideen sehr gut zusammen. Dabei spielt das Essay „Der Mikrokosmos“ eine besondere Rolle, denn Anfang der sechziger Jahre dachte ja K. H. Scheer daran, Paul Alfred Müller ins Perry Rhodan Team zu berufen, was an dessen Festhalten an der Hohlwelttheorie schließlich scheiterte. Diese zeitliche Verbindung der beiden Ereignisse kann sehr gut dem Essay entnommen werden. Wer sich mit Paul Alfred Müllers Werk auskennt, der wird viele Aspekte seiner beiden wichtigen Roman „Und sie dreht sich nicht“ sowie „Der große Spiegel“ auf ein sekundärliterarisches, mathematisch schwieriger zu beweisendes, aber auch unmöglich zu widerlegendem Niveau eingedampft wieder finden. Wie die beiden Herausgeber Dieter von Reeken und Heinz J. Galle in ihrem Vorwort sagen, geht es weniger um die Beweisführung einer aus heutiger Sicht antiquierten und ad absurdum geführten Idee, sondern vor allem um die Tatsache, wie viel Mühe sich Paul Alfred Müller bei der Aus- und kontinuierlichen Überarbeitung seiner Thesen zur Hohlwelttheorie bis zu mathematischen Formeln, die nicht mittels Computer, sondern tatsächlich Taschenrechner und Hand aufgestellt worden sind, gegeben hat. Und das angesichts der Faktenlage, das Paul Alfred Müller als Handwerker des Wortes stetig seinen Lebensunterhalt in verschiedenen Genres mit einem auslaufenden Schwerpunkt des utopisch technischen Romans verdienen musste. Bizarr und dickköpfig erscheint er allerdings an einer anderen Stelle. Wenn in der Rubrik „Aussprache“ der physikalischen Blätter des Jahres 1960 angesichts der Erkenntnisse der ersten im Erdumlauf befindlichen Satelliten Paul Alfred Müller für die Gesellschaft der Erdweltforschung kapitulieren und die Idee einer Hohlwelt verwerfen soll, sucht Paul Alfred Müller geschickt, aber auch ein wenig borniert einen Ausweg. Er unterscheidet zwischen der offiziellen Meinung der Gesellschaft und seinen privaten Ansichten, in denen er an der Idee, das die Erde in Wirklichkeit eine Hohlwelt ist, festhält. In dieser Hinsicht ist das abschließende kurze Essay ein fast idealer Brückenschlag zu den voran gestandenen Arbeiten, in denen sich der „Sun Koh“ und „Jan Mayen“ Autor redlich, teilweise überzeugend, teilweise allerdings auch stark belehrend für seine These stark gemacht hat.
Die ungekürzte und nicht bearbeitete Neuauflage insbesondere der „Sun Koh“ Reihe bietet einen Blick in Müllers Zensur im Kopf, mit der er seine Roman teilweise mit rassistischen Thesen recht früh den neuen Machtverhältnissen angepasst hat. Wenn er dann in „Revolution des Geistes“ (1946) als sehr lange Einleitung davon schreibt, das viele Deutsche quasi mit Kriegsende aus ihren Vorstellungen gerissen worden sind und es mit dem Ende der Kultur gleichsetzen, dann zeigt sich Paul Alfred Müller als kleiner politischer Wendehals, denn er hat in seinen Romanen ja auch dem braunen Geist gedient und deren rassistische Ansichten teilweise auf sehr drastische Art und Weise verbreitet. Im Grunde versucht der Autor mit diesem kurzen, in der Deutschen Rundschau veröffentlichten Arbeit die Leser auf sein neues Gedankenmodell einzustimmen, das er erst gegen Ende der Handlung einfließt. In dem Paul Alfred Müller immer wieder geschickt bestimmte Gedankenschemata hinterfragt und quasi erst im zweiten Schritt erweitert, führt er ohne wirklich Konkretes zu nennen seine Leser zu diesem angestrebten Punkt.
Mit dem 1957 veröffentlichten Essay „Warum halten wir das kosmozentrische Weltbild für richtig“ stellt Paul Alfred Müller die Gesellschaft für Erdweltforschung und ihre wichtigste These ausführlich vor. Da diese Schrift in den fünfziger Jahren auch zu erwerben gewesen ist, versucht Paul Alfred Müller seine Gedanken möglichst simpel mit zahlreichen Beispielen verziert zu präsentieren. Die naturwissenschaftlichen Zweifel möchte er mit den exakten Wissenschaften wie eben der Mathematik unterlegen. Müller hat für jede These nicht immer ein Gegenargument parat, aber was ihn in seiner Dickköpfigkeit auszeichnet, ist das er mögliche Beweise für die Erdkrümmung mit dem Schiff, das hinter dem Horizont versinkt, quasi umdreht, die gleichen Argumente nimmt und trotzdem zu einem anderen Ergebnis kommt. Nur selten hat der Leser in derartig offener Form das Auge des Betrachters vorgehalten bekommen. Im Vergleich zu den beiden folgenden, deutlich längeren Artikeln hat sich Paul Alfred Müller auf Oberflächlichkeiten beschränkt, wobei die kosmozentrische Weltsicht anscheinend durch die Fehler in den Naturgesetzen geboren worden ist. Eine gewagte These, wobei Paul Alfred Müller in seinen Argumentationsketten ausschließlich reagieren und an keiner Stelle wirklich agieren muss.
Im gleichen Jahr verfasst Paul Alfred Müller noch die „kosmozentrischen Bewegungsgesetze“. Auch hier beginnt er mit subjektiven, für den Leser und wahrscheinlich auch Müller selbst nicht nachfassbaren Beobachtungen. Es erscheint unwahrscheinlich, das viele Leser dieser Schrift sich auf den Äquator gelegt haben und den Beobachtungen gefolgt sind. Relativ plastisch und erstaunlich überzeugend geht Paul Alfred Müller in diesem Text hinsichtlich der mathematischen Bedeutungen vielleicht am effektivsten vor. Geschickt wirft der Autor mit Formeln und Zahlen um sich. Dabei kommt er immer wieder zum gleichen Ergebnis, was anfänglich verblüffend, später angesichts der subjektiven Ausgangslage nachvollziehbar ist. Von der bekannten heliozentrischen Theorie, die er als Gegner Kopernikus ablehnt, aber nicht wirklich widerlegen kann, springt er zu der Titel gebenden kosmozentrischen Theorie, in die er argumentativ viele Ideen und Thesen aus seinen Romanen legt. Um die teilweise melodramatischen Vorgänge bereinigt wirken sie vor allem aus der Distanz von fast sechzig Jahren ein wenig bizarr und nicht unbedingt überzeugend, aber mittels vieler Graphiken und wieder plastischen Beispielen versucht der Autor seine Leser von seiner Denkungsweise zu überzeugen. Dabei versucht er allerdings im abschließenden Kapitel „Störungen“ möglichen Anfeindungen direkt zu vor zu kommen und muss zumindest seinen argumentativ aus seiner Sicht eher mit der Dampfwalze vorgehenden „Feinden“ Tribut zollen. Interessanter wird diese Aufbau im folgenden, vielleicht besten Abschnitt dieser Essaysammlung. Denn Paul Alfred Müller versucht den Mikrokosmos als Beispiel seiner Hohlwelttheorie zu nehmen und reduziert seine Ideen mit zahlreichen Zeichnungen versehen ins Mikroskopische. Dieser gänzlich andere, in seinen Romanen nicht unbedingt verwandte Ansatz ermöglicht es ihm, seinen Gegner viele Argumente aus der Hand zu nehmen und in diesem Fall aktiv „anzugreifen“. Da die Atomforschung noch jung an Jahren, aber überaus erfolgreich gewesen ist, fällt es leichter, diese „beweisbaren“ Thesen einfach auf den folgenden Seiten geschickt zu extrapolieren und von dem kleinsten Baustein der Natur gleich auf die größte vorhandene Hohlkugel überzuleiten. Diese beiden sehr langen Texte zeigen nicht nur wie eingangs angesprochen, wie intensiv sich Paul Alfred Müller mit der Idee einer Hohlwelt auseinandergesetzt und sie schließlich auch literarisch eingesetzt hat, sondern wie selektiv er bei Forschungen vorgegangen ist. Die zweite Auflage seines Romans „Blaue Kugel“ hat ja bewiesen, wie stark er seine Meinungen zwischen der Erstveröffentlichung in den dreißiger Jahren und der Neuauflage nach dem Zweiten Weltkrieg verändert, aber nicht an das bestehende Weltbild oder vor allem den Stand der Forschungen angepasst hat. Auch in den hier gesammelten Essays kann der Leser noch mehr als in der empfehlenswerteren, umfangreicheren und argumentativ vielschichtigeren „Welträtsel Universum“ durch die Fokussierung auf nur einzelne Aspekten dieser „Hohlwelt“ Ideen Paul Alfred Müllers Gedankenmodellen folgen.
Irgendwann hat der Leser allerdings auch das unbestimmte Gefühl, dass Paul Alfred Müller in dem ebenfalls abgedruckten Brief an Walter Biel, den damaligen Präsidenten für Erdweltforschung seinen Glauben gut zusammenfasst. Er muss an diese Theorien weiter glauben, weil er sonst zu viel Lebenszeit an ein Gedankenmodell verschwendet hätte, das es nicht wert gewesen ist. Diese fehlende Einsicht, einem potentiellen Irrglauben aufgesessen zu sein, kann er sich genauso wenig eingestehen wie er seinen überdimensionalen Protagonisten „Jan Mayen“ oder „Sun Koh“ eine Fehleinschätzung andichten könnte. In keinem seiner Romane geht im Vergleich zu anderen, deutlich kritischeren Autoren wie den Strugatzkis etwas wirklich schief. Unter Opferung nicht selten der Falschdenkenden wird in letzter Sekunde die Menschheit gerettet. Nur Schurken müssen sterben und fehlgeleitete betrogene Forscher sind bereit, sich durch Selbstmord aus der Verantwortung zu ziehen. Dieses rein positive, nicht selten auf Überzeugungsarbeit basierende Weltbild strahlt aus den Romanen in diese auch heute noch faszinierend zu lesenden, aber abwegigen Thesen über, so dass nach der wieder in gewohnt sorgfältiger Manier erfolgten Veröffentlichung dieser heute nicht mehr zugänglichen Texte der vielleicht starrköpfige Wille Paul Alfred Müllers bewundert werden muss, mit der er insbesondere privat eine Idee bis zur letzten Sekunde vertreten hat, um sich selbst ein intellektuelles Scheitern nicht eingestehen zu müssen. Dieser kleine Sammelband ist reichhaltig mit seltenen Zeichnungen Paul Alfred Müllers in der gewohnt überdurchschnittlichen Druckqualität bebildert worden und ergänzt die schon im Text erwähnten, auch heute noch lesenswerten Romane ohne Frage zufrieden stellend.
Inhalt: Revolution des Geistes (1946) | Warum halten wir das kosmozentrische Weltbild für richtig (1957) | Kosmozentrische Bewegungsgesetze (1957) | Der Mikrokosmos (1961)
Broschüre, 142 Seiten, 32 Abbildungen, Vorbemerkungen, Anhang
Verlag Dieter von Reeken
ISBN 978-3-940679-90-1