
Der 2015 in einem kleineren Verlag veröffentlichte Vampir Roman „Jacob“ ist David Gerrolds erste längere Arbeit im Bereich Horror. In den letzten Jahren hat der Amerikaner eine Reihe von Kurzgeschichten in diesem Genre veröffentlicht und ist auch mit dem Bram Stoker Award ausgezeichnet worden, was wiederum zu zwei weiteren an Lovecraft erinnernden Geschichten führte.
Auch „Jacob“ basiert im Grunde auf einer in „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“ veröffentlichten Kurzgeschichte namens „Monsieur“. Sie bildet die Einleitung dieses schwierig zu lesenden Erzähl- und weniger Interviewromans. Das liegt weniger an David Gerrolds Stil, sondern an der Handlung. Das Vampirgenre ist im Kern abgearbeitet worden. Es gibt nur noch wenige Geschichten oder Ideen, die originell erscheinen.
Hinzu kommt, dass selbst homosexuell aktive Vampire keine neue Idee mehr sind und David Gerrold über weite Strecken die morbide Atmosphäre der ersten Anne Rice Romane nur kopiert, aber nicht mehr extrapolieren kann.
Im Auftaktkapitel hat der Leser das Gefühl, als versuche David Gerrold eine für ihn inzwischen so markante Synthese aus autobiographischen Bezügen und einer phantastischen Handlung mit ausreichenden Seitenhieben dieses Mal gegen die Schreibgruppen anstatt das Fandom und vor allem die elitäre Gesellschaft der Science Fiction Schaffenden im Allgemeinen. Im Mittelteil schließt sich eine Begegnung auf einem Writers Panel und der Besuch einer Con an, bei denen der Vampir Jacob immer wieder den Ich-Erzähler aufsucht, um weitere Teile seines Lebens zu erzählen. Diese Episoden bilden aber eher einen zu minimalisierten Rahmen. Die Informationen aus der Gegenwart sind spärlich und wirken aufgrund des unsympathischen Ich- Erzählers nicht sonderlich überzeugend. Das dieser nur literarischen Erfolg dank der von „Jacob“ erzählten Episoden geerntet hat, wirkt auch unglaubwürdig. Zu sehr legt David Gerrold auf Stimmungen und Nuancen wert, als das diese Ausschnitte eines sehr langen Lebens wirklich überzeugen können. Der ich- Erzähler muss diese schon deutlich überarbeitet und dramaturgisch extrapoliert haben, damit sie als Kurzgeschichten eine derartig breite Leserschicht finden.
Eine weitere Schwäche ist die ganze Struktur des Buches. Beginnend mit dem Ende versucht David Gerrold seine Leser zu schockieren, in dem er zu einer Doppelung greift. Aber ist diese wirklich überzeugend? Vieles findet im Off statt und die Motivation sowohl von Jacob als auch dem Ich- Erzähler wirken aufgesetzt. Es fehlt der entscheidende Katalysator, da dieses nur böse Menschen aussaugen – keine Ärzte, keine Polizisten, keine Feuerwehrmänner und keine Kinder – ein Motiv ist, das nur ausgesprochen, aber nicht umgesetzt wird. Vor allem impliziert der Amerikaner, dass sich die Vampire untereinander anders verhalten als zumindest einige gegenüber ihrer menschlichen Nahrung.
Natürlich verkneift sich David Gerrold in diesen Abschnitten keine Seitenhiebe auf van Helsing und vor allem die allgegenwärtigen Vampire, aber durch die Distanz – es handelt sich ja um eine Erzählung innerhalb einer Erzählung – zum eigentlichen Leser und Käufer dieses Buches, sowie das gleichbleibende Tempo wird keine echte innere Spannung aufgebaut.
Sein Alter Ego kritisiert Jacob, dass dieser zu Beginn ihrer Partnerschaft/ späteren Liebesbeziehung zu viele Informationen erzählt hat und den Fokus zu sehr auf Jacobs Beziehung zum Monsieur – einem gebildeten älteren Vampir – gelegt hat, während die saftigen Lebensabschnitte nur kryptisch verklausuliert oder gar nicht erzählt werden. Kaum ist diese Kritik geäußert worden, macht David Gerrold den gleichen Fehler, in dem er ein aus seiner Sicht nihilistisches Ende präsentiert, aber viele wichtige Abschnitte überspringt.
Frustrierend ist vor allem, weil David Gerrold in den letzten Abschnitten so viele Anspielungen einbaut und noch einmal deutlich macht, das ein Vampir Dein unersättlicher Liebhaber mit außerordentlich Empfindungen, aber niemals Dein Freund sein kann. Nur wirkt David Gerrold müde und will anscheinend den Roman eher schneller als zufriedenstellender abschließen, so dass gefühlt so viel Potential unnötig verschenkt wird. Auch zwischendurch funkeln immer wieder kleine originelle Ideen auf. Ein Vampir darf in der Gegenwart kein reiner Jäger sein, sondern nur ein reicher Jäger. Keinen guten bezahlten Job – Nachwächter verdienen nicht so viel-, mindestens ein sicheres Versteck mit einem großen Keller und möglichst viele Identitäten, um Jäger zu täuschen. Aber bis auf die Anspielung findet sich keine weitere Erwähnung dieser so simplen und gut argumentierten Idee in der Geschichte.
Stilistisch ist das Buch nicht nur ansprechend geschrieben, der ironische Unterton blitzt an einigen Stellen immer wieder mal durch.
Auf der anderen Seite ist es eine homosexuelle Vampirgeschichte mit einigen allerdings erotisch dezenten, das Momentum des Augenblicks heraushebenden Szenen. Spätestens seit seiner prämierten Novelle, dem folgenden Roman und der Kinoadaption „The Martian Child“, in denen David Gerrold von der Adaption seines Sohns und den Problemen als Homosexueller mit den Ämtern berichtet, hat der Amerikaner immer wieder seine sexuelle Ausrichtung in seine Geschichten einfließen lassen.
Hier handelt es sich in doppelter Hinsicht um seine homosexuelle Vampirgeschichte, denn der alt Blutsauger Monsieur nimmt den Strichjungen Jacob zu Beginn vor allem als intellektuellen Partner auf, erst später werden sie zumindest kurzzeitig Liebhaber. Auch David Gerrolds Ich- Erzähler fühlt sich von Jacob zu Beginn intellektuell angezogen, später spürt dieser zumindest dem Text folgend, aber nicht direkt gesagt, einen sexuellen Reiz, der schließlich in einem allerdings auch vorhersehbaren „Höhepunkt“ gipfelt. Wie schon erwähnt sind die einzelnen Sexszenen eher erotisch impliziert als detailliert aggressiv beschrieben worden. Sie hinterlassen in heterosexuellen Menschen kein Gefühl des Unwohlseins. Aber irgendwie überspannt David Gerrold auch den Bogen. Der Sex mit einem Vampir ist phantastisch, eine neue Dimension. Der Vampir dagegen wird durch seine übersteigerten Sinne und Sinnlichkeiten noch mehr gereizt und empfindet alles wie eine besondere Art der Explosionen. David Gerrold bemüht sich allerdings ein wenig übertrieben, diese wenigen und sich ausschließlich auf die zweite Hälfte des Romans beziehenden erotischen Szenen vorzubereiten. Sie gehören aber nicht zu den stärksten Abschnitten des Buches.
Sehr viel interessanter und ergreifender ist die aufkeimende Freundschaft zwischen Jacob und einem weiteren Strichjungen, die in einer der besten Szenen des ganzen Buches ein jähes Ende findet. In den historischen Abschnitten zeigt David Gerrold ein überzeugendes Gespür für den jeweiligen Zeitgeist und beschreibt ein Amerika des 19. Jahrhunderts zwischen der Aufbruchstimmung nach dem Bürgerkrieg und der intellektuellen Bigotterie, die den Vampiren reichlich Nahrung schafft. Der Leser wünscht sich, dass diese historische Handlungsebene mit der gleichen Sorgfalt und der Liebe zu kleinen Details bis in die Gegenwart weitergeführt wird, aber aufgrund des hektischen und nur vordergründig „schockierenden“ Endes bricht dieser Faden plötzlich aus dem Nichts kommend ab.
„Jacob“ ist zumindest eine oberflächlich interessante Lektüre, die offene homosexuelle Seite der Anne Rice Romane aus den siebziger und achtziger Jahren. David Gerrold hat im Laufe seiner Karriere originellere Romane geschrieben und hinsichtlich seiner Horrorgeschichten sollte er sich vor allem auf Kurzgeschichten konzentrieren. Dabei verfügt „Jacob“ über so viel Potential, einer der besten Vampir Romane des 21. Jahrhunderts zu werden, dass es teilweise schmerzt, wie leichtfertig David Gerrold mit einer soliden, aber nicht unbedingt originellen Ausgangssituation und einigen überzeugenden Episoden aus dem Leben Monsieurs/ Jacobs umgegangen ist.
- Paperback: 198 pages
- Publisher: ComicMix LLC (September 22, 2015)
- Language: English
- ISBN-10: 1939888158
- ISBN-13: 978-1939888150