Sherlock Holmes - Die Chroniken des Moriarty

Sherlock Holmes, die Moriarty Chroniken, Titelbild, Rezension
Sylvain Cordurié und Zeichner Andrea Fattori

Sylvain Cordurie schlägt zusammen mit einem neuen, aber auch interessanten Zeichner Andrea Fattori ein neues Kapitel in seinem inzwischen personifizierten Sherlock Holmes Universum auf. Auch wenn „Die Chroniken des Moriarty“ ein weiterer Doppelband ist, steht die Geschichte nicht isoliert da. Neben den schon mehrfach angesprochenen Verweisen auf H.P. Lovecraft, die Alten und das Necronomicon ist die vorliegende Geschichte eine Fortsetzung und gleichzeitig eine Variation zu „Sherlock Holmes und das Necronomicon“, aber eine Fortsetzung zu „Crime Alleys“.

 Noch stärker als bei „Mandragore“ spielt Sherlock Holmes als Charakter eine untergeordnete Rolle.  Er tritt nur zweimal im Laufe der Handlung auf. Einmal gegen Ende bei der Konfrontation an den Reichenbachfällen. Er sieht Sherlock Holmes als ihm ebenbürtig an, auch wenn aus Moriartys Perspektive sein eigener Hochmut seinen Fall einleitet. Und während des Epilogs, in dem Moriarty noch einmal auf Sherlock Holmes zutritt, seine Bewunderung ausspricht und dann wieder verschwindet.

 Aus dem angesprochenen „Sherlock Holmes und das Necronomicon“ ist diese Idee auch indirekt übernommen worden. Die beiden Seiten einer Medaille „verschmolzen“ wenigstens teilweise miteinander. In dem Album hat ja Moriarty zum ersten Mal die dunklen Mächte beschworen und ist am Ende in die Welt der Alten eingesogen worden.

 Der erste Teil dieses Doppelalbums nimmt diesen Faden wieder auf. In einer fast surrealistischen Landschaft wacht Moriarty wieder auf. Er weiß, dass die Alten ihn quälen und gleichzeitig auch prüfen. Mit absichtlich verfremdeten Farben und einem sehr breiten Zeichenstil zeigt Andrea Fattori Moriartys Kampf im Grunde gegen eine sich unendlich bildende Zahl von Doppelgängern, bis er plötzlich aus dem Nichts heraus dieser Welt wieder entkommen kann.                 

 Cordurie und Fattori machen nicht den Fehler, zu viel aus der Welt der Alten zu verraten und diese Wesen sogar bis auf einige wenige „Manifestationen“ in der späteren Geschichte zu visualisieren. Es ist ein schmaler Grat, auf dem sich Autor und Zeichner bewegen. Hinzu kommt, dass diese Tests Moriartys Entschlossenheit, seine überlegene Intelligenz bis zum Narzissmus unterstreichen sollen. Sie hemmen aber den parallel ablaufenden Handlungsfluss.

 Cordurie teilt diesen noch einmal in zwei Episoden. Der Leser erfährt mehr von Moriartys Ausbildung in magischen Kräften und seiner Suche nach Artefakten, die sich weniger auf dem Indiana Jones Niveau – es sind nur wenige echte Actionszenen vorhanden -, sondern fast auf dem kryptischen semiphantastischen Bereich einiger Paranoiaserien bewegen.

 Später nach seiner Rückkehr aus der anderen Dimension erfolgt sein Kampf um die letzten Exemplare des Necronomicons, die er alle zerstören will, damit die Alten niemals in diese Dimension eindringen können.

 Zusammen mit zwei Vertrauten reist er fast um die ganze Welt, um die Besitzer der Bücher zu finden und ihnen die Exemplare entweder durch Geld oder handgreifliche Überzeugung abzunehmen. Verschiedene Episoden bestimmen den mittleren Abschnitt der Handlung. Dabei überzeugen die Geschichte unterschiedlich. Als Erster auf der Liste ist Attilio Toldo, der mittels schwarzer Messen inklusiv der Opferung von Jungfrauen und Geisterbesschwörungen Neapel unter Kontrolle zu halten sucht. Moriarty schleicht sich unter die Anhänger und entlarvt Toldo als einen hilflosen Scharlatan.

 Die nächste Spur würde normalerweise nach Konstantinopel gehen. Aber hier kommen sie zu spät. Sie finden nur die Überreste eines Massakers. Das Necronomicon ist weg. Anscheinend gibt es eine Organisation, die gegen Moriartys Pläne handelt. Diese andere Kraft so früh einzuführen, ist rückblickend auch kontraproduktiv. Auf der einen Seite ist sie deutlich mächtiger als Moriarty mit seiner Handvoll von Getreuen, auf der anderen Seite wird dem Napoleon des Verbrechens am Ende dieser Geschichte ein Angebot gemacht, das er nicht ablehnen kann. Die Erarbeitung dieses Angebots ist zu umständlich und es werden zu viele wichtige, unersetzliche Artefakte vernichtet. Die Ziele dieser Gruppe sind eher ambivalent beschrieben worden und vor allem die Idee, das Moriarty als „Geist“ noch einmal Sherlock Holmes begegnet, erscheint aufgesetzt. Natürlich könnte argumentiert werden, dass Mortiarty mit der Vernichtung des letzten Exemplars des teuflischen Buches einen Pyrrhussieg errungen hat, der ihm seine Getreuen und seine Organisation gekostet hat. Aber kann ein derartig überragender Kopf wirklich „satt“ sein? Zu viele Fragen bleiben gegen Ende der Handlung offen.

 Hinsichtlich Moriartys Charakterisierung wird dessen Motiv nicht deutlich genug. Er sieht sich als der einzige „Mensch“, der aus der Welt der Alten wieder zurück gekommen ist. Das gibt ihm eine Art Aura, ein Sendungsbewusstsein, mit dem er eher prallt als das er es effektiv ausnutzt. Es stellt sich aber noch eine andere Frage. Will er alle Bücher vernichten, damit niemand außer ihm diese Grenze überschreiten kann? Sind die Zauber - wie eines der letzten Bilder zeigt – so tief in seinen Körper, in seine schwarze Seele eingebrannt, dass er sie nicht mehr benötigt? Warum will er in die Welt der Alten zurück, aus der er nur mit Mühe entkommen ist und die wie mehrfach betont in ihm nur ein weiteres „billiges“ Testobjekt gesehen haben? 

 Sein alter Lehrmeister – der Ägypter Taher – ist nur bedingt als Mittler zwischen Moriarty und dem Leser geeignet. Zu sehr beschränkt er sich auf einige wenige Floskeln, zeigt ihm einige notwendige Tricks und äußert kryptische Weissagungen. Auch Meredith Rutherford dient nur als attraktive Stichwortgeberin. Ihre für das viktorianische Zeitalter so moderne, so ambivalente, aber vor allem auch vielschichtige Persönlichkeit geht in den zahllosen Sprüngen nicht nur zu verschiedenen Orten in dieser bzw. der Dimension der Alten unter, eine überzeugende Chronologie kann vor allem im ersten Album mit dem im Grunde ironischen Titel „Renaissance“  nicht aufgebaut werden. „Accomplissements“ macht es in dieser Hinsicht ein wenig besser, allerdings müssen Cordurie und Fattori den Plot nur noch auf zwei Ebenen erzählen, was den Handlungsstrang vereinfacht und vor allem die Fokussierung auf Moriartys Persönlichkeit erleichtert.

 Professor Moriarty ist vor allem in den Kanongeschichten und weniger durch Arthur Conan Doyle expliziert definiert worden. Mit den angesprochenen phantastischen Elementen und im Gegensatz zum fast stoisch dickköpfig übernatürliche Elemente ignorierenden Sherlock Holmes hat der Napoleon des Verbrechens relativ schnell eine Nebenausbildung als Zauberer/ Magier in den alten Künsten beim angesprochenen Ägypter abgeschlossen. In einer der Schlüsselszenen stellt Cordurie fast sklavisch fest, dass Moriarty und Sherlock Holmes sich sehr ähnlich sind. Diese These wird aber im Handlungsverlauf nicht nur dieses Albums nicht verifiziert.

 Im Laufe seiner inzwischen fast zwei Handvoll Album hat Sylvain Cordurie nicht nur auf Figuren des Kanons zurück gegriffen und diese fiktiv extrapoliert, sondern auch auf Stevensons Schöpfung Mr. Hyde, der viel eher wie Moriarty erscheint als dieser charismatische, dieser dreidimensionale, sich vom Schurken zum Helden ohne Holmes Applaus wandelnde ohne Frage auch größenwahnsinnige Mann. „Die Chroniken von Moriarty“ leben weniger von der Idee dieser charakterlichen Wandlung, als einer phantastischen, insbesondere im zweiten Teil wie eine viktorianische Mischung aus den „X- Akten“ und „Warehouse 13“ wirkenden Handlung, die dank Fattoris vor allem wieder hinsichtlich der Hintergründe mehr als bei den Gesichtern überzeugenden Federführung immer noch in der bekannt überdurchschnittlichen Splitter Präsentation überzeugt.

 Akzeptiert der Leser, dass Sylvain Cordurie inzwischen basierend auf den Namen der bekannten Doyle Charaktere sein eigenes Universum erschaffen hat, machen die Comicalben lektüretechnisch sehr viel Spaß, auch wenn einige der roten Fäden auch stark konstruiert den bislang publizierten Teilen angepasst erscheinen.  

SBN:978-3-95839-198-7
Verlag Splitter
Erschienen am: 19.04.2017
Einband: Hardcover
Seitenzahl 96 Seiten
Kategorie: