Luna: Wolfsmond

Luna, Wolfsmond, Titelbild, Rezension
Ian McDonald

Ursprünglich hatte Ian McDonald seine “Games of Thrones” vergleichbare Mondsaga als Duologie geplant. Der Umfang, den der Plot angenommen hat, bewog den britischen Autoren, den Handlungsfaden umfangreicher zu konzipieren und an wahrscheinlich mindestens einer weiteren Fortsetzung zu arbeiten. Dabei könnte der Handlungsbogen auch am Ende dieses deutlich dunkleren und fortlaufenden brutalen Epos enden. Es ist auf jeden Fall ein Einschnitt und ein Neuanfang zugleich.

Der Titel impliziert, dass es anders zu gehen wird. Der Wolfsmond ist in den alten Legenden der Januar, ein dunkler unheimlicher Monat. Mit insgesamt drei brutalen Attacken zeigt Ian McDonald, dass der größte Feind des Menschen nicht nur auf dem Mond noch immer der Mensch und nicht die herausfordernde unwirtliche Mondlandschaft ist.

Wie es sich für einen Doppelband gehört, setzt die Handlung unmittelbar am ersten Buch an. Daher ist es notwendig, den ersten Band dieser Serie unbedingt gelesen zu haben. Alles andere macht keinen nachhaltigen Sinn. Zu viele Fakten und vor allem trotz absolut gesehen weniger Protagonisten – erstaunlich viele sind ums Leben gekommen und eine überraschende Anzahl von Charakteren wird in „Wolfsmond“ ebenfalls teilweise brutal sterben – immer noch viele unterschiedliche Charaktere würden sonst auf den Leser ohne größere Vorbereitungen und Hintergrundinformationen einstürzen.

Im Gegensatz zum ersten Band hat Ian McDonald in der Fortsetzung den Vorteil, dass er mit dem Abschluss eines Knalleffekts beginnen kann. Die Mackenzies sind ja einer der fünf Drachenclans, welche den Mond zu einem industriellen Mittelpunkt ausgebaut haben. Am Ende haben sie eine blutige Rechnung mit dem Emporkömmlingen, der Familie Corta, beglichen. In einem konzentrierten Angriff haben sie nicht alle Familienmitglieder und deren Industrie – sie produzieren das begehrte Helium 3 – töten oder übernehmen können, aber aus ihrer Sicht dem verhassten Clan den Handlungsraum genommen. Nach dem Tod der Patriarchin, dem Verlust ihrer Produktionsstätten und noch schlimmer der Blockade der Konten sehen sich die Mackenzies am Ziel. Sie übernehmen die Helium 3 Produktion.    

Einer der Cortas konnte natürlich fliehen. Spektakulär beschreibt Ian McDonald, wie der junge bislang eher geschäftlich zurückhaltende Mann immer unter Lebensgefahr den Mond verlässt und quasi noch auf dem möglichen Weg in eine kurzzeitige Freiheit Rachegedanken schmiedet . Er beschließt, das Imperium seiner Familie zurück zu erobern und es den Mackenzies heimzuzahlen. Dazu muss er aber auf die Erde, was für einen Mondgeborenen lebensgefährlich ist.

Das harte Training basierend auf einer Mission voller Sendungsbewusstsein nimmt einen breiten Raum in der ersten Hälfte des Buches ein. Auch wenn die Cortas vor vielen Jahren die anderen vier Drachen brüskiert haben, macht Ian McDonald überdeutlich klar, dass der Leser auf der Seite dieser Familie sein sollte. Sie sind keine charismatischen Helden oder auch nur Gutmenschen, aber in diesem kapitalistischen Gewirr mit einigen immer deutlich werdenden Anspielungen auf die Konglomerate im Hintergrund von Frank Herberts „Dune“ Romane sind sie vielleicht die Zugänglichsten. Endlich auf der Erde angekommen trifft der Corta auf eine entfernte Verwandte, die sich in Brasilien mit einer Wasseraufbereitungsfirma selbstständig gemacht hat. Sie wird seine rechte Hand.

Auf einer parallelen Handlungsebene wird ein brutaler Anschlag auf die Mackenzies beschrieben. Ein Virus ist vor vielen Jahren in deren Sonnenkollektorensteuerungssysteme eingebaut worden. Dieser richtig sich jetzt gegen die Mackenzies und zerstört ihre Produktionsanlagen und auch ihre Heimat.

Im Hintergrund steht die wahrscheinlich mächtigste Familie auf dem Mond – die Suns. Sie sind loyal allen Parteien gegenüber und kochen doch nur ihr eigenes Süppchen. Auch wenn sie immer wieder nur in die Verhandlungen einbezogen werden und bislang keine aktive, sondern ausschließlich reaktive Rollen gespielt haben, zweifelt der Leser keine Sekunde daran, dass hinter diesem mächtigen aus China stammenden Clan ein strategischer Kopf steht, dessen Planungen nicht in Stunden oder Tagen ablaufen, sondern über Generationen.

Der Roman zerfällt nicht unbedingt negativ in zwei große Blöcke. Während die Erde im Auftaktband nur in den Rückblicken eine Rolle gespielt hat, wirkt die erste Reise Lucas Cortas wie eine Offenbarung. Während auf dem Mond fast alles aus 3 D Druckern produziert oder reproduziert werden kann, ist die erste nicht nur durch die Überbevölkerung als auch die Umweltverschmutzung fast unbewohnbar geworden. Zwischen den Zeilen kehrt Ian McDonald auch in die Welt zurück, welcher er in seinem großartigen Roman „Brazyl“ entwickelt hat.

Lucas Corta wird zwar von seiner Rache getrieben, er ist aber auch ein Pragmatiker, dem es weniger um das Vernichten der anderen Clans geht, sondern um eine totale Machtergreifung. Nur zu Beginn helfen ihm noch die Vorontsovs, eine der fünf Familien auf dem Mond, die aufgrund ihres Transportmonopols im Grunde auf eine Kooperation aller Clans angewiesen sind.    

Dazu quält er sich einmal körperlich, um die höhere Schwerkraft auf der Erde lebendig überstehen zu können, ist aber auch Macht politisch bereit, einige ungewöhnliche Kompromisse einzugehen und vor allem das klassische Clan/ Familiendenken durch opportunistische Partnerschaften mit aus Sicht der Drachen minderwertigen, aber geschäftstüchtigen Außenseiter aufzubrechen. Ian McDonald konzentriert sich aber eher auf Lucas körperliche Qualen als das entsprechende Planen, so dass dieser Aspekt in dem hektischen, furiosen, aber auch ein wenig schematisch erscheinenden Ende nicht so effektiv erscheint wie der Paukenschlag, mit dem der Brite das erste Buch dieser Serie beendet hat. 

Aus dem ersten Buch übernehmend hat Ian McDonald das Schicksal eines anderen Cortas fortgeführt. Weiterhin driftet er eher von einem oder einer Geliebten zur Nächsten, wobei seine Entschuldigung immer ein selbstgebackener Kuchen ist. Diese Idee wirkt bizarr, aber in einer egoistischen Gesellschaft wie auf dem Mond wirkt sie auch menschlich.

Auf der anderen Seite stehen die einzelnen Clans. Die Mackenzies haben mit ihrer vollzogenen Rache und dem Tod ihres Patriarchen – eine Doppelung, die vielleicht zu vermeiden gewesen wäre – nur einen Pyrrhussieg errungen. Kontinuierlich müssen sie eine Niederlage nach der anderen einstecken. Bis weit in die zweite Hälfte des Buches reiht Ian McDonald eine Reihe intensiver wie brutaler Szenen aneinander, um dann während des nur noch effektiv beschriebenen Showdowns im Grunde auf die Handlungsmuster des ersten Buches zurückzufallen. Wieder sind es schwer bewaffnete Eliteeinheiten dieses Mal von Außenseitern, welche eine der Familien überrennen. Der eigentliche“ Machtwechsel „ mit dem brutalen Austausch einer bis dahin opportunistischen wie im Grunde aus Eigeninitiative hilflosen Marionette ist solide beschrieben, aber nicht mehr der Paukenschlag, den der Leser nach der langen Exposition erwartet hat.

Angesichts der Zerstörungen auf dem Mond – auch die Hydrokultur als deren Lebensader wird abgeschnitten – stellt sich die Frage, ob die Menschen überhaupt dort noch lange leben können. In den zwei Büchern, die vielleicht einen Zeitraum von wenigen Monaten spielen, ist das Pionierwerk mindestens einer ganzen Generation vernichtet worden. Ian McDonald ignoriert ein wenig die Frage, wie diese auch in die Tiefe gehenden Zerstörungen rückgängig gemacht werden könnten.

Auf der anderen Seite zeigt er überdeutlich, dass die Erde keine Rolle mehr spielt. Sie ist inzwischen durch die Abhängigkeit von den Produktionsstätten auf dem Mond zu einem Spielball einiger oligarchisch aufgebauter Familien geworden und hat keine politische Macht mehr. In dieser Hinsicht lehnt sich „Luna“ bislang auf eine technologisch moderne Art und Weise an die „Games of Throne“ Fantasy Welt George R.R. Martins an.

Auch wenn als Ganzes betrachtet nicht mehr Figuren eingeführt werden und der nicht unbedingt weniger komplexe oder komplizierte, aber deutlich stringenter wirkende Plot mit einem hohen Tempo erzählt wird, wirkt die Fortsetzung „Wolfsmond“ weniger originell, weniger im Kern packend als der erste Roman, der in den langen Rückblicken auch vom aufopferungsvollen Pioniergeist der alten Corta lebt.  Es ist kein schlechter Roman und der Leser will auch wissen, wie es mit den Intrigen und Machtkämpfen weitergeht, aber wie in mancher vor allem hinsichtlich eines weiteren Bandes offenen Fortsetzung zeigen sich an einigen Stellen auch Schleifspuren, die durch ausführlichere, deswegen aber nicht unbedingt erotischere Sexszenen, neue Nebenfiguren und teilweise einer Doppelung von Ereignissen  nicht gänzlich überdeckt werden können.

Die herausfordernde Atmosphäre des Mondes, der Pioniergeist der Frontiergeneration und schließlich dieses „Dallas“ /“Denver Clan“ Gefühl aus dem Auftaktroman werden aber in dem zweiten Band der Serie allerhöchstens fortgeschrieben, aber ab keiner Stelle fordernder fortgesetzt.

  • Taschenbuch: 496 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (9. Mai 2017)
  • Übersetzung: Friedrich Mader
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453317963
  • ISBN-13: 978-3453317963
  • Originaltitel: Luna - Wolf Moon