Der unterirdische Tempel

Earl Warren

„Der unterirdische Tempel“ ist inzwischen das zehnte Roberta Lee Abenteuer aus der Feder Earl Warren. In der Reihe „Die Schatzjägerin“ handelt es sich um den dritten Band, wobei „Die weiße Göttin vom Amazonas“ und „Die Pyramide im Dschungel“ ein Doppelabenteuer gebildet haben.
Unabhängig vom stringenten Grundplot, der von Earl Warren sehr viel kompakter und deswegen auch spannender geschrieben worden ist, greift der Autor auf Roberta Lees verschwundenen Verlobten zurück. Dieser befindet sich in der Hand der Taliban, die neben einer hohen Geldmenge auch politische Gefangene durch ihn freipressen wollen. Den amerikanischen Militärs und anschließend Roberta Lee wird eine Videoaufzeichnung zugespielt, die ihn in Gefangenschaft zeigt. Earl Warren benutzt diese bislang eher im Hintergrund ablaufende Handlungsebene – Lees verlobte galt nur als verschollen, aber nicht entführt -, um die attraktive Archäologin mittels eines Kuhhandels in den aktuellen „Fall“ einzubinden. Angesichts ihrer bisherigen Abenteuerlust wirkt diese Vorgehensweise ein wenig befremdlich, zumal anfänglich auch persönliche Aspekte bei diesem Fall eine Rolle spielen. Es bleibt abzuwarten, ob Roberta Lee hinsichtlich des Fast Happyends ab Abenteuer elf nicht mehr alleine ermittelt, sondern ihren Mann statt verschiedener attraktiver Männer an ihrer Seite hat. Hoffentlich macht Earl Warren nicht den Fehler, dem selbstbewussten, manchmal auch ein wenig zickigen Rotschopf die Eigenständigkeit und Entschlusskraft zu nehmen, die diese teilweise ausgesprochen modern, dann wieder Romanheft klassisch/ klischeehaft gezeichnete Figur ausmacht.
Während eines Telefonats zwischen Roberta Lees Assistenten Harry in Mexiko und ihr in Washington bricht die Erde unter Mexiko Stadt auf. Harrys Wagen stürzt mehrere Meter tief. Aus den dunklen Gängen kommen primitive „Ureinwohner“ – der sofort an die Superman- Fernsehserie mit George Reeves erinnernde Begriff „Mole People“ wird erst später eingeführt – entführen Harry und mehrere andere Mexikaner, während sie andere in die Grube gefallene Menschen erst berauben und teilweise töten. Roberta Lee bricht sofort mit der stillschweigenden Unterstützung General Bowdens nach Mexiko auf. Hier informiert sie ein attraktiver angeblicher Journalist über einen Aztekenkult. Die Mitglieder leben unter der Erde und frönen bei ihren religiösen Ritualen auch dem Kannibalismus. Angeführt wird die anscheinend sehr viel stärker als bislang angenommene Gruppe von Maskenträgern, die sich mit dem Symbolen Cuauhtemocs und den Totengottes Miclantecuhtli verbergen. Diese auf den ersten Blick archaisch erscheinende Gruppe hat aber auch ganz andere Ziele. Mittels moderner Bomben scheinen sie die mexikanische Regierung zu erpressen, wobei ihre eigentlichen Ziele im Dunkeln liegen. Bevor Roberta Lee das erste Mal in diese anscheinend gigantische Unterwelt steigen kann, wird Harry wohlbehalten, aber eingeschüchtert zusammen mit der Leiche ihres journalistischen Informanten den Behörden übergeben. Lee will eigentlich ihre Nachforschungen abbrechen und mit Harry das Land verlassen, bis ihr von der amerikanischen Regierung in einem Zusammenhang mit ihrem gefangen gehaltenen Verlobten ein Angebot unterbreitet wird, das sie nicht ablehnen kann.

Von der Grundstruktur her folgt Earl Warren den inzwischen markanten, beliebten, aber bei einigen schwächeren Romanen auch stereotypen Mustern. Roberta Lee gerät direkt oder indirekt in Schwierigkeiten, die sie mittels mehr oder minder vertrauenswürdiger Informanten löst. Nicht selten greift der nicht unbedingt von ihr geliebte Übervater ein, was zu einer inzwischen stereotypen Erläuterung ihres ungewöhnlichen Vornamens führt. Im vorliegenden Roman variiert bzw. extrapoliert der Autor ein wenig ironisch untermalt dieses bekannte Versatzstück. Anfängliche sympathische Informanten kommen auf nicht selten brutale Art und Weise als Warnung ums Leben. Da wie schon angesprochen Earl Warren den vorliegenden Plot extrem kompakt erzählt hat, springt er in der ersten Hälfte des Buches von einem dieser Handlungsmuster zum nächsten und versucht sie möglichst schnell sowie wenig störend abzuarbeiten. Dabei erhält der Leser eine Reihe von relevanten Informationen über den Kontrast zwischen dem äußeren Scheines eines „modernen“ Mexikos und der extremen Armut, die unter der Bevölkerung herrscht. Mit dem unterirdischen Tempel aus Knochen setzt der Autor einen befriedigenden Gegenpunkt zu den bisher eher in exotischen und abgeschiedenen Teilen der Erde spielenden anderen Romanen. Obwohl Harry nicht zuletzt wegen der brutalen Entführung mehr in den Mittelpunkt der Handlung rückt und nicht mehr der leicht naive, natürlich unsterblich wie platonisch in Roberta Lee verliebte Assistent ist, bleibt das Hauptaugenmerk auf der attraktiven Archäologin, deren Vorgehensweise nuancierter und überlegter, weniger impulsiv und von eher überzogen erscheinenden Actionszenen befreit ist.
Wie fast alle „Roberta Lee“ Romane leidet der vorliegende Band unter Earl Warrens Hang, insbesondere die erste Hälfte ruhiger, aber nicht langweilig anzugehen, während sich der aber Hälfte des Romans die wichtigen Ereignisse zu überschlagen drohen. In dieser Hinsicht wirkten die verschiedenen Doppelromane der Serie – das erste und bislang beste „Roberta Lee“ Abenteuer sei hier stellvertretend erwähnt – besser strukturiert und ließen Protagonisten wie Leser auch in der zweiten Hälfte Raum zum Durchatmen und die Möglichkeit, die vielen Informationen zu verarbeiten.
Mit dem doppelten Einstieg in die mexikanische Unterwelt baut Earl Warren eine überzeugende Atmosphäre auf. Die Mischung aus den alten Fundstücken wie dem schon angesprochenen Tempel sowie den Inkaartefakten, die während der raschen Expansion der gigantischen Millionenmetropole einfach untergepflückt worden sind sowie der herrschenden Korruption, die in einem sinnlosen U- Bahnhof gipfelt funktioniert ausgesprochen gut. Ohne zu belehren und vor allem Roberta Lee zu sehr in den Mittelpunkt zu stellen fließt der inzwischen sehr stringente Plot vor sich hin. Mit der Konfrontation zwischen Roberta Lee und ihren beiden neu gewonnenen Freunden sowie den angeblichen Göttern kommt eine brutale, dunkle Note auf. Roberta Lee ist im Gegensatz zu manch anderer Romanserie eine Frau, die entschlossen ihren Weg geht und sich von „Schurken“ nicht in die Ecke drängen lässt. Vielleicht wirkt ihre Feuerorgie ein wenig zu überzogen, angesichts der „alles oder nichts“ Prämisse ist sie konsequent. Wie es sich für eine Romanserie gehört, wird Lees ungestümes Vorgehen umgehend bestraft. Auch wenn sich Warren weiterhin trotz anderer Wahrscheinlichkeiten weigert, kontinuierlich auftretende Nebenfiguren zu opfern, ist jede von Roberta Lees „Touren“ von Opfern gekennzeichnet.
Wie schon angesprochen läuft die finale Konfrontation trotz einiger gut geschriebener Actionszenen fast zu „unkompliziert“ ab. Hinzu kommt, dass Earl Warren im Grunde keinen einzigen Ansatz liefert, der eine Verbindung zwischen der Befreiung ihres Verlobten aus der Hand der Taliban und dieser im Vergleich zu anderen Feldzügen gegen Dschingis Khans imaginäre Nachfahren und eine Destabilisierung Chinas unauffälligen wie unpolitischen Mission auch nur annähernd rechtfertigen könnte. Wenn eines der in den Untergrund verschleppten Opfer zumindest der Sohn eines einflussreichen amerikanischen Senators oder Politikers gewesen wäre, hätte die Zwangsverpflichtung der rothaarigen Archäologin einen Sinn ergeben. Auch der abschließende Auftritt von Lees Vater wirk eher wie eine Integration dieser bislang wichtigen Figur in jeden „Roberta Lee“ Roman als eine logische Notwendigkeit. In Bezug auf ihre Persönlichkeit wirkt die ansonsten hitzköpfige Archäologin sehr viel „ruhiger“, sie handelt durchdachter, aber auch entschlossener.
Trotz der angesprochenen kleineren Schwächen überzeugt „Der unterirdische Tempel“ sehr viel mehr als das erste Doppelabenteuer im Rahmen der „Schatzjägerin“ Reihe, da die Handlung wie schon angesprochen sehr viel kompakter erzählt worden ist und vor allem die Verbindung eines inzwischen bis auf Museen oder reiche Sammler in Vergessenheit geratenen legendären Inkareiches mit der deprimierenden Gegenwart Mexikos gut beschrieben worden ist und Earl Warren sich mehr auf die eigentliche Geschichte konzentriert als leicht belehrend sowie sich wiederholend zu „schwafeln“, um aus einem handlungstechnisch ausreichenden Einzelabenteuer unbedingt einen Doppelroman zu machen.

Earl Warren: "Der unterirdische Tempel"
Roman, Softcover, 146 Seiten
Romantruhe 2012    

Kategorie: