Tough Sh*t

Kevin Smith

Der Heyne Verlag hat für Kevin Smiths Anekdoten - der Autor vermeidet absichtlich und richtig den Begriff einer fokussierten Autobiographie - statt des passenden Originaluntertitels “Life Advice from a fat, lazy Slob, wo did good” die Floskel gewählt: “Ein Fettsack mischt Hollywood auf”. Es ist kein geradliniges oder stringentes Buch. Smith springt hin und her, dehnt manche Episoden zu sehr aus oder greift Themen auf, die er später nach abhandeln möchte. Es ist die Idee eines niedergeschriebenen Stand Up Comedy Abends. Mit dieser Prämisse müssen Fans und weniger die über kein Hintergrundwissen verfügende Leser an diesen irritierenden Leitfaden herangehen. Den Tonfall ist – wie es sich für einen derartigen „Literaturabend“ gehört – eher ambivalent, die Struktur weit ausholend und das Themenspektrum mit einem einzigen wirklich durchgezogenen roten Faden sehr breit.

Erstens gibt Kevin Smith am Vorabend seines Abschiedes als Regisseur - er will nur noch einen Film drehen - zu, dass er zwar auf den Teenangerkomödien John Hughes aufbauend eine Reihe von erfolgreichen in erster Linie selbst geschriebenen Filmen gedreht hat, die kurzweilig Eindruck in Hollywood im Allgemeinen und bei den ihn fördernden Weinsteins im Besonderen hinterlassen haben. Zweitens sieht er aber auch seine Schwächen. Es ist kein Zufall, dass die negativen Begegnungen mit Bruce Willis während des Drehs von “Cop Out” in Smiths immerhin zwanzig Jahre umfassender Hollywoodkarriere den breitesten Raum einnehmen. Auch sein bislang letzter Film “Red State” und die Idee der Selbstvermarktung erläutert der Amerikaner sehr ausführlich, aber auch überzeugend. Es stellt für ihn eine Rückkehr zu den Wurzeln der Independentproduktionen und der künstlerischen Freiheit dar. Kevin Smith ist als Regisseur wie eine Sternschnuppe, die im Vergleich zu manchem One Hit Wonder einen Augenblick länger gebrannt hat, bevor sich ihr Glanz stetig, aber auch von ihm gezielt gesteuert seinem Ende näherte. Es lohnt sich aber nicht um den seine Karriere aktiv beendenden Regisseur Kevin Smith zu trauen. Dazu bietet das vorliegende Buch zu viele andere Spielplätze, auf denen der zukünftige Künstler Smith in der modernen wie virtuellen Podcastwelt sich tummeln möchte. Auch wenn seine Karriere in Hollywood, beginnend mit einem siebenundzwanzigtausend Dollar Streifen namens “Clerk”, wie ein Märchen erscheint, ist Kevin Smith der Letzte, der trotz der Betonung seiner Faulheit sowie seiner Fettleibigkeit nicht zwischen den Zeilen zugibt, das neben dem Mut, etwas Ungewöhnliches anzupacken, einem Haufen Glück sehr viel Fleiß dazu gehört.
Auch wenn Kevin Smith den typischen amerikanischen Fast Food Konsumenten spielt, der zwischen Fernsehsport, in erster Linie sich selbst befriedigendem Sex und Comicheften sowie Kino/DVD hin und her wechselt, sind es die Zwischentöne, die seine Laudatio auf den eigenen Mut und die eigene Entschlossenheit interessant machen. Wer sonst dankt im Auftaktkapitel den Spermien seines Vaters, die sich hart zu den Eizellen seiner Mutter durchgekämpft und dort vor Kevin Smiths Geburt ihre Lebensaufgabe souverän verrichten haben? Er widmet das Buch nicht nur seiner bezaubernden Ehefrau, sondern vor allem ihrem Arsch, bei dessen Anblick Kevin Smith in einem der die Geschichte abschließenden Kapitel masturbiert, während sich seine Frau vor dem Spiegel schminkt. Kevin Smiths provoziert absichtlich. Auf eine nur auf den ersten Blick primitive, gegen die imaginären guten Sitten verstoßende Art zeigt er seinen Fans, für die das Buch in erster Linie geschrieben worden ist, das das Leben ein Wettlauf gegen eine unbekannte Zahl von Konkurrenten ist, die jedes Zögern zum eigenen Vorteil ausnutzen. Das es in diesem Lebenswettrennen sehr viele Freunde gibt, das man Verantwortung delegieren kann und muss, steht im Grunde über dem Zieleinlauf des Lebens. Nicht immer der Schnellste kommt erfolgreich ins Ziel, sondern wem es gelingt, seine Interessen und Fähigkeiten zu kombinieren. Und überrascht es den Leser nach den zahlreichen Episoden aus der angeblichen Traumfabrik nicht mehr, dass der Filmemacher Kevin Smith nur noch wenig mit dem Filmfreak Smith zu tun hat. Aus dem Traum, eigene Ideen auf die Leinwand zu bringen und zusammen mit Quentin Tarantino in dessen Haus “Red State” zu sehen, ist eine Art Hindernislauf mit unüberwindlich scheinenden Barrikaden geworden.
Der stringenteste Teil seiner Anekdoten bezieht sich auf seine Karriere als Filmemacher, die in der vor DVD oder gar VHS Zeit mit einem der Indiekinos im Big Apple beginnt, in denen Kevin Smith gelernt hat, das gegen den Strom schwimmen nicht nur Aufmerksamkeit, sondern Befriedigung schenkt. Der erste Versuch, in “Clerks” im Grunde die Außenseiter zu charakterisieren. Interessanterweise schließt sich der Kreis mit einer Podcast- bzw. Fernsehsendung, die in Smiths Comicladen in New Jersey spielt, wo zwei seiner Angestellten ihre eigene einzigartige Art von Stand Up Humor entwickelt haben. Kevin Smith spricht offen, aber auch ein wenig uneinsichtig von seinen cineastischen Niederlagen wie dem unterschätzten “Mallrats” sowie “Jersey Girl”, wobei er an den selbsternannten Kritikern vielleicht ein wenig zu unqualifiziert in die Parade fährt. Das Kommunikation mit den Fans nicht unbedingt eine Reflektion der Schwächen seines Werkes ersetzt, scheint er auszublenden. Mit Kevin Smiths Aufschwung geht der Fall der Weinsteins und ihres zumindest in den neunziger Jahren einzigartigen wie mutigen Labels “Miramax” einher. Interessanterweise kann Kevin Smith zwischen den Majors - Disney´s Eisner erhält ebenso Lob wie Warner, die ihm “Cop Out” ermöglicht haben- und den ehemals progressiven Produktionsfirmen unterscheiden, da Smith mit seinem ehemaligen Förderer Harvey Weinstein stellvertretend für eine aus seiner Sicht falsche Richtung Hollywoods hart ins Gericht geht. Vielleicht vermisst der an Kevin Smiths Werk interessierte Leser tiefere Einblick zum sehr persönlich gefärbten “Chasing Amy” oder die Intention hinter “Mallrats”, während Smith eher über das vorhersehbare kommerzielle Scheitern von “Zack und Miri make a Porno” referiert. Im Gegensatz zu den inzwischen abgehobenen Weinsteins, die ihre Wurzeln verlassen und den üppigen Markt des Major Studio Mühls anderen überlassen haben, sucht Kevin Smith den Weg als Auteur zurück zu seinem Publikum. Das ist ihm zumindest teilweise mit “Red State” gelungen, den Smith vielleicht zu sehr als befriedigenden wie künstlerischen Triumph feiert, während einige Ecken und Kanten für das objektive Publikum erkennbar sind. Viele Kevin Smith Anhänger werden nach der Lektüre des vorliegenden Buches zumindest verstehen, warum der Ghettoclown das Interesse an weiteren Filmen verloren hat. Wenn ein durchschnittlich budgetierter Kevin Smith Film - er unterstellt 5 Millionen Dollar - durch den Marketingaufwand plötzlich fünfzig Millionen Dollar einspielen muss, damit überhaupt jemand etwas verdient hat. Kevin Smith stellt diese Blockbusterentwicklungen genauso bloß wie den Versuch Hollywoods, nur noch sichere Produktionen in Auftrag zu geben. Alles wird geradliniger und geschliffener. Eine Richtung, die sich Smith in seiner fatalistischen, aber auch irgendwo zwischen den Zeilen erstaunlich ehrlichen Abrechnung mit dem für ihn positiv geendeten Traum, Regisseur zu sein, nicht gut heißen kann. Aber Smith geht noch einen Schritt weiter. Ihm hat es nie gelegen, fremde Stoffe in Bilder umzusetzen. Seine eigene Kreativität ist in dem Maße gesunken, in dem sein Familiensinn - so krude und kindisch er auch sein mag - gewachsen ist. Am Ende dieses besten Abschnitts des Buches bleibt das Resümee, das Smith das auf die Leinwand gebracht hat, von dem er immer geträumt hat. Zeit, andere Medien auszunutzen und andere Wege zu gehen. Eher beiläufig wird erwähnt, dass Smith auch verschiedene Comicreihen geschrieben hat. Sein schließlich überarbeitetes Drehbuch zu “Green Hornet” ist inzwischen als Comic erschienen und gibt einen Einblick in eine phantasievolle Geschichte, die dem selbstkritischen Kevin Smith über den Kopf gewachsen ist. Vierzig oder fünfzig Millionen Dollar für einen Film zu verbraten, mit hochnäsigen Stars wie Bruce Willis immer wieder aneinander zu geraten oder ein ganzes gigantisches Team bei Laune zu halten, ist nichts für den Dicken aus New Jersey.
Während die Comics zu kurz kommen, setzt sich Kevin Smith mit anderen aktuellen wie persönlichen Themen vordergründig sehr offen bis intim, hintergründig eher sein öffentliches Schmuddelimage pflegend auseinander. Sein Rauswurf aus einem Southwest Flugzeug, weil er angeblich zu dick ist, hat über Hollywood und seine Insider hinaus für Schlagzeilen gesorgt. Kevin Smith hat unterstreichen, dass insbesondere Twitter inzwischen ein mächtiges Medium geworden ist, mit dem er überzeugend spielen, manipulieren, mahnen und loben kann. Oder die erste Begegnung mit dem schreibend und journalistisch tätigen Supermodell der US Today, das heute seine Frau ist. Vielleicht will nicht unbedingt jemand wissen, welche Positionen er als Fett- und fauler Sack beim Sex bevorzugt, aber zumindest ist Kevin Smith nicht nur im cineastischen Nirvana geistig verschwunden, denn sonst hätte er seine erste Begegnung mit seiner jetzigen Frau mit Tarantinos Drehbuch “True Romance” vergleichen. Nur wenige Freaks werden die anfängliche Romanze zwischen Jen und Kevin Smith erotisch anziehend und romantisch finden, aber sie pass zu dem “verklemmten”, aber sprachgewaltigen Typen aus New Jersey. Heute führt seine Frau im Familienunternehmen Regie und Kevin Smith fühlt sich wohl. Ob es seiner Frau recht ist, derartig indirekt ins Rampenlicht gezogen zu werden, steht auf einem anderen Blatt, aber der wahrscheinlich überspannte wie an manche Münchhausen Geschichte erinnernde Einblick in sein Sex- und Liebesleben rundet eine Art Ratgeber wie “Selfmade” Freaks ab. Das letzte Wort gehört seiner Tochter, die vielleicht in ihrem kurzen Schulaufsatz am ehesten durch die vordergründig fettleibige Schale Kevin Smiths dringt und ihren Vater nicht nur mit warmen, sondern ehrlichen Worten am Nachhaltigsten charakterisiert.
Kevin Smiths aufdringliche Direktheit wird - außerhalb seines Freundeskreises - sehr viele Leser schockieren oder provozieren. Aber sie erscheint vor allem in diesem stellenweise sehr intimen Text - siehe die Freundschaft zum Drogenabhängigen Jason Metes - als Fassade, mit denen sich der empfindliche wie kreative Smith vor der Welt abzuschotten suchte. Manchmal gewährt er seinen Lesern, seinen Fans und seinem Publikum trotz Schnodderschnautze einen kleinen Blick in sein Inneres. Dann lebt diese nicht abgeschlossene Autobiographie auf. Man muss diese kleinen Perlen zwischen zahlreichen Ratschlägen suchen, die nicht selten wie aus zweiter Hand erscheinen und sich selbst feiernd erscheinen. Denn trotz der provozierenden Intimität vom Spermium bis zur Analfixierung ist Kevin Smith ein Entertainer, der sein Publikum unterhalten, aber auch selbst verdienen möchte. Beides dürfte ihm gelungen sein. Den Weg, den Kevin Smith hier beschrieben und beschritten hat, kann er nur alleine gehen. Er hat seine Fans eingeladen, ihm einen Augenblick auf seinem eher ins Stocken geratenen Reifeprozess zu begleiten, bevor er sich wieder in die Spielcomicwelt zurückzieht, in der er nur selbst leben kann. “Tought Sh*t” ist wie das Essen in einem Fastfoodrestaurant. Auf den ersten Blick schmackhaft, aber der Hunger nach echter Nahrung kommt schneller als man denkt. In vielerlei Hinsicht sind Filme wie „Clerks“ als Coming of Age Geschichte und die Liebeslebensbeichte „Chasing Amy“ aussagekräftiger. Inzwischen hat Kevin Smith sich nicht nur als Silent Bob eine kommerzielle Hülle zugelegt, die in diesem ansonsten oberflächlichen, aber stellenweise lustigen Ratgeber für Lebensuntüchtige kräftig gemolken wird.

Kevin Smith: "Tought Sh*t"
Roman, Softcover, 336 Seiten
Heyne Verlag 2013

ISBN 9-7834-5326-8548

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