Nebenweit

heinz Zwack

Seit vielen Jahren ist Heinz Zwack in der Science Fiction in erster Linie als Übersetzer, aber auch als Literaturagent tätig. Mit „Nebenweit“ legt er seinen ersten Science Fiction Roman im Atlantis- Verlag vor.

 

Hauptperson ist der Journalist Bernd Lukas, der sich nach langen Jahren auf den verschiedenen Kontinenten in der Nähe von Unterwössen mit seiner Frau nieder gelassen hat. Bernd Lukas eröffnet den Roman mit einem Brief an seine Carol. An einer seiner Frauen Carol, denn „Nebenweit“ spielt mit dem Gedanken, unendlicher Parallelwelten. Diese Grundidee mag nicht zuletzt dank verschiedener Fernsehserien wie „Sliders“ oder „Fringe“ wieder aktuell, nachdem Autoren wie Ward Moore – „Der große Süden“ - oder Philip K. Dick „Das Orakel vom Berge“ – sie durch eine Kombination der realen, dem Leser vertrauten Welt dank Schlüsselprotagonisten mit der geschichtlich anders verlaufenden Parallelwelt zu einer literarischen Kunst erhoben haben. Beide Romane werden in dem Leser nicht ganz vertrauter Art und Weise erwähnt. Verblüffend ist, dass sich Bernd Lukas mit liebevollen Zeilen an die Carol aus seiner Welt wendet, ihr aber mittels Boten – die vielleicht schwächste Idee des ganzen Buches – im Grunde keine persönlichen Geschichte, sondern einen Roman präsentiert: eben „Nebenweit“. Dieser Brückenschlag irritiert den Leser zu erst. Vielleicht auch, weil die emotionale Ebene insbesondere beim lebenserfahrenen Protagonisten zu schwach ausgeprägt ist. Bernd Lukas fällt als er einen Schuppen auf dem Weg ins Dorf untersucht in eine Parallelwelt. Er landet am gleichen Ort und tauscht quasi seinen Platz mit seinem Ebenbild. Das scheint in seine Welt transportiert worden zu sein. Er ist angesichts der deutlich friedlich verlaufenden historischen Entwicklung irritiert. Er kehrt in sein Haus zurück und findet dort die Parallelwelt Carol, die ihn anfänglich verständlich auf Distanz hält. Aber Bernd Lukas reagiert zu wenig panisch, zu wenig emotional. Im Gegensatz zu Carol dauert es zu lange, bis er sich mit dem Schicksal seiner eigenen „Frau“ in „seiner“ Welt beschäftigt. Auffällig ist auch, dass er keine Eifersucht hegt, das ein anderer „Bernd Lukas“ jetzt vielleicht intim mit seiner Frau ist. Er später, vielleicht für diesen Abschnitt des Romans zu spät und fast aufgesetzt schleichen sich einige Gewissensbisse ein, die nach einer heißen verführerischen Liebesnacht mit dieser Carol gänzlich in den Hintergrund treten. Die stilistisch ein wenig zu distanzierte emotional unterentwickelte Erzählart ist gewöhnungsbedürftig. Auf der anderen sehr viel positiveren Seite nimmt sich Heinz Zwack sehr viel Zeit, diesen Bernd Lukas als einen von mehreren durch die „Mauern“ gefallenen Menschen zu integrieren. Die ruhigen Passagen sind mit Informationen angefüllt und die verschiedenen Besuche bei Freunden und in einem Krankenhaus, in dem ebenfalls ein verwirrter Mann behandelt wird, sind dynamisch strukturiert und solide erzählt. Höhepunkt dieser ersten Buchhälfte ist weniger die Begegnung mit dem geheimnisvollen Dr. Jacques Dupont, sondern mit einem japanischen Autoren, der in seinem Erstling die Entwicklung der dem Leser vertrauten Welt bis zum Abwurf der Bombe über Hiroshima und dessen Folgen skizziert hat. Dieser in der „Realität“ unglückliche Mensch hat in der Parallelwelt seine Bestimmung gefunden und will gar nicht mehr zurückwechseln. Ein Wunsch, den Heinz Zwack in seinem Erzähler auch eher ambivalent behandelt. Da der Leser mit der Ausgangswelt und Lukas Lebensumständen so gut wie gar nicht – einige immer wieder aufgegriffene Impressionen sind die Ausnahme – vertraut ist, kann er sich in dieser Hinsicht kein Urteil erlauben.

Mit der Rückkehr aus Japan eröffnet Heinz Zwack sehr viel intensiver zwei beiläufige Handlungsebenen. Schon zu Beginn verweist er auf einen gällischen Stamm, der anscheinend auch teilweise über die aktive Fähigkeit verfügt, zwischen den Welten hin und her zu wandern. Das es anscheinend immer noch zum guten Ton gehört, eine von den Nazis dominierte Welt in den Plot einzufügen, beginnt diese auch in der zweiten Hälfte des Romans zu dominieren.

Ab der Mitte des Romans unterwirft sich Heinz Zwack mehr den Gesetzen des Genres, das er auf den ersten Seiten des Buches spielerisch und aufgrund seiner langjährigen Erfahrung als Science Fiction Leser variabel um eine kleine Fußnote bereichert hat. Heinz Zwack versucht den Schalter zwischen der geruhsam erzählten Exposition und Spannungsmomenten umzulegen. Konnte der Leser die ersten gut zweihundert Seiten des Buches eher unter der durch die parallel laufenden Handlungsebenen angereicherten Kategorie „Erfahrungsbericht“ abheften, versucht der Autor anschließend nicht nur das Phänomen weiter zu hinterfragen und Lösungsmöglichkeiten anzubieten, er schlägt den Bogen zu einem ominösen Gefahr aus der Parallelweltplot.  Heinz Zwack steigert aber nicht das erzählerische Tempo, was die zweite Hälfte des Buches wenig dynamisch erscheinen lässt. Hinzu kommt, das der Autor insbesondere hinsichtlich des Showdowns auf einige Klischees zurückgreift. „Nebenweit“ ist in erster Linie positiv wie negativ ein Ideenroman, der irgendwann die bekannte Prämisse nach einem guten Beginn zu verbiegen sucht, um die verschiedenen roten Fäden abzuschließen.

Auf der anderen Seite entwickelt Heinz Zwack eine Reihe von interessanten Welten. Dabei greift er nicht nur auf Negativa zurück. Ein großdeutsches Reich mit seiner fragwürdigen Randgruppenpolitik, aber einem gestärkten wirtschaftlich stabilen Inneren ist auf den ersten Blick nicht nur ein Kulturschock für Bernd Lukas, sondern auch für die Leser. De braune Provinz wird fast karikierend beschrieben, während Lukas erste Welt mit einem starken Europa und einer schwachen USA, einem japanischen Imperium – auch hier stellt die Kolonialpolitik der Japaner ein interessantes Statement dar, das historisch diskussionswürdig, aber zumindest solide begründet worden ist – im Detail sich nur in wenigen Punkten von der Ausgangsrealität unterscheidet. Der Autor stellt positiv die Ausgangserde und ihre Menschen nicht als Nulllinie dar, sondern impliziert auch, das sie eine Variation sein könnte. Damit wird der Bogen insbesondere zu „Welt am Draht“ geschlagen. Sowohl in der literarischen Vorlage als auch der Fassbinderverfilmung erfolgte der Weltenaufbau vertikale, während die Durchschlüpfe zu den Parallelwelten ein horizontales Durchschreiten anscheinend seit Jahrtausend ermöglichen. Dabei wird die Idee unterschiedlicher Zeitabläufe ein wenig in den Hintergrund gedrängt, um die solide ausgeführte Struktur des Buches nicht zu unterminieren.

Die Schwächen dieses ambitionierten Erstlings liegen in erster Linie in der fehlenden inneren Dynamik, Heinz Zwacks Hang belehrend zu extrapolieren und dem zu abrupten und zu wenig ergreifenden Ende.

Auf der anderen Seite zeigt sich von Beginn an eine gewisse Lebenserfahrung des Autoren bei der Zeichnung der Figuren. Auch wenn Bernd Lukas eher ein Intellektueller denn ein klassischer Held ist, gibt der Autor seinem Protagonisten bis auf die angesprochene schwache entwickelte emotionale Ebene eine interessante, nuancierte Persönlichkeit. Auch seine Parallelweltfrau Carol mit ihrer anfänglichen Zurückhaltung ist überzeugend gezeichnet. Auf der Antagonistenseite gelingt es Heinz Zwack, mit dem wirklich ambivalenten Dr. Jacques Dupont einen vielschichtige Figur zu erschaffen, deren Absichten lange im Verborgenen sind. Ob Lukas Freund Thadewald eine Anspielung auf den langjährigen Fan und Sammler Wolfgang Thadewald ist, soll außer acht gelassen werden. Neben den drei angesprochenen Hauptfiguren – was die ganze Struktur des Buches angeht – sind es die zahlreichen Nebenfiguren, die mit liebevollen, nicht selten persönlich erscheinenden Details gefärbt dem Buch in den längeren Passagen eine Tiefe geben, die der Leser bei der Hauptperson vermisst.

 

„Nebenweit“ ist ein ohne Frage ambitionierter Erstling, dessen Stärken und Schwächen sich aufheben. Heinz Zwack kennt sich im Genre aus und hat versucht, sich von den verschiedenen thematisch vergleichbaren Romanen positiv abzuheben. Das ist ihm wie schon angesprochen nicht immer wirklich gelungen. Von der relativ schnell eingeführten Prämisse ausgehend unterminiert die rückblickend von Bernd Lukas und Heinz Zwack gewählte Romanerzählform – als Tagebuch oder langen, persönlichen Abschiedsbrief unter der Prämisse, das viele Nebenhandlungen einfach Lukas nicht bekannt sein können – den emotionalen Inhalt des Buches. Natürlich ist Bernd Lukas wie der Autor ein Fan von Science Fiction Geschichten und hat sich anscheinend schon an einigen Stoffen versucht. Daher ist die Wahl seiner Erzählform auf den ersten Blick natürlich, in Hinblick auf den einleitenden persönlichen Brief hätte es „Nebenweit“ besser getan, erst das Tagebuch zu veröffentlichen und mit dem Hinweis zu enden, das alles irgendwann in Form eines Science Fiction Romans noch einmal zu veröffentlichen.          

Titelbild: Timo Kümmel
A5 Paperback, ca. 440 Seiten, ISBN 978-3-86402-099-5.
Hinweis: Parallel erschienen eine Hardcover- und eine eBook-Ausgabe.