Gold

Michael Crichton

„Pirates Latitudes“ ist neben den Fragmenten eines nicht fertig gestellten Techno- Thrillers im Nachlass des im Jahre 2008 an Krebs verstorbenen Michael Crichton gefunden worden. Auf den ersten Blick ist die in der Karibik des 17. Jahrhunderts spielende klassische Piratengeschichte eine komplette Kehrtwende im Vergleich zu Crichtons letzten provozierenden modernen Thrillern wie „State of Fear“, „Airframe“ oder „Prey“. Vergleicht man allerdings „Pirates Latitudes“ – der deutsche Titel „Gold“ ist ein wenig zu profan – mit früheren Arbeiten Crichtons wie „The Great Train Robbery“ oder „Eaters of the Dead“, so wirkt der vorliegende Roman wie eine lesenswerte Mischung aus den beiden oben erwähnten Büchern in Kombination mit der Mission Impossible Mentalität, welche Alaistar MacLean Büchern wie „Die Kanonen von Navarone“ mitgegeben hat. Auf den letzten zwanzig Seiten (!) fügt Michael Crichton noch eine nihilistische und überstürzt wirkende Hommage an den Rachefeldzug des Grafen von Monte Christo aus Alexandre Dumas weltberühmten Roman hinzu.

Die Grundhandlung ist stringent und für den Leser sehr gut nachvollziehbar. Jeder taktische Rücksetzer entpuppt sich im Nachhinein als kleiner Triumph. Durch einen Zufall erfährt der legendäre Freibeuter im Namen ihrer britischen Majestät Captain Hunter von einem spanischen Handelsschiff, das im Schutz einer natürlich unangreifbaren spanischen Festung im Hafen einer der Nachbar Karibik-Inseln vor Anker liegt. Hunter beschließt nicht nur aus persönlichen Motiven, die Festung von der Landseite anzugreifen und danach das Schatzschiff zu plündern. Michael Crichton nimmt sich nicht sehr viel Zeit, in schneller Abfolge die wichtigsten guten, bösen und ambivalenten Charaktere einzuführen. Die eher kargen Beschreibungen werden in erster Linie durch ihre nicht selten von den Lesern noch nicht einzuordnenden Handlungen bestimmt. In Mission Impossible Manier stellt Hunter für diese natürlich extreme gefährliche, aber auch lukrative Angriffsvariante ein spezielles Team zusammen, bei dem der jüdische Krämer im Grunde aus dem Nichts heraus noch einen speziellen Sprengstoff mit längeren Lunten aus den Gedärmen von Ratten entwickelt. Die atmosphärische Einführung ist so gut wie nicht vorhanden. Mit wenigen Worten in einem neorealistisch schmutzigen Beschreibungsstil skizziert er die Verhältnisse in der britischen Kronkolonie Jamaika, umgeben von den natürlich sehr viel mächtigeren spanischen Feinden. Kurioserweise sind die Interessen beider Lager absolut gleich. Gold in die alte Welt zu bringen und die eigenen Taschen dabei mit Prozentsätzen zwischen zehn und einhundert heimlich aufzufüllen. Während die Spanier die neue Welt systematisch ausplündern, begnügen sich die Engländer, ihre Vasallen mit Kaperbriefen auszustatten und die spanischen Schiffe auf offener See anzugreifen und zu versenken. In dieser Hinsicht folgt die Exposition des vorliegenden Romans die romantisch verklärten Erroll Flynn- Streifen der vierziger Jahre. Nach der hektischen, wenn auch unterhaltsamen Einführung insbesondere in den politisch- wirtschaftlichen Klüngel und der Einführung eines neuen eher dumm- naiven Sekretärs – wie kann sich der Leser hier täuschen - des britischen Gouverneurs inklusiv der freizügigen lüsternen und schnell sich an Captain Hunter heranmachenden Gattin, konzentriert sich der Plot auf den „eine Handvoll waghalsiger Männer gegen eine erdrückende Übermacht“ Spannungsbogen. Dabei schwankt Crichton ganz deutlich zwischen einem Erzählstrang, der in der ersten Hälfte neben der cineastisch aufgemachten Vorstellung der einzelnen, grotesk bis klischeehaften erscheinenden Mitglieder das königlich sanktionierten Kommandounternehmens und Andeutungen hinsichtlich der endgültigen Verwendung der einzelnen Werkzeuge wie auch des in einer unwahrscheinlichen Plotwendung im Vorbeigehen erfundenen Zeitzünders für archaische Splittergranaten.

Nach dem ersten Drittel des Buches teilt sich der Plot auch vorhersehbar auf. In der Haupthandlung berichtet Crichtons von Hunters schwieriger Mission, die gleich mit der Kaperung durch ein „zufällig“ vorbeikommendes spanisches Schiff beginnt. In den einzelnen kleineren das Kommandounternehmen begleitenden Handlungsbögen extrapoliert Crichton die Ränkespiele auf Jamaika selbst ein bisschen an eine Parodie erinnernd. Dieser lange vorbereitete Plot ist aber keine fünfzig Seiten später zur Verblüffung der Leser vorbei. Danach schließt sich eine Art Odyssee in Karibik an mit einer rasanten Verfolgungsjagd, einem interessanten Katz- und Mausspiel in der Monkey Bay, einer spektakulären und wie manch andere Passage dank einer aus dem Hut gezauberten waghalsigen Idee erfolgreich bestrittene Seeschlacht, eine lange Sturmfahrt, eine Begegnung mit einem riesigen Oktopus als eine von zwei möglicherweise leicht phantastischen Ideen sowie der Verrat an Hunter und seine treuen Besatzung. Es schließt sich die erfolgreiche Rache im Grunde an allen Charakteren, die Hunter direkt oder indirekt betrogen und beinahe an den Galgen gebracht haben, an.

Es ist schon spektakulär, welches Feuerwerk Crichton auf knapp über dreihundert Seiten abbrennt. Dabei reicht das Spektrum über die ganze Bandbreite der Abenteuerliteratur bis zu einer Anspielung auf die berühmte Schatzinsel, die zumindest die Hälfte von Hunters Beute beherbergt. Die einzelnen Sequenzen – ein Höhepunkt ist das Herauslocken einer Giftschlange aus einem Hosenbein – sind teilweise ungewöhnlich intelligent und innovativ geschrieben. Auf der Basis solider Recherchen hat sich Crichton sehr viel Mühe gegeben, den eher aus Versatzstücken bestehenden Plot aufzuwerten. Dabei wirkt die Vorgehensweise teilweise sehr Zufallsbedingt und die Motive sind nicht immer klar erkennbar. Die anfängliche Gefangennahme wird durch eine waghalsige, nach Kenntnisstand des Lesers nicht abgesprochene oder gar geplante Aktion negiert. Der Kampf gegen ein wendigeres Kriegsschiff wird mittels einer einfachen mathematischen Gleichung spektakulär gewonnen. Hunter kann dem Galgen dank der Frau entkommen, die er zu Beginn des Romans geschwängert hat. Rückblickend funktioniert das alles sehr gut, wenn auch teilweise arg mechanisch. Crichton nimmt sich nicht die Zeit, die einzelnen interessanten Subszenarien wirklich ausführlich zu beschreiben und in den entsprechenden Sequenzen wirklich überzeugend Spannung aufzubauen. Bei den Kämpfen geht es hart zur Sache und das Blut fließt in Strömen. Mehrmals werden eigene Crewmitglieder mittels Kopfschuss von ihren Qualen und Verwundungen erlöst. Da fliegen Körperteile durch die Luft und das obligatorische Degenduell findet vor einer brennenden Kulisse statt. Etwas weniger ins Unrealistische übersteigerte Gewalt und mehr Sorgfalt hinsichtlich der Zeichnung der Charaktere hätten dem Roman deutlich besser getan. Alle Figuren wirken teilweise wie Klischees. Captain Hunter ist ein rücksichtsloser Opportunist, welcher den Lesern nicht unbedingt sympathisch ist. Von allen egoistischen Figuren ist er einfach der Zugänglichste. Egal wie verzweifelt die Situation ist, entweder findet er aktiv einen Ausweg oder ihm wird von unwahrscheinlicher dritter Seite geholfen. Wie es sich für Crichtons Gauner- Komödien gehört, steht er am Ende nicht als Sieger, aber auch nicht als kompletter Verlierer dar. Auf den letzten Seiten macht ihn Crichton konsequent, aber hinsichtlich seiner bisherigen Charakterisierung nicht unbedingt nachvollziehbar, zu einem eiskalten Killer, der sich an fast allen Verrätern teilweise sadistisch rächt. Seine Crew setzt sich aus dem nimmermüden intelligenten Juden Don Diego, der wahrscheinlich auch ein Rettungsfloss für alle Passagiere der „Titanic“ zusammengeschweißt hätte und dessen persönliche Rachegeschichte im flotten Geschehen schließlich untergeht; der in Männerkleidern herumlaufenden Piratenbraut; einem psychopathischen Massenmörder und verräterischen Franzosen, der rücksichtslos alleine ganze Schiffswachen umbringt sowie einer Handvoll weiterer Vertrauten zusammen. Hunter gegenüber stehen der kränkliche Gouverneur, dem es in erster Linie um die eigene monetär abgesichert Zukunft geht, sowie seinen neuen Sekretär, der sich nicht nur als Tyrann und hinterhältiger Verräter, sondern als Sadist erweist. Frauen haben ihn erster Linie als sexuell mehr oder minder freiwillig aktive Gespielinnen zu dienen. Da ist das junge Mädchen, das in die Dienste des Gouverneurs tritt und ihm im Haus wie im Bett zu Diensten ist. Oder die Frau des neuen Sekretärs, die ehemalige Geliebte des Königs und später Hunters Braut sowie das Objekt der sadistischen Begierden ihres Ehemanns, wobei diese Ehe nur auf dem Papier und nicht im Bett besteht. Eine attraktive junge britische Hure lenkt schließlich den Franzosen im entscheidenden Moment ab. Keine der weiblichen Figuren ist – insbesondere im Vergleich zu „The great train Robbery“ – wirklich überzeugend entwickelt. Beim Leser bleibt den Eindruck bestehen, als wenn Crichton erst den Plot entwickelt hat, um ihn dann mit passenden Figuren zu bevölkern. Aufgrund des rasanten Tempos fällt diese Schwäche nicht so gravierend ins Gewicht, aber nach Abschluss der Lektüre vergisst man die einzelnen Protagonisten sehr viel schneller als einige packend geschriebene Actionsequenzen. Crichton beschreibt in einem kurzen Epilog das weitere längere oder kürzere Leben seiner Figuren. Diese Vorgehensweise gibt dem Text den Hauch von Authentizität.

Zusammengefasst wirkt „Pirates Latitudes“ ein bisschen unfertig. Als wenn Crichton den Roman möglichst schnell – vielleicht verständlich angesichts seiner stetig fortschreitenden Krebserkrankung – fertig stellen wollte. Das lässt die teilweise sehr gut geschriebenen Actionszenen – die Bergbesteigung, das Duell auf See und selbst der Kampf gegen die einheimischen Kannibalen – in den zahlreichen und zu dicht aneinandergesetzten manchmal zu konstruiert erscheinenden „Höhepunkten“ förmlich untergehen. Auf der anderen Seite unterstreicht Crichton mit diesem dunkel- brutal wie kompakt geschriebenen Roman – in seinem Gesamtwerk nur mit „Eaters of the Dead“ vergleichbar -, das er sich auch im etwas übertriebenen, aber spektakulären Abenteuer/ Piratengenre sehr gut auskennt. „Pirates Latitudes“ ist nicht sein bestes Buch, aber gute, manchmal ein wenig zu brutale Unterhaltung auf einem ansprechenden Niveau. Zumindest phasenweise spürt der Leser die fast unerträgliche Hitze der karibischen Tage, den stetigen Wind von der See, das Knarren der Segel und die Gier nach dem Gold Lateinamerikas.

Die Grundlage der Rezension bildet die amerikanische Originalausgabe, in der deutschen Fassung des Karl Blessing- Verlags sind zahlreiche nautische Fachbegriffe unzureichend oder falsch übersetzt worden.

Michael Crichton: "Gold"
Roman, Hardcover, 368 Seiten
Karl Blessing- Verlag 2009

ISBN 9-7838-9667-4029

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