Earl Dumarest 2- Die Telepathin

E.C. Tubb

Obwohl "Die Telepathin"  - im Original "Derai" nach der wichtigsten Hauptfigur dieses Romans betitelt - der zweite Band der "Earl Dumerast" Serie ist, werden viele Handlungsmuster der insgesamt dreiunddreißig Abenteuer umfassenden Serie erst in diesem Band manifestiert. Auffällig ist es bei der Position der Cyclan. Im ersten Buch sind die "Cyborgs" ohne Frage eine Art Anachronismus. Bis auf die Raumfahrttechnik präsentiert der Autor eine relativ archaisch mittelalterliche Kultur, die sich auf allen Planeten ausgebreitet hat. Der Leser hat unbewusst das Gefühl, als haben sich - wie in Frank Herberts "Dune" - die Entwicklungen auf den Planeten selbst von der interstellaren Kultur gänzlich abgekoppelt.  Während die Cyclan in "Planet der Stürme" ambivalente Enigmen gewesen sind, die im Hintergrund als mehr oder minder passive Ratgeber und Chronisten agiert haben, übernehmen sie als "Masse" und nicht als Individuen ab dem hier vorliegenden Roman die Kontrolle und beginnen, Earl Dumerast auf seiner Suche nach der Erde Fallen zu stellen. Interessanterweise löst der Autor diesen sich wie ein roter Faden durch die Serie ziehenden Konflikt im Abschlussband nicht auf. Weitere Versatzstücke der laufenden Serie sind tragische Romanzen, wobei sich in erster Linie die Frauen in den melancholischen Gentlemenhelden verlieben, bevor Dumerast beginnt, etwas für die nicht selten Außenseiter der jeweiligen Hochgesellschaften zu empfinden. Ein drittes Element, das im vorliegenden Buch stellvertretend für die ganze Serie eingeführt wird, ist das Glücksspiel. Während sich Dumerast in "Planet der Stürme" eher einer Tragödie von Shakespeares Ausmaßnahmen annehmen musste, beginnt er in "Die Telepathin" mit Glücksspielen jeglicher Art. Vielleicht ist es signifikant, dass ihn "Derai" - als Telepathin hat sie einen natürlichen Vorteil - dazu verleitet, sich das Reisegeld für die planetaren Expeditionen auf diese Art und Weise neben seinen Söldnertätigkeiten zu verdienen. Als ausgleichendes Element gewinnt Earl Dumerast nicht oft. Wenn er am Spieltisch Glück hat, verliert er eine Liebe. Wenn er Geld erspielt, schenkt er es wieder her. Mehrmals muss er sich durch die Übernahme von gefährlichen Selbstmordmissionen von seinen Spielschulden befreien. Das abschließende in diesem Roman eingeführte Element ist eine "Brot und Spiele" Kultur, die Tubb planetenübergreifend zwischen dem alten Rom und dem Mittelalter ansiedelt. Es ist vielleicht der einzige Punkt in der ganzen Serie, bei dem der Leser sich sicher sein darf, dass der Held zumindest lebend, wenn auch nicht immer mit heiler Haut entkommt.   

 

Mit der gebrechlichen Derai fügt Tubb seinem Kanon eine interessante Frauenfigur hinzu. Sie ist vor ihrer Heimatwelt geflohen, weil sie mit ihrem Cousin verheiratet werden sollte. Sie gehört einer der vermögenden Familien des Planeten Hive an, der durch seine Honigproduktion bekannt wie berüchtigt ist. Auf Hive gibt es überdimensionale Bienen, die ihren Honig verteidigen. Später stellt sich heraus, dass nicht nur Derai telepathisch begabt ist, sondern die Bienen über einen latent  telepathischen Gruppeninstinkt verfügen, der es ihnen ermöglicht, sich in Rotten auf die jeweiligen Honigernter zustürzen und sie zu töten. Dadurch ist der Preis dieses belebenden und als Potenz steigernd bekannten Honig in ungeahnte Höhen getroffen. Dumerast erhält den Auftrag, Derai von Kyle wieder zurück nach Hive zu bringen. Als Belohnung winkt ausreichend Geld für zwei weitere Hochraumfahrten – er muss sich als nicht einfrieren lassen. Während des Fluges erfährt Dumerast, dass das Mädchen telepathisch begabt ist und diese Fähigkeit auch einsetzt, um einen Berufsspieler auszunehmen. Derai beginnt sich in den schweigsamen Dumarest zu verlieben. Er sieht in ihr noch eine Schutz befohlene Person. Auf Hive wird Derai von ihrem aggressiven Cousin abgeholt und Dumerast in der Landezone zurückgelassen. Zusammen mit den anderen Arbeitern, die auf dem Planeten gelandet sind, muss er sich seine „Freiheit“ erst erkaufen. Anfänglich fühlt er sich von Derai fallen gelassen, bevor er nach und nach die Hintergründe einer Familientragödie erfährt und sich entschließt, dem Mädchen zu helfen.

 

Während Earl Dumarest insbesondere im vorliegenden zweiten Roman der Serie noch stärker als schweigsamer Held mit einem Ehrenkodex und einer spürbaren Hilfsbereitschaft Schwachen gegenüber, aber auch überdurchschnittlichen Fähigkeiten als Kämpfer beschrieben wird, erscheint die zierliche Derai als anfänglich lebensuntüchtiges Mädchen mit fast naiv erscheinenden Wünschen. Als Telepathin kann sie ihre Fähigkeit nicht gänzlich kontrollieren. Auf der einen Seite nutzt sie die ausgesprochen seltene Fähigkeit, in den Gedanken der Mitmenschen zu wühlen und ihre nächsten Züge „vorherzusagen“. Das wird während des Kartenspiels genauso deutlich wie anfänglich während des Showdowns in der Arena, wo sie mit Dumerast eine menschliche Synthese bildet. Sie ist in einer Kultur aufgewachsen, die Frauen sehr wenig Respekt entgegenbringt. Sie durchläuft einen für Hive fast spektakulären Entwicklungsprozess, wobei E.C. Tubb nur wenige, wahrscheinlich zu wenige weitere Frauenfiguren dem Roman hinzufügt. Tubb beschreibt die im Verlaufe des Romans auf beiden Seiten aufkeimende Liebe ohne Kitsch oder Pathos. Dumerast verlässt seine Position als neutraler „Wächter“ mehr und mehr, bis er durch Derais Opferbereitschaft herausgefordert wird. Wie schon angesprochen ist es nicht die letzte Liebesgeschichte, die tragisch endet. Earl Dumerast als Mann auf einer Mission – die Suche nach der Erde wird weniger stark in den Vordergrund gestellt und die verschiedenen Köder, die ihm entgegengehalten werden, erweisen sich als Mythen und Legenden – ist zwar keine Sekunde bereit, seine Idee, die Erde zu finden und zur Wiege der Menschheit zurückzukehren, aufzugeben, allerhöchstens im Falle Derais einen Moment zu verschieben. Tubb positioniert ihn irgendwo zwischen verliebt und väterlich angesichts der Verletzlichkeit Derais, die von ihrer Fähigkeit nicht aufgewogen wird.

 

Mit Hive führt der Autor einen weiteren, auf den ersten Blick wirtschaftlich absurden Planeten ein. Der Honig wird in die ganze Galaxis exportiert. Das wirtschaftliche System basiert auf einer Mischung aus Oligarchie – die Familien erinnern nicht zufällig an Fürstenhäuser – und pragmatischen Sozialismus mit einer zumindest in der Theorie kompletten Kontrolle des Marktes und der Honiggewinnung. Wie einigen anderen Welten geht es Hive nicht um eine Gewinnmaximierung, sondern eine Abschottung der eigenen Welt von einem unkontrollierten Handel, das ihn einer modernen „Sklavengesellschaft“ endet. Die am Raumhafen ankommenden Aussiedler müssen sich als Sklaven auf den gefährlichsten Bienenfeldern verdienen. Die Sterblichkeitsquote ist hoch, die Bezahlung ausgesprochen niedrig. Alternativen gibt es nicht. Die wenigen kriminellen Förderungen enden tragisch. Es gibt noch auf einer benachbarten Welt eine Arena, in der die Überlebenden eines Hindernislaufes inklusiv gegenseitigen Abschlachtens einen erheblichen Geldgewinn und Bewegungsfreiheit gewinnen können. Diese Brot und Spiele Idee wird in unterschiedlicher Form von Tubb immer wieder aufgegriffen. Im vorliegenden Band ist sie ein wenig rudimentär ausgeführt, da Dumerast Anmeldung länger dauert als der gemeinsame Überlebenskampf mit Derai.

 

Die politische Bühne mit den einflussreichen Familien, dem sterbenden Patriarchen, dem verschlagenen und falschen Schwiegersohn in Spe, dem von Dumarest in einem direkten Duell die Grenzen aufgezeigt werden, sind Element, welche der Leser in einem deutlich ambitionieren Rahmen aus „Planet der Stürme“ schon kennt. Im Gegensatz zu dem auf dieser Ebene sehr viel nachhaltiger überzeugenden ersten Buch der Serie hinterlässt Dumerast pragmatische Art in der Gesellschaft keinen bleibenden Eindruck. Am meisten vermisst der Leser die archaische Urlandschaft Gaths mit seinem eindrucksvollen Naturschauspiel, das unterstreicht, wie unwichtig der Mensch in einem gigantischen Kosmos wirklich ist. Killerbienen können es nicht zufrieden stellend ausgleichen. „Die Telepathin“ ist dank der überzeugend gestalteten emotionalen Ebene eine von Tubb wieder ausgesprochen kompakt verfasste, aber stilistisch manchmal ein wenig karg wirkende Geschichte um den Weltraumtramp auf der Suche nach der Erde, in welcher zusammen mit „Planet der Stürme“ die kommenden Grundlagen der Serie endgültig manifestiert worden sind. 

 

Pabel Moewig Taschenbuch

160 Seiten

1983 erschienen