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“Die Gang” – “Funland” im Original aus den achtziger Jahren – gehört zu den Romanen Laymons, in denen die übernatürlichen Elemente im Grunde nicht benötigt werden. Es ist eine typische, stellenweise auch klischeehafte Geschichte vom größten Feind des Menschen – dem Menschen.
Die Ausgangslage ist dabei in klassischer Vigilantenmanier nicht uninteressant. Das „Funland“ aus dem amerikanischen Originaltitel ist ein faszinierender Vergnügungspark, der am Strand quasi auf die Promenade gebaut worden ist. Er hat seine besten Jahre hinter sich. Tagsüber drängen sich die Bewohner der näheren Umgebung an den Ständen und in den Fahrgeschäften. Nachts siedeln sich in und um den Park die Obdachlosen an. Eine Gruppe von Teeangern, die von Richard Laymon allerdings zu wenig ironisch extrapoliert, das Klischee des modernen Amerikas vom Footballstar bis zur örtlichen Zicke alias Cheerleader umfasst, beschließt, die Reinigung des „Funlands“ vom Abschaum der Menschheit selbst in die Hand zu nehmen. Unter dem wohlwollenden Jubel der überwiegend schweigenden Öffentlichkeit überfallen sie die Obdachlosen und malträtieren sie. Schnell werden die Grenzen des normalen Vertreibens überschritten und einige der Tramps verschwinden. Richard Laymon geht die Grundidee des Plots ein wenig zu ambivalent an. So nennen sich die Tramps „Trolls“. Der Autor nimmt sich zwar ein wenig Zeit, ihr Dasein abseits des amerikanischen Traums eher wie eine Karikatur zu beschreiben, ihm fehlt aber wahrscheinlich absichtlich die wertende Tiefe, um deren Schicksale ausführlicher zu beschreiben und sie vor allem als menschlich zu charakterisieren. Auf der anderen Seite wirkt die Gang – sie nennen sich im Original „Troller“ – zu blütenweiß beschrieben. Ihre von der Öffentlichkeit umjubelte Mission ist es, den Behörden deren Hilf- oder Interessenlosigkeit aufzuzeigen und die Randgruppen mit mehr oder weniger Gewalt zu vertreiben. Immer am Rande des Hurrapatriotismus mit einer erdrückenden schwarzweißen Argumentation zementiert Richard Laymon diese Ausgangsprämisse, ohne das er seinen Lesern eine sympathische Identifikationsfigur anbietet oder überhaupt anbieten will. Das macht die erste, sich für einen Richard Laymon Roman erstaunlich langsam entwickelnde Hälfte des Romans mit den eingestreuten, wie meistens übertriebenen bis sadistischen Gewaltszenen schwer zu lesen. Akzeptiert der Leser das Fehlen eines klassischen Protagonisten, der seine anderen deutlich sadistischeren Romane auszeichnet, dann wird das Ausgangsszenario mit einem sehr breiten Pinselstrich im Mittelpunkt des Konfliktes – dem „Funland“ – überraschend gut zusammengeführt. Verschiedene, sehr unterschiedliche Figuren mit extremen Meinungen werden eingeführt, bevor auf sich erstens auf den letzten zweihundert Seiten der Plot entsprechend dreht und vor allem zweitens Richard Laymon ein weiteres, eher übernatürliches Element in die Handlung einführt und die Fronten teilweise sich drehen lässt. Diese Wendung wirkt kritisch betrachtet nicht ganz überzeugend. Der Autor muss sich den Vorwurf gefallen lassen, das er einige Ideen fast als Rechtfertigung der grausamen Taten der Gang nachschiebt. Diese nachträgliche Rechtfertigung überzeugt nicht immer, der aufmerksame Leser fühlt sich plötzlich stark manipuliert bis betrogen. Schockierender wäre es tatsächlich, wenn die Obdachlosen nur unschuldige Opfer jugendlicher Gewalt geworden wären, nachdem sie durch das kaum vorhandene amerikanische Netz mehr oder minder freiwillig gefallen sind. So wirkt die aufgesetzte Moral, das es sich weniger um Unrechtstaten, sondern um „Rache“ handelt, inhaltlich falsch und zu stark belehrend. Vor allem weil er die Trolls als Verrückte charakterisiert. Damit degradiert der Autor sie quasi indirekt zu rechtlosen und schiebt seinen potentiellen "Helden" eine Art Generalvollmacht zu.
Auf der anderen Seite hat er den Mut, die klassischen Gesellschaftsvertreter im Grunde ins Leere laufen zu lassen. Da wären die eher naiven Polizisten, welche die Tramps unter die Lupe nehmen wollen. Zusätzlich gibt es einen Journalisten, der sich Undercover bei ihnen einschleichen möchte. Vorbereitete Informationen gibt es nicht. Auch die Vorgehensweise des Journalisten wirkt rückblickend eher befremdlich. Es gibt zu wenige Informationen, was diese Gruppe von Tramps von anderen Obdachlosen unterscheiden soll. Richard Laymon streut zwar einige Hinweise aus, aber sie sind zu wenig fundiert. Das der Journalist mitten in seinen Ermittlungen verschwindet, muss rückblickend als Hinweis auf das eher übernatürliche Ende inklusiv des leider eher schwachen Epilogs gesehen werden. Im Vergleich zu anderen Richard Laymon Romanen, die handlungstechnisch eher auslaufen als abgeschlossen werden, wirkt "Funland" allerdings abgerundet, wenn auch nicht zufriedenstellend.
Amerikanische Vergnügungsparks haben schon immer eine interessante Kulisse für Horrorgeschichten gebildet. Dabei reicht das Spektrum von Filmen wie "Carnival of Souls" mit seinen eindrucksvollen Bildern über Tope Hoppers unterschätztem "Funhouse", dem Teile des Plots erstaunlich ähneln, bis natürlich Stephen Kings letztem Roman "Joyland". Richard Laymons "Funland" entwickelt im Verlaufe der Handlung eine eigene Persönlichkeit. Die Beschreibungen sind ausgesprochen detailliert. Und der Autor versäumt es nicht, unter die vordergründigen Vergnügungen warnende Hinweise zu streuen. Es ist vielleicht weniger die latent bedrohliche Atmosphäre, als die auf zwei Handlungsebene praktizierte Mischung aus Tod und Vergnügen, die "Funland" in dieser Hinsicht zu einem seiner besseren Bücher machen.
Es sind aber die handlungstechnischen Schwächen, welche den vorliegenden Roman zu einem eher durchschnittlichen Laymon machen. Die Gewaltszenen sind sadistisch und expliziert. Erst in der Mitte der zweiten Hälfte kommt sexuelle Gewalt in Form der Vergewaltigung der blonden Cheerleaderin durch die Trollers hinzu. Bis dahin manipuliert der Autor in Hinsicht auf sexuelle Spannungen eher den Leser. Mit dieser unangenehm detaillierten Vergewaltigung durch die von Laymon von Beginn an als verrückt und abscheulich dargestellten Vagabunden, die in dieser Szene aber ihren Verstand zusammenreißen und voller sadistischen Vergnügen zur Gegenoffensive blasen, dreht sich allerdings der Plot. Bis dahin hat es allerdings der Autor bis auf die angesprochenen Momente sexueller Spannungen auf Teenagerniveau zu wenig verstanden, wirklich Spannung aufzubauen. Die Gewalterruption sind abrupt, aber wirken auch zusammenhanglos. Verschiedene Figuren interagieren auf den Handlungsebenen. Im Kopf des Lesers fügen sich diese Informationen wie Versatzstücke relativ leicht zusammen, während der eigentliche Plot nicht wirklich vorangetrieben wird. Täter und Opfer, Motive und Verbrechen sind bekannt. Hintergründe deutet Richard Laymon insbesondere in der ersten Hälfte seines Romans zu wenig an. Vieles wirkt sehr mechanisch und stark konstruiert, bevor der Autor dann eher unbeabsichtigt auf den letzten Seite die kaum vorhandene Spannungsluft raus lässt. Zusammengefasst ein eher schwacher Richard Laymon Roman mit einem prächtigen Hintergrund und sogar einer das Slasherklischee liegen lassenden Ausgangsprämisse, die sich mehr und mehr als Hindernis erweist.
Originaltitel: Funland
Originalverlag: Leisure
Aus dem Amerikanischen von Regina Winter
Taschenbuch, Broschur, 640 Seiten, 11,8 x 18,7 cm
ISBN: 978-3-453-67640-4