Kerstin Hermann führt die „Cotton Reloaded“ Reihe wieder auf eine solide Ausgangsbasis zurück. Dabei folgt sie in ihrem unterhaltsam zu lesenden Krimi nicht selten den engen Prämissen der Ursprungsserie, ohne allerdings in den Bereich der Übertreibung zu verfallen. Natürlich „löst“ Cotton wieder den Fall, aber neben einer zu einzigartigen Beweiskette fügt die Autorin ein neues Element in die Serie ein. Während Decker Cottons erotische Exkursionen eher mit einem zynischen Kommentar begleitet hat, begegnet Decker im vorliegenden Band einem alten West Point Mitstudenten, der inzwischen für die Drogenfahndung arbeitet. Mr. Föhnlocke – wie ihn Cotton abschätzig – bezeichnet macht sich schnell an Decker heran, die seinen Komplimenten und Nebenbemerkungen empfänglich ist. Interessant, aber nicht gänzlich zu Ende gedacht, ist der Ansatz des internen Klassenkampfes, denn Cotton fühlt sich nicht nur wegen seiner Mittelklasseherkunft den beiden aus gutem Hause stammenden Agenten im Nachteil. Diese eher gefühlte Diskriminierung muss er durch mehr Arbeit ausgleichen.
Ein Senator wird ermordet aufgefunden. Auf seinem Rücken ist ein Tatoo eines Mannes mit einem Muttermal. Absichtlich ist ihm eine Überdosis gepanschtes Heroin gespritzt worden. Anscheinend hat der Senator auch einen alten Klassenkameraden und seinen Sohn erpresst, die beide im Drogenmilieu von der Polizei bislang unbewiesen unterwegs gewesen sind. Als ein weiterer ehrenwerter Herr auf die gleiche Art und Weise ermordet aufgefunden wird, der ebenfalls auf einem beim Senator gefundenen Abschlussfoto abgebildet worden ist, scheint es sich weniger um einen effektiv vorgehenden Serienmörder zu handeln, sondern eine direkte Verbindung zur Vergangenheit zu bestehen. Doch warum agiert der Mörder erst mit dieser zeitlichen Verzögerung oder gibt es einen anderen Katalysator?
Die Autorin baut den Roman eher klassisch auf. Es gibt eine wechselnde Perspektive, die dem Leser aber den Täter und vor allem auch nicht sein Motiv näher bringt. Ansonsten wäre der Fall zu schnell zu Ende. Diese Hintergründe erscheinen auch ein wenig zu stark konstruiert, auch wenn die Möglichkeit besteht, dass die Hintermänner tatsächlich die alten Schulfreunde sind. Am Ende lenkt der Täter fast perfekt den Verdacht ab. Der Kreis ist geschlossen. Nur wie angesprochen Cottons Antipathie gegen den neuen „Freund“ von Decker hält die Ermittlungen am Laufen. Es ist weniger spannend, den einzelnen Schritten zu verfolgen, als am Ende das zusammengestellte Mosaik zu betrachten, das im Vergleich zu vielen anderen Heftromankrimis tatsächlich funktioniert und ambitioniert an die frühen, deutlich subtiler und effektiver geschriebenen, inzwischen als Nachdrucke vorliegenden „Jerry Cotton“ Romane erinnert. In dieser Hinsicht ohne erzkonservative politische Kräfte oder gar Putschisten innerhalb der Regierung ist der Plot gelungen. Der Showdown wirkt nicht nur ein wenig gedehnt, die Autorin kann nicht abschließend herausarbeiten, warum plötzlich selbst unter Stress eine Verletzung der Muster abschließend notwenig ist. Diese Vorgehensweise wäre alleine überzeugend, wenn eine intensivere Verbindung zwischen dem letzten in Frage kommenden Täter – für den sich der Mörder ja etwas Besonderes, für viele schlimmer als der Tod ausgedacht hat – und dem lange Zeit unbekannten Opfer bestanden hätte. Um den Plot spannend und mit einem teilweise ein wenig klischeehaften Showdown abzuschließen, hetzt die Autorin sicherlich auch forciert durch die Seitenbegrenzung die Figuren aufeinander. Es ist aber die einzige wirklich erkennbare Schwäche dieses ansonsten sehr geradlinig und in sich logisch entwickelten Romans.
Eine weitere Abwechselung allerdings nur bis zur siebzig Prozent Marke ist Deckers Verhalten. Sie agiert deutlich mehr als Frau und weniger als Eiszapfen. Sie reagiert auf die Komplimente des allerdings eher schematisch eindimensional beschriebenen Drogenagenten, der mit Cotton und Decker an diesem Fall arbeitet. Vielleicht hätte ein etwas dreidimensionalere Zeichnung überzeugender gewirkt. Erst als sie merkt, dass gegen ihren Willen zwischen Dienst und Schnaps entschieden worden ist, kehrt die „alte“ inzwischen deutlich warmherzigere und Cotton bis auf die obligatorischen wie falschen Hinweise auf seine immer erfolgreichen Alleingänge hinweisende Decker zurück, die sich in einer konsequenten Extrapolation ihrer natürlich ewig platonischen Beziehung herablässt, am Ende mit Decker einen Trinken zu gehen. Im Vergleich zu den letzten „Cotton Reloaded“ Romanen, in denen das zwischenmenschliche Verhältnis teilweise auf dem Niveau eines Klischees erstarrt gewesen ist, ragt „Der Zeichner“ auch in dieser Hinsicht aus der Masse der „Cotton Reloaded“ Romane heraus, so dass zusammengefasst der Leser nicht nur gut unterhalten wird, sondern das Umfeld und vor allem der inzwischen etablierte Hintergrund der Serie realistischer und damit auch akzeptabler dargestellt worden ist.
Bastei Verlag
E- Book, 110 Seiten