Colonel Sun

Robert Markham (alias Kinsley Amis)

Mit "Colonel Sun" erscheint der erste vier Jahre nach Ian Flemings Tod nicht aus seiner Feder stammende James Bond Roman in der Neuauflage des Cross Cult Verlages unter seinem Originaltitel. Schon vor einigen Jahrzehnten ist das Buch unter dem Titel "James Bond auf griechischer Spur" in Deutschland veröffentlicht worden. Hinter dem Pseudonym Robert Markham versteckt sich der renommierte Autor Kingsley Amis, der nicht nur einige sehr empfehlenswerte Science Fiction Romane geschrieben hat, sondern 1965 mit "Geheimakte 007" die Welt des besten britischen Geheimagenten aller Zeiten ausführlich durchleuchtete. Dazu kam ein humorvoller Ratgeber für potentielle Agenten und mit dem Roman "The Anti- Death League" ein Thriller in James Bond Manier ohne über den Plot hinaus zu viele Ähnlichkeiten mit anderen fiktiven Charakteren zu präsentieren. Aus damaliger Sicht hatte Amis mit seinem ersten und einzigen offiziellen Bond Roman ohne Frage einen schweren Stand. Viele Kritiker vergessen bei der Betrachtung seiner geradlinigen Agentenabenteuer, dass Fleming selbst mit seiner Figur vor allem auch zu Beginn der immer populärer werdenden Verfilmungen eine Sinnkrise durchlief. Während Sean Connery den Agenten mehr und mehr zu einem Überhelden stilisierte, überstand James Bond in den letzten drei Romanen eine Reihe von Tiefschlägen. In "Im Geheimdienst ihrer Majestät" (1963 veröffentlicht) verlor er seine Frau, in "Man lebt nur zweimal" (1964) leidet er in Japan unter Gedächtnisschwund und schließlich im letzten von Fleming verfassten James Bond Roman "Der Mann mit dem goldenen Colt" (1965) wird er in Russland einer kompletten Gehirnwäsche unterzogen, der MI 6 muss ihn quasi umprogrammieren und eine vergiftete Kugel von Scaramanga setzt seinem Leben quasi ein "Ende". Da die Filme nicht selten nur Aspekte der Fleming Romane nicht einmal in der chronologischen Reihenfolge übernommen haben, muss sich der Leser James Bond zu Beginn von "Colonel Sun" durchaus als einen desillusionierten und verbittert humorlosen Mann vorstellen, der nur eine Aufgabe kennt: Rache und Revanche. Aus heutiger Sicht könnte der Inhalt von "Colonel Sun" durchaus die Vorlage zu "Licence to Kill" gewesen sein, nur das Bond die Ermordung der Hammonds rächen und seinen Chef M aus der Gefangenschaft Colonel Suns retten will. Stattdessen findet sich Idee, M zu kidnappen in "The World is not enough" und der Schurke aus "Die another Day" trägt nicht nur zufällig den Namen COLONEL Tan-SUN Moon.

 Für einen während des Kalten Krieges geschriebenen Roman ist der Fokus gen  Fernen Osten erstaunlich modern. Während die Verfilmungen sich den Agenten aus dem Reich der Mitte mit der Ausnahme von "Dr. No" erst nach dem Fall des Ostblocks annahmen, versprach Kinsley Amis zum zweiten Mal im Rahmen der James Bond Roman - "Liebesgrüße aus Moskau" mit der körperlichen Annäherung an die attraktive russische Agenten muss expliziert genannt werden - eine Annäherung an Russland. Die Planungen umfassen einen Atomkrieg, aus dem China als passiver Dritter machttechnisch verstärkt hervorgehen will. Diese Idee ist interessanterweise dann in die Verfilmung von "Man lebt nur zweimal" eingeflossen. M wird in seinem privaten Haus entführt. Beinahe gelingt es ihnen, auch den zufällig seinen Chef besuchenden James Bond gefangen zu nehmen. Die erste Spur führt nach Griechenland, wo James Bond zum ersten Mal mit Colonel Sun konfrontiert wird. Als ranghoher Militär der chinesischen Befreiungsarmee möchte er M nutzen, um eine Konferenz um die Zukunft des mittleren Ostens unter sowjetischer Leitung zu sprengen und die Schuld auf Großbritannien abzuladen. Das Ziel ist es, einen Weltkrieg zu initiieren. Nach den ersten Konflikten mit dem russischen Geheimdienst kommt es durch die "Verbrüderung" mit den griechischen Kommunisten Ariadne Alexandrou zu einem Zweckbündnis, dessen Ziel die Befreiung von M und die Verhinderung des Anschlages ist.

 Im zweiten Teil des Romans verfängt sich Amis allerdings in einigen Klischees. Schon Ian Fleming setzte gerne auf Schurken, die ein exzentrisch nationalsozialistisches Verhalten aufwiesen. In den deutschen Bond Romanen sind diese Stellen gerne und willig gestrichen worden. Mit dem Nazi von Richter, der für den technischen Ablauf des Anschlages verantwortlich ist, führt der Autor unnötig ein Ablenkungsmanöver ein. Ohne Frage ist die chinesische Armee der sechziger Jahren auch schon in der Lage gewesen, einen derartig komplexen Plot aus Entführung und Angriff ohne die Hilfe von aus der Zeit gefallenen Schurken auszuführen. Ebenfalls schwach, aber pragmatisch sind die Passagen, in denen der Sadist Sun James Bond foltert. Kurz vor dem Tod lässt er ihn von einer Schönheit pflegen, die ihn aus Mitleid teilweise befreit und ihm so die Chance bietet, tatsächlich wieder aktiv in das Geschehen einzugreifen. Zu oft ist dieses Klischees verwandt worden und vor allem fällt es Amis sehr schwer, diese Wandlung in einer absoluten Nebenfigur nachdrücklich und überzeugend zu beschreiben. Hinzu kommt, dass die Szene unglaubwürdig endet. Die finale Konfrontation ist zwar originell beschrieben worden, ihr fehlt aber der Höhepunkt mancher Fleming Romane.

Wie schon angedeutet ist neu an diesem Roman - es wird später von Gardner und Raymond Besson in ihren Bänden fortgeführt - das Verschieben des politischen Zweifrontenkriegs zu einer dritten Macht - China -, wobei deren Ziele gleichbedeutend mit den bisherigen Superschurken sind. Auf der anderen Seite muss dabei betont werden, dass Amis eine Großbritannien- China Achse etabliert, während die Sowjetunion als Iniator der Konferenz höchstens blamiert werden kann und die obligatorischen Feinde keine Rolle spielen. Glaubwürdiger wäre das Vorgehen Suns, wenn er sich auf die Besetzung Hongklongs und die historischen Differenzen zwischen China und Großbritannien bei der Planung seines Racheplans bezieht. So wirkt manche These aus der Luft gegriffen, zumal das Vorgehen der Asiaten eher an die Flash Gordons Comics mit "Ming, dem Grausamen" als Täter erinnert. Die Geringschätzung von menschlichen Leben ist genauso ein Aspekt dieser eindimensional aufgebauten Figuren wie das teilweise nach einer guten Einführung schematische und arrogant oberflächliche Vorgehen, das in typischer James Bond Manier inklusiv der weitschweifigen Erläuterungen den Plot nicht in sich zusammensacken, aber eindimensionaler als er vielleicht sein sollte erscheinen lässt.

Auffällig ist, dass Amis in diesem Fall nicht unbedingt James Bond phasenweise aus dem Spiel nimmt, sondern die Figur Ms mit einem fast sadistischen Vergnügen auseinandernimmt. Amis hat in seinem sekundärliterarischen Werk schon kein gutes Haar an dem ehemaligen Admiral gelassen, der in den Romanen eine klein wenig größere Rolle spielt als in den Verfilmungen. Aus dem rücksichtslosen, immer das Vaterland im Auge behaltenden M wird eine katatonische Geißel, der Rolle wie bei einer Marionette auf einer anderen Ebene gespielt wird. Mit Sun verfügt der Roman über einen typischen James Bond Antagonisten, ein Sadist, Menschenschinder und schließlich auch Inkarnation "Fu Manchu", der Vergnügen darin findet, Menschen eigenhändig zu foltern und auch zu töten. Warum er es bei James Bond nicht zu Ende führt, wird leider das Geheimnis Amis bleiben.

Auch wenn Bond über eine neue potentielle exotische Geliebte verfügt, ist "Colonel Sun" weder sexistisch noch erotisch. Ebenfalls fehlen die Exkurse in die exklusive Welt des Jet Sets und wie schon angesprochen wirkt der Plot eher mechanisch als dynamisch. Amis ist ohne Frage im Vergleich zu Ian Fleming nicht nur der bessere Schriftsteller, sondern ein Mensch, der mit Plots ironisch umgehen kann. An einigen Stellen beginnt der Leser die Intention des Autoren sogar zu hinterfragen und wartet auf die nicht kommende ironische Wendung der Handlung. Auf der anderen Seite ist sein James Bond nach den oben angesprochenen drei Stationen im Fegefeuer nicht mehr die Tötungsmaschine, die Ian Fleming erfunden hat, sondern der erste literarische Schritt auf den James Bond, den Sean Connery und Daniel Craig später auf der Leinwand verkörpern sollte. Keine Clowns, sondern Geheimagenten, die zwischen sinnlosem Töten und ihren Missionen nicht nur unterscheiden können, sondern es zu Gunsten der Welt und nicht Großbritannien auch müssen. Es ist nur schade, dass irgendwo unterwegs Amis den Faden verloren hat. So präsentiert sich "Colonel Sun" auch in der überfälligen Neuübersetzung als gute Bond Imitation, die nicht immer vor dem richtigen Hintergrund die richtigen Töne trifft und nicht als Fortsetzung der Reihe. Diese bis heute anhaltende Veränderung sollte erst mit John Gardner beginnen, der ohne Frage die besten neuen James Bond Romane verfasst hat.  

 

TB, sw, Cross Cult Verlag

240 Seiten, 

ISBN 978-3-86425-432-1
September 2014
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