@R4D1A\.tmp'; color: black;">Für seinen zweiten, 2002 veröffentlichten Roman „Kaisertag“ hat Oliver Henkel in seiner Heimatstadt Lübeck- gleichzeitig auch Schauplatz des Romans – den SFCD Literaturpreis erhalten. Der Atlantis- Verlag legt den ursprünglich als „book on Demand“ veröffentlichten Roman mit einem passenden, sehr eindrucksvollen Titelbild von Timo Kümmel neu auf. Noch stärker als in „Die Zeitmaschine Karls des Großen“ geht es vor dem Hintergrund an sich am Film Noir orientierenden Krimihandlung, die schließlich eine Verschwörung aufdeckt, um die genaue und sehr detailliert recherchierte Zeichnung einer Parallelwelt. In Henkels Gesamtwerk sind es nicht die großen Ereignisse, welche die Abweichungen von der dem Leser bekannten Geschichte bedingen, sondern Kleinigkeiten, die sich wie Wellen auf einem stillen Gewässer über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte ausbreiten.
@R4D1A\.tmp'; color: black;"> Wir schreiben das Jahr 1988. Der Erste Weltkrieg hat niemals stattgefunden und Kaiser Wilhelm der Fünfte regiert ein Preußen, das militärisch stark ist, die Kolonien fest der Hand hält und sich moralisch auf dem Höhepunkt seines Uniformkults befindet. Nur mit einem Rang ist hier ein Mensch ein wertvolles Wesen. Die Frauen stehen hinter dem Herd und dürfen die Kinder versorgen. Während in „Hauptmann vom Köpenick“ oder auch Klaus Manns „Der Untertan“ diese Spießergesellschaft auf die ironische Spitze getrieben worden sind, baut Oliver Henkel ernsthaft seine soziale Struktur nicht zuletzt dank des Protagonisten von unten her auf.
@R4D1A\.tmp'; color: black;"> In dieser Welt schlägt sich Friedrich Prieß seit vielen Jahren als kleiner Privatdetektiv in Hamburg durch und seine Aufgabe ist es meist untreue Ehemänner zu fotografieren. Eines Tages kommt – auf den Tipp eines zufriedenen Kunden hin – eine schöne Frau in sein Büro. Franziska Diebnitz heuert ihn an, die Geschehnisse um den scheinbaren Selbstmord ihres Mannes in Lübeck zu untersuchen, der ein ranghoher Offizier des Reichamts für Militärische Aufklärung war. Die Frau und das Geld schlagen Prieß in ihren Bann und so fährt er in die Hansestadt Lübeck, die sich zu diesem Zeitpunkt auf den größten ureigenen Feiertag des Jahres vorbereitet: die Verleihung des Stadtrechts durch Kaiser Barbarossa. Lübeck ist wie viele große Städte eine Garnisonsstadt. Das Militär beherrscht die Straßen und die Ordnung. Sehr schnell merkt Prieß, dass er nicht überall willkommen ist und er kommt in diesem sehr geordneten Sys tem einigen Persönlichkeiten zu nahe. Auch die Polizeipräsidentin, ein Novum in der Männerhierarchie Preußens, hat ein Auge auf ihn geworfen und gemeinsam schleudert sie das Schicksal in eine lebensbedrohende Verschwörungsgeschichte, an deren Ende ein neues, aber auch gleichzeitig altes Reich stehen könnte. Auf der hintergrundpolitischen Ebene lenkt der Autor mit den Anschlägen einer dänischen Minderheit, deren Ziel der Anschluss an das nördliche Königreich ist, den Leser wie es sich für das Subgenre des Politthrillers gehört, von den eigentlichen Drahtziehern im Hintergrund ab. Vielleicht kann der Leser hinsichtlich des Aufbaus Oliver Henkel den Vorwurf machen, diese „zweite“ Front zu spät, dafür dann aber nachhaltig etabliert zu haben. Auf der anderen Seite gibt es so viele Insiderwitze, dass der Leser diese fiktive Welt mehr und mehr zu akzeptieren lernt.
@R4D1A\.tmp'; color: black;">So äußert sich Friedrich Prieß entsetzt über die absurde Phantasie eines Schreiberlings namens Richard Harris und seinen reißerischen Roman »Vaterland«, in dem Deutschland mit Hitler aus der Asche des Ersten Weltkriegs den Zweiten für sich entschieden und Europa unterjocht hat. Beim Kinobesuch schaut man sich einen „Kintopp“streifen mit Sir Patrick Stewart alias Dixon Hill an.Aber genau wie „Vaterland“, welches viele als schlechten Krimi, aber sehr gekonnte Parallelweltgeschichte empfinden, zeigen sich bei »Kaisertag« sehr ähnliche Symptome. Nicht immer kann die eigentliche Handlung aufmerksam verfolgt an die dreidimensionale Parallelwelt mit ihren zahllosen Eigentümlichkeiten und teilweise rückblickend auch bizarren, aber intelligent extrapolierten Unterschieden heranreichen.Henkels Welt konzentriert sich über weite Strecken des Plots auf ein verfremdetes und doch wiedererkennbares Lübeck des Jahres 1988. Die Beschreibungen sind nicht nur ungewöhnlich detailliert und mit viel Liebe beschrieben worden. Oliver Henkel kennt seine Stadt und spielt mit einigen Bemerkungen über die Buddenbrooks, das Katharineum als tatsächliche wie fiktive Eliteschule – obwohl Heinrich Mann mit den beiden wichtigsten Gymnasien der Stadt in „Professor Unrat“ abgerechnet hat- oder auch den täglichen, realen Ärger über die Ausgestaltung des Rathausmarktplatzes. Zusätzlich nutzt er die zeitliche Nähe zur Gegenwart des Lesers, um neben bekannten zeitgeschichtlichen Figuren wie Senator Herbert Frahm oder Erwin Rommel, auch Victor von Bülow auftreten zu lassen. Die Nebenfiguren sind dreidimensional charakterisiert worden und viele Details gehen beim flüchtigen Lesen fast unter. Es lohnt sich, die akribische Recherche mit Nachschlagen zu belohnen.Die Grundhandlung des „Kaisertags“ ist allerdings für versierte Krimileser sehr schnell erkennbar. Zu geradlinig strebt die Handlung auf den Kaisertag, den siebenhundertsten Geburtstag der Stadt und natürlich auch den Besuch des Kaisers zu. Und an diesem Punkt wandelt sich der Spannungsbogen, und es stellt sich nicht mehr die Frage nach dem „was wird passieren“, sondern nach dem warum.
@R4D1A\.tmp'; color: black;">Dass es ein Attentat geben wird, spiegelt sich deutlich in den verschiedenen Hinweisen wider. Ein ranghoher Offizier des Reichamts für militärische Aufklärung begeht nicht so offenkundig Selbstmord (zumal diese These schon nach wenigen Seiten über den Haufen geworfen wird). Oliver Henkel braucht eine eher konstruiert erscheinende Wendung,um Prieß im Spiel zu halten. Aber wesentlich interessanter ist wie gesagt der Hintergrund. Henkels Lübeck lebt. Detailliert nicht nur für Einwohner dieser Stadt entwickelt er seine Welt. Militärisch, hierarchisch durchorganisiert, eine Metropole – nicht Großstadt, aber auch nicht Dorf – in der viele Exzesse der Hauptstadt noch ordentlicher umgesetzt werden und zusammen mit dem kritischen Prieß und der unabhängigen Alexandra Döhring durchdringen die Leser wie in einem guten Film das nur oberflächliche Dickicht aus Preußens Glanz und Gloria. Dazwischen blitzt der insbesondere im Vergleich zu seinem Erstling gefestigte übergeordnete Erzähler Henkel auf. Im Laufe der Krimihandlung macht er immer wieder Pausen, um den indirekten Blick auf die große weite Welt zu werfen. Die politischen Ereignisse, die Großwetterlage Deutschlands/Europas haben natürlich einen bestimmenden Einfluss. Sehr gut umgesetzt wird auch die Idee, alles Soziale im Zustand von 1914 zu belassen. Die Suche nach einer Möglichkeit, den perfekten Augenblick festzuhalten und für die zukünftigen Gegenrationen wiein Eis zu speichern. Dieser Gedanke beherrscht die Verschwörer, aber auch die Stadt selbst kann sich in ihrer Größe und vordergründig oberflächlich majestätischen Ausstrahlung mit diesem Gedanken anfreunden. Oliver Henkel wollte in »Kaisertag«
@R4D1A\.tmp'; color: black;">eine große Geschichte in einer kleinen Stadt erzählen. Dazu hat er um sich alltägliche Helden, die über sich hinauswachsen, durchtriebene Bösewichte, großherzige Politiker, den Schmalz aus Preußen versammelt, aber nicht weniger wichtig auch voll hinterlistiger Ironie mit dem Uniformenkult gespielt. Auch sein Held Prieß nutzt mehr als einmal die Ideen des Hauptmanns von Köpenick, um seine Mitmenschen zu narren. Er tut es für eine gute Sache. Am Ende siegt das Gute, die beiden Hauptprotagonisten finden sich, die Orden werden vergeben und die Bösewichter sterben. Das ist Fiktion, pure Geschichte in einer fremden, einer anderen, aber doch so unendlich vertrauten Welt. Dass die Geschichte nicht neu ist, will der Leser Henkel verzeihen, der mit „Die Fahrt des Leviathan“ seine Alternativweltstimme endgültig gefunden hat. Hier lädt er den Leser zu einem abenteuerlichen Spaziergang ein, zu einer kleinen Bootsfahrt die Wakenitz hinunter. Bitte die Männer nicht den Zylinder, das Jackett und die Zigarre nicht vergessen und die Frauen nicht den Sonnenschirm. Diese Reise wird Ihnen unvergesslich bleiben.