In „Hexenbrut“ versammelt Herausgeber Peter Emmerich zwei „Hexen“ Romane Hugh Walker ergänzt um zwei Kurzgeschichten und einem ausführlichen Nachwort, in dem von Allwörden auf diesen Aspekt von Walkers umfangreichen Werk eingeht. Auf den ersten Blick wird insbesondere die Geschichte der Blutgräfin Bathory als Hexenroman überraschen, aber Walker ergänzt die bestehenden Fakten nur wenig um Legenden und führt aus der Gegenwart kommend eine im Hintergrund agierende Gestalt ein, deren Handeln plausibel in die Ereignisse intrigiert worden ist. So passt sich die Geschichte dem Kanon an. Das Hugh Walker vor allem in seinen Horror Romanen Mythen der Vergangenheit in die Gegenwart transportieren konnte, hat er mehrfach bewiesen. In „Tochter der Hexe“ geht er phasenweise sogar einen Schritt weiter, in dem die übernatürlichen Phänome eine breiteren Öffentlichkeit zu Beginn präsentiert werden, bevor der Ich- Erzähler mit weiblicher Unterstützung – in dieser Hinsicht erfüllt der Autor kontinuierlich das Wunschdenken der überwiegend Heranwachsenden Heftromanromanleser der siebziger Jahre – sich wieder alleine auf den Weg machen muss.
„Die Blutgräfin“ (1973 erschienen) ist ein exzellenter Auftakt zu dieser Sammlung, der Hugh Walkers Stärken nachdrücklich zeigt. Vor einem gegenwärtigen Hintergrund verbindet der Autor zwei Legenden – die der „Blutgräfin“ und einer einflussreichen historisch aber eher rudimentär belegten Hexe – mit einer geradlinigen Handlung inklusiv Liebesgeschichte. Dabei ist der Auftakt des Buches ausgesprochen interessant. Der Ich- Erzähler Alfred Clement berichtet von seinen Reisen mit einem Freund. Beide scheinen über latent paranormale Gaben zu verfügen, wobei das Vorhersehen von Katastrophen absichtlich ambivalent beschrieben worden ist. Mit einer simplen Szene – die Freunde fahren eine steile Skiabfahrt herunter – erzeugt der Autor eine beunruhigende Stimmung, die intensiver ist als die aus der Historie geborenen Schrecken, welche Hugh Walker anschließend beschreibt.
Ausgangspunkt ist nicht nur der Besuch Wiens, sondern eine spiritistische Sitzung, die nicht optimal verläuft. Mit der attraktiven Ornella baut der Autor einen kritischen Geist in die Geschichte ein, während nicht selten seine Erzähler als Mittler dem Leser gegenüber dem Okkulten aufgeschlossen sind. Während der Sitzung erscheint ihnen eine Frau, aus deren Körper Blut auf die Teilnehmer herabregnet. In „Die Tochter der Hexe“ wird ebenfalls eine Erscheinung der Katalysator der Ereignisse sein. Einige Menschen sehen eine brennende Frau über der Straße schweben. Im Gegensatz zur weiterhin kritischen Ornella beginnt Alfred Clement mit seinen Nachforschungen und stößt auf Hinterlassenschaften im Keller des Nachbarhauses. Angeblich soll die berüchtigte Blutgräfin Erzebeth Bathory dort während ihrer Aufenthalte in Wien genächtigt haben.
Wie schon angesprochen integriert der Autor geschickt die Legende um die Blutgräfin in die laufende Handlung. Natürlich finden plötzlich auch bestialische Morde an jungen Mädchen statt. Alle Hinweise deuten auf eine Wiederkehr der Gräfin, hervorgerufen durch die Seance. Aber je tiefer Alfred Clement in seinen allerdings sehr geradlinigen Ermittlungen vorstößt, desto mehr Spuren tun sich auf.
Die Exzesse der „Blutgräfin“ sind in verschiedenen Filmen, Kurzgeschichten und Romanen portraitiert worden. Auf den ersten Blick kann man dieser Thematik keine neuen Impulse hinzufügen. Interessant ist, dass Hugh Walker allerdings die Idee für die Gegenwart mit einer im Hintergrund agierenden Hexe kombiniert. Vielleicht ist das abschließende Ziel nicht gänzlich klar formuliert – eine klassische Reinkarnation findet nicht statt und wird auch nicht durch entsprechenden Körpertausch angesprochen -, aber neben den unangenehmen Details, welche die Tötung der Frauen und den Tötungsversuch an einem Mann beschreiben, sind es die historischen Fakten, die Hugh Walker mittels aufgefundener Schriften in die Handlung einbaut. Durch die lange Geschichte Wiens gelingt es ihm, die morbide Atmosphäre in die Gegenwart zu übertragen. Durch die übernatürlichen, wie unerklärten Erscheinungen, mit denen Clement seit vielen Jahren lebt, wird die kritische Barriere auch für den Leser gesenkt. Hugh Walker legt einige falsche Spuren, aber sie spielen nur eine untergeordnete Rolle. Die „Wiederkehr“ der „Blutgräfin“ ist nur ein Mittel zum Zweck. Der finale Höhepunkt – er erinnert an ein bekanntes Märchen – ist solide beschrieben und wird ausreichend gut vorbereitet, wobei positiv der Ich- Erzähler nicht die dominante, sondern eine fast ausschließlich reagierende Rolle einnimmt.
Hugh Walker gibt sich vor allem Mühe, die Nebenfiguren dreidimensional, pointiert und manchmal auch ein wenig ironisierend zu beschreiben, um den geradlinigen selbst vierzig Jahre nach seiner Erstveröffentlichung modern erscheinenden Roman abzurunden.
Der im gleichen Jahr veröffentlichte Roman „Die Tochter der Hexe“ beginnt mit dem schon angesprochenen Paukenschlag. Eine Frau verbrennt mehrere Meter über dem Boden schwebend vor den Augen zahlreicher Menschen – darunter der Ich- Erzähler und Student – zu Asche. Die Presse berichtet nicht darüber. Handelt es sich um einen Fall von Massenpsychose. Der Student glaubt, in der verbrannten Frau die Inhaberin eines kleinen Buchladens wieder zu erkennen, den er mehrmals im Jahr besucht. Er macht sich auf den Weg und trifft anscheinend die Tochter der Frau. Nur ist diese nach übereinstimmenden Angaben vor vier Jahren ums Leben gekommen.
Wie bei „Die Blutgräfin“ kombiniert Hugh Walker verschiedene Elemente. Neben einer klassischen, aber impliziert auch klischeehaften Geschichte werden Voodooelemente eingebaut und das surrealistische Ende mit einer engen Verzahnung von Realität und „Spielwelt“ erinnert ein wenig an „Welt am Draht“. Immer kann der Protagonist nicht nur die Antagonisten bis auf das bittersüße Ende auslöschen, er vernichtet auch im übertragenen Sinne den Hort des Grauens. Die Hexenseite besteht aus einer Art Familienfluch, der erst gegen Ende aufgelöst wird. Mit der tatsächlich verbrannten Mutter, der im Moor umgekommenen einen Schwester und der zweiten, weiter weg wohnenden potentiellen Geliebten des Protagonisten – in dieser Hinsicht präsentiert sich Hugh Walker unerbittlich und gönnt seinem Helden kein echtes Happy End – werden über den ganzen Spannungsbogen differenzierte und ambivalent beschriebene Frauenfiguren aufgebaut, denen die leider zu eindimensionalen, zu sehr an Abenteuergeschichten in der Tradition Haggards oder die frühen viktorianischen Geschichten Merritts oder Collins erinnernden Antagonisten gegenüber stehen. Auch wenn der Held letztendlich die Feinde teilweise mit ihren eigenen Waffen schlagen kann, braucht er die Hilfe von jenseits der Grabes für den finalen „Dolchstoß“. Es ist vielleicht ein wenig schade, dass insbesondere die Priesterin in ihrer arroganten Naivität nicht besser ausgearbeitet worden ist.
Zu den Höhepunkten gehört ohne Frage neben den Voodooangriffen die Idee, aus einer künstlich erschaffenen Welt Angriffe durchzuführen, was in einer surrealistischen Szene gipfelt, die wie das Verschwinden der Umgebung auch aus jedem Science Fiction Roman stammen könnte. Auf der anderen Seite folgen die Hexenrituale den Maßgaben, die aus der viktorianischen Literatur stammen. Dieser auf den ersten Blick widersprüchliche Kontrast wird erst nach Abschluss der Lektüre sichtbar, aber zusammen mit der Idee der Isolation ganzer in erster Linie bayerischer Gemeinden, an denen Zivilisation und Aufklärung vorbei gegangen sind, heben sie Hugh Walkers Romane aus der Masse klischeehaft gestrickter Stoffe heraus.
Vom ersten Augenblick an verfügt „Die Tochter der Hexe“ – der Titel ist nicht ganz richtig, denn es handelt sich um Töchter – über ein hohes Tempo und eine solide Mischung aus Hintergrundinformationen und einer wieder in die Einsamkeit der bayerischen Landschaften platzierten Gemeinde, die seit Jahrhunderten ihren kultischen und gemeingefährlichen Bräuchen huldigt, während die Welt um sie herum nicht von den Gefahren ahnt. Da Hugh Walker die Informationen erst nach und nach präsentiert, bleibt der Leser immer auf Augenhöhe des allgegenwärtigen Ich- Erzählers. Anspielungen auf Freunde/ Bekannte aus der Fantasy Szene wie den Kommissar Pesch – Helmuth W. Pesch ? – oder Dr Fiegweil – dem SF- Fan Edmund Fingweil nachempfunden, der in „Die Blutgräfin“ auch für die historische Recherche zuständig gewesen ist - runden den unterhaltsamen und erstaunlich modern erscheinenden Roman sehr gut ab.
Die Kurzgeschichte „Blut für die Hölle“ ist ursprünglich unter dem Titel „In den Katakomben von Wien“ erschienen. Von Allwörden weist in seinem Nachwort darauf hin, dass nicht nur diese Geschichte von Walkers Wanderungen zusammen mit dem obskuren Hans Feller – siehe „Der Okkultist“ – in Wien unternommen hat. Auch das noch in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts stehende Stadthaus der Gräfin Bathory war Inspiration für „Die Blutgräfin“ wie auch diese stimmungsvolle Vignette, die vom Verschwinden zahlreicher Kinder berichtet. Der Ich- Erzähler folgt einer eher zufälligen Spur in die Katakomben Wiens und wird Zeuge/ Teilnehmer einer schwarzen Messe. Auch „Die Galgenpuppe“ spielt mit der Erwartungshaltung der Öffentlichkeit hinsichtlich von Hexerei. Ein Reporter möchte die vertraulichen Informationen seiner Frau veröffentlichen, die früher in okkulten Kreisen verkehrt hat. Die Mitwisser möchten das verhindern und greifen zu drastischen Mitteln. In beiden gut geschriebenen Kurzgeschichten halten bedrohlich nihilistische Stimmung und Schlusspointe hinsichtlich ihrer Effektivität die Balance. Während „Blut für die Hölle“ allerdings wie eine moderne Lovecraft Hommage wirkt und sich ausschließlich auf die inneren, widersprüchlichen Gefühle des Ich- Erzählers konzentriert, wird „Die Galgenpuppe“ sehr weit von gut geschriebenen Dialogen getrieben.
In einem Auszug aus einem längeren Essay geht Horst Herrmann von Allwörden auf die „Hexer“ Romane Hugh Walkers ein. Ein dritter „Hexer“ Roman ist schon in „Der Okkultist“ erschienen. Von den Inhalten unabhängig zeigt der Autor auf, welche kleinen Gesetzmäßigkeiten die Verlage den Autoren hinsichtlich der „Lesbarkeit“ und dem Spannungsaufbau mit auf den Weg gegeben haben. Dazu sind einige, bei der Erstveröffentlichung gestrichene Passagen angefügt worden. Da es sich nur um einen spezifischen Ausschnitt einer größeren Arbeit über Hugh Walkers Werk handelt, wirken die Hinweise teilweise zu ambivalent und erstrecken sich über den Horizont des Sujets hinweg. Im Gegensatz zu „Dämonenland“ können die heutigen Leser in dieser empfehlenswerten Edition die von Hugh Walker überarbeiteten Texte wieder in ihrer ganzen Strahlkraft genießen. Hugh Walker sagt selbst, dass er kein guter Exposeautor ist. Das die Exposes in erster Linie den Ankauf durch den Verlag bedingen sollten. Beispiele zeigen die anschließend nachgedruckten Exposes zu den beiden Romanen, wobei insbesondere „Der Fluch aus der Vergangenheit“ mehrfach und zum positiven überarbeitet worden ist. Zusammenfassend gehören die beiden thematisch unterschiedlichen und doch packenden „Hexen“ Romane im „weiteren“ Sinne zu Walkers besten Arbeiten dieser Epoche und verdienen die aufwendige Neuveröffentlichung in Peter Emmerichs Edition.
ISBN | ISBN-10: 1497553687 / ISBN-13: 978-1497553682 |
Größe/Umfang | 20,3 x 12,7 x 1,8 cm / 284 Seiten erhältlich auch als E- Book Verlag: Emmerich books & media |