Der Atlantis Verlag legt mit einem atemberaubenden, die Handlung effektiv treffenden Titelbild Timo Kümels Michael Siefener schon 2005 in der Edition Eloy veröffentlichten Roman neu auf. Die Geschichte spielt in den neunziger Jahren, Michael Siefener hat für die Neuauflage den Text nur behutsam überarbeitet. In der Gegenwart würde der Plot in dieser Form nicht funktionieren.
Neben dem fehlenden Internet und den fehlenden Handys ist vor allem Jan Drooms Warten auf die Antwort der Verlage bezeichnend für diese Zeit. Lange Zeit vor Book on Demand oder E- Books. Auf der anderen Seite würden diese minderwertigen Veröffentlichungsorgane aber auch nicht dem Ego Drooms entsprechen, der sich trotz aller inneren Unsicherheiten als erfolgreichen Autoren sieht.
Der Titel impliziert Ähnlichkeiten zur Faust Legende und es gibt tatsächlich eine Art Teufelspakt in dieser Story. Aber im Gegensatz zu den ganzen Legenden/ Geschichten beginnend mit Goethe Faust muss der Pakt nicht expliziert geschlossen werden, aktives Handeln reicht. Diese Facette offenbart Michael Siefener am Ende seiner verschlungenen, die Aufmerksamkeit der Leser stetig fordernden Geschichte. Zu diesem Zeitpunkt ist es allerdings auch viel zu spät, Mitleid mit dem immer mehr dem Wahnsinn verfallenden Jan Droom zu haben. Jan Droom ist aber nur einer der teilweise zur Karrikatur verzerrten Nebenfiguren, welche die vielschichtige Handlung bevölkern.
Die größte Schwäche der Geschichte versteckt sich im Ende dieser selbstkasteiungen Reise in den Abgrund. Auch wenn es nicht endgültig klar ist, auf wessen Kosten das letzte weibliche Opfer geht, unterminiert der Autor mit der Implikation, dass es mindestens einen zweiten psychopathischen Mörder gibt – dieser wird im Gegensatz zum Haupttäter schleimig, schmierig vom ersten Auftritt an beschrieben – die dunkle Geschichte in den Wahnsinn. In einigen seiner anderen, teilweise in der Eifel spielenden Krimi -Thriller hat Michael Siefener auf diese kurzweilige und für den Plot als Ganzes betrachtet nicht mehr elementare Ablenkung verzichtet.
Die Wurzeln dieses langen Weges finden sich aber in einem Kölner Antiquariat. Eine Frau in schwarz versteckt ein kleines, handschriftlich verfasstes Büchlein zwischen den Angeboten eines Antiquariats. Jan Droom ist ein erfolgloser Schriftsteller, ein ängstlicher Mann, der nach dem Tod seiner Mutter von deren Ersparten eher schlecht als recht lebt. Das Geld ist knapp und muss auch streng eingeteilt werden. In dem bezeichneten Antiquariat findet er das Buch in schwarz und nimmt es mit. Es ist in Sütterlin verfasst und mühsam beginnt Jan Droom die Geschichte zu übersetzen. Es ist eine typische Hexenjagd Geschichte mit einem notgeilen Priester, der die verheiratete Renate unbedingt besitzen will. Er beginnt, nicht nur ihren Mann, sondern auch andere Bewohner des kleinen Dorfes der Hexerei zu beschuldigen. Sie werden verhaftet, gefoltert und schließlich verbrannt. Die Beziehung zu Renata entwickelt sich ganz anders als erwartet.
Diese Hintergrundgeschichte wird der Leser – rückblickend- auch in der Gegenwartshandlung wiederfinden. Erweitert allerdings um eine weitere Frau. Bezeichnet ist, dass es neben der schon angesprochenen Frau in schwarz auch eine metaphorisch gesprochen Frau in Weiß gibt, das Sinnbild der Unschuld. Durch einen Zufall begegnet Jan Droom zweimal dieser jungen Frau in weiß. Eine Anzeige in der Zeitung schwingt ihn, aktiv Kontakt zu ihr zu suchen. Susanne arbeitet bei einer Versicherung, sie führt ein durchschnittliches, biederes, auf den ersten Blick fast jungfräuliches Leben. Jan Droom verliebt sich in sie, sie verloben sich, verbringen viel Zeit miteinander, haben aber keinen Sex. Eine Überraschungsgeburtstagsparty bildet den Wendepunkt in dieser Beziehung.
Exzentrische Liebesgeschichten sind eine Spezialität Siefeners. Sowohl in „Das Schattenbuch“ wie auch „Der Ballsaal auf der dunklen Seite des Mondes“ beweisen seine Stärke, ungewöhnliche, aber für den Leser auch jederzeit nachvollziehbare Liebesgeschichten zwischen zwei scheuen, im Leben isolierten Menschen zu beschreiben, die für einander bestimmt sind. Bei „Der Teufelspakt“ kommt eine weitere Komponente hinzu. Bis in die Mitte des Buches folgt der Leser dieser seltsamen, aber nicht unmöglichen Liebesgeschichte.
In der dunkelsten Nacht setzt Michael Siefener die Geschichte wieder auf Anfang und schenkt Jan Droom im zynischen Sinne eine zweite Chance. Jetzt dominiert ihn nicht nur die Frau in schwarz, obwohl er weiterhin nach Susanne giert. Vielmehr ist er in einem anderen Leben gefangen, das ihn mehr und mehr anzieht.
Michael Siefener hat den Roman durch konstruiert. Er fordert vom Leser aufmerksam. Neben der laufenden Handlung – in der neutralen dritten Person geschrieben – finden sich Tagebuchaufzeichnungen von Jan Drooms. Dabei greift er sowohl Ereignissen vor als auch dem Leser bekannte Begebenheiten aus seiner subjektiven Perspektive nacherzählen. Dadurch verzerrt sich der Eindruck des Lesers, bis er wie Jan Droom abschließend nicht mehr zwischen der Wirklichkeit und der Einbildung unterscheiden kann. Der dritte wichtige Eckpfeiler ist das schwarze Buch. Michael Siefener zitiert ausführlich aus dem klassischen Hexentext mit falschen Anschuldigen, relativ ausführlichen Beschreibungen der Folter – in „Der schwarze Atem Gottes“ wird Michael Siefener noch ausführlicher in media res einsteigen – und schließlich den obligatorischen Hexenverbrennungen. Diese Ausführlichkeit ist notwendig, um die zweite Hälfte der Geschichte besser zu verstehen, wenn auch nicht akzeptieren zu können.
Der Autor verlangt allerdings auch von seinen Lesern Geduld. Die Liebesbeziehung könnte man auch als Klischee bezeichnen. Zwei auf den ersten Blick – vieles relativiert sich in diesem Roman auf den zweiten, notwendigen Blick – lebensuntaugliche Menschen, gefangen in ihren langweiligen Leben, die wie Schiffe sich nicht nur auf dem Ozean begegnen, sondern auf einem fatalen Kollisionskurs liegen. Erst ab der Mitte der Handlung – dieser „Bruch“ wiederholt sich – wirft Michael Siefener trotz der chronologisch mit Datum geordneten Kapitel eine stringente Handlung über Bord und tritt auf der einen Seite einen Schritt in die Vergangenheit zurück, schreibt aber auf der anderen Seite den Plots konsequent mit einem immer psychotischer werdenden Jan Droom bzw. seinem neuen Alter Ego fort.
Nur zweimal ist Jan Droom in dieser Geschichte wirklich aktiv. Als er das Buch im Antiquariat findet und auf die Chiffre Anzeige antwortet. Auf alles andere kann der überforderte, aber nicht sympathisch beschriebene Einsiedler nur reagieren. Genau wie der Priester im schwarzen Buch ist Jan Droom bald gefangen und seine Taten werden immer grausamer. Er beginnt allmählich auf eine perverse Art und Weise auch Freude daran zu empfinden. Getrieben wird er von zwei Frauen, wobei schwarz und weiß schließlich zu einer Art grau vor seinen Augen zusammenfließen. Michael Siefener trennt diese beiden weiblichen Charaktere lange Zeit voneinander. Aber wie Jan Drooms Persönlichkeit verändert wird, wäre es literarisch eleganter, die beiden Frauen Charaktere miteinander zu verschmelzen, um Drooms Wahnsinn noch besser auszudrücken. Stattdessen überdreht Michael Siefener in einem Punkt die Handlung, die Glaubwürdigkeit.
Der Leser ist sich auch nicht sicher, ob Jan Droom wirklich noch alles erlebt. Vieles spricht auch dafür, dass er wie in der berühmten Ambrose Bierce Geschichte „An Occurence at Owl Creek Bridge“ den zweiten Teil der Handlung nur noch im Wahn miterlebt und sich vieles, wenn nicht sogar alles einbildet. Das ist eine Möglichkeit. Michael Siefener lässt vieles offen, fordert seine Leser buchstäblich mit diesen provozierenden Wendungen und keiner klaren Linie intellektuell heraus. Realität und Wahn verschwimmen schon früh in dieser Geschichte und der paranoide Jan Droom mit seinem seltsamen, ungeschickten Verhalten, seinem zwanghaften Geiz angesichts der schwindenden Reserven; seiner Angst vor der Umwelt ist ein perfekter Charakter, der zu lange am Rande des Abgrunds balanciert ist. Wann der finale Schritt wirklich erfolgt, kann der Leser selbst der Geschichte entnehmen. Auch wenn am Ende fast ironisch moralisierend davon gesprochen wird, dass Jan Droom sein eigenes Schicksal in den eigenen Händen gehalten hat und er sich jederzeit anders hätte verhalten können, ist diese Bemerkung ein weiterer Irrweg.
Bis zur Mitte der Geschichte ist der von Michael Siefener beschriebene Jan Droom in mehrfacher Hinsicht unschuldig. Wahrscheinlich trifft er sogar auf ein weiteres Unschuldslamm, auch wenn der Autor in dieser Hinsicht den ganzen Roman betrachtend ambivalent vorgeht. Die Frau in schwarz ist sein Schicksal. Sie tritt in mehreren Inkarnationen auf und der Leser stellt sich am Ende der Lektüre die Frage, wo Jan Droom wirklich aus eigener Kraft falsch abgebogen ist. Seine Eifersucht, seine brennende Liebe zu einer Frau, die sich als erste und bislang einzige für ihn interessiert, der fast verzweifelte Druck, seine Unschuld endlich zu verlieren sind alles Momente, die viele, vielleicht zu viele im Inneren unsichere Männer noch stärker als Frauen erlebt haben.
Mit dem nächtlichen Besuch auf einem Spielplatz ändert sich mit dem ersten echten „Verbrechen“ nicht nur sein Leben, ab diesem Moment wird er wirklich zu einem Getriebenen. Zwar schließt sich unerklärlich dieser zweite Kreislauf da, wo er auch begonnen hat, aber dieser gerade Weg in die Hölle nach dem Vorbild des Priesters aus dem alten Buch ist gleichzeitig auch eine manipulative Meisterleistung. Der neue Jan Droom ist selbstsicherer, entschlossener und verschlagener, aber gleichzeitig auch mehr getrieben von der Frau in schwarz und dem geheimnisvollen Hehler, der begierig nach seinen Waren greift, vielleicht auch mehr und mehr nach seiner Seele.
„Der Teufelspakt“ ist kein einfaches Buch. Michael Siefener ist kein einfacher Autor. Er schaut in den seelischen Abgrund seiner Protagonisten. Er macht es den Lesern nicht leicht, die Protagonisten zu mögen, vielleicht auch Mitleid mit ihnen zu haben. In seinen beim KBV Verlag veröffentlichten Eifel Geschichten ist Michael Siefener noch ein wenig generöser, er lässt ein wenig Licht in die dunklen Handlungen. Diese Möglichkeit gibt es in „Der Teufelspakt“ nicht und das macht den Reiz dieser auf links gedrehten faust´schen Geschichte auch aus, die bis zum bitterbösen, zynischen Ende den geistigen Verfalls eines lebensuntüchtigen Menschen zu Lasten seiner Umfeld beschreibt. Jan Droom ist der Ballsaal auf der dunklen Seite des Mondes für immer verschlossen, auch wenn seine Liebesgeschichte zu Beginn Ähnlichkeiten mit der Beziehung der beiden Figuren aus diesem bizarren, aber auch lesenswerten Siefener Roman hat.
- Herausgeber : Atlantis Verlag (25. September 2020)
- Sprache : Deutsch
- Gebundene Ausgabe : 350 Seiten
- ISBN-10 : 3864026806
- ISBN-13 : 978-3864026805
- Abmessungen : 16.1 x 21.7 x 2.8 cm