Ich fürchte, Ihr habt Drachen

Peter S. Beagle

„Ich fürchte, ihr habt Drachen“ ist Peter S. Beagles erster Roman nach der längeren Novelle „In Kalabrien“, die ein Jahr nach der Erstveröffentlichung 2017 bei Klett Cotta erschienen ist. Eine Mischung aus magischen Realismus und Elementen seines bekanntesten, aber deswegen nicht folgerichtig besten Buches „Das letzte Einhorn“. 2016 erschien mit der Urban Fantasy „Summerlong“ der letzte, umfangtechnisch echte Roman aus der Feder eines der letzten lebenden Großmeister der Fantasy. Dieses Buch fand bislang keinen deutschen Verleger.

Auch wenn der Titel „Ich fürchte, ihr habt Drachen“ auf eine humorvolle Fantasy hindeutet, stimmt das nicht ganz. Drachen gibt es viele und sie sterben zu Tausenden wie Ungeziefer, getötet durch einen mittelalterlichen Kammerjäger. Peter S. Beagle etabliert eine fast klischeehafte Grundhandlung, hinzu fügt er vier markante, in der Zusammenfassung schematisch angelegte Charaktere und lässt die Geschichte sich mit viel Altersweisheit einfach entwickeln. Die Helden sind ein Königssohn auf der Suche nach Abenteuer; ein Drachentöter im metaphorischen Sinne, der nichts lieber als ein Leibdiener wäre und eine dickköpfige Prinzessin auf der Suche nach einem Mann. Auf der Gegenseite ist ein bösartiger Zauberer, der vom Vater des Prinzen schon einmal totgeprügelt worden ist und jetzt Rache nehmen will.

Der Kampf gegen den Zauberer dominiert die zweite Hälfte der Geschichte, in welcher das Tempo deutlich höher ist und Peter S. Beagle auf eine Reihe von eher cineastischen Tricks zurückgreift, um den finalen Konflikt zu beschreiben. Alleine der Endkampf zieht sich über mehr als vierzig Seiten hin. Es geht hin und her. Plötzlich wird der „Tod“ relativ und humorvoll souverän präsentiert der Amerikaner immer wieder eine Wendung. Für die große Leinwand aufbereitet hätten die Trickspezialisten nicht nur sehr viel Arbeit, sondern auch sehr viel Vergnügen. Dabei streift Peter S. Beagle literarisch das Terrain, das Tim Burton mit seinen makabren Komödien voller Irrungen und Wirrungen seit vielen Jahren bearbeitet.

Keiner der Charaktere entspricht der Rolle, welche das sie umgebende „Leben“  ihnen auf den Leib geschrieben hat und trotzdem wachsen sie gegen  alle Wahrscheinlichkeiten nicht nur zusammen, sie werden auch gegen den eigenen Wunsch erwachsen. Peter S. Beagle hat keine klassische „Coming of Age“ Geschichte geschrieben, aber es ist nicht verwunderlich, dass die heranwachsenden Jugendlichen deutlich mehr Raum zur Verfügung haben als zum Beispiel ihre klischeehaften Eltern, deren Spektrum von einem tyrannischen alten König bis zu einem naiv kindischen königlichen Elternpaar reicht, das ihre einzige Tochter gut (und schnell) unter die Haube bekommen möchte, während das von ihnen bewohnte Schloss nicht nur durch die angesprochenen tausenden von Drachen zerfällt. Der einzige abgerundete erwachsene Charakter ist der böse Zauberer, der aber in seiner exzentrischen Rolle als Rächer mit einigen Brutalitäten so aufgeht, dass er wieder eindimensional und pragmatisch klischeehaft erscheint.  

Der Autor verweigert seinen Figuren auch das klassische Happy End. Weitere Aufgaben unterschiedlicher Art warten auf sie, wobei insbesondere Robert es nicht leicht haben wird. Vielleicht nähert sich Peter S. Beagle im Epilog bedenklich der Farce, auf der anderen Seite bügelt er das Ende gegen den märchenhaften Strich, dass sie glücklich bis an ihr Lebensende leben werden. Ausgeschlossen ist es nicht, aber es wird ihnen auf jeden Fall nicht langweilig werden. Zumindest zwei der drei.    

Peter S. Beagle baut seine Heroic Fantasy Geschichten trotzdem gerne aus der Arbeiter Perspektive auf. Gaius Aurelius Constantine Heliogabalus Thrax – bekannt als Robert – ist der örtliche Drachen Kammerjäger. Er hat bei seinem Vater gelernt und arbeitet in dem kleinen Königreich Bellemontagne. Wie schon angesprochen, will er lieber ein Leibdiener eines Ritters oder Adligen sein. Er liebt allerdings auch Drachen und hat einige bei sich zu Hause. Peter S. Beagle führt die schuppigen Gesellen auf eine niedliche, verspielte Art und Weise ein. Die Drachen werden im Laufe der Geschichte nicht nur böser und größer, aggressiver und gemeiner. In einer der dunkelsten Episoden der ganzen Geschichte mit Robert ausgerechnet in dem Schloss der Prinzessin Cerise –  ihr begegnet der auf den ersten Blick richtige, im Laufe der Handlung natürlich falsche Mann buchstäblich in einem Gebüsch – tausende von teilweise kleinen Drachen ausräuchern, töten und die Kadaver auf dem örtlichen Drachenmarkt verkaufen. Diese Szene ist inhaltlich notwendig, wirkt aber angesichts des humorvoll augenzwinkernden Auftakts auch störend. Als Drachen Kammerjäher ist die Bezahlung schlecht, der  Ruf unterirdisch. Kein Wunder, dass Robert etwas Neues machen möchte. Der Prinzessin ist er zum ersten Mal mit neun Jahren begegnet, als er zusammen mit seinem Vater auf einer Drachenjagd im Schloss gewesen ist. Peter S. Beagle kann so viele falsche Spuren legen, wie er lustig ist. Die weiteren Ereignisse sind im Schicksalsbuch schon hinterlegt.

Prinzessin  Cerise von Bellmontagne ist anfänglich die verwöhnte, aber auch entschlossene Prinzessin. Heimlich bringt sie sich das Lesen bei. Robert hat es von seinen Schwestern gelernt, die länger als er zur Schule gehen durften. Als sie dem Prinz Reginald von Corvinia in dem schon angesprochenen Gesträuch begegnet, glaubt sie an Liebe auf den ersten Blick. Das Schloss muss sauber sein. Das Problem ist aber, dass Reginald in erster Linie sich erst als Mann vor allen in den Augen seines tyrannischen Vaters beweisen will, bevor er ans Heiraten denkt. In Reginalds Fahrwasser bewegt sich anfänglich sein Leibdiener Mortmain, der immer wieder vorgibt, mehr als nur ein Diener zu sein. Eine der interessanten Nebenfiguren, die Peter S. Beagle allerdings während der zweiten Hälfte der Geschichte fast gänzlich aus dem Plot streicht.

Natürlich entschließt sich Reginald, seine Manneskraft durch die Jagd auf einen Drachen zu beweisen. Natürlich braucht er einen Führer. Und natürlich kommt nur Robert in Frage. Später muss Reginald auch aufbrechen, um seinen Vater zu retten. Zumindest glaubt er es, während sein Vater von dieser Idee nicht sonderlich begeistert ist.

Peter S. Beagle kennt sich im Fantasy Genre zu gut aus, als dass er eine langweilige Geschichte mit einem belehrenden Unterton schreiben würde. Der Plot bewegt sich zwischen einer satirischen Aufbereitung bekannter Klischees des Genres; einem ausgesprochen modernen Ansatz, dass man vieles mit Mut und Entschlossenheit gegen die Meinung anderer Menschen im eigenen Umfeld erreichen kann und das nichts, wirklich nichts im Leben in Stein gemauert ist. Je länger die Geschichte andauert, desto mehr bewegen sich die einzelnen Protagonisten teilweise absichtlich, manchmal auch nur zufällig nicht nur auf den  eigenen, inzwischen zu eng gewordenen  Wohlfühlzonen heraus, sondern versuchen sich, ihre Herzenswünsche zu erfüllen und gleichzeitig mit ihren neuen, irgendwie anderen Leben zurecht zu kommen. Dabei ignoriert Peter S. Beagle an keiner Stelle die Tatsache, das diese neue Lebenswege, die beim Beschreiten erst entstehen, natürlich nicht geradlinig sind und manchmal ein Schritt zurück oder wenigstens zur Seite die Protagonisten näher an ihre jeweiligen Ziele bringt als ein kontinuierliches, stoisches Anrennen gegen die Mauern im Kopf (nicht nur der Anderen). Das macht diese vor einem klassischen Hintergrund geschriebene Geschichte ausgesprochen modern und reiht sich in die kleine Gruppe von Urban Fantasy Geschichten Beagles  - „He Rebeck!“ ; „Das Volk der Lüfte“ und schließlich „Summerlong“ – ein, welche vor allem Peter S. Beagle Fans, aber weniger der mystisch magisch orientierten Vielzahl seiner Leser bekannt sind. William Goldman hat mit „Die Braut des Prinzen“ eine vergleichbar moderne und doch auch satirisch hintergründige Geschichte geschrieben. „Ich fürchte, ihr habt Drachen“ kann als „Die Braut des Prinzen“ des 21. Jahrhunderts angesehen werden, auch wenn der Autor natürlich die Geschlechterrollen anpasst. Die Bräutigame der Prinzessin wäre ein zu sperriger Titel für diese Geschichte, trifft aber den Kern des Plots. Nicht umsonst schreit die ihre Helden immer begleitende Prinzessin irgendwann frustriert auf, dass sie kein Interesse mehr an Helden jeglicher Couleur hat und sie ihr den imaginären Buckel runterrutschen können.  Es passt zu dieser Art von Geschichten, dass der größte „Held“ Robert diesen emotionalen Ausbruch hört und ihn gleich auf sich selbst bezieht. Damit öffnet sich ein ganzer Springbrunnen von Missverständnissen, die Peter S. Beagle allerdings auch braucht, um die Story in einem zufriedenstellenden, sich langsam steigernden Tempo bis zum feurigen Höhepunkt zu bringen.

Zu Beginn konzentriert sich der Amerikaner vor allem auf die handelnden Personen, während der Hintergrund mit der typischen  Fantasy Landschaft – Bauern, Burgen; Adel und Arbeitervolk – eher pragmatisch und nur rudimentär entwickelt wird. Peter S. Beagle wollte kein Epos schreiben. In seiner ganzen Karriere hat sich der Amerikaner nur auf die Plots und weniger auf das Epochale, Hintergründige seiner jeweiligen Welten konzentriert und dieser Tradition folgt auch der vorliegende Roman.   

Neben dem Zauberer - eine wiederkehrende Charakterart in unterschiedlichen Inkarnationen und Mächtigkeitsstufen bei Peter S. Beagle -  findet sich außerhalb der Drtachen(-plage) nur noch ein phantastisches Element in dieser mittelalterlichen doppelten, vielleicht auch dreifachen Quest. Während des Showdowns kann sich Robert mit einem alten Drachen, einem König der Drachen verschmelzen und wird so vom potentiellen Opfer zu einem Täter im positiven Sinne des Wortes. Diese innere Verschmelzung kommt aus dem Nichts. Peter S. Beagle führt die Leser und zwei seiner handelnden Protagonisten auch anfänglich mit einer effektiven Manipulation an der literarischen Nase herum. Diese zeitlich begrenzte Metamorphose ist notwendig, um den finalen Kampf zu gewinnen, aber sie kommt literarisch inhaltlich aus dem Nichts und reißt die bis dahin mittelalterlich bodenständige Handlung teilweise aus ihrem Kontext. 

“Ich fürchte, ihr habt Drachen” ist trotz dieser kleinen Schwäche eine kurzweilig zu lesende, moderne Interpretation mit satirischen, aber niemals sarkastischen Untertönen des klassischen Fantasy Genres. Wie bereits erwähnt, wird diese Geschichte irgendwann auch dank des lockeren, souveränen Beagle Stils mit seinen pointierten Dialogen gleichberechtigt an der Seite von Goldmans “Die Braut des Prinzen” stehen.    

 



Ich fürchte, Ihr habt Drachen

  • Herausgeber ‏ : ‎ Klett-Cotta; 1. Auflage 2024 (7. September 2024)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 304 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3608988289
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3608988284
  • Originaltitel ‏ : ‎ I'm Afraid You've Got Dragons
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