Sherlock Holmes 43- Auf Ehre und Gewissen

James Crawford

Laut Verlag Homepage ist James Crawford 45 Jahre alt, arbeitet als Lehrer in Wales und hat unter verschiedenen Pseudonymen schon Geschichten veröffentlicht. Die Faszination Sherlock Holmes hat ihn veranlasst, ein Buch im Stile Arthur Conan Doyles zu schreiben. “Auf Ehre und Gewissen” ist die Antwort. Allerdings gibt der Verlag keinen Übersetzer an, sodass es zwei bzw. drei Möglichkeiten gibt. Der Übersetzer Name wurde einfach vergessen, James Crawford hat sein Buch auf deutsch geschrieben oder die Autorenangaben sind geschönt. 

James Crawford präsentiert mit „Auf Ehre und Gewissen“ eine Art Episodenroman. Wie der Klappentext richtig ausdrückt, wird Sherlock Holmes über einen Zeitraum von mehreren Monaten zu verschiedenen Fällen gerufen. Die ersten Fälle kann der Meisterdetektiv nicht klären, weil ihm teilweise das Zepter durch die jeweiligen Hausherren aus der Hand genommen worden ist. Aber von Beginn an ist Sherlock Holmes mit dem Chronisten Doktor Watson im Gefolge klar, dass die  einzelnen Fälle miteinander in einem Zusammenhang stehen. Sherlock Holmes kennt auch relativ schnell den Ort und vor allem den geschichtlichen Hintergrund. Aber die einzelnen Puzzlestücke aktiv kann der Detektiv erst mit der dritten Situation in „Der gehängte Bischoff“ zusammensetzen, wobei ihm hier nicht nur der Zufall oder seine Beobachtungsgabe helfen, sondern das Netzwerk von einflussreichen Leuten, denen er bei dem einen oder anderen Fall in der Vergangenheit geholfen hat.

Der Prolog zeigt auf, dass es sich um vier Verschwörer mit einem festen Ziel handelt, denen Sherlock Holmes in diesem Fall mal direkt, manchmal aber auch nur indirekt begegnen wird.

Nicht umsonst heißt die Auftakt Episode „Die Mordkonferenz“. Ein Anschlag ist auf einen amtierenden Minister verübt worden. Dabei wurde sein Sekretär getötet, der Minister verletzt. Damit nichts an die Öffentlichkeit kommt, soll Doktor Watson – das wird ein wenig konstruiert, auch das britische Parlament sollte Vertrauensärzte haben – den Minister verarzten, während Sherlock Holmes die Ermittlungen übernimmt. Selbst unter Polizeischutz kommt es zu einem weiteren Anschlag, bei dem Lestrade verletzt wird. Der Minister zeigt sich aber wenig kooperativ und setzt Sherlock Holmes nach einem dritten Versuch auf Leib und Leben auch seiner Frau vor die Tür.

Aus diesem Fall nimmt Sherlock Holmes die alten Kirchenpläne der Temple Church gedanklich mit, welche an der Wand hängen.

In einer Hommage an den Film Noir „D.O.A.“ bittet der Architekt Barlow in „Im Auftrag des Toten“ um die Aufklärung seines eigenen Todes. Er stolpert buchstäblich in die Baker Street, kann noch einige Worte stammeln und verstarb anschließend an einem rätselhaften Gift, das ihm vorher schon eingeflößt worden  ist. Zusammen mit einem anderen Architekten hat sich Barlow um die Renovierung der Temple Church gekümmert. Sein Konkurrent hat anscheinend Interesse an den alten Plänen, von denen ja eine Variation in dem Amtszimmer des inzwischen zurückgetretenen britischen Ministers hängt.

Auch wenn der Bischof Partridge – er wird in der dritten Episode „Der gehenkte Bischof“ die Titelrolle übernehmen nicht gerade von Sherlock Holmes Ermittlungen in seiner Kirche begeistert ist, kommen der Detektiv in Konkurrenz mit dem verbliebenen Architekten Carrington einigen Geheimnissen der Baupläne genauso auf die Spur wie Menschen, die seit Jahrhunderten entweder aufgrund eines Unglücksfall oder ebenfalls ermordet die Totenwacht halten.

Auch „Im Auftrag des Toten“ endet für Sherlock Holmes teilweise unbefriedigend. Wahrscheinlich ist es die einzige Episode, in welcher es keinen direkten Mord oder einen Toten als Kollateralschaden gegeben hat. Tote gibt es in der Folge ausreichend, aber ihnen konnte Sherlock Holmes niemals helfen.

Wie angedeutet, nimmt der Fall spätestens in „Der gehenkte Bischoff“ deutlich an Fahrt auf und Sherlock Holmes scheint seine verbliebenen Antagonisten zu kennen. Das hilft ihm angesichts der teilweise Unzugänglichkeit der Temple Church aufgrund des Hausrechts nichts, aber James Crawford hat zu diesem Zeitpunkt innerhalb der Geschichte die einzelnen Prämissen überzeugend, unauffällig und für Sherlock Holmes nur in Etappen mittels kleiner Pyrrhussiege nachvollziehbar miteinander verbunden.

Durch die Episodenstruktur mit dank unterschiedlicher Vorgaben präsentierter Episoden kann James Crawford auf der einen Seite das ganze Tempo der Geschichte hochhalten und immer neue Aspekte präsentieren. Auf der anderen Seite muss der Autor durch die zugrundeliegende Romanlänge sich aber zwischen den einzelnen Höhepunkten nicht abhetzen und kann neben Sherlock Holmes sowie Doktor Watson einzelne Nebenfiguren deutlich differenzierter und dadurch für den Leser auch eingehender charakterisieren.

“Ruhe nicht sanft“ ist das vielleicht bizarrste Puzzlestück der ganzen Geschichte. Vier doppelt besetzte Gräber auf einem kleinen Friedhof. Zwei Ermordete, deren Gesicht verstümmelt worden ist. Zwei Menschen, ebenfalls mit einem verstümmelten Gesicht, aber wahrscheinlich von der eigenen Hand getötet.

Es ist auch der Moment in der Geschichte, in welcher Sherlock Holmes davon ausgeht, dass ein Mord nicht am Anfang, aber mehrere Taten in der Mitte des Falls relevant sind.

Beginnend mit seinen ersten Geschichten wie „Das Zeichen der Vier“ hat Arthur Conan Doyle gerne seinen Sherlock Holmes Ereignisse aus der Vergangenheit mit der Gegenwart verbunden. Sherlock Holmes hat diese Mysterien dann in umgekehrter Reihenfolge ans Licht der Sonnen gebracht, um Theodor Fontane zu zitieren. Auch „Auf Ehre und Gewissen“ ist von der Struktur her fast eine Hommage an „Das Zeichen der Vier“.

Ein Pakt in der Vergangenheit. Nur handelt es sich um sieben Mitglieder einer Gruppe, keine vier. Ein von der Zeit verschlucktes Vermögen im direkten Vergleich zu den gestohlenen Schätzen in Doyles Roman. In beiden Geschichten spielt der Krieg in Indien/ Afghanistan eine wichtige Rolle. Die Auswirkungen des Krieges prägen das Schicksal von mindestens zwei Menschen. In der kleinen Gruppe gibt es Verräter, welche den Reichtum für sich behalten wollen. In kurzer Zeit sterben auf unterschiedliche, wie bizarre Art und Weise Teile der Gruppe. Sherlock Holmes wird zusätzlich mit verschiedenen, auf den ersten Blick konträren Situationen konfrontiert, aus denen er dann teilweise auf Augenhöhe der Leser dank Doktor Watson, nicht selten abseits des Handlungsverlauf recherchierend und die Ergebnisse während des Höhepunkts mit allen überlebenden Verdächtigen präsentierend, agiert.

Diese kurze Zusammenfassung könnte den Eindruck hinterlassen, James Crawfords „Auf Ehre und Gewissen“ ist eine langweilige oder gar stereotype Lektüre. Das Gegenteil ist der Fall. Der Leser ahnt zwar zusammen mit Sherlock Holmes schnell und stringent die Zusammenhänge zwischen den einzelnen „Taten“. Dazu streut James Crawford die Hinweise zu offensichtlich und die Temple Church mit ihren verschiedenen Bauplänen steht zu sehr im Mittelpunkt der Geschichte. Aber zwischen den deduzierenden Passagen präsentiert James Crawford eine Reihe von Action Szenen wie den Anschlag auf Sherlock Holmes und Doktor Watson inklusive zweier möglicher Zeugen mittels Feuerwerkskörper; das zumindest für Doktor Watson zu einer Gruft werdende Geheimversteck in einem alten Schloss und schließlich auch den Auftritt des letzten Gastes während des Finals. Die Szenen sind gut ausbalanciert, voller Rasanz und Dynamik, ohne die langwierigen (vor allem aufgrund der zeitlichen Abstände zwischen den einzelnen Taten) Ermittlungen zu unterminieren.

James Crawford hat für einen Debütanten einen sehr überzeugenden Sherlock Holmes Roman geschrieben, der basierend auf den respektvoll genutzten Originalgeschichten ein spannendes weitverzweigtes Garn erzählt, an dessen Ende Sherlock Holmes einen Faden aus dem zugrundeliegenden Knäuel mittels klassischer Musik mit einer besonderen Note zieht und damit allen Anwesenden beweist, dass das mancher Fehler Absicht ist. Dabei muss er als einzigen kleinen Schönheitsfehler noch einmal zu einem Ermittlungszweig zurückkehren, der ihn „Im Auftrag des Toten“ schon fast ans Ziel gebracht hat. Der einzige kleine Schönheitsfehler einer guten, einer der besten Sherlock Holmes Geschichten in der Blitz Verlag Edition.       




Blitz Verlag

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