Der Fischer Verlag hat den ursprünglich 1965 in den USA publizierten Roman „The Three Stigmata of Palmer Eldritsch“ neu aufgelegt. Auch in Deutschland hat der Roman eine bewegte Publikationsgeschichte. Das Buch erschien unter dem Titel „LSD Astronauten“ das erste Mal 1971 im Insel Verlag. Franz Rottensteiner legte das Buch in der gleichen Übersetzung und unter dem gleichen Titel im Rahmen der Phantastischen Bibliothek des Suhrkamp Verlags als Taschenbuch vor. 1997 übersetzte Thomas Mohr den Text neu und wechselte den Titel für die Publikation in Haffmanns Verlag aus. Als „die drei Stigmata des Palmer Eldritsch“ erschien das Buch neben der angesprochenen Haffmans Ausgabe noch 2002 im Heyne Verlag und wie eingangs erwähnt 2014 im Fischer Verlag. Alle drei Veröffentlichungen basieren auf der Übersetzung von Thomas Mohr.
In den USA ist das Buch 1965 für den NEBULA Award nominiert worden. Der Roman stellt auch einen Übergang zwischen den klassischen Dick Themen wie einer inFragestellung der Realität; der Möglichkeit von einem eingeschränkten Blick in die Zukunft; die Besiedelung des Mars auf einem Frontierniveau und der Implikation von außerirdischem Leben und Dicks Hinwendung zur Religion bzw. zum Valis Komplex dar.
Philip K. Dick hat immer betont, dass er zum Zeitpunkt, als er den Roman verfasst hat, noch keine Erfahrungen mit LSD gesammelt hat. Das kam erst später. Viele von Dicks echten Drogenerfahrungen gingen später in den Roman „Der dunkle Schirm“ ein. Entweder hat Dicks den Beschreibungen anderer Drogenabhängiger und ihren jeweiligen Trips sehr gut zugehört oder Dick hat schon während der Schreibphase mit LSD angefangen. Dazu sind sowohl seine Beschreibungen zu prägnant wie auch die Initialzündung dieses Romans so surrealistisch. Angeblich hat Dick das Gesicht seiner zukünftigen Hauptperson Palmer Eldritch quasi als eine Art Gesicht am Himmel gesehen. Diese markanten Züge haben ihn in Form einer Art Exorzismus zum Schreiben dieses Buches verleitet. Diese „Prophezeiung“ am Himmel könnte auch der Grund sein, warum Philip K. Dick beginnend mit dem Originaltitel auf religiöse Motive und Versatzstücke zurückgriff. Im Gegensatz zu seinen späteren Büchern, in denen sich Dick mehr auf gnostische Lehren bezog, sind im vorliegenden Buch eher katholische Elemente zu erkennen. Höhepunkt ist der fiktive Vergleich zwischen Christus, der beim Abendmahl „erscheint“ und der Inkarnation Eldritch, der durch das Einnehmen von Drogen immer wieder erscheint. Dabei hinterfragt Philip K. Dick mittels seiner Titelfigur, die meistens im Hintergrund auftaucht oder nur erwähnt wird, jegliche Art von Glauben. Eldritch ist eine vielschichtige, charismatische, allgegenwärtige und doch distanzierte Persönlichkeit, nach seinen ersten Auftritten vielleicht auch nur eine Manifestation des Originals. Der Autor deutet an, dass der Raumfahrtpionier – er hat als erster das Sonnensystem alleine verlassen und bei seiner Rückkehr strandete auf einem der äußeren Planeten – im Grunde aus zwei Persönlichkeiten besteht. Eine fremde Macht könnte dafür verantwortlich sein. Diese trägt sowohl gottähnliche wie auch satanische Züge, wobei das erste echte Auftreten Eldritsch zusätzlich als eine Maschinenstimme hinter einer stählernen Wand beschrieben wird. Dick verbindet hier die künstlichen Intelligenzen, noch basierend auf einer menschlichen Matrix mit der Idee eines allgegenwärtigen Gottes bzw. übernatürlichen Wesens, das in seiner Andersartigkeit wiederum menschliche Schwächen zeigt.
Wie bei Dick üblich, handelt es sich beim Katalysator um eine neuartige Droge, die Palmer Eldritch – eine Art Musk der sechziger Jahre – von seiner Expedition in das System des Proxima Centarui mitbringt. Chew- Z verspricht den Wechsel in alternative Realitäten , in denen jeder Mensch zum Schöpfer des eigenen Glücks werden kann. Diese alternativen Welten erscheinen genauso real wie die Ausgangs Welt, wobei in diesen Kunst Universen die Zeit anders verläuft. Von der UN erhält Eldritch in einer der konstruiert erscheinenden Wendungen des Buches die Erlaubnis, die Droge trotz fehlender Erforschung von Nebenwirkungen auf den Markt zu bringen, da sie die Bevölkerung von den verheerenden Umweltbedingungen auf der Erde ablenkt.
Chew- Z ist aber nicht die einzige Droge, die in „Die drei Stigmata des Palmer Eldritch" lebenswichtig ist. Zu Beginn des Buches entwickelt Philip K. Dick in wenigen Kapiteln ein Szenario, in dem die Droge Can- D (entwickelt von P.P.Layouts und deren Geschäftsführer Bulero) das Leben auf dem Ziel Nummer eins der Auswanderer – dem Mars - erträglich macht.
Auch wenn die Handlung des Buches immer absurder wird, ist der Roman in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Schon in den sechziger Jahren zog eine kritische Warnung vor einer sich ausbreitenden Umweltverschmutzung und damit der Zerstörung des Lebensraums um sich. Dick hat in verschiedenen Büchern sterile Großstadtmoloche beschrieben, in denen die Menschen vor sich hin darben. Eine Erlösung bot nur die Auswanderung zu den Kolonien, wobei es bei Philip K. Dick mit der Ausnahme des Mars keine Geschichte, keinen Roman gibt, der sich ausführlich mit den Herausforderungen auf einem fremden Planeten wirklich intensiv und wissenschaftlich auseinandersetzt. Stammleser haben in dieser Hinsicht bei Dick das unbestimmte Gefühl, als wenn der Amerikaner die teilweise aktive Aussiedelung als einen weiteren natürlich perfiden Plan der gesichtslosen politischen Mächte sieht, um sich der Menschen zu erledigen.
Bei den Geschichten, die auf einem kargen, aber Ray Bradburys Ansätzen entsprechenden Mars spielen, konzentriert sich Dick auf eine interessante Variation der amerikanischen Frontier. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Mars wie im vorliegenden Buch nur als Drogenumschlagplatz im Kampf gegen die unwirtlichen Verhältnisse missbraucht wird oder wie in „Marsianischer Zeitsprung“ tatsächlich bewohnt ist. Kleine Siedlungen, Dutzende von Kilometern entfernt, dazwischen leben die Dick´s Variationen der australischen Aborigines. Der Mars ist bei Dick niemals weiter entfernt als Australien. Drogen auf dem Mars dienen den Menschen, um die Situation zu ertragen. Auf der Erde ist ein Leben unerträglich.
Interessanter ist die Suche nach Gott in diesem Roman. Palmer Eldritch kann von einer fremden, außerirdischen Entität übernommen worden sein. Immer wieder wird diese Möglichkeit impliziert, da die Hauptfigur nicht über die Reise und den Unfall auf einem der äußeren Planeten spricht. Vielleicht haben die Wesen von Proxima Centauri keinen vollständigen Menschen mehr zurückgeschickt, sondern einen der ihren? Aber hinter dieser Frage verbürgt sich eher die Suche der Charaktere und damit auch der klassischen Dickleser nach einer höheren gottähnlichen Entität. Es ist erstaunlich, dass Dick immer wieder die Idee des Januskopfes in die Handlung einbaut, sie aber nicht direkt ausspricht.
Es gibt in diesem Roman zwei verschiedene Drogen. Can-D und Chew- Z. Eine Droge soll zu einem besseren Gemeinschaftsgefühl beitragen, das vor allem die Siedlung auf dem Mars braucht. Die andere Droge isoliert und schleppt die Menschen in ihre eigenen „Realitäten“, vielleicht auch in die eigenen Wahnvorstellungen.
Palmer Eldritch hat auch zwei Gesichter. Ist er die charismatische Erneuerer der Menschheit, welcher den Verzweifelten ein neues Ziel vorgibt? Oder ist er der Verführer der Hilflosen, der sie in ihre persönlichen Gefängnisse führt? Es gibt in diesem Buch keine Antworten auf diese Fragen. Der Leser kann sich ab einem bestimmten Punkt nicht mehr drauf verlassen, der Haupthandlung weiter zu folgen. Vielleicht ist er schon längst in einer der fiktiven Drogenwelten abgebogen, aus denen auch Bulero gefangen ist, nachdem er der Mensch ist/ sein wird, der Palmer Eldritch tötet/ töten wird. Die Zeitebenen unterscheiden sich und die Leser wissen, wie die Charaktere, von potentiellen Handlungsmöglichkeiten, die sich in der Zukunft auftun oder vielleicht auch schon Vergangenheit sind. Neben dem Spiel mit der Realität ist Dick ein Meister, die Zeit förmlich zu zerstören und eine neue, andere, herausfordernde existentielle Ebene für seine überforderten Protagonisten aufzubauen. Dabei ist die Ausgangslage meistens erstaunlich profan. In diesem Buch will ein Konkurrent auf die altmodische Art und Weise seine größte kommerzielle Gefahr beseitigen. Da wird nicht viel über Moral und Anstand diskutiert, ein Attentat ist der beste Weg. Und jeder erwartet es auch.
Natürlich scheitert Dicks Protagonist an dieser Aufgabe und wird mit der neuen Drogen vollgepumpt. Kein überraschendes Schicksal. In vielen Romanen ist die Drogeneinnahme entweder Rache an einem Feind oder Mittel zum Zweck, um sein Ziel zu erreichen. In allen Geschichten scheitern die Protagonisten schließlich. Wenn sie Glück haben, finden sie sich in einer surrealistischen Traumwelt wieder, in welcher sie „leben“ können. Wenn sie Pech haben, werden sie ihr restliches Leben durch Alptraumwelten irren.
Auch wenn „Die drei Stigmata des Palmer Eldritch“ nicht zuletzt aufgrund des ursprünglichen deutschen Titels „LSD Astronauten“ zu Dicks bekanntesten Büchern in Deutschland gehört, ist es vielleicht der Schmelztiegel seiner in den sechziger Jahren entstandenen Romane und wie angesprochen der Übergang zur letzten, religiösen Phase. Aber es ist ein Buch, das zu viel auf einmal will. Bekannte Ideen fließen in die Geschichte ein, werden überdreht bis an den Rand der Farce extrapoliert. Es ist nicht einmal mit einer Schautafel möglich, die verschiedenen Ebenen wieder voneinander zu trennen und wirklich überzeugend zu erkennen, ob der Leser sich zusammen mit den beiden wichtigen Figuren Bulereo und Mayerson sich noch auf der gleichen Ebene befinden, die Dick zu Beginn seines Buches etabliert hat. Wenn schließlich vor allem in Mayerson die Erkenntnis reift, dass sich Eldritch möglicherweise zu einem derartig den Menschen überlegenen Wesen entwickelt hat oder von einer entsprechenden Entität übernommen worden ist, ist die Grenze überschritten. Vielleicht will die Eldritch-Entität der Menschheit im Allgemeinen und den beiden in diesem Fall Antagonisten Mayerson und Bulero im Besonderen keinen geistigen Schaden hinzufügen. Sie kann aber mit der Idee von Körpern, vom lebendigen Fleisch nichts anfangen und macht die entsprechenden Fehler.
Dick selbst versucht, den Plot wieder auf ein für ihn immer griffiges Bild zu reduzieren. Das Entstehen von Keramiktöpfen – der Pothealer ist vielen Dick Lesern noch aus „joe von der Milchstraße“ gegenwärtig – ist ein Schöpfungsprozess, an dessen Ende dem Ton durch das Brennen und Bemalen eine Seele geschenkt wird. Palmer Eldritch will mittels seiner Drogen dieses Geschenk auch verteilen und scheitert schließlich in einem Labyrinth aus Irrealitäten.
Das Buch ist keine leichte Lektüre. Vielleicht erreicht Dicks Faszination mit dem Überwesen im vorliegenden Roman einen frühen Höhepunkt. In den „Valis“ Romanen agierte der Amerikaner aus einem realistischen Hintergrund heraus und konnte sich auf ein aus Sicht der Leser phantastisches Element aus Dicks Perspektive auf eine reale Begegnung mit Gott Valis konzentrieren. Das macht die Lektüre dieser Romane deutlich leichter als es in „Die drei Stigmata des Palmer Eldritch“ der Fall ist, weil Dick noch viele seiner bekannten, markanten, allerdings auch in der Masse wie Versatzstücke wirkenden Science Fiction Ideen in die Handlung integriert hat, so dass die Geschichte positiv gesprochen sehr herausfordernd ist, negativ argumentiert allerdings auch in sich selbst für Dick Verhältnisse unlogisch und vor allem unnötig konfus, aber nicht nach Dicks Gusto anarchistisch chaotisch erscheint.
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- Erscheinungstermin: 26.06.2014
- 248 Seiten
- ISBN: 978-3-596-90568-3
- Übersetzt von: Thomas Mohr