Sternenbrücke

Robert Corvus

Robert Corvus präsentiert mit „Sternenbrücke“ seinen zweiten serienunabhängigen Science Fiction Roman im Piper Verlag nach „Grauwacht“.

Vor einigen Jahren ist Yul Debarras Frau beim Flug durch eine der „Sternenbrücke“, welche die Strecke zwischen den besiedelten Planeten und der überbevölkerten Erde deutlich verkürzen, mit ihrem Raumschiff verschollen. Sie gilt als tot. Eine Detonation hat die Sternenbrücke zerstört.

Seitdem treibt sich Yul auf einer überbevölkerten Erde mit seinem Hund Pilgrim eher herum.  Sein Vermögen und seine Arbeit hat er verloren. Vor allem hält er sich in teuren Traumwelten auf, um zumindest die Illusion zu haben, noch mit seiner Frau zu leben. Seine Tochter hat sich von ihm abgewandt, da sie das Selbstmitleid nicht mehr erträgt.

Wie es sich für derartige Szenarien gehört, erhält der Antiheld eine zweite Chance. Er kann als Bordarzt auf einem Raumschiff der Starsilver Corporation anheuern. Das Raumschiff soll mit Unterlichtgeschwindigkeit in das Sonnensystem fliegen, die zusammengebrochene Sternenbrücke reparieren und durch die fast eintausendfünfhundert Jahre Zeitverschiebung ein neues Leben als reicher Mann beginnen können. Nebenbei erhofft er sich, Informationen über das Schicksal seiner Frau zu erhalten. An seiner Seite immer sein treuer Hund Pilgrim.

Das Ausgangsszenario ist ein Klassiker. Immer am Rande des Klischees entwickelt Robert Corvus mit Yul Debarras einen natürlich vom Leben gezeichneten Mann, der seine ärztlichen Fähigkeiten illegal einsetzt, um sich quasi den nächsten Schluck Alkohol leisten zu können. Das Schicksal seiner Frau hat ihn zerbrochen.

Diese Thematik rückt allerdings mehr und mehr in den Hintergrund. An Bord des Raumschiffs lernt Yul Debarras eine neue Frau kennen. Die durch den Unterlichtflug vergangene Zeitspanne wäre als Erklärung zu wenig. Auch die verschiedenen herausfordernden Situationen am Ankunftspunkt sind nicht ausreichend, als das ein Leser nachvollziehen kann, warum Robert Corvus diesen Punkt schließlich beiseite geschoben hat.  Yuls Selbstmitleid hielt sich noch im erträglichen Rahmen, durch die Veränderung der Perspektive wird Yul Debarras aber mit fortschreitender Handlung eindimensionaler.

Ein wichtiger Aspekt des Romans ist die politische Auseinandersetzung mit verschiedenen Regierungsformen. Auf der überbevölkerten Erde herrschen Konglomerate vor. Ab dem zehnten Lebensjahr wird jedem Menschen ein Balancechip eingepflanzt. Er zeigt den jeweiligen gesellschaftlichen Status eines Menschen. Natürlich gibt es unterschiedliche Klassen von der kapitalistischen Oberschicht bis zu den Armen, die in Ghettos leben. Die Balancechips geben aber nicht nur Auskunft über den sozialen Status, sie sind für die Konzerne auch ein interessanter Leitfaden, um Potential zu erkennen und sie früh zu modernen von den Gefälligkeiten der Konglomerate abhängige Menschen zu machen.  

Für die Starsilver Cooperation geht es bei der Reparatur der Sternenbrücke auch um ein Investment. Sie wollen das in den besiedelten Planeten gesteckte Geld über einen eher einseitigen Handel zurückerhalten und der Zusammenbruch der Sternenbrücke hat diese Möglichkeit zerstört.

Nach dem Unterlichtflug am Ende der Sternenbrücke angekommen muss die Besatzung erkenne, das die Kolonisten diese Verbindung zur Erde mindestens willentlich unterbrochen haben. Angeblich haben sie Teile der Sternenbrücke nach der Detonation gerettet, damit sie nicht in der Sonne verglühen. Das Szenario erscheint allerdings eher erlogen, denn gleich zu Beginn werden die Ankömmlinge zur Umkehr aufgefordert. Keiner der Kolonisten möchte mehr unter der Knute der Konzerne leben. Sie haben sich eine eigene Utopie aufgebaut, gelenkt von einer alles kontrollierenden künstlichen Intelligenz, die nur das Gute für die Menschen will. Krieg gibt es nicht mehr. Allgemeiner Wohlstand herrscht auf einen zufriedenstellenden Niveau und die beruflichen Wege der Menschen sind vorgezeichnet.

Die Mannschaft des Raumschiffs steht vor einer schwierigen Entscheidung, wobei es die Kolonisten ihnen mit dem Angriff auf das Schiff relativ leicht machen. Wahrscheinlich wäre demokratische Überzeugungsarbeit sinnvoller, aber nicht im Sinne der künstlichen Intelligenz.

Vor dem Hintergrund eines Actionromans beginnt sich Robert Corvus mit verschiedenen sozialen Systemen auseinanderzusetzen. Wie die Protagonisten muss der Leser für sich entscheiden, ob der Teufel den Beelzebub austreibt oder nicht. Dazu müssen die Ankömmlinge von der Erde auch ein wenig hinter die Kulissen dieser perfekt erscheinenden Kolonialwelt schauen. Auch hier hilft Yul wieder eine Frauenbekanntschaft.

Bei der Betrachtung der beiden Systeme geht Robert Corvus nur bedingt auf die unterschiedlichen Prämissen ein. Die Erde ist überbevölkert, ausgebeutet und die Konzerne nutzen die Schwäche der Massen aus, haben sie aber nicht erschaffen. Auf dem paradiesischen Planeten gibt es nur begrenzten Platz, viele Zonen sind noch nicht terraformt worden. Die Bevölkerung muss kleingehalten werden, damit ein gewisser Wohlstand und Status Quo erhalten werden kann. Alle Verstöße gegen die Geburtenregeln werden drakonisch bestraft. Die Kinder werden ausgesetzt. Verbrechen gibt es auf der Erde wie auch dem Kolonialplaneten. Auf dieser Welt werden die Menschen für eine Zeit (bis lebenslänglich) in den Tiefschlaf versetzt und mit ständigen Alptraumszenarien bestraft.

Robert Corvus versucht in den beiden Umfeldern (Erde und Kolonialplanet) einzelne Aspekte von persönlicher Freiheit, aber auch sozialer gegenseitiger Verantwortung zu diskutieren. Dabei etabliert Robert Corvus allerdings auch die Prämisse, dass die Menschen auf beiden Welten nicht wirklich frei sind. Auf der Erde die brutale Tyrannei durch die Konzerne, auf dem Kolonialplaneten der lange Atem der vordergründig um das Wohlergehen der Menschen besorgten künstlichen Intelligenz. Das macht die Entscheidung für die Leser, aber auch die Besatzung des Raumschiffs nicht einfacher. Eine Rückkehr zur Erde mit Unterlichtgeschwindigkeit kommt nicht  in Frage. Die Sternenbrücke gegen den Willen der Kolonisten zu reparieren, ist ein fast unmögliches Unterfangen, das eine Sabotage nach Durchschreiten des Tores nach sich ziehen könnte. Auf jeden Fall ist es unmöglich, die von den Konzernen gesetzten langfristigen Ziele umzusetzen.

Gegen Ende des Buches durchsetzt mit einigen Actionszenen kann sich Robert Corvus auch nicht zu einer Entscheidung durchringen. Positiv ist, dass er keine Dystopie einer perfekten Utopie gegenüberstellt. Das Leben auf der Erde ist brutaler, rücksichtsloser. Das Leben auf dem Kolonialplaneten zieht auch eine Reihe von in der vorliegenden Präsentation auch notwendigen Opfern und persönlichen Herausforderungen nach sich.  Aber Robert Corvus scheut Entscheidungen und folgt bis auf ganz wenige Exkurse bekannten Bahnen. Das Ende des Buches ist zufriedenstellend, aber wirklich überraschend ist es nicht.

Die  Zeichnung der Nebenfiguren ist solide. Neben einer Reihe von erotischen Szenen versucht Robert Corvus Yuls neuer Freundin Rena als dreidimensionale Figur zu präsentieren. Anfangs impliziert der Autor die Möglichkeit, das sie eine Art Doppelrolle an Bord des Raumschiffs spielt, aber angesichts von fast eintausendfünfhundert Jahren, die in der Realzeit vergangen sind, erscheint das selbst bei langfristig planenden Konzernen unwahrscheinlich. Nichts gegen einen langen Atem.

„Sternenbrücke“ ist zu Beginn ein ohne Frage ambitionierter, von Robert Corvus in einem stilistisch deutlich zurückhalternden Stil geschriebener stringenter Science Fiction Roman, der nur teilweise die eigene hochgesteckte Messlatte erreichen, aber angesichts des hektischen Endes und vor allem auch bei den wichtigen sozialen Problemen ambivalent präsentierten vorläufigen Auflösungen nicht wirklich überspringen kann.

Sternenbrücke: Roman | Eine mitreißende Space Opera

  • Publisher ‏ : ‎ Piper; 1. edition (24 Feb. 2022)
  • Language ‏ : ‎ German
  • Perfect Paperback ‏ : ‎ 368 pages
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3492706266
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3492706261