Herausgeber Gerhard Schneider fasst in seinem kurzen, prägnanten, aber auch wichtigen Vorwort nicht nur das zeitlose Thema der „Storycenter“ Anthologie zusammen, sondern weißt auf einige der grundlegenden Probleme hin und mahnt damit auch direkt den sinnvollen Umgang vor allem mit Trinkwasser an.
Insgesamt siebzehn Autoren haben sich an dieser von sehr schönen und nachdenklichen stimmenden Bildern Lothar Bauers mit einem Titelbild von Uli Bendick beteiligt.
Allgemeingültige Lösungen können und wollen die vielen Geschichten nicht per se anbieten. Nicht selten weisen sie nur auf den sich widersprechenden Umgang mit Wasser zwischen arm und reich hin. Bernd Schmitt eröffnet mit „Die City“ – in der Geschichte selbst wird ausschließlich von der Stadt gesprochen – die Anthologie. Eine junge Frau will in der Stadt als Kindermädchen arbeiten. Dafür erhält ihre Familie außerhalb der Stadt eine höhere Wasserration. Der Kontrast zwischen dem verzweifelten Kampf um jeden Tropfen Wasser außerhalb und die Verschwendung innerhalb der Stadt steht im Mittelpunkt dieser emotional ergreifenden Geschichte. Von Beginn an wird Druck auf die junge Frau ausgeübt, sich dem „Leben“ in der Stadt vorbehaltlos anzuschließen, ohne ihre Familie draußen zu informieren. Das Ende ist konsequent wie zynisch. Ein intensiver und nachdenklich stimmender Auftakt.
„Schwarzwasser“ von Karsten Lorenz fängt überzeugend an. Eine Wasserinspektorin sucht nach verborgenen Anschlüssen, an denen vor den Zählern Wasser abgezweigt wird. Allerdings öffnet sich durch einen Fund besonderen Wassers eine gänzlich andere Facette. Die Grundidee ist konsequent wie zynisch. Die Hintermänner bleiben vage. Schade ist, dass die ebenfalls interessante Ausgangsprämisse in diesem Szenario „verloren“ geht und einem griffigen Plan Platz macht. Ob es sich bei der Veränderung von Wasser um einen Unfall handelt oder wirklich mit Menschenleben experimentiert worden ist, bleibt leider abschließend offen.
Auch die Abschlussgeschichte der Anthologie „Dehydriert“ von Christine Prinz zeigt auf, welche Vorteile es hat, dem System zu dienen. Und sei es als Soldat. Allerdings stellt sich die Frage, warum die Handlung im Schwimmbad derartig endet. Es wird zu wenig Zusammenhang zwischen der Gegenwartsebene und dem Geschehen dargestellt. Natürlich könnte es um die gleiche handelnde Person gehen, aber der terroristische Anschlag auf das aus Sicht der meisten Geschichten pervertierte Luxuslotterleben wird zu wenig mit der Herausforderung an die Protagonisten verbunden, so dass zu viele Ideen abschließend in der Luft hängen bleiben.
Das Thema Wasserqualität und die Verheimlichung der Folgen findet sich in einigen Texten wieder. „Schnäppchen“ macht aus dieser Prämisse eine Art Mediensatire, während Nele Sickel in „Die Welt gegen Donna-Quinn Schott“ aufzeigt, wozu der Genuss von zu teuerem und eleganten Wasser in einer Welt führen kann, in welcher normalerweise die Menschen unter Dehydrierung leiden. Es ist aber nur ein Aspekt einer sehr intensiven und ergreifenden Geschichte, die wie viele Storys dieser Anthologie konsequent auf ein nihilistisches Ende zugeführt werden.
Zu den längsten Texten gehört Galax Acheronians „Infiziert“. Er beschreibt die Freundschaft zwischen einem Geschwisterpaar mit einem jungen Mann. Es ist eine komplizierte, von Emotionen gefärbte Beziehung. Der Hintergrund der Geschichte könnte der interessanteste Baustein sein. Die Menschheit holt mit gigantischen Raumschiffen Wasser von jenseits des Asteroidengürtels, damit die Armen überleben können. Das Klima ist schon außer Kontrolle, Steuern auf Sonnenschein oder Regen werden erhoben und verschärfen die Armut. Dazu gibt es Seuchen. Die Dreierkonstellation ist gut gezeichnet, selbst die zu späte Erkenntnis ist nachvollziehbar. Der Opfergang interessant, auch wenn er schließlich fatalistisch erscheint. Das große Problem ist, dass mit der finalen Entscheidung die Pläne im Grunde unterminiert werden. In diesem Fall gibt es weder Lohn noch eine Versicherungsprämie. Zumal es eine spontane Entscheidung ist. Damit bestraft der Protagonist die Zurückgebliebenen für einen Entschluss, den er selbst getroffen hat. Bis zu diesem ambivalenten, aber nicht zufriedenstellenden Ende zeigt der Autor eine Welt vor allem auf der für den Leser greifbaren Ebene auf, die aus den Fugen geraten ist.
Terrorismus ist ein wichtiges Thema. Einige kleinere Gruppen versuchen auf diese Art und Weise zumindest kurzzeitig die Luft zwischen arm und reich zu überbrücken. Die Folgen sind unterschiedlich. In „Selektion“ von Paula Knorr geht es abschließend nur noch um die Folgen und die Befreiung von politischen Gefangen auch unter größtmöglicher Aggression hat die gegenteiligen Auswirkungen, wie die Attentäter schnell erkennen müssen. In „Aus meiner Träne wird ein Fluss“ – Gerhard Schneider nutzt das Pseudonym Gard Spirlin – opfert sich eine kleine Gruppe in einer Selbstmordmission, um den Menschen im Hinterland Wasser zur Verfügung zu stellen, das die Reichen nicht einmal heimlich, sondern ganz offensichtlich bunkern. Das Ende ist poetisch wie fatalistisch zugleich.
„Terror“ von Diane Dort – ein weiteres Pseudonym – wirkt dagegen vor allem gegen Ende unausgegoren. Eine kleine Gruppe von Terroristen überfällt eine Versorgungsstation. Wieder scheint der Masse der Menschen eine Wasserverknappung vorgegaukelt zu werden, um ohne Frage auch die Preise hochzuhalten. Der Wächter oder besser Hausmeister verbündet sich hinter den Kulissen mit den Angreifern und im Gegensatz zu ihnen hat er sogar eine Idee parat, deren Manifeste zu verbreiten. Allerdings zerfällt der Plot gegen Ende und die Autorin kann sich nicht abschließend für die eine oder andere Richtung entscheiden. Dadurch wirkt der wirklich originelle, von mindestens einer exzentrischen Figur gekennzeichnete Auftakt wie in der Luft aufgehängt.
In Thomas D. Föllers “All In” scheint der Wasserdiebstahl aus der Müritz vor den Augen der Chinesen die einzige Möglichkeit zu sein, das Kind zu retten. Aber wie einige andere Autoren dieser Sammlung präsentiert Thomas D. Föller hinter der vordergründig stringenten Fassade eine zynische Doppelmoral, an deren Ende wieder die Obrigkeit siegt. Der Plot fängt wie andere Arbeiten gut an, verzeigt dann aber ein wenig zu sehr, um während des kompakten Finales wieder zusammengeführt, aber nicht nachhaltig abgeschlossen zu werden.
Natürlich wollen und können die Autoren keine allumfassenden Antworten auf die von ihren pointiert aufgeworfenen Probleme präsentieren, aber einige Texte wirken ein abgerundeter und dadurch auch nachhaltiger als andere Arbeiten.
Vertig Stry Cats „Weltenbrand“ zeigt auf der einen Handlungsebene die drakonische Bestrafung der Wasserdiebe durch die Verbannung in das ausgedörrte Afrika, der zweite Spannungsbogen zeigt den Weg in den ökologischen Abgrund und die nur bedingten Reaktionen der Etablierten wie auch die Opposition der Jugend. Die Autorin kann dem Thema zwar keine neuen Aspekte abgewinnen, aber mit ihrem klaren Stil und der eindringlichen Atmosphäre ragt die Geschichte trotzdem positiv aus der Masse heraus.
Noch einen Schritt weiter will Friedhelm Rudolph mit „Die Wunderwelt der Zewato NV“ gehen. Aber das makabere Kammerspiel zwischen einem anscheinend ehemaligen Soldaten, inzwischen in Norddeutschland autark lebend, einer Gruppe von ökologischen Abweichlern und schließlich der Obrigkeit wird zwar bis zu einem dunklen Finale getrieben, aber der Funke will auch durch die teilweise sperrige Erzählstruktur nicht überspringen. Zu viele Fragen werden offen gelassen, alleine krasse sprachliche Bilder reichen nicht aus, um den eher stimmungsvollen Plot voranzutreiben.
Nur ganz wenige Geschichten schenken dem Leser einen latent positiven Ausblick in die Zukunft. Enzo Asuis „Liisas Lied“ spielt in Estland. Ein Ingenieur will dort eine neue Wasserumwälzungsanlage in Betrieb nehmen, welche den Menschen im bäuerlichen Hinterland Regen schenkt. Dabei trifft er auf eine faszinierende Frau. Der Plot entwickelt sich ruhig, die Emotionen konzentrieren sich alleine auf eine musikalische Begegnung und der Leser hofft mit dem Protagonisten, das alles glatt gehen wird.
Auch in „Die Lösung“ von Tobias Habe nicht geht es um eine brachiale Lösung hinsichtlich der Überbevölkerung und daraus resultierend dem Wassermangel. Nur die Jugend scheint frei zu sein, während die Eltern immer Stechen gehen. Hinter diesem alten Begriff verbürgt sich aber etwas Anderes als es der Leser erwartet.
Die extremste Geschichte ist Johannes Tosins „Wasser!“. Obwohl der größte Teil der Geschichte in der Wüste Sahara spielt, zeigt der Autor von Beginn an eine Welt, in welcher die Menschheit geteilt ist. Die Schädlinge, Sozialschmarotzer dienen in mehrfacher Hinsicht als Nutzquelle. Den Begriff „Anpressen“ wird der Leser auch nicht so schnell vergessen. Das Ende ist offensichtlich, auch wenn der Sinn der Reise angesichts der monetären Mittel sich dem Leser nicht gänzlich erschließt. Vieles wird nur angedeutet, aber die dunkle zynische Welt, welche der Autor entworfen hat, verdient mehr als eine Kurzgeschichte.
Sabrina Kirchknopfs „995 Jahre nach der Schmelze“ spielt am Weitesten von allen Geschichten in der Zukunft. Sie beschreibt den Auftakt auf mehreren Perspektiven, die schließlich zusammenlaufen. Die unterschiedlichen sozialen Schichten bestimmen auch den Handlungsverlauf. Allerdings wirken sie eher wie Fragmente. Der Leser hat kaum die Möglichkeit, die Protagonisten kennen zu lernen, so dass dem Text abschließend ein schlagkräftiges Finale abhanden kommt.
Christian Baumelts „Schnäppchen“ ist auf den ersten Blick eine Konsumsatire, welche die plakative die Realität verfremdete „Wirklichkeit“ der großen Konzerne dem zur oberen Mittelschicht gehörenden Verbraucher sehr drastisch darstellt. Die pointierten Dialoge, das Vertreterverhalten und schließlich die Erkenntnis, wie teuer ein brauchbarer Wasseranschluss im eigenen Haus wirklich ist, machen die Story zu einem nachdenklich stimmenden Höhepunkt der Anthologie.
Auch Achim Stößer präsentiert in „Das Ende der Regenbogen“ eine interessante Alternative zum Verdursten auf der Erde. Ein junges Mädchen macht sich auf die Suche nach ihrem Vater, von dem sie schon lange getrennt lebt. Sie fährt mit einem Fahrrad durch die Einöde zu ihm und beschreibt, wie sehr sich das Land verändert hat. Am Ende resigniert der Vater nicht, sondern weiht sie in seinen ultimativen Fluchtplan ein. Achim Stößer lässt vor der ökologischen Katastrophe Erinnerungen sowohl an Robert A. Heinlein wie auch John Varley aufkommen, welche die Frontiermentalität in ihren für ältere Jugendliche geschriebenen Büchern zelebrierten. Im Gegensatz zu vielen nihilistischen Geschichten dieser Anthologie zeigt Achim Stößer auf, dass das Individuum schwer unterzukriegen ist.
Zusammengefasst ist „Kaltes klares Wasser“ eine überzeugende Anthologie mit Geschichten, die sich intensiv, vielleicht aber auch ein wenig plakativ mit dem Thema vor allem auch aus einer fast antikapitalistisch zu nennenden Perspektive auseinandergesetzt haben. Die Autoren wollen bis auf ganz wenige Ausnahmen keine ultimativen Lösungen anbieten, sondern auf die globale Problematik hinweisen, dass vor allem Trinkwasser mehr und mehr zu einem raren und damit auch teuren Gut wird, das geachtet und nicht verschwendet werden sollte. Dieser Punkt wird von allen Storys gut getroffen und der Leser denkt zumindest ein wenig über die nihilistischen, vor allem in der ersten Welt sich abspielenden Plots nach. Und das zeichnet gute Science Fiction aus.
Gerhard Schneider (Hrsg.)
KALTES KLARES WASSER
Story Center
AndroSF 114
p.machinery, Winnert, Mai 2020, 278 Seiten, Paperback
ISBN 978 3 95765 194 5 – EUR 15,90 (DE)
E-Book: ISBN 978 3 95765 894 4 – EUR 7,99 (DE)