„Ufo am Nachthimmel“ ist Walter Ernstings erste professionelle Veröffentlichung im Rahmen der Utopia Großbände gewesen. Die Legende sagt, dass Ernsting nach den ersten aus seiner Sicht unterdurchschnittlichen Romanen nicht mehr nur noch herausgeben und übersetzen, sondern schreiben wollte. Der Verlag lehnte das mit dem Hinweis auf mangelndes Interesse an deutschsprachigen Autoren ab. Walter Ernsting griff zu einer List, erfand das Pseudonym Clark Darlton, einen fiktiven Originaltitel und präsentierte den Roman als Übersetzung. Das war im Jahr 1955. Nur ist Clark Darlton eben nicht der erste deutsche Autor in der UTOPIA Großbandreihe gewesen. C.V. Rock gehört diese angesichts der Qualität der Leihbuchnachdrucke zweifelhafte Ehre. Und der Roman verfügte auch über keinen fiktiven Originaltitel, auch wenn das gewählte Pseudonym wie bei Walter Ernsting angloamerikanisch geklungen hat.
Der Roman ist mehrfach nicht nur im Rahmen verschiedener Terra Heftromanen nachgedruckt worden. Der SFCD präsentierte einen Nachdruck angesichts eines Walter Ernsting und seiner Leistung um den Club Sonderveröffentlichung. Im 21. Jahrhundert kombinierte auch der readersplanet den Band mit „Die Zeitlosen“ und sah in dieser Doppelveröffentlichung den Start einer Reihe von Science Fiction Klassikern. Es sollten aber keine weiteren Geschichten erscheinen.
Einige Leser wurden noch einmal auf Walter Ernstings Roman aufmerksam, als der Autor in seinem pseudosekundärliterarischen Buch „Der Tag, an dem die Götter starben“ auf die Gedanken hinwies, die ihn angeblich seit vielen Jahrzehnten um getrieben haben und die erst erstmalig in diesem Heftroman zu Papier gebracht hat.
Allerdings gibt es Unterschiede zwischen „Ufo am Nachthimmel“, „Der Tag, an dem die Götter starben“ und später auch der Variation „Die neun Unbekannten“.
In „Ufo am Nachthimmel“ greift der Autor auf einige Klischees des Genres zurück. Der Auftakt mit der Entdeckung des über Frankreich abgestürzten Ufos durch den reichen Sohn eines Industriellen Mike, seinen Freund und Atomphysiker Dr. James Freema und dessen Freundin orientiert sich sehr stark auch an Robert Wieses Klassiker „Der Tag, an dem die Erde stillstand“ bzw. Harry Bates literarischer Vorlage. Der Außerirdische nimmt die Menschen wohlwollend auf, nachdem sie sich bereit erklärt haben, ihm einen Transformator und einen Fernseher zu beschaffen, damit er sein Raumschiff wieder reparieren kann. Das Militär eröffnet das Feuer auf den Außerirdischen, der sich nur vollständig mit einem Strahler wehren kann. Sterbend bittet er die Menschen, das UFO zu versenken und stillschweigend bis zu seiner Reinkarnation und Wiederkehr zu bewahren.
So entkommen die Menschen an Bord des Raumschiffs in All und beginnen eine phantastische Odyssee, die sie über den roten Planeten schließlich auch in das Heimatsystem der Fremden – den Sirius – führt.
Walter Ernsting baut die Komponente der Götter aus dem All anders als in seinen späteren Arbeiten auf. Dabei geht er ambitionierter vor. Die eigentlichen Menschen sind mittels einer Art Urschleimmasse von Fremden ausgesät worden. Wie auf hunderten von anderen Welten auch. Später hat sich eine hoch stehende Zivilisation auf dem fünften Planeten des Sonnensystem bekriegt und mit Atomwaffen vernichtet. Der Planet bildet jetzt den Asteroidengürtel. Die Überlebenden sind zum Mars geflohen, wo sie unter anderem die Pyramiden errichtet haben. Später ist eine Gruppe zur Erde gereist und hat sich dort als die Götter aus dem All angesiedelt, die Bauten der Ägypter oder Inkas beeinflusst und eine zweite Menschheit intellektuell angeführt, während sich die erste aus dem Schleim entstandene Menschheit Jahrtausende vorher in einem ebenfalls brutal geführten Atomkrieg selbst vernichtete.
Es gibt Übereinstimmungen zu seinen späteren Büchern, aber deckungsgleich wie der Ich- Erzähler Walter Ernsting in „Der Tag, an dem die Götter starben“ impliziert, ist die Handlung nicht. Viel mehr vermischt der Autor verschiedene Ideen, rührt die angesichts der Paranoia der Fremden auf der einen Seite, ihrer Kontaktfreude auf der anderen Seite mehrfach um und baut quasi als roten Faden das Element der kontinuierlichen Überwachung der Menschheit entweder durch Außerirdische aus dem All oder eine Art Loge aus dem Inneren in alle drei Romane ein.
„Ufo am Nachthimmel“ weist viele Stärken, aber auch einige Schwächen eines Debütromans auf. Die Dialoge sind steif und distanziert, die Beschreibung der einzelnen Protagonisten ausbaufähig. So zeigt Walter Ernsting Dr. James Freema anfänglich als eine Art Westentaschenmacho, der Ideen oder Eigeninitiative seiner Freundin nicht anerkennen will oder kann. Auch die Begegnung mit dem Außerirdischen ins einem abgestürzten Raumschiff wirkt spannungsarm und bemüht. Obwohl dieser gegen alle Gesetze verstößt, offenbart er sich ausführlich den Menschen gegenüber. Die Aktion mit dem Hubschrauber und dem Kauf des Fernsehers gegen einen Goldbarren dauert genauso lange wie die Militärs brauchen, den Absturzort zu erreichen. Da wird die Logik gedehnt.
Im All selbst haben die Menschen im Grunde fortwährend Glück. Auch wenn sie vor dem Kommandanten des Mondes extra gewarnt worden sind, entpuppt sich dieser als derartig naiv, dass sie bei einem Mondspaziergang eine der Untertassen stehlen und weiter ins All fliehen können. Selbst der Leiter der Basis auf dem Mond hat mitbekommen, das die Handvoll von Menschen mit wenig Wissen, aber viel Improvisationsgabe in der Lage sind, Untertassen zu fliegen.
Später auf dem Sirius werden sie zum wiederholten Male nicht getötet. Perfekte Aufzeichnungen – teilweise von unbekannten Außerirdischen, welche den Bewohnern des Sirius nicht nur Dokumente der irdischen Geschichte, sondern ganze Basen überlassen haben – ermöglichen es ihnen, wissenstechnisch aufzuholen. Insbesondere der Wissenschaftler Freema ist in seinem Element, während der Junggeselle Mike sich in einer der dortigen Schönheiten verlieben kann. Walter Ernsting hat vorher nicht mit dem Hinweis gespart, dass die Frauen des Sirius ganz wild auf irdische Männer sind. Auch wenn sie als Gefangene auf dem Planeten landen.
Der Herrscher erweist sich als Altersweise. So gelingt es den Menschen, einen politischen Umsturz zu verhindern. In diesen letzten Abschnitten überschlagen sich zu viele Ereignisse. Walter Ernsting versucht seinem bis dahin auch philosophisch intellektuellen Text eine handfestere Basis zu geben und lässt die Menschen zu sehr in der ersten Reihen tanzen. Obwohl sie nur wenige Monate auf dem Planeten sind, durchschauen sie schon politische Ränkespiele und können schließlich den eher fragwürdigen Status Quo der Welt allerdings mit einem großen Opfer erhalten. Als Dank sollen sie wieder zur Erde zurückgeschickt werden.
Hier greift Walter Ernsting ein zweites abschließendes Thema auf. Die Auswirkungen eines überlichtschnellen Flugs auf die relative Zeit im Raumschiff und die absolute Zeit, die auf der Erde vergangen ist. In diesem Moment schenkt der Autor Freemas Verlobten und zukünftigen Frau einen Moment des Ruhm, in dem sie eine Beobachtung machen kann, die Freema auf eine nur als naiv zu bezeichnende Art und Weise entgangen ist. Ganz Mann nimmt er den Steuerknüppel in die Hand und zeigt dem überforderten Piloten, wie echter Überlichtflug funktioniert. Inklusiv einiger Orientierungsprobleme am Ende. Aber auf diese Art und Weise kann Walter Ernsting einen wichtigen Teil der Handlung „pünktlich“ abschließen und sich leider nur nebensächlich mit einem andere Phänomen auseinandersetzen. Anscheinend erfolgen einige der Beobachtungen der Außerirdischen in die nahe Zukunft. So sehen Mike und Freema ein Ereignis, das erst in wenigen Tagen stattfinden wird. Walter Ernsting versucht diese zweite, im Grunde einen Roman füllende Idee kurz abzuhandeln, verzettelt sich aber bei seinen Erklärungen.
„Ufo am Nachthimmel“ trägt einige klassische Walter Ernsting Ideen in sich. Die friedliche Begegnung mit Außerirdischen trotz aller Vorurteile. Die Angst vor einem alles Leben vernichtenden Atomkrieg. Die ordnende Hand des Menschen auch auf fremden Planeten, wobei es ihnen darum geht, eine Art Basisdemokratie mittelbar zu etablieren. Die Idee, das die Menschen seit vielen Jahren im Mittelpunkt kosmopolitischer Ereignisse stehen, nachdem sie sich mindestens einmal in ihrer Geschichte fast gänzlich ausgerottet haben. Und das die Zeit im Weltraum relativ sind.
Viele der hier nur angerissenen Themen wird Walter Ernsting in seinen folgenden Romanen besser behandeln und origineller lebendiger und vor allem natürlicher erzählen. Aber wer gerne nach den Wurzeln eines Schriftstellers sucht, der wird in „Ufo am Nachthimmel“ trotz einiger struktureller Schwächen und einer spürbaren Überambition in mehr als einer Hinsicht fündig.
- Gebundene Ausgabe: 300 Seiten
- Verlag: BILDNER Verlag; Auflage: 1., (30. September 2004)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3832890009
- ISBN-13: 978-3832890001